Die australischen History Wars und was dazu gehört: Grenzen historischer Anerkennung und Versöhnung [*]

Die australische Regierung übernahm die Kontrolle über indigene Gemeinden. Polizei, Militär, zivile Mitarbeiter wurden im Northern Territory stationiert, um Kinder aus indigenen Familien zu schütz

Die australische Regierung übernahm die Kontrolle über indigene Gemeinden. Polizei, Militär und zivile Mitarbeiter der Regierungsverwaltung wurden im Northern Territory stationiert, um, so die offizielle Erklärung, Kinder aus indigenen Familien zu schützen. Die Intervention auf der Grundlage von Sondergesetzen umfasste das Durchsetzen von Alkohol- und Pornographieverboten, medizinische Untersuchungen der Kinder und die teilweise Beschränkung von sozialen Hilfen auf Kleidung und Lebensmittel. Ein typischer Fall kolonialer Diskriminierung? Eine Episode des 19. Jahrhunderts, den 1920er Jahren oder der frühen Nachkriegszeit? Es war August 2007, wenige Monate vor den Parlamentswahlen, als die konservative Regierung mit Unterstützung der oppositionellen Labor Party entsprechende Gesetzesänderungen im Parlament durchsetzte (Parliamentary Library 2007-08). Gegen den Protest diverser Interessenvertretungen von Aborigines, kleiner linker Parteien und Menschenrechtsinitiativen erklärte Premierminister John Howard: "Es ist interventionistisch, es schiebt die Rolle der Territorien [Selbstverwaltung] zu einem gewissen Grad beiseite. Ich akzeptiere das, aber was ist wichtiger - verfassungsmäßige Nettigkeiten oder die Fürsorge und der Schutz junger Kinder?" (zit. in: ABC News 2007) Dass hier Verfassung und Schutz zu einem Gegensatz wurden, zeigte sich daran, dass Anti-Diskriminierungsgesetze für die Intervention außer Kraft gesetzt wurden. Indigene Bewohner des Northern Territory wurden mit einem Schlag um Rechte beraubt, die Aborigines mühsam in vielen Jahrzehnten erstritten hatten. Harry Nelson, ein Vertreter der traditionellen Landeigentümer beklagte nach der Verabschiedung der Interventionsgesetze: "Unser Traum wurde zerschmettert [...]. Nach all den Jahren des Kampfes für unser Land und unsere Freiheit ist es dies, wo wir enden" (zit. in: SBS World News 19. 8. 2007). Doch ist es vielleicht immer nur ein Traum gewesen, dass die ursprünglichen Bewohner Australiens, die Aborigines und die Torres Strait Islanders, Teil der australischen Gesellschaft sein könnten? Was die australische Gesellschaft überhaupt ist, war im Kampf für indigene Rechte eine der zentralen Fragen. Die historische Definition Australiens ist weder geographisch noch kulturell, weder mit noch ohne koloniale Landnahme so einfach zu erstellen, wie es angesichts einer von Küsten umspannten Kolonie scheinen mag (Crotty & Eklund 2003: 9ff). Seit dem Beginn europäischer Besiedlung 1788 versuchten Australier sich vorwiegend im Verhältnis zum kolonialen Mutterland England oder auch zu Europa im Allgemeinen zu bestimmen. Die wahrgenommene Rolle der Aborigines prägte implizit die andere Seite der Medaille. Die Wahrnehmung der Aborigines änderte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, immer in Relation zur Selbstdefinition der weißen Bevölkerung, zum Beispiel als christliche, als britische oder als australische. Im frühen 20. Jahrhundert, nach der Vereinigung der kolonialen Staaten als Commonwealth of Australia, gerieten Aborigines weitgehend in Vergessenheit, ohne jedoch von repressiven Massnahmen verschont zu bleiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg drangen sie als anthropologische Phänomene langsam wieder in die Wahrnehmung der weißen Bevölkerung vor, während sie schrittweise Bürgerrechte erlangten. Doch erst ab den 1970er Jahren wurden sie für das Selbstverständnis Australiens wichtig. Neu war der Status als indigener Teil der australischen Gesellschaft anstelle eines äußeren Phänomens oder als vermeintliche Staatsbürger unter Gleichen. Die damit verbundene Neudefinition Australiens wurde vorrangig mit historiographischen Waffen betrieben. So waren linke Historiker und Intellektuelle bemüht, eine indigene Vergangenheit zu einem Teil der australischen Geschichte zu machen und eine nationale Versöhnung (reconciliation) mit der indigenen Bevölkerung voranzutreiben. Thema dieses Textes soll nun die Frage sein, warum dies nicht reibungslos möglich war, vielmehr in die heftig geführten öffentlichen Konflikte Australiens des späten 20. Jahrhundert mündete, die so genannten History Wars (Macintyre & Clark 2004). Es lässt sich fragen, ob das Unterfangen vielleicht auch ein zweifelhaftes Projekt war, das den neusten repressiven Maßnahmen wenig entgegenzusetzen hatte. Dass die historische und politische Anerkennung der Aborigines eng mit dem Strukturwandel der australischen Gesellschaft verknüpft war, wird zum einen in der historischen Wahrnehmung der indigenen Bevölkerung und zum anderen in der politischen Anerkennung der Aborigines deutlich. Um den historischen Stellenwert der History Wars in der australischen Gesellschaft verstehen zu können, soll zunächst im kurzen Überblick der gesellschaftliche Wandel von der Kolonie zur jungen Nation in historiographischer Selbstreferenz und in ihrer Abgrenzung zu Aborigines dargestellt werden.

