"DDR" und DBR. Sprachpolitik im Kalten Krieg

Während des Kalten Krieges waren beide deutschen Staaten bemüht, den jeweils anderen Staat nicht beim korrekten Namen zu nennen, sondern erfanden andere Bezeichnungen, auf deren Anwendung sie in ...

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der Regel bestanden. Das galt auch für beide Teile Berlins. Das Ziel war es, mit der Namensgebung die eigene Sicht auf den anderen Staat bzw. den anderen Teil der Stadt für die eigene Bevölkerung verbindlich zu machen bzw. die mit der Namensgebung vorgegebenen Charakteristika des anderen Gebietes durch ständige Wiederholung glaubhaft zu machen, sie in einen nicht mehr nachzufragenden Stereotyp zu verwandeln.

Im Folgenden wird auf diese staatlich verordneten und über die Medien verbreiteten deutsch-deutschen Namensgebungen einschließlich ihres Wandels eingegangen, wobei zwischen zwei Phasen - bis 1973, und 1974-1989 - unterschieden wird und die dahinter stehenden Manipulationsziele angesprochen werden.

Die Zeit der bewusst verfälschenden Namensgebungen im Kalten Krieg (1949-1961)
Für die bewusst unkorrekte Bezeichnung des jeweils anderen Teils von Deutschland bzw. Berlin bedurfte es zweier Voraussetzungen: erstens des Kalten Krieges, der ab Frühjahr/Sommer 1948 auch in "Potsdam-Deutschland" zur vollen Wirkung kam, und zweitens eigener Benennungen. Diese Voraussetzungen waren mit der Gründung beider deutscher Staaten und ihrer zunächst noch diffusen Ansprüche auf (Gesamt-) Berlin erfüllt.

Zunächst zu den Namensgebungen auf staatlicher Ebene.

Als die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, sprach der Parteivorstand der SED in einem Kommunique am 4. Oktober 1949 von einer "Bonner Separatregierung" bzw. vom "Bonner Separatstaat ".1 Das Motiv, die neue Staatsgründung nicht beim Namen zu nennen, deckte "Neues Deutschland" am gleichen Tage auf: Es forderte "die Auflösung des von Deutschland losgerissenen Weststaates und seine Wiedereingliederung in Deutschland".2 Mit Deutschland war die - dann am 7. Oktober proklamierte - Deutsche Demokratische Republik gemeint.

Diese beim Namen zu nennen, weigerte man sich seinerseits in Bonn. Dort wurde, "in Übereinstimmung mit den Westmächten die Gründung der DDR von Anfang an als rechtswidriger Akt verstanden, als Etablierung eines Okkupationsregimes von Moskaus Gnaden, das nicht durch den freien, in Wahlen geäußerten Willen der Bevölkerung der Sowjetzone legitimiert war".3 Der wechselseitige Anspruch, für ganz Deutschland zu sprechen und durch die Eingliederung des anderen Teils sozusagen deutsche Normalität (wieder) herzustellen, verbot den Akteuren in Bonn und Ost-Berlin, den Namen des anderen deutschen Staates auch nur in den Mund zu nehmen.

In Bonn sprach man deswegen weiterhin von Sowjetzone bzw. Zone, in Ostberlin vom Bonner Separatstaat oder den Westzonen. In der Bundesrepublik wurde parallel zur "Zone" für die DDR auch der Name "Mitteldeutschland" verwendet. Damit sollte demonstriert werden, dass die Bundesrepublik die deutsch-polnische Ostgrenze an Oder und Neiße nicht anerkannte (im Unterschied zur DDR, die das 1950 getan hatte), und auf Ostdeutschland, d. h. die Ostgebiete des früheren Deutschen Reiches nicht zu verzichten bereit war.4 Zeitweise wurde dies sehr genau genommen. So wurde in dem Nachschlagewerk "SBZ von A-Z", einem vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen herausgegebenen Handbuch, noch 1960 erklärt: "Die viel gebrauchte Bezeichnung ›Ostzone‹ für die SBZ ist irreführend. Die SBZ hat als ›Mittelzone‹ zu gelten, da sie mitten zwischen der Bundesrepublik und den Â… deutschen Ostgebieten liegt."5 Wer übrigens in "SBZ von A-Z" etwas über die DDR zu erfahren suchte, fahndete vergebens. Das Stichwort "Deutsche Demokratische Republik" existierte in dem über 500 Seiten starken Lexikon nicht.

