Artikel 20 des Grundgesetzes legt unabänderlich fest: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Wer die Politik verteufelt und an ihre Stelle die
sozialdarwinistischen Marktkräfte des Turbokapitalismus setzen will, ist fraglos ein Verfassungsfeind. Die Macher der Zeitschrift eigentümlich frei (ef) ziehen es vor, sich als "Libertäre" zu bezeichnen. Seit 1998 schimpfen sie auf "neusozialistische Ausbeuter" - alle, die ihnen Steuern abverlangen - und bieten derzeit zehnmal jährlich denen ein publizistisches Forum, die als Kinder nicht gelernt haben, wie man teilt. Wem die extrem rechtslastige Junge Freiheit "zu sozialistisch" ist, soll laut Verlagswerbung doch bitte die ef kaufen.
Allen anderen sei die unentgeltliche Internet-Fassung des Blattes empfohlen - unter www.ef-magazin.de erhält man Einblicke in die teils erschreckende, teils unfreiwillig komische, weniger eigentümliche als bizarre Weltsicht deutscher Anarcho-Kapitalisten. Deren Freiheitslehre entstand in den USA während der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre als Reaktion auf den sozialstaatlichen New Deal. Das ef-Logo ist eine stilisierte Freiheitsstatue; fast möchte man den Blattmachern zurufen: WennÂ’s in den Vereinigten Staaten so schön ist, dann geht doch rüber! Aber auf die Idee sind sie schon selbst gekommen und drucken warnende Worte eines USA-Experten: "Die Steuern sind höher, als viele Deutsche sich das vorstellen."
"Die Massenarbeitslosigkeit ist eine Folge von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld." Wer bislang nicht glauben mochte, daß Kapitalismus verrückt macht, wird schon durch oberflächliche ef-Lektüre mit unwiderlegbaren Beweisen konfrontiert. Wer trägt die Schuld am Rinderwahn BSE? "Planwirtschaft, Bürokratie und Schlamperei". Von wem wird die Bundesrepublik regiert? Von "Bürokraten, Staatsfans, Umwelthysterikern, Männerhassern und Antifaschos". Zwischen Links und Rechts gibt es laut ef keinen Unterschied; die NPD ist für den ef-Herausgeber André F. Lichtschlag der "parteipolitische Arm der Globalisierungsfeinde von attac".
Seine politischen Hoffnungen investiert dieser eigentümliche Journalist in die "Libertäre Plattform in der FDP", für die er "eine realistische Chance" sieht, eines Tages seinen parteipolitischen Arm zu bilden. Die Plattform-Mitglieder "träumen von einem Land, in dem freie Menschen ohne staatliche Bevormundung ihr eigenes Leben gestalten können". Und was wird dann aus dem Grundgesetz? "Wir lehnen alle kollektiven Vorhaben und rechtlichen Regelungen ab, die auf das Leben oder Eigentum von Nicht-Beteiligten und Unfreiwilligen zielen [...] Daher fordern wir die Anerkennung des individuellen wie des kollektiven Sezessionsrechts." Letzteres forderten die Südstaatler der USA auch. Ergebnis war ein Bürgerkrieg mit fast einer Million Toten. Neueres Beispiel: Jugoslawien. Krieg und Zerstörung des Bundesstaates begannen mit der entgegen allen Mahnungen der UNO von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) betriebenen Sezession Sloweniens und Kroatiens.
Libertäre sollten die Politik eigentlich meiden wie der Teufel das Weihwasser. Aber ef drückt hier und da beide Augen zu - beispielsweise bei Jürgen Möllemann, der sich mit langen Passagen aus seinem rechtspopulistischen Bestseller "Klartext. Für Deutschland" zu Wort melden und nach seinem Freitod sogar als lächelnder Posterboy auf der Titelseite prangen durfte: "Dieser eine Mann hatte das Charisma und das Durchsetzungsvermögen ganzer Hundertschaften, ja eine Kraft, die Tausend andere nicht zusammen aufbringen." (Lichtschlag)
ef-Redaktionsbeirat Detmar Doering leitet das Liberale Institut, den Think-Tank der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Auch der stellvertretende ef-Chefredakteur David Schah ist der Politik nicht wirklich abhold: In der FDP-internen "Libertären Plattform" erfüllt der Kleinunternehmer und gelegentliche Autor der Jungen Freiheit die Funktion des "Regionalen Ansprechpartners" für Nordrhein-Westfalen.
Sogar ef-Herausgeber Lichtschlag kann sich vorstellen, zukünftig politisch aktiv zu werden. Als Bundeskanzler würde er sofort die Mehrwertsteuer aufheben, alle zuständigen Finanzbeamten entlassen und dann jede Woche eine weitere Steuer streichen. Ergebnis ist dann angeblich nicht der gesellschaftliche Kollaps, sondern ein "Wirtschaftsboom". Bis zu Lichtschlags Vereidigung dürfte aber noch einige Zeit vergehen. Die kann sich der Kanzler in spe mit der Lektüre der Jungen Freiheit vertreiben, auf deren Autorenliste er und drei Mitglieder seines ef-Redaktionsbeirates stehen. Lichtschlag beschreibt die strammrechte Wochenzeitung als "eine oft interessante und lesenswerte, sehr pluralistische Zeitung"; ihr Herausgeber ist in seinen Augen ein "absolut überzeugter Demokrat". Wie beruhigend.
"Frei bedeutet fair": Wer ein ef-Jahresabonnement nicht spätestens neun Monate nach Beginn kündigt, muß weitere zehn Hefte bezahlen. Das kann ziemlich teuer werden: Hat man ein "Platin-Abo" abgeschlossen, schuldet man dem Verlag mindestens 1.200 Euro. Dafür steht es einem dann aber auch frei, am exklusiven ef-"Strategie-Weihnachtsessen" teilzunehmen, unterm Tannenbaum mit Lichtschlag & Compagnie von der radikalliberalen Revolution zu träumen und auf die bösen "Neosozialisten" in SPD und Union zu schimpfen (die einem seit etlichen Jahren eine Steuersenkung nach der anderen bescheren).
Was will ef? "Ziel ist es, dieses Land zu verändern. Nicht weniger." Unter dem Fanal vermeintlicher Freiheit soll die parlamentarische Demokratie abgeschafft werden; die Macht geht dann automatisch auf den Geldadel der Millionäre und Milliardäre über, vor dessen Willkür einen der Staat nicht mehr schützen kann, weil er Privateigentum geworden ist.
"Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" (Artikel 14 GG). Diese Vorstellung ist den Schnöseln von eigentümlich frei fremd. Was sie äußern, ist immer nur eins: dummdreist. Wer aber nichts anderes im Sinne hat, als auf Kosten der andern reich und reicher zu werden, gehört zum Wohle der Allgemeinheit enteignet - wennÂ’s nach der Verfassung geht, von der sich diese Freibeuter befreien möchten.