Aborigines in der Geschichte der australischen Geschichtsschreibung

Nach zunächst imperialen Beschreibungen der australasiatischen Kolonien durch englische Verwaltungsbeamte erschienen die ersten Geschichtsbücher über die Region mit der Abschaffung der Strafkolonie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Noch wurde der neue Kontinent als Teil eines kolonialen Reichs betrachtet (Wallace 1879; Rusden 1883), wenn auch zum Ende des Jahrhunderts durchaus auf dem Weg zur autonomen politischen Einheit (Jose 1899; vgl. G. Shaw 1995). Die indigene Bevölkerung wurde dabei in typischer Weise als ein Teil des Landes beschrieben. Bemerkbar ist dabei, dass gerade die frühen, imperialen Schriften eine weniger diffamierende Sicht auf Aborigines hatten und die Massaker an ihnen erwähnten. Die späteren nationalistischen Geschichtsschreibungen tendierten dazu, nicht nur die Verbrechen an ihnen, sondern ihre Existenz insgesamt zu ignorieren. Im Zuge der Föderation von 1901 wandelte sich zwar nicht die Wahrnehmung, jedoch der Stellenwert der indigenen Bevölkerung. Australien wurde nun auch in der Geschichtsschreibung geographisch umrissen und seine eigenständige Siedlungsgeschichte hervorgehoben, insbesondere nach dem nationalgeschichtlich prägenden Ersten Weltkrieg (z. B. Scott 1916; Hancock 1930; Scott 1930). Da die Ureinwohner nur durch die Kolonialgeschichte wahrgenommen wurden, wurde ihnen mit der Entkolonialisierung das quasi natürliche Ende attestiert (vgl. McGregor 1997). Durch die Allianz mit den USA im Zweiten Weltkrieg gegen Japan fand eine Neuorientierung weg vom kolonialen Mutterland statt. Fitzpatrick stellte in seiner Geschichte der australischen Menschen Vergleiche nicht nur mit Europa, sondern auch mit den Vereinigten Staaten an (Fitzpatrick 1946). Er verharrte jedoch in der kolonialen Sichtweise und stellte Aborigines als zwar anthropologisch, nicht aber gesellschaftlich relevante Phänomene dar. Erst in den 1950er Jahren kam es zu dem entscheidenden Wandel in der australischen Geschichtsschreibung (Davison 2006), der sich auch in Hinsicht auf die Wahrnehmung der Aborigines bemerkbar machte. Der einflussreiche Historiker R.M. Crawford stellte als erster Australien im Vergleich zu Europa als ein unabhängiges Land dar und widmete der Geschichte der Aborigines noch ein paternalistisches und fatalistisches Kapitel (Crawford 1952). Im neuen Selbstbewusstsein als Nation folgten zahlreiche Darstellungen der australischen Geschichte die entweder die Differenz zu Europa und anderen Kolonien hervorhoben (A.G.L. Shaw 1955), das englische Mutterland als "verdorben" beschimpften (Tennant 1953) oder ganz ohne koloniale Vorgeschichte im Jahr 1788 einsetzten (Greenwood 1955). Die Vergangenheit wurde hier als eine unabhängige Geschichte der fortschreitenden Besiedlung dargestellt, in der die ursprünglichen Einwohner des Landes fehlten oder als Hindernisse, aber nicht als Akteure der Geschichte auftraten. Als Manning Clark, Australiens wohl berühmtester und umstrittenster Historiker, den ersten der 6 Bände seiner Geschichte Australiens 1962 veröffentlichte, deklassierte er Aborigines als unzivilisiert und erklärte sie für einer Auseinandersetzung unwürdig (Clark 1962: 3ff). Es war kein politisch rechtslastiger Konservatismus, der diese ideologische Exklusion beförderte. In seiner Bestimmung der australischen Nation, als auf eine besondere Tradition europäischer Aufklärung aufbauend, konnten die sozial undefinierten Aborigines keinen Platz finden. Clark geriet nicht für seine kolonial-rassistischen Ansichten, sondern für seine vermeintlich zu linken Bekenntnisse und unter dem Vorwurf, der Kommunistischen Partei nahe zu stehen, in die Kritik (Holt 1999). Weniger Bosheit und vielmehr pures Desinteresse schloss Aborigines aus dem historischen Verständnis eines politisch auf Assimilation ausgerichteten Australien aus, während davon getrennt eine kulturelle Tradition der Aborigines durchaus toleriert wurde (Gregor 2004: 302f). Das Zugeständnis bürgerlicher Rechte und der Partizipation basierte auf sozialer und historischer Nicht-Distinktion. Rückblickend betrachtet ist es bezeichnend, dass der Platz der Aborigines umso mehr aus der historischen Wahrnehmung verschwand, je mehr sich der Blick auf Australien von einer Kolonie hin zu einer autonomen Nation wandelte. Progressive australische Nationalisten sahen sich selbst nicht in der Tradition einer Kolonialmacht, sondern in der historischen Rolle der Opfer einer brutalen Imperialpolitik. In der nationalen Geschichte der Siedler, die sich im Rahmen der jeweiligen Autonomie sowohl historiographisch als auch politisch gegen die koloniale Herrschaft auflehnte, waren die Aborigines nur als Hindernisse im Siedlungsprozess und dem der Nationenbildung zu bestimmen (Moses 2004b: 30ff). So sehr australische Geschichtsschreibung in den politischen Konflikten ihrer Zeit in aufklärerischer Hinsicht zur Formierung einer neuen australischen Gesellschaft beigetragen haben mag, so waren sowohl die koloniale als auch die nationale Perspektive auf die indigene Bevölkerung die der Dominanz. Will man vor diesem Hintergrund die History Wars verstehen, in der die australische Gesellschaft ihre Vergangenheit explizit im Verhältnis zur indigenen Bevölkerung debattierte, ist es hilfreich, auch die indigene Erfahrung dieser Vergangenheit zu betrachten.