Ob nun Sowjetzone oder Mitteldeutschland, ob Bonner Separatstaat oder Westzonen: Wer, in Ost oder West, den anderen Staat nicht beim vorgegebenen, sondern beim offiziellen Namen nannte, versündigte sich an der Einheit Deutschlands, die der jeweilige Teilstaat als der allein berechtigte offiziell anstrebte, und galt als illoyal. Die Anfang der 50er Jahre an der Abteilung "Sowjetzone" des Instituts für Politische Wissenschaften der Freien Universität in Berlin- Dahlem arbeitende Journalistin und Schriftstellerin Carola Stern schreibt über diese Zeit in ihren Memoiren: "Von der DDR zu sprechen, war weithin verpönt; wer es dennoch tat, galt als Kommunist."6 Wer in der DDR weiterhin das Wort "Zone" benutzte, galt zumindest als RIAS-Hörer, Anhänger jenes in Westberlin stationierten Rundfunks, der mit seiner Sendung "Aus der Zone, für die Zone" die DDR-Bevölkerung im Sinne von "Freiheit und Demokratie" zu beeinflussen versuchte. Der RIAS wandte sich im Sinne der Ende 1950 vom amerikanischen Hochkommissar für die Bundesrepublik empfohlenen Nutzung der Medien "to foster the seeds of destruction within the Soviet system" auch in "Sendungen für Mitteldeutschland" an die Bewohner der DDR.7

Die verordneten Namensgebungen in der Politik und den Medien durchzusetzen, erwies sich als nicht schwer, zumal auch handhabbare Bezeichnungen des anderen Staates wie "Ostdeutschland" bzw. "Westdeutschland" verwendbar blieben.

Die neuen Benennungen für den anderen "Nichtstaat" sollten nicht nur über die Hör- und Printmedien, sie mussten auch den Schülern vermittelt werden. Vor allem geschah dies durch Erdkundelehrbücher und Atlanten. Erdkunde wurde an DDR-Schulen erstmals in der fünften Klasse gegeben. Im entsprechenden Lehrbuch von 1950 wurde auf den Staat im Westen Deutschlands en passant bei der Beschreibung einer Fahrt auf dem Rhein eingegangen. "Auf dem Petersberg bei Bonn haben die so genannten Hohen Kommissare der westlichen Besatzungsmächte ihren Sitz. Sie überwachen die Regierung des westdeutschen Separatstaates, der auf Befehl der Westmächte gegründet und von Deutschland losgerissen worden ist."8 Im volkseigenen Verlag Volk und Wissen also war die offizielle Version der DDR-Politik zu 100 % durchgestellt. So einfach machte es sich der renommierte ostdeutsche Justus Perthes Verlag in Gotha, der 1952 die 16. durchgesehene Auflage seines "Taschenatlas von Deutschland" herausgab, nicht. Der Herausgeber bemühte sich, um die verordneten Benennungen herumzukommen, was ihm tatsächlich gelang. Wahrscheinlich im Hinblick auf westdeutsche Kunden zeigte der Taschenatlas als "politische Übersicht" weiterhin farblich voneinander unterschieden vier Besatzungszonen, verzichtete aber auf deren (nun schon zwei Jahre nicht mehr aktuelle) Benennung, verzichtete auch auf die Staatsbezeichnungen und beschränkte sich auf die Wiedergabe der Ländernamen (die es bis 1952 auch für die DDR gab).9

Natürlich wollten auch Westverlage die Bonner Sprachregelung zur DDR nicht unbedingt mitmachen. Schulbuchverlage hatten keine Chance auf Abweichungen, wollten sie von den Schulbehörden geordert werden. Das "praktische Nachschlagebuch für Jugendliche " allerdings, von der Bertelsmann-Lexikon-Redaktion unter dem viel versprechenden Titel "Ich sag Dir alles" herausgegeben, fand es in seiner 22. Auflage, die 1956 erschien, zwar unvermeidlich, den anderen Teil Deutschlands als "Sowjetzone" zu bezeichnen, setzte allerdings - in Klammern - die drei Buchstaben "DDR" dahinter.10 Größeres Kopfzerbrechen noch als zögernde Verlage machte den Wächtern über die Anwendung des verordneten Namens für das andere Deutschland die Ebene der ungeachtet fehlender staatlicher Beziehungen weiterhin existierenden nichtstaatlichen Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands. Wer aus der Bevölkerung von Ost nach West reiste (und wieder zurückkam) bzw. wer privat über den anderen Staat redete, charakterisierte sein Reiseziel meist ganz einfach durch Bezug auf die Himmelsrichtungen - Ost- bzw. Westdeutschland oder fuhr "nach drüben" und kümmerte sich wenig um die offiziellen bzw. die vorgegebenen Benennungen für die beiden deutschen Staaten.

