Marlene Streeruwitz spricht über deutschen Humor, einen führerlosen Neuanfang und die wahren Opferautorinnen.
an.schläge: Sie haben unter dem Titel "So ist das Leben" einen Fortsetzungsroman zum Wahlkampf geschrieben. Wie geht es der in Wien lebenden Figur Nadine jetzt mit der großen Koalition?
Marlene Streeruwitz: Nadine ist jetzt ja nach London gegangen, um zu sehen, wie es anderswo ist. Aber in London ist es genauso schlimm wie in Wien und deshalb kommt sie wieder zurück. Ob meine Figur das auch so sieht, wird erst die nächste Staffel zeigen, aber ich zumindest teile dieses gegenwärtige Aufheulen nicht. Österreich hat Gusenbauer nicht mit einer Mehrheit für einen strahlenden Neuanfang ausgestattet. Was vielleicht auch gar nicht wünschenswert ist. Ich denke, dass nur eine sehr vorsichtige Änderung der Paradigmen, die uns beherrscht haben, möglich ist und ein langsames Verlassen der Depression, in der wir alle sitzen. Der Versuch eines Neueinschreibens des sozialen Arguments in die Politik darf nicht von den alten ödipalen Gesten begleitet sein. Nicht vom Wunsch nach einem Führer, der uns endlich aus der nationalen Katastrophe herausführt. Die Kompromiss- haftigkeit der Sache ist für mich kein Grund für die schweren Vorwürfe einer selbstdefinierten linken Intellektualität, die jetzt laut werden und die ich schlicht altmodisch finde. Es müssen auch neue Formen der Kritik entwickelt werden.
Wir sind also, wenn auch zögerlich, wieder auf einem besseren Weg?
Ja, den Koalitionsvereinbarungen zufolge sieht es so aus, als würden gewisse Dinge in Angriff genommen werden. Wie die Gesamtschule beispielsweise Â…
Â… die Abschaffung der Studiengebühren aber nicht Â…
Ich würde Bildung als Grundrecht in die Verfassung schreiben und es nicht junktimieren mit einem Sozialdienst. Das geforderte "Zurückgeben an die Gesellschaft" ist doch nur möglich, wenn es eine Gesellschaft gibt. Und es gibt keine. Das ist doch das Problem Österreichs. Die letzten sechs Jahre haben den Mythos der Existenz solch einer Gesellschaft endgültig zerstört. Wir müssen ganz von vorne anfangen.
Was erhoffen Sie sich von der neuen Kulturministerin Claudia Schmied?
Ich erhoffe mir von niemandem etwas. Das ist es ja: Wir müssen uns von der Hoffnung auf eine Person verabschieden, die uns aus den tiefen Tälern führt. Ihr Versprechen, die Sozialversicherungsfragen anzugehen, ist ja schon einmal positiv. Positiv ist auch, dass der Ton sich ändern wird. Und es wird mit der Ministerin zumindest eine Partnerin in Managementfragen geben, was es bisher nicht gab. Wir sind an einem solchen Tiefpunkt angelangt, dass ich es immerhin für erfreulich halte, dass ein Ministerium nicht mehr wie bisher der zentralisierten Macht und den Launen einer einzigen Person ausgeliefert ist. ?Das Grundproblem ist, dass wir alle zugleich Individuen und der Staat sind, den Staat also an uns selbst vollführen und das alles deshalb auch an uns und mit uns selbst lösen müssen. Und ich denke, der Versuch wird von einigen gemacht - wenn er natürlich auch radikaler sein könnte.
Die Verantwortung nicht mehr abzugeben, sondern sie selbst zu übernehmen, klingt aber auch ein wenig nach Aneignung des neoliberalen Grundgedankens der Selbstverantwortung.
Da muss man die Ebenen unterscheiden. Und den Bereich der Zurichtung vom genuinen Bereich in uns trennen, aus dem sich die demokratische Verantwortung ergibt. Die Radikalisierung der Demokratie kann nur vorangehen, wenn auch jeder und jede Einzelne es übernimmt.
Nicolas Stemann hat Teile eines Gesprächs zwischen Ihnen und Jelinek in seiner Inszenierung von Jelineks Stück "Ulrike Maria Stuart" als Dialog zwischen zwei Vaginas dramatisiert - in Anspielung auf Enslers "Vagina-Monologe". Sie haben vom Thalia Theater eine Unterlassungserklärung gefordert. Warum?