"Die andere Seite der Siedlungsgrenze"

Die Anzahl der verschiedenen indigenen Sprachgemeinschaften zur Zeit von Cooks Landung wird auf 250 bis 600 geschätzt. Gemein war ihnen allen eine enge Bindung an ihre jeweilige territoriale Umgebung und die Abwesenheit von geschichtlichem Bewusstsein oder Erinnerung im modernen Verständnis. Das Verhältnis der Aborigines zu Natur, Zeit und ihrer Gemeinschaft wird von Anthropologen als Dreamtime oder Dreaming bezeichnet, in dem es ähnlich wie im Traum keine Chronologie oder einen festen Raum gibt, aber bedeutungsvolle Ereignisse und Orte. Der Anthropologe William Edward Hanley Stanner, eine zentrale Figur in der Bewegung für die Anerkennung der Aborigines, beschrieb es so: "Die Wahrheit [vom Dreaming] scheint zu sein, dass Mensch, Gemeinschaft und Natur, sowie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen in einem gemeinsamen System solcher Art und Weise existieren, dass dessen Ontologie von einem Verstand, der unter dem Einfluss von Humanismus, Rationalismus und Wissenschaft steht, nicht begriffen werden kann" (Stanner 1979c: 27). Jede Sprachgemeinschaft verband mit dem Dreaming, einem sehr viel differenzierteren Konzept als es im anthropologischen Blick scheint, je spezifische Rituale und Mythen (Wolfe 1991). Ihre Erzählungen beschrieben, ohne damit eine Vergangenheit zu implizieren, die eigene ursprüngliche Herkunft als Bootsüberfahrt oder als ein Entstehen aus dem Boden und markierten zugleich das Verhältnis zur Landschaft. Häufig ist Dreaming fälschlich als eine Art Erinnerung der Aborigines verstanden worden (z.B. Isaacs 1980), doch müssen von solchen Mythen moralische Sagen unterschieden werden, die in der realen Zeit verortet sind (Rose 2001: 70). Diese sind ebenso wie Erinnerungen in modernen Gesellschaften durch ihren sozialen Kontext geprägt, tragen allerdings gebrochen und metaphernhaft zur Formierung eines sozialen Selbstverständnisses bei (Morphy & Morphy 1984: 462). Entsprechend der Vielfalt von indigenen Gemeinschaften im 18. Jahrhundert waren die ersten Begegnungen mit den europäischen Siedlern recht unterschiedlich. Mal wurden die Eindringlinge als Bedrohung wahrgenommen, mal mit Neugierde empfangen (Reynolds 1981: 19ff). Eine friedliche Koexistenz war jedoch selten möglich. Im Zuge der europäischen Besiedlung Australiens und der Landnahme für Ackerbau, Vieh- und Schafzucht kam es im 19. Jahrhunderts in unterschiedlichem Ausmaße zu Vertreibungen und Massakern an der indigenen Bevölkerung. Es ist heute umstritten, ob es sich bei diesen so genannten frontier conflicts (Grenzkonflikten) um Genozide gehandelt hat (Moses 2004a). In manchen Regionen gab es gezielte Maßnahmen gegen die indigene Bevölkerung, wie beispielsweise in Tasmanien, damals noch Van Diemen's Land, wo von geschätzten ursprünglich 5.000-10.000 Aborigines um 1800 im so genannten Black War von 1824 bis 1831 die Anzahl von dann noch 1000-1.500 auf 220-300 dezimiert wurde (Ryan 1996: 174; Reynolds 2001: 71). In einer berüchtigten, wenn auch relativ erfolglosen Aktion von 1830 durchkämmten Siedler die Insel systematisch nach Aborigines. Alle gefangen genommenen sowie die verbliebenen tasmanischen Aborigines wurden in einer Umsiedlungsaktion auf die Nachbarinsel Flinders Island verbracht, wo die meisten in kurzer Zeit umkamen. Obwohl Tasmanien ein in der Konsequenz radikaler und in den History Wars prominent gewordener Fall ist, ist er in seiner Art durchaus charakteristisch für andere frontier-Massaker, die auf dem australischen Festland in unterschiedlichem Ausmaße verübt wurden. Henry Reynolds, einer der führenden Historiker der frontier-Konflikte, weist darauf hin, dass es sich bei den Massakern zumeist um lokale Initiativen gehandelt hat, die zum Teil auf begrenzte Ausrottung zielten, es aber keine koloniale Politik der Vernichtung gab (Reynolds 2001: 173ff). Auch in Queensland, wo sich die blutigsten Grenzkonflikte ereigneten, denen häufig ein genozidaler Charakter zugesprochen wird (Watson 2004), bleibt es trotz aller Brutalität und sinnloser Morde durch die weiße Bevölkerung, insbesondere durch die zur Unterdrückung behördlich eingesetzte Native Police, zweifelhaft, ob von einer organisierten Intention der Ausrottung gesprochen werden kann (Evans 2004b). Eine Abwesenheit von einer auf Genozid ausgerichteten Politik befreit jedoch die Siedlergesellschaft nicht von ihrer Verantwortung für die mörderische Verminderung der indigenen Bevölkerung. Bis ins späte 19. Jahrhundert herrschte in den Kolonien Australasiens vor allem eine Gleichgültigkeit gegenüber Aborigines. Manchmal waren Aborigines auch Teil der kolonialen Gesellschaft geworden, nahmen westliche Lebensweisen an und arbeiteten in den verschiedensten Bereichen als Handlanger oder Diener, wenn auch gegen vielfache rassistische Widerstände (Reynolds 1990). Dabei gab es, gerade mit dem Beginn kolonialer Selbstverwaltungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts, weder kollektive Landrechte, Verträge oder Schutz, noch galten bürgerliche Rechte für Aborigines (Evans u.a. 2003: 63ff). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte in den selbstverwalteten Staaten der australasiatischen Kolonien eine restriktive Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung ein. Aus Gleichgültigkeit und repressiver Toleranz wurde direkte Kontrolle. Je nach Staat wurden Aborigines in Missionen oder Reservaten konzentriert, ihre Bewegungs- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf Lohnarbeit beschränkt. Diese Maßnahmen versuchten die indigene Bevölkerung aus dem Weg der kolonialen Ausweitung zu schaffen. Die australische Gesellschaft wurde auch im Sinne der immigrationspolitischen White Australia Policy als eine traditionell weiße, europäische Siedlungsgesellschaft verstanden (Attwood 1989; Kidd 1997; Evans 2004a). Doch waren repressive Maßnahmen auch von einem humanitären Impetus getrieben, die indigene Bevölkerung vor dem Kolonialismus zu bewahren. Im Zuge dessen kam es zur berüchtigten Politik, Kinder von "gemischter" Herkunft, so genannte "half-casts", aus indigenen Familien zu reißen und an Institutionen, Heime oder christliche Familien zu geben. Dieses Vorgehen wurde zuerst, nach langem Lobbying des Central Board for the Protection of Aborigines mit dem Ziel, Kinder zu schützen, 1869 im Staat Victoria, Anfang des 20. Jahrhunderts auch in allen anderen Staaten Australiens eingeführt. Die Politik der staatlichen Entführungen wurde bis weit in die 1970er Jahre praktiziert, doch erst in den 1980er Jahren in der weißen Gesellschaft skandalisiert. In einer Studie von 1982 wurden die betroffenen Kinder erstmals als die Stolen Generations bezeichnet (Read 1982). Die Politik der Separierung wurde lange Zeit überhaupt nicht als skandalös empfunden. Im Gegenteil wurde das Vorhaben, Kinder mit "gemischtem Hintergrund" zu assimilieren, als ein humanitärer Akt verstanden. Dahinter stand die Vorstellung eines fundamentalen Gegensatzes zwischen Aborigines einerseits und der Kolonialgesellschaft andererseits, in der die "half-casts" undefinierbar schienen und absorbiert werden mussten. Der Gegensatz von Kolonialgesellschaft und Aborigines wurde zu dem zentralen Gründungsmythos des Commonwealth of Australia. In der Verfassung der Föderation von 1901 wurde die indigene Bevölkerung explizit aus der australischen Gesellschaft ausgeschlossen. So hieß es in Abschnitt 127: "In Bezug auf die Bevölkerungsanzahl des Commonwealth, oder eines Staates oder eines anderen Teils des Commonwealth, sollen Ureinwohner nicht gezählt werden." Entsprechend galten, nach Abschnitt 51(xxvi), für die "eingeborene Rasse" Sondergesetze an Stelle der regulären Gesetze. Auf dieser Grundlage, vor allem aber durch die legislative und administrative Praxis auf föderaler und staatlicher Ebene, erhielten Aborigines bis Mitte des 20. Jahrhunderts nahezu keine oder zumindest sehr beschränkte Rechte, erfuhren hingegen zunehmend staatliche Repressionen (Chesterman & Galligan 1997: 121ff). Damit war das Commonwealth of Australia in einem gänzlich anderen Verhältnis zur indigenen Bevölkerung begründet, als dies in den früheren, vergleichsweise gleichgültigen Phasen des Kolonialismus bestanden hatte. Das Selbstverständnis der australischen Gesellschaft als Siedlergesellschaft konstituierte sich in ausdrücklicher Abgrenzung von der indigenen Bevölkerung und diese Unterscheidung wurde über lange Zeit akzeptiert und praktiziert.

Grenzen historischer Anerkennung

Die Aborigines, die sich seit Beginn des Kolonialismus gegen die Misshandlungen und Diskriminierungen aufgelehnt hatten, fanden sich mit einer solchen Stellung jedoch nicht ab. Nach Jahren der Proteste von Interessensgemeinschaften und Civil Rights Gruppierungen für Land- und Grundrechte, erlangten die Aborigines 1949 mit der Einführung der australischen Staatsbürgerschaft erstmals eine legale Gleichstellung mit weißen Australiern. Dies hatte jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf ihre reale Situation und erst im Laufe der folgenden Jahre erhielten sie schrittweise Rechte, 1959 erstmals Sozialhilfe und in den 1960er Jahren erlangten sie schließlich das Wahlrecht auf föderaler und staatlicher Ebene. Dies geschah von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, teils auf Druck aus dem Ausland, vor allem aber, so argumentieren Chasterman und Galligan (1997: 156ff), auf dem Weg zur Assimilation in eine einheitliche australische Gesellschaft. Als es 1967 zu einem Referendum kam, um die diskriminierenden Passagen der Verfassung zu streichen, war dies nach der weitgehenden legalen Gleichstellung, anders als es heute im australischen Selbstlob retrospektiv scheint, kaum mehr als eine formale Korrektur. Mit einem intensiven Lobbying und einer parteiübergreifenden Zustimmung im Parlament, stimmten über 90 % der Australier für die Verfassungsänderung, die ein Bekenntnis zur Politik der Assimilation war. Im Zuge der Ausweitung der bürgerlichen Grundrechte für Aborigines kam es in den 1970er Jahren schließlich auch zur Abschaffung der White Australia Policy und 1975 zur Verabschiedung des Racial Discrimination Act. In dieser Stimmung sorgte Stanner 1968 mit seiner von ABC Radio übertragenen Boyer Lectures für Aufsehen, als er "das große australische Schweigen" beklagte, das die Situation der Aborigines und ihre historische Diskriminierung ignoriere (Stanner 1979b). Zwei Jahre später publizierte der Sozialwissenschaftler C. D. Rowely die Studie "Aboriginal Policy and Practice", in der die sozialen Lebensbedingungen der Aborigines bekannt gemacht wurden (Rowley 1970a). Diese Veröffentlichungen werden oft als Beginn der Auseinandersetzung mit indigener Geschichte und der Anerkennung indigener Rechte betrachtet (z.B. Haebich 2005: 1f). Es darf aber nicht übersehen werden, dass beide Autoren in erster Linie die sozialen Unterschiede zwischen Aborigines und Nicht-Aborigines in der Gegenwart