Zu einem Problem wurden die verordneten Namen erst, wenn es um nichtstaatliche Beziehungen wie die Handelsbeziehungen und die Sportbeziehungen zwischen dem Ost- und dem Westteil Deutschlands ging. Zwar war es der Bundesregierung durch einen Trick gelungen, nicht unmittelbar Handelsverträge mit der DDR abschließen zu müssen - die nichtstaatliche "Treuhandstelle für Interzonenverkehr " wurde zwischen das Bundesministerium für Wirtschaft und das Außenhandelsministerium der DDR geschaltet. Aber irgendwo im Vertrag mussten doch die beiden Staaten genannt werden, zwischen denen der Warenaustausch stattfinden sollte. Man einigte sich in Berlin im September 1951 auf ein "Abkommen über den Handel zwischen den Währungsgebieten der Deutschen Mark (DM-West) und den Währungsgebieten der Deutschen Mark der Deutschen Notenbank (DM-Ost)".11

Die Sportbeziehungen untereinander hätte man sicher in Abmachungen zwischen dem "Sportgebiet Ost" und dem "Sportgebiet West" geregelt, wenn da nicht die internationalen Sportbeziehungen gewesen wären, deren Höhepunkt alle vier Jahre die Olympiaden waren. Mit dem Olympischen Komitee, das wenig Bereitschaft zeigte, sich den Argumenten der einen oder anderen deutschen Seite zu beugen, einigte man sich für die Olympiade 1956 und folgende bis 1968 so: Beide deutschen Teams mussten jeweils mit Schwarz-Rot-Gold und den Olympischen Ringen statt ihrer Landesfahnen einmarschieren. Für ihre Sieger wurde der Schlusschor aus Beethovens Neunter Sinfonie anstelle der Nationalhymnen gespielt.12

Anders als das IOC machten jedoch die jeweiligen Verbündeten der beiden deutschen Staaten den "deutsch-deutschen Namenskampf" in vieler Hinsicht mit. Das betraf die Nichtanerkennung der DDR durch die Verbündeten der Bundesrepublik ebenso wie die Nichtanerkennung der Bundesrepublik durch die Staaten des Warschauer Paktes. Auch die Publizistik dieser Länder passte sich in gewissem Maße der Sprachregelung, wie sie durch die Bundesrepublik bzw. die DDR vorgegeben wurde, an. Das war für die betroffenen Verlage manchmal heikel. Im Jahre 1962 veröffentlichte Sandor Rado, ein bekannter Geograph, im Budapester Corvina-Verlag sein "Welthandbuch" auch in deutscher Sprache und sicherlich mit der Absicht, das sehr sorgfältig erarbeitete und im gewissen Maße einmalige Nachschlagewerk auch im deutschen Sprachraum zu vertreiben. Das geographische Lexikon enthielt das Länderstichwort "Deutschland" (zwischen Dänemark und Dominikanischer Republik). Unter diesem Stichwort waren DDR und BRD subsumiert. Doch auch dem Budapester Welthandbuch gelang es nicht ganz, dem deutsch-deutschen Namensstreit zu entkommen. Denn das Buch sprach nicht von der "Bundesrepublik Deutschland", sondern von "Deutscher Bundesrepublik ".13