Ich bin als namentlich genannte Autorin und sprechende Vagina auf die Bühne gestellt worden. Das ist Frauenbewegung der ersten Stunde: Die Verdinglichung der Frau als Sexualorgan. Es ist eine unerträgliche Vorstellung, insbesondere für eine Autorin, als sprechendes Geschlechtswerkzeug dargestellt zu werden. Das Gespräch wurde außerdem auf eine ziemlich doofe Art gekürzt und die Textverwendung nicht bei mir angefragt. Mein Einspruch wurde vom Theater damit beantwortet, dass ich doch nun schließlich berühmt werden würde. Und Stemann hat mir ausrichten lassen, dass er damit die Situation von Frauen in der Kunst darstellen wollte. Erstens ist es hoffentlich wohl doch nicht ganz so schlimm und zweitens sollte man das dann auch nur mit Kunstfiguren tun. Ich bin mit der Klage gescheitert. Aber Intendant und Dramaturg gehen jetzt am Anfang des Stücks bzw. vor der Szene auf die Bühne und weisen darauf hin, dass die Autorin gegen die nun folgende Passage geklagt hat. Auch wenn an dieser Stelle viel gelacht wird: Das Theater wird damit als Geographie der Macht sichtbar. Elfriede Jelinek hat sich nicht dagegen verwahrt, aber ich bin sehr froh, dass ich es gemacht habe. An diesen Auftritten beweist sich, dass das Theater erst durch Interventionen von außen hergestellt wird. Das Theater hat für die Frauen nie etwas getan. Und zeigt sich jetzt in neuer, verklamaukter Prangerfunktion.
Sie sagen in einem Interview mit dem Spiegel: "Deutschsprachiger Humor war immer ein Mittel der Verächtlichmachung."
Das ist natürlich Stürmer-Humor Â… Dort ist es die lange Nase, der Bauch, der gebückte Gang - bei mir sind es jetzt eben die Geschlechtsorgane. Ich möchte über Geschlecht, Rasse, Religionszugehörigkeit, Alter etc. nicht diskriminiert werden. Es ist ein Grundrecht, über diese Kriterien nicht diskriminiert werden. Es gibt genug Gründe, Leute zu karikieren, es gibt genug andere Möglichkeiten. Diese Art von Humor muss nicht mit dem Verweis auf die Freiheit der Kunst verteidigt werden. Sie ist kein kritisches Mittel. Genauso wenig wie beispielsweise die Versuche, Haider über seine angebliche Homosexualität anzugreifen, der hat genug anderes gesagt und getan.
Ist es nicht auch problematisch, das Sie damit quasi eine Allianz mit der konservativen Journalistin und Meinhof-Tochter Bettina Röhl eingehen, die ebenfalls gegen die Inszenierung geklagt hat?
Ich denke, Delikatesse und Takt sind ein Wert, der ethisch verteidigt werden muss. Es kann nicht darum gehen, Menschen durch Kunst und Kultur sinnlos zu verletzten. Wir sollten eine Frau, die aufgrund ihrer Geschichte genug gelitten hat, nicht retraumatisieren. Ich betrachte das nicht als ästhetisches Mittel.
Robert Misik wirft Ihnen im Standard unter dem Titel "Opfertum und Amoklauf" "Selbstviktimisierung" vor. Wie finden Sie das?
Ich fand das einen sehr seltsamen Vorwurf und ein höchst antidemokratisches Argument. Damit soll mir als Opfer die Möglichkeit genommen werden, Einspruch zu erheben. Immer wenn in der Geschichte Personen vorgeworfen wurde, sich zum Opfer zu machen, war das ein höchst reaktionäres Moment. Und das ist es hier auch.
Sie werden ja überhaupt gerne als "Opferautorin" bezeichnet.
Hera Lind mit ihren Unterhaltungsromanen, die Unterhaltungsversion der so genannten Postfeministinnen, das sind meiner Meinung nach Opferautorinnen. Emanzipation braucht den Blick auf sich selbst als Opfer und danach sofort den Schritt heraus. Die Leugnung des Tatbestands ist das Problem und verhindert gerade, die Opferposition überwinden zu können. Ich halte den Schritt der Versprachlichung für wesentlich, die Versprachlichung macht das Opfersein erst sichtbar und damit auch bearbeitbar. Ganz das Gegenteil ist also der Fall.
In Ihrem neuen Roman "Entfernung" erlebt die gefeuerte Dramaturgin Selma neben persönlichen Verletzungen auch noch die Londoner Anschläge. Ist der neoliberalisierte Kulturbetrieb nicht Terror genug?
Das ist eine weitere Realität, die es einfach gibt. Aber die neoliberale Ökonomie dieser Ereignisse, das ständige Bedrohungsszenario, das entworfen wird, wird dadurch gebrochen, dass es eine bestimmte Person ist, der es passiert. Die Aneinanderreihung der Ereignisse bestimmen die Geschichte und nicht die Person. In diesem Sinne ist es auch eine Schilderung der Aufgabe von Selbstautorschaft - die aber nicht mehr in der kanonischen Weise als Schicksal beschrieben wird.
Selbst Die Zeit und Brigitte fordern wieder einen neuen Feminismus. Bekommen wir ihn?
Die hätten den alten nicht verlassen sollen! Wir haben ihn ja. Er ist nur aus der Öffentlichkeit verschwunden, weil die Hegemonie, und da gehören ja auch viele Frauen dazu, Zensur ausgeübt hat. Der gegenwärtige Feminismus stellt sich dem Jetzt in einer radikaldemokratischen Weise, die das Andere als Voraussetzung für die Konstitution des Menschen akzeptiert und damit auch global gültig ist. Wer genau hinsieht, findet jede Menge philosophischer Lösungsansätze und kreativer Lebensformen.
Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at