beklagten. Zumindest Rowley wies auch auf die Wichtigkeit einer historischen Erforschung hin (Rowley 1970b) und in der politischen Stimmung für Assimilation und zur Bekämpfung sozialer Unterschiede begannen sich Historiker wie zum Beispiel Henry Reynolds mit der Geschichte der Aborigines auseinander zu setzten (Reynolds 1999: 91f). Die historische Aufarbeitung nahm einen gänzlich anderen Charakter an, als dies in der Assimilationsbewegung noch angelegt war. Neben den Protesten für gleiche Rechte protestierten Aborigines vor allem in ländlichen Gegenden schon seit Jahrzehnten und verstärkt seit den 1960er Jahren für Landrechte (Broome 2002: 177). Mit der legalen Gleichstellung verschoben sich auch in urbanen Regionen die Proteste zugunsten indigener Rechte auf traditionelle Landabschnitte (Goodall 1996: 321ff). Die bekannteste Aktion, um auf die Forderungen nach traditionellen Landrechten aufmerksam zu machen, war die Errichtung einer bis heute erhaltenen Zelt-Botschaft auf dem Rasen des alten Parlamentsgebäudes in Canberra anlässlich des Australia Days 1972, des jährlichen Gedenktages für die Ankunft der ersten Siedler. Im Zuge der Neuorientierung der Aborigines in ihrem Verhältnis zu der weißen Bevölkerung veränderte sich auch ihre Wahrnehmung der Vergangenheit. Howard und Frances Morphy schreiben in ihrer Untersuchung der Ngalakan in Nordaustralien: "Durch den Prozess der Landforderungen sind die Aborigines wieder in einer entgegengesetzten Situation zu den Weißen der Gegend und zudem in einer Situation, in der 'traditionelle Kultur', als ein Mittel um Landrechte zu beweisen, genutzt werden kann, um das Verhältnis zum eigenen Vorteil zu verändern. Es ist für den 'Wild Blackfellow' nun möglich, wieder an eine Vergangenheit anzuknüpfen, die sein oder ihr Bild positiv ausfüllt und betrachtet, und sie als ein früherer Kämpfer für indigene Rechte gegen die Kolonisierung mit der Gegenwart zu verbinden" (Morphy & Morphy 1984: 476f). So traten bei den Aborigines in den 1970er Jahren Erinnerungen an frontier-Konflikte an die Stelle der Reminiszenz an ein "Goldenes Zeitalter", in dem sie mit den Weißen in harmonischer Koexistenz gelebt hätten. Auch auf der Seite der Nicht-Aborigines kam es zu einem thematischen Wandel in Bezug auf die Vergangenheit. Ein öffentliches und intellektuelles Interesse an der Kultur der Aborigines hatte es bereits seit den 1950er Jahren gegeben. Doch die Geschichtsschreibung schwieg sich bis in die 1970er Jahre aus und befasste sich stattdessen mit dem Leben und den Problemen der Siedler. Junge Historiker wie Reynolds begannen auf die Konsequenzen der europäischen Besiedlung Australiens für die ursprünglichen Bewohner hinzuweisen (Reynolds 1972). 1977 wurde in diesem Kontext die Zeitschrift "Aboriginal History" gegründet, in der die Vielzahl neuer Forschungen veröffentlicht wurden. Neben der Revision der nationalen Geschichtsschreibung wurde ab den 1980er Jahren auch die Geschichte von "der anderen Seite der Siedlungsgrenze" geschrieben und damit Aborigines eine eigene Geschichte im Gegensatz zur weißen Geschichte der Kolonisierung gegeben (Reynolds 1981). Während ein Motiv dieser neuen Perspektive in der Geschichtsschreibung die Unterstützung von indigenen Forderungen nach Landrechten war (vgl. Macintyre & Clark 2004: 44), lag dem auch die langfristige Hoffnung nach einer Aussöhnung zugrunde. Die Beschreibung der frontier-Konflikte war mit der Anerkennung der Siedlerverbrechen zugleich der Versuch einer integrierenden australischen Geschichtsschreibung. Im Gegensatz dazu waren die Vergangenheitsbezüge der Aborigines auf Differenz und den Forderungen nach exklusiven Rechten begründet. Tatsächlich ging es nach der legalen Anerkennung aller Australier als rechtlich Gleiche, nun um die sozialen Differenzen, die sich historisch als Resultat der Siedlergeschichte herausgebildet hatten. Mit der Betonung dieser historischen Unterschiede und der Hoffnung, mehr als nur die weiße Tradition in der australischen Gesellschaft verankern zu können, stießen die neuen Historiker auf Widerstände der etablierten australischen Geschichtswissenschaft. Dieser Prozess stand im Kontext einer sich in vieler Hinsicht wandelnden Gesellschaft. Mit der schrittweisen Abschaffung der White Australia Policy in den 1970er Jahren erkannte Australien an, dass es mehr als nur eine britische Tradition hatte (Tavan 2005). Multikulturalismus wurde zu einem politischen Leitgedanken der die Gesellschaft auf eine ausdifferenzierte Vielfalt von traditionellen Herkünften begründete, indigenen ebenso wie migrantischen. Eine so auf veränderte Vergangenheitswahrnehmung basierende Politik wurde gerade in der Geschichtsschreibung zu einem umstrittenen Paradigma. Als Geoffrey Blainey 1984 in einer Rede vor den Mitgliedern eines Rotary Clubs die Behauptung aufstellte, dass asiatische Migration den Zusammenhalt der australischen Gesellschaft unterminiere, untermauerte er dies durch den Hinweis auf seine Expertise als Historiker (vgl. Blainey 1984). Seine Historikerkollegen von der Melbourne University reagierten empört, wiesen die Behauptung zurück und beschwörten Australiens multikulturelle Migrationsgeschichte (Markus & Ricklefs 1985). Erstmals war öffentlich und mit beträchtlicher Resonanz die Vergangenheit bemüht worden, um darüber zu streiten, ob die australische Gesellschaft eine weiße Siedlernation oder eine Gesellschaft diverser Kulturen sei. Die History Wars hatten begonnen.