Normalisierungsbemühungen in der Periode des nachlassenden Kalten Krieges (1962-1972)
Genauso wie die Westberliner SPD/CDU-Regierung die Bezeichnung "Sowjetsektor" Anfang der 60er Jahre nicht mehr länger für vertretbar hielt, glaubte die DDR-Regierung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr länger, mit der Bezeichnung "Westzone" oder dem "Bonner Separatstaat" operieren zu können. Man strebte die Anerkennung des eigenen Staates an. Das erforderte auch, den anderen deutschen Staat als solchen zu bezeichnen. Allerdings fiel der SED der Abschied vom Alleinvertretungsanspruch schwer. "Bundesrepublik Deutschland", die offizielle Eigenbezeichnung des westdeutschen Staates, ließ an sich schon wenig Raum für einen zweiten deutschen Staat. Die Abkürzung BRD klang schon viel weniger Besitz ergreifend, hatte allerdings den Nachteil, dass sie sich jederzeit in "Bundesrepublik Deutschland" auflösen ließ. Auf DDR-Seite wurde für das westliche Deutschland daher eine andere Abkürzung ins Spiel gebracht: DBR. DBR stand nun neben DDR. Wollte man die Abkürzungen auflösen, dann wurde die dieser Namensgebung zugrunde liegende Zweistaatentheorie der DDR erkennbar: "Deutsche Bundesrepublik (DBR)" stand neben "Deutsche Demokratische Republik (DDR)". In diesem Sinne wurde das Begriffspaar erstmals im "Nationalen Dokument" des DDR-Staatsrats vom 17. Juni 1962 14 gebraucht und stand in der Folgezeit in allen grundsätzlichen bzw. amtlichen Stellungnahmen, z. B. auch in der vom Ministerpräsidenten Stoph am 14. Juli 1967 abgegebenen Regierungserklärung.15

Im Westen galt in den 60er Jahren weiterhin die "Einstaatentheorie ", d. h. der Alleinvertretungsanspruch West. Davon herunterzukommen, erwies sich, wie überhaupt die Aufgabe des Kalten Krieges, in der Bundesrepublik besonders schwierig.16 Ernst Richert, der in den fünfziger und Anfang der 60er Jahre am Institut für Politische Wissenschaften der FU-Dahlem über die "SBZ" forschte, erhielt nach erheblichem Zögern für sein 1963 erschienenes Buch "Macht ohne Mandat" über die SED-Elite die Erlaubnis, wenigstens im Text von "DDR" zu schreiben.17 Peter Benders Buch "10 Gründe für die Anerkennung der DDR", 1968 bei Fischer in Frankfurt/Main erschienen, wurde noch angefeindet und führte zu Gegendarstellungen. 18 Ein Jahr später kam Hanns Werner Schwarzes Buch "Die DDR ist keine Zone mehr" heraus.19

Ludwig Erhard, ab 1963 Bundeskanzler, blieb, was die Nichtanerkennung der "Soffjetzone" betraf, in den Fußstapfen Adenauers. Dessen Nachfolger und Chef der ersten "Großen Koalition" der Bundesrepublik, Kurt Georg Kiesinger, war auch nicht bereit, das sich östlich der Bundesrepublik befindliche "Gebilde" bzw. "Phänomen" bei seinem wirklichen Namen zu nennen. Vielleicht unter dem Einfluss seines Außenministers Willy Brandt entschloss er sich schließlich zu einem Zwischenschritt: Der Bundeskanzler sprach in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag anlässlich des "Tages der Deutschen Einheit" am 17. Juni 1967 vom "anderen Teil Deutschlands".20 Diese Bezeichnung wurde insofern offizielle Politik, als das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen auf die Verwendung des Begriffes "Zone" bzw. "SBZ" von nun an verzichtete. Aus der vom Ministerium herausgegebenen wissenschaftlichen Monatszeitschrift "SBZ-Archiv" wurde das "Deutschland Archiv" und aus dem vom gleichen Ministerium herausgegebenen Nachschlagewerk "SBZ von A bis Z" 1969 das "Lexikon A-Z. Ein Taschen- und Nachschlagebuch für den anderen Teil Deutschlands". Erstmals fand sich in dieser Ausgabe das Stichwort "Deutsche Demokratische Republik".21 Mehr Abbau verordneter Bezeichnungen ließ das Kräfteverhältnis in der Großen Koalition offensichtlich noch nicht zu. Erst in seinen "20 Punkten über Grundsätze und Vertragselemente", die Willy Brandt als Kanzler der sozialliberalen Koalition am 21. Mai 1970 dem DDR-Ministerpräsidenten Stoph bei dessen Besuch in Kassel vorlegte, standen die offiziellen Bezeichnungen "Bundesrepublik Deutschland" und "Deutsche Demokratische Republik" nebeneinander. 22 Bei jenem Treffen wurde auch erstmals aus offiziellem Anlass in der Bundesrepublik die DDR-Fahne gehisst - nicht für lange. "Fanatisierte Jugendliche holten vor dem Hotel die DDR-Flagge herunter."23

Es dauerte noch bis Anfang 1973, bevor sich beide deutschen Staaten völkerrechtlich als gleichberechtigte Partner anerkannten. Sie befanden sich damit im Nachtrab der internationalen Entwicklung. Im Bereich des olympischen Sportes wurden zur Olympiade1968 erstmals zwei deutsche Mannschaften zugelassen. Doch auch bei Olympia dauerte es bis 1972, bevor die Sportler beider deutscher Staaten - ausgerechnet in München - mit eigener Fahne und Hymne geehrt werden durften.24

Wechselseitige Namensgebungen für beide Teile Berlins
Ebenso wie Deutschland in vier Zonen wurde Berlin 1945 in vier Sektoren geteilt, wobei sich die Differenzen zwischen den Sektoren der Westalliierten schneller verwischten als die Unterschiede zwischen den Westzonen und die Differenz zum sowjetischen Sektor umso deutlicher hervortrat. Anders als im Falle von Nachkriegsdeutschland hatte das Nachkriegsberlin zunächst über eine für das ganze Gebiet zuständige Regierung verfügt, den Magistrat von Groß-Berlin. Dementsprechend lautete die offizielle Bezeichnung "Französischer Sektor von Groß-Berlin" usw. Das Volk sprach bald von den Westsektoren und dem Ostsektor Berlins. Die Stadtbezeichnung sparte man auch rasch ein, da die Besatzungseinteilung für Deutschland unter "Zone" firmierte, mit Sektoren also nur Teile Berlins gemeint sein konnten. Die gemeinsame Berliner Regierung ging im Herbst 1948 in die Brüche. Die Zweiteilung der Stadt ging der Zweiteilung des Landes um ein Jahr voraus. Die Zuordnung der beiden Teile Berlins zu den beiden deutschen Staaten war nicht eindeutig und erst recht nicht international, d. h. durch die Alliierten anerkannt. Der Westberliner Bürgermeister Ernst Reuter hatte sich vergeblich um die Eingliederung des westlichen Teiles der Stadt in die Bundesrepublik bemüht, als diese gegründet wurde. Berlin wurde mit der DDR-Verfassung von 1949 als "Hauptstadt der Republik" bezeichnet.25 Den Anspruch leitete der damalige FDJ-Vorsitzende Erich Honecker auf der Tagung des Deutschen Volksrats am 3. Oktober 1949 allerdings noch aus einer zu bildenden "gesamtdeutschen Regierung" ab und bezeichnete Berlin als die Hauptstadt Deutschlands - für das die DDR ab 7. 10. 1949 zu stehen glaubte.26

Wie im Falle des Landes resultierte auch im Falle der Stadt aus den konkurrierenden Ansprüchen ein Bedarf an zu verordnenden Bezeichnungen. Auf DDR-Seite verzichtete man, da eine Vereinigung Deutschlands im Sinne der SED nicht zustande kam, zunächst auf den Hauptstadtbegriff und auch - wohl wegen der Alliierten - auf die Demonstration der DDR-Zugehörigkeit Ostberlins. "Berlin ist", hieß es 1950 im Lehrbuch der Erdkunde Mitteleuropa für das fünfte Schuljahr "Â… die Hauptstadt Deutschlands und Sitz der zentralen Verwaltungsbehörden der Deutschen Demokratischen Republik".27 Der Sowjetische Sektor hieß in den 50er Jahren "Demokratischer Sektor" (von Groß-Berlin), während westlicherseits weiterhin vom Sowjetsektor gesprochen wurde, obwohl die Sowjetische Kontrollkommission ihre Verwaltungs- und Hoheitsrechte bereits am 10. Oktober 1949 auf die drei Tage zuvor geschaffene (Provisorische) Regierung der DDR übertragen hatte.28 Der Magistrat in Ostberlin war für die Westmedien Luft. Dessen Oberhaupt, Oberbürgermeister Friedrich Ebert, war noch 1953 ein namenloser "Vorsteher des Ostberliner Stadtsowjets"29. In den Westmedien gebräuchlich war auch die gemäßigtere Bezeichnung "Ostsektor" und manchmal wurde auch von Ostberlin (ohne Bindestrich, ein Wort) gesprochen.