200 Jahre Australien?

Mit riesigem Aufwand wurde 1988 das Bicentennial, das zweihundertjährige Jubiläum der Ankunft der First Fleet und der ersten europäischen Siedler begangen. Die Vorbereitung hatte 10 Jahre in Anspruch genommen. 1979 wurde unter der konservativen Regierung von Premierminister Malcom Fraser die Australian Bicentennial Authority (ABA) mit der Aufgabe ins Leben gerufen, die Feierlichkeiten zu organisieren. Mit einem Regierungswechsel zur Labor Partei 1983 und internen Auseinandersetzungen über die Ziele der Gedenkfeier wechselte der Leitslogan im Laufe der Zeit von "Living Together" zu "The Australian Achievement" und schließlich zu "The Celebration of a Nation" (Macintyre & Clark 2004: 94ff). Die Schwierigkeit bestand von Anfang an darin, einerseits ein Ereignis zu feiern, das die Tradition der weißen Siedler begründete, andererseits alle Australier mit ihren vielfältigen Hintergründen zu verbinden. Zugleich machte eine konservative Interessengruppe auf Ihre Sichtweise auf die Ankunft der First Fleet aufmerksam. In privater Initiative wurde die Überfahrt der First Fleet von England nach Sydney nachgestellt. Der Törn wurde so koordiniert, dass die Flotte zusammen mit den anderen Schiffen während der Feierlichkeiten im Hafen von Sydney öffentlichkeitswirksam einlief. Diese Aktion war ursprünglich von der ABA geplant worden, doch dann aus Furcht vor Aborigines-Protesten fallen gelassen worden (Macintyre & Clark 2004: 102ff). Für jene, die so mit der Feier vor allem auf die australische Herkunft von einer europäischen Siedlergesellschaft rekurrierten, waren die offiziellen Feiern zu multikulturell ausgelegt. Sie sahen den australischen Nationalismus durch die neue Historiographie bedroht, die angeblich die Feier prägte. Der Historiker John Hirst warnte: "Jene, die kein anderes Interesse an der Vergangenheit haben als sie zu verurteilen, wollen unsere Gesellschaft nicht reformieren, sondern vollständig transformieren" (Hirst 1988/1989: 54). Diese Kritik zielte nur indirekt auf die Bicentennial Feierlichkeiten selbst und hauptsächlich auf den Einfluss den die Neue Historiographie mit der Erforschung der indigenen Vergangenheit und der frontier conflicts auf den offiziellen Umgang mit der europäischen Siedlungsgeschichte insgesamt hatte. Hirst gab mit dem Titel seines Artikels "The blackening of our past" den Ton der Attacke an. Wenige Jahre später griff Blainey darauf zurück und prägte den Begriff der "black-armband view", einer "Trauerband Perpektive" (Blainey 1993). Für die konservative Geschichtsschreibung, die den Prozess der europäischen Besiedlung als den Bezugspunkt australischer Nationalgeschichte betrachtete, war die Ankunft eben nicht ein beliebiges Ereignis der Kolonialgeschichte, sondern das zentrale Gründungsereignis einer unabhängigen Nation mit dem der ganze Charakter Australiens zur Disposition stand. Andere Autoren waren mit der Zweihundertjahrfeier ebenfalls unzufrieden. Vor allem kritisierten sie den politischen Charakter, der mit einer Zeremonie anlässlich der europäischen Landnahme unumgänglich verbunden war. "Offensichtlich ist das Bicentennial nichts weiter als nationalistisch", war die Vermutung (Murray 1988: 45). Als Reaktion auf die Feiern erschienen eine Reihe von Publikationen, die versuchten ein kritisches Gegengewicht zur öffentlichen Geschichte zu bilden (vgl. G. Shaw 1988). So wurde beispielsweise eine populäre Sozialgeschichte Australiens ab 1877 publiziert, welche die Geschichte der Aborigines explizit mit einschloss (Burgmann & Lee 1988). Ein unabhängiges und sehr umfangreiches Projekt versuchte einer australischen Teleologie entgegenzuwirken, indem es drei zeitliche Querschnitte der Geschichte betrachtete, 1838, 1888, 1938, sowie eine indigene Vorgeschichte und eine Geschichte ab 1939. Schwerpunkte einer Mehrheit der hier versammelten Kapitel umfasste ebenfalls indigene Geschichte und frontier-Massaker (Gilbert & Inglis 1987-1989). Diese Projekte waren symptomatisch für die Versuche der Neuen Historiographie unterschiedliche Perspektiven auf die Vergangenheit zu vereinen und eine weiße Dominanz im historischen Rückblick zu vermeiden. Insofern wurde das Bicentennial auch begrüßt, da Australier durch die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit auf die ursprüngliche Besiedlung Australiens durch Aborigines aufmerksam würden (Spearritt 1988: 18). Politisch wurden Proteste der Aborigines, die ein Jahr der Trauer ausriefen, von linken Kritikern als Kritik an den Feierlichkeiten befürwortet (Spearritt 1988: 18). Eine Initiative mit dem Namen "Treaty 88 Campaign" forderte im Namen der Aborigines nach einem Vertrag mit der australischen Regierung, um indigene Landrechte zu regeln, und als "Grundstein für ein neues Australien, begründet auf Gerechtigkeit, Friede und Menschenrechten für alle" (Treaty 88 Campaign 1988). Für andere indigene Interessenvertreter war die Kritik an dem Bicentennial jedoch fundamentaler. Es ging ihnen nicht um eine gegenseitige Anerkennung, sondern um eine politische Revision der Landnahme durch die Europäer. In der so genannten "Barunga Erklärung" zweier großer regionaler Interessenvertretungen von Aborigines, die im Juni 1988 an Premierminister Bob Hawke übergeben wurde, lautet die erste Forderung: "Selbstbestimmung und Selbstverwaltung einschließlich der Freiheit, eine eigene ökonomische, soziale, religiöse und kulturelle Entwicklung zu verfolgen" (Yunupingu & Rubuntja 1988). Zugleich wurden nationale Gesetze verlangt, die indigene Landrechte und traditionelle Konventionen anerkennen. Hier ging es nicht um eine "andere" Seite der Kolonialgrenze wie bei den Neuen Historikern, sondern um die Selbstbestimmung der eigenen Geschichte. Angesichts der Machtverhältnisse war diese Hoffnung aber eben nur im Appell an den weißen, australischen Staat denkbar. So blieb indigene Geschichte fast immer, gerade auch bei weißen Kritikern der Bicentennial, ein Anhang der weißen Kolonial- und Siedlergeschichte Australiens. Trotz Teils unterschiedlicher Ziele, Versöhnung einerseits und indigener Souveränität andererseits, stimmten weiße Linke und Aborigines in ihrer Kritik an der Feier eines von englischen Siedlern begründeten Australiens überein. Im Kampf für indigene Landrechte fanden sie im Laufe der 1980er Jahre einen gemeinsamen Nenner, der wenige Jahre nach den Zweihundertjahrfeiern auch Resultate bringen sollte.

Zwei australische Vergangenheiten?

Das historische Verständnis der Rolle der ersten europäischen Siedler war nicht nur gesellschaftlich, sondern auch in legaler Hinsicht entscheidend für die Anerkennung indigener Rechte und schließlich für Bemühungen um Versöhnung. Mit der Unterstützung kritischer Historiker und Anwälte klagte der Torres Strait Islander Eddie Mabo 1988 gegen den Staat Queensland auf die Landrechte der Meriams an den von ihnen traditionell bewohnten Murray Inseln. Im Aufsehen erregenden Urteil von 1992, das Mabo nicht mehr erlebte, sprach das Gericht den Klägern einen ursprünglichen Anspruch auf das von ihnen bewohnte Land zu (Mabo vs. Queensland (No. 2) 1992). Grundlage für den Anspruch ist der spirituelle Bezug zum Land, das geographisch gebundene Dreaming, sofern dieses kulturelle Verhältnis traditionell Bestand hat und weiterhin praktiziert wird. Damit sprach das Gericht der australischen Krone nicht den grundsätzlichen Anspruch auf und die Souveränität über das Land ab, doch verneinte es die Behauptung, Australien sei bei der Ankunft der First Fleet 1788 terra nullius, unbewohntes und eigentumsloses Land gewesen. Diese Feststellung war der große Durchbruch im Streit der Aborigines für Landrechte. Es war, wie Rosemary Hunter hervorhob, eine "Korrektur legaler Geschichte" (Hunter 1996: 16). Das Gericht hatte den Weg für neue Gesetze und Rechte bereitet, indem es der neuen, kritischen Geschichtsinterpretation judikative Autorität verlieh. Für die australische Vieh- und Schafszucht war dies ein Schock, da sie auf die Ländereien angewiesen waren, die indigene Gruppen nun beanspruchen würden. Das Parlament, das die potentiellen indigenen Rechte in funktionale Gesetze gießen musste, versuchte diesen Ängsten gerecht zu werden und sprach der landwirtschaftlichen Nutzung einen automatischen Vorrang zu. 1996 korrigierte der High Court of Australia dieses Gesetz wiederum im Urteil "Wik vs. Queensland", indem er eine prinzipielle Vereinbarkeit indigener und nicht-indigener Ansprüche feststellte. Für linke Kräfte, die eine Aussöhnung mit Aborigines anstrebten, war dies der eigentliche Triumph. Er bestätigte die Geschichtsinterpretation paralleler Vergangenheiten, kolonialer Siedler und indigener Kultur, und beendete das Schweigen über die vor-koloniale und koloniale Geschichte der Aborigines (Attwood 1996b). Viele Konservative waren empört und wütend über die Urteile. Sie seien "eine indigene Form der rassistischen Diskriminierung", beschwerte sich Geoffrey Blainey. Diese Sichtweise, schlussfolgerte er, "zieht Australiens Zukunft als legitime Nation und sogar als eine Nation in Zweifel" (Blainey 1997: 23). Noch mehr als 10 Jahre später versuchten Konservative das Mabo-Urteil zu unterminieren, indem sie die Relevanz des terra nullius Konzepts für die Kolonisierung Australiens hinterfragten (Connor 2005). Das Urteil traf ganz offensichtlich den Kern national-konservativer Ideologie. Der Mythos einer ursprünglichen Siedlernation wurde relativiert und verlor damit seine sozial bindende Kraft. Bain Attwood argumentiert gar, dass Konservative, die die indigene Kultur als geschichtslos betrachten, mit der Integration von indigener Vergangenheit durch das Mabo- und das Wik-Urteil das Ende australischer Geschichte befürchteten (vgl. Attwood 1996b: 109ff). Bereits 1991 hatte das australische Parlament das Council for Aboriginal Reconciliation (CAR) eingesetzt, das einen Dialog zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Bevölkerung einleiten und Wege zu einer Versöhnung aufzeigen sollte. Kurz nach dem Mabo-Urteil hatte die Laborregierung ihre Bereitschaft öffentlich signalisiert, auf Aborigines zuzugehen und deren Vergangenheit anerkennen zu wollen. In seiner berühmten Redfern Park Rede vor einer überwiegend indigenen Zuhörerschaft bekannte Premierminister Paul Keating, dass das Problem mit dem die ursprünglichen Australier nun zu kämpfen hätten, mit "uns Nicht-Australiern anfing. Ich denke [die Lösung] beginnt mit der Tat der Anerkennung. Der Anerkennung, dass wir es waren die enteignet haben. Wir nahmen die traditionellen Länder und zerstörten die traditionelle Lebensweise. Wir nahmen die Kinder von ihren Müttern. Wir diskriminierten und schlossen aus. Es waren unsere Ignoranz und unser Vorurteil" (Keating 1992). In anderen Worten, Keating machte die Anerkennung unterschiedlicher Erfahrungen der Vergangenheit als Resultat des weißen Kolonialismus und Nationalismus zum Ausgangspunkt, von dem aus die Mehrheitsgesellschaft auf Aborigines zugehen und deren Perspektive verstehen müsse. Der politische