Auf den Stadtplänen, die in den 50er Jahren im Osten gedruckt wurden, stand Westberlin (ohne Bindestrich, ein Wort). Ende der 50er Jahre verschwand der "Demokratische Sektor" aus DDR-Verlautbarungen und Druckerzeugnissen. An seine Stelle setzte man im Osten die offizielle Bezeichnung "Berlin, Hauptstadt der DDR"30, was den Westen allerdings nicht hinderte, weiterhin vom "Sowjetsektor" oder "Ostsektor" oder Ostberlin (ein Wort, ohne Bindestrich) zu sprechen. Vielleicht von dem Gedanken beseelt, Ordnung in die Bezeichnungen für beide Teile Berlins zu bringen, erfand der erste SPD/CDU-Senat unter Willy Brandt den Bindestrich-Berliner. Zur "Klarheit" empfahl eine Senatskommission 1960 die Schreibweise "West-Berlin" und "Ost-Berlin" (jeweils mit Bindestrich). Sie wurde in den Amtsstuben für nichtamtliche Bezeichnungen eingeführt. Der "West-Duden" zog nach.31 Der Osten verstand die Aktion nicht als Angebot zur Deeskalation des Namenskrieges. Er schrieb weiterhin von "Westberlin" (ohne Bindestrich), meist unter Hinzufügung des Zusatzes "selbständige politische Einheit". DDR-Ministerpräsident Willi Stoph fühlte sich noch im März 1970 veranlasst, Willy Brandt auf dem ersten gemeinsamen Treffen in Erfurt mitzuteilen: "Westberlin hat niemals zur Bundesrepublik gehört und wird niemals zur Bundesrepublik gehören Â… Wenn unser Zusammentreffen in der Hauptstadt der DDR, Berlin zustande gekommen wäre, Â… dann wäre ich gern mit Ihnen auf den Fernsehturm gefahren. Dort hätten sie sich vom Restaurant aus in 200 Meter Höhe überzeugen können, dass Westberlin auf dem Territorium der DDR liegt."32

Die Zeit der nicht ganz geglückten Normalisierung (1973-1989)
Im Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 standen die vollen Namen beider deutscher Staaten zu Beginn jedes einzelnen seiner Paragraphen.33 Damit schien alles geregelt und keine Zweideutigkeiten bei der Benennung des anderen deutschen Staates mehr möglich. Oder doch? Auf der 9. Tagung des ZK der SED Ende Mai 1973 gab Erich Honecker, als er über den Grundlagenvertrag und den Charakter der deutsch-deutschen Beziehungen sprach, die neue Sprachregelung vor, indem er nicht von "Bundesrepublik Deutschland", sondern stets von BRD (und DDR) sprach.34 Auch in der Bundesrepublik wurde die Sprachregelung des Grundlagenvertrages nicht hundertprozentig übernommen. Zwar machte der RIAS keine Sendungen "Aus der Zone, für die Zone" mehr, zwar fand der Leser in der 1985 erschienenen 3. überarbeiteten Auflage des vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen herausgegebenen "DDR-Handbuches" unter dem Stichwort Mitteldeutschland den Hinweis, dass der Begriff "als politische Bezeichnung für den Staat DDR gegenwärtig amtlich nicht mehr benutzt wird"35. Auch blieb im Nachschlagewerk der Begriff "Sowjetische Besatzungszone" auf das Gebiet der DDR in den Jahren 1945 bis 1949 beschränkt, doch behielten sich die Zeitungen des einflussreichsten Medienkonzerns der Bundesrepublik, Springer, vor, von so genannter DDR zu sprechen bzw. DDR stets nur in Anführungsstrichen zu schreiben. In konservativen Kreisen war es weiterhin üblich, von "Mitteldeutschland " zu reden, wenn es um die DDR ging - jedenfalls bis zur offiziellen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik mit der Unterzeichnung des 2+4-Abschlussdokumentes im September 1990.36

Die deutsch-deutschen Namensgebungen - abweichend von der offiziellen Bezeichnung und manchmal auch abweichend von der Realität - könnte man als Manöver der Diplomatie abtun, wenn sie auf den Bereich der staatlichen Beziehungen bzw. Nichtbeziehungen beschränkt geblieben wären. Der Nachdruck, mit der sich beide Seiten - bis zu einem gewissen Grade durchaus erfolgreich - bemühten, die manipulierten Namen auch in der Öffentlichkeit durchzusetzen, sie "unters Volk zu bringen", signalisiert, dass es sich nicht nur um diplomatische Manöver, sondern um psychologische Beeinflussungsversuche handelte. Es ging den beiden deutschen Regierungen darum, für ihre Politik gegenüber dem anderen Deutschland die Zustimmung "der Massen" zu erhalten und sie zu veranlassen, den anderen deutschen Staat so zu sehen, wie die Regierungen ihn zu sehen wünschten, als fremd dominiert (sowjetisiert bzw. amerikanisiert), nicht legitimiert, bestenfalls gleichfalls existierend neben dem "eigentlichen" deutschen Staat. Damit wurde die Namensmanipulation zum Bestandteil der Herrschaftsausübung. Es übersteigt die Möglichkeiten des Autors, exakt festzustellen, bis zu welchem Maße die Bevölkerung in der DDR und in der BRD der durch die Regierung und die Medien vorgegebenen Sprachregelung folgte.