Prozess der Anerkennung, wie Keating ihn skizzierte, war keine Integration. Mit der für die Aussöhnung als notwendig bezeichneten Unterscheidung von Aborigines und Nicht-Aborigines wurde wie in den Mabo- und Wik-Urteilen die in der Kolonialgeschichte gewaltsam praktizierte Unterscheidung befestigt. Bevor es zu einer Versöhnung kommen konnte, so die Logik, musste der Grund der Trennung als Verbrechen erkannt werden. Dies hieße, ebenso wie zwei Landrechte auch offiziell zwei getrennte australische Vergangenheiten anzuerkennen. Doch wer wollte das eigentlich? Den indigenen Interessensgruppen ging es nicht um eine indigene Geschichte sowie eine weiße Geschichte, sondern um eine geteilte Geschichte, eine 'shared history' von Australien, die die Verbrechen anerkennen würde. Im ersten Bericht des CAR heißt es, dass dann "alle Australier beginnen könnten ein Gefühl von einem geteilten Besitz der gesamten Geschichte des Kontinents zu erlangen" (Council for Aboriginal Reconciliation 1994: 134). Andererseits ging es indigenen Gruppen darum, eine kulturelle Autonomie im Einklang mit ihrem Land zu erlangen (z. B. Wyatt 2003). Dafür standen die ab 1994 auch vom CAR unterstützten Forderungen nach einem Vertrag zwischen der indigenen und der weißen Bevölkerung, wie schon 1988 verlangt, oder eine Anerkennung der Aborigines in der Verfassung (Council for Aboriginal Reconciliation 1994: 253ff). Solche Forderungen bauten jedoch auch auf die Festschreibung historischer Unterschiede als Versöhnung. Die weiße Mehrheitsgesellschaft befürchtete durch die Entzweiung der australischen Geschichte, wie von Neuen Historikern und linken Politikern gefordert, oder durch eine Aufspaltung der Gesellschaft durch legale Anerkenntnis der indigenen Bevölkerung, wie von Aborigines gefordert, ein Erodieren der gesellschaftlichen Fundamente. 1996 wurde die konservative Regierung unter Premierminister John Howard mit großer Mehrheit gewählt. Dieser hatte in den Jahren zuvor Geoffrey Blaineys Sichtweise auf Immigranten und die Geschichte der Aborigines geteilt und im Wahlkampf gegen "Political Correctness" gewettert. Nach der Wahl war es ihm ein Anliegen, dass Australier, gemeint waren Nicht-Aborigines, sich "entspannt und komfortabel" mit ihrer Vergangenheit fühlen sollten (vgl. Macintyre & Clark 2004: 135ff). Zwar wurden die aus dem Wik-Verfahren notwendig gewordenen legislativen Veränderungen 1998 noch umgesetzt und damit die parallelen Landrechte fixiert, doch weigerte sich die Regierung, für die koloniale und frühere nationale Politik der Vorgängerregierungen Verantwortung zu übernehmen. Die von Keating beschworene Versöhnung kam zum Erliegen, während die Trennung zwischen Aborigines und Nicht-Aborigines in zwei australische Vergangenheiten bestehen blieb, ohne die gewaltsame Verbindung anzuerkennen. Dieser konservative Umgang mit der Vergangenheit sollte gerade in den nächsten Jahren entscheidend werden, als die Geschichte der Stolen Generation die Gesellschaft aufrüttelte.

Eine australische Vergangenheit?

1997 wurde dem australischen Parlament der Kommissionsbericht "Bringing them Home" vorgelegt (Wilson 1997). Dieser war 1994 unter der Keating Regierung in Auftrag gegeben worden, um die Geschichte der Stolen Generation aufzuarbeiten. Auf fast 700 Seiten versammelt der Report persönliche Geschichten von Opfern der Entführungspolitik. Zum ersten Mal wurde die breite Öffentlichkeit mit den Fakten vertraut, auch mit dem Umstand, dass diese Misshandlungen häufig noch gar nicht so lange zurücklagen. In seinem öffentlichen Einfluss wurde der Bericht gar mit der Arbeit der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission verglichen (Attwood 2005). Der Tag seiner Veröffentlichung wurde zum nationalen Sorry Day, der jährlich begangen wird. In der Folge verabschiedeten alle Parlamente der australischen Staaten und Territorien Entschuldigungen für die gewaltsamen Entführungen von indigenen Kindern. Doch die Regierung des Commonwealth weigerte sich eine nationale Entschuldigung auszusprechen. Howard bot eine persönliche Entschuldigung an, argumentierte jedoch wiederholt, dass für die Politik früherer Regierungen weder Scham noch Schuld übernommen werden könnten, zumal sie auf der Grundlage gültiger Gesetze erfolgt sei (Howard 1997). Aufgrund öffentlichen Drucks stimmte die konservative Mehrheit im Commonwealth Parlament zwei Jahre später einem Antrag der Regierung zu, der "tiefes und ehrliches Bedauern" über die vergangenen Ungerechtigkeiten ausdrückte, aber eine Entschuldigung vermied. Der Antrag sprach von dem Ziel einer Versöhnung, sowie der