Wenn auch angenommen werden kann, dass außerhalb der Eliten große Teile der Bevölkerung der Sprachregelung nicht folgten und schlicht von "Ost-" bzw. "Westdeutschland" sprachen, so prägten sich die manipulierten Begriffe durch ständigen Gebrauch durch die Behörden, im Schulunterricht und in den Medien bei einem Teil der Bevölkerung ein. Die Bezeichnung "Mitteldeutschland" für DDR, hieß es 1985 in einer Veröffentlichung des innerdeutschen Ministeriums, das seit mehr als einem Jahrzehnt auf "DDR" umgeschaltet hatte, "ist Â… umgangssprachlich nach wie vor gelegentlich in Gebrauch ". Das galt sicher auch für den Begriff "Zone", dessen letzter Ableger die nach der Wende auftauchende spöttische Bezeichnung "Zoni" für den Noch- bzw. Nicht-mehr-DDR-Bürger war. Und die Verwendung der Abkürzung BRD für "Bundesrepublik Deutschland" ist auch heute noch nirgends so häufig anzutreffen wie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, seine Verwendung macht im Westen den Ostdeutschen kenntlich.37

Als fast selbstverständlich scheint im Rückblick, was doch - zumindest nach heute herrschender Auffassung - gar nicht selbstverständlich ist: Der westliche und der östliche deutsche Staat bedienten sich derselben Mittel und Methoden, um ihre Auffassung von dem anderen Staat gegenüber der eigenen Bevölkerung (und Drittländern) Ausdruck zu verleihen, ob sie nun als Demokratie oder Diktatur strukturiert, ob sie plan- oder marktwirtschaftlich organisiert waren. Ein Zufall ist das - bei näherer Betrachtung - eigentlich nicht. Denn auf beiden Seiten bestand der gleiche Herrschaftsanspruch und wurde mit gleicher Intensität Herrschaftssicherung betrieben - mit langfristig gesehen unterschiedlichem Ergebnis, wie man weiß.

Jörg Roesler - Jg. 1940, Prof. Dr., Wirtschaftshistoriker, Mitglied der Leibniz- Sozietät, Vorlesungen an der Universität der Künste Berlin; zuletzt in UTOPIE kreativ: Der Relativlohn. Jürgen Kuczynskis Instrument zur Einschätzung der Lage der arbeitenden Klassen, Heft 172 (Februar 2005).

1 Dietrich Staritz: Geschichte der DDR, erweiterte Neuausgabe, Stuttgart 1996, S. 38.

2 Ebenda, S. 37.

3 Benz, Wolfgang: Stereotype des Ost-West-Gegensatzes, in: Vorurteile - Stereotype - Feindbilder (Informationen zur politischen Bildung 271), Bonn 2001, S. 51-52.

4 Friedemann Bedürftig: Lexikon Deutschland nach 1945, Hamburg 1996, S. 293 f.

5 SBZ von A-Z, Bonn 1960, S. 358.

6 Carola Stern: Doppelleben. Eine Autobiographie, Köln 2001, S. 99.

7 Bernd Stöver: Konterrevolution versus Befreiung, in: Georg Herbstritt, Helmut Müller-Enbergs (Hrsg.): Das Gesicht dem Westen zu Â… DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland, Bremen 2003, S. 155.

8 Detlef Nakath: Deutschdeutsche Grundlagen. Zur Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik in den Jahren von 1969 bis 1982, Schkeuditz 2002, S. 64.

9 Justus Perthes: Taschenatlas von Deutschland, Gotha 1952, Karte 1.

10 Bertelsmann Lexikon Redaktion (Hrsg.): Ich sag Dir alles. Ein praktisches Nachschlagebuch, Gütersloh 1956, S. 192.

11 Detlef Nakath: Zur Geschichte der deutsch-deutschen Handelsbeziehungen. Die besondere Bedeutung der Krisenjahre 1960/61 für die Entwicklung des innerdeutschen Handels (hefte zur ddr-geschichte 4), Berlin 1993, S. 9-10.

12 Rupert Kaiser: Das große Rennen um Mannschaft, Fahne und Hymne, in: Neues Deutschland, 8./9. Oktober 2005.

13 Sandor Rado: Welthandbuch. Internationaler politischer und wirtschaftlicher Almanach, Budapest 1960, S. 172-228.

14 Neues Deutschland, 18. Juni 1962.

15 Ebenda, 15. Juli 1967.

16 Peter Bender: Fall und Aufstieg. Deutschland zwischen Kriegsende, Teilung und Vereinigung, alle 2002, S. 37.

17 Ernst Richert: Macht ohne Mandat. Der Staatsapparat in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Köln 1963.

18 Peter Bender: Zehn Gründe für die Anerkennung der DDR, Frankfurt am Main 1968, S. 5 f.

19 Carola Stern, a. a. O., S. 165.

20 Dokumente zur Deutschlandpolitik. V. Reihe/Band 1, Frankfurt am Main 1984, S. 1323.

21 A-Z. Ein Taschen- und Nachschlagebuch für den anderen Teil Deutschlands, Bonn 1969, S. 147.

22 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Zehn Jahre Deutschlandpolitik. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Bericht und Dokumentation, Bonn 1980, S. 138.

23 Detlef Nakath 2002, a. a. O., S. 93.

24 Rupert Kaiser, a. a. O.

25 Jürgen Wetzel: Berlin, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch, Berlin 1999, S. 390.

26 Dietrich Staritz, a. a. O., S. 37.

27 Lehrbuch der Erdkunde: Mitteleuropa, für das fünfte Schuljahr, Berlin/Leipzig 1950, S. 25.

28 Jürgen Wetzel, a. a. O., S. 390.

29 Brigitte Grunert: Der Bindestrich-Berliner, in: Der Tagesspiegel, 12. Juni 1993.

30 Ebenda.

31 Ebenda.

32 Detlef Nakath 2002, a. a. O., S. 65.

33 Bundesgesetzblatt II 1972, S. 423.

34 Vgl. Werner Maibaum: Geschichte der Deutschlandpolitik (Deutsche Zeit- Bilder), Bonn 1998, S. 78.

35 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), DDR Handbuch, Köln 1985,. S. 916.

36 Friedemann Bedürftig, S. 293 f.

37 Vgl. u. a.: Der Tagesspiegel, 8. November 2005.

 


in: UTOPIE kreativ, H. 187 (Mai 2006), S. 389-396


aus dem Inhalt:

VorSatz; Essay JÖRG ROESLER: "DDR" und DBR. Sprachpolitik im Kalten Krieg Zwischen allen Stühlen; UWE SONNENBERG: Lew Kopelew. West-östliche Spiegelungen; RICHARD HEIGL: Wolfgang Abendroths Parteitheorie; Debatte Grundsicherung LUTZ BRANGSCH: Grundsicherung: Ein vergessenes PDS-Konzept; JUDITH DELLHEIM: Zur Debatte um Grundsicherung oder Grundeinkommen; Gesellschaft - Analysen & Alternativen MORUS MARKARD: Wer braucht Erziehung?; TORSTEN FELTES: Nationale Bildungsstandards - ein neoliberales Projekt; HEIKO LANGNER: Kapitalistische Moderne - moderner Kapitalismus? Zur Grundsatzdebatte in der Linkspartei.PDS; Standorte GESINE LÖTZSCH: Aschermittwoch 2006; VADIM BELOCERKOVSKIJ: Die bundesdeutsche Politik und Russland; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Manfred Behrend: Eine Geschichte der PDS. Von der zerbröckelnden Staatspartei zur Linkspartei (WOLFRAM ADOLPHI); Hans-Günter Funke: Reise nach Utopia. Studien zur literarischen Utopie vom XVI. bis zum XVIII. Jahrhundert; Jörn Tietgen: Die Idee des Ewigen Friedens in den politischen Utopien der Neuzeit. Analysen von Schrift und Film; Gruppe Gegenbilder (Hrsg.): Autonomie und Kooperation: Projektwerkstatt Reiskirchen-Saasen (ANDREAS HEYER); Stefan Meining: Kommunistische Judenpolitik. Die DDR, die Juden und Israel. Mit einem Vorwort von Michael Wolffsohn (PETER ULLRICH); Jeffrey Sachs: Das Ende der Armut. Ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt (JÜRGEN MEIER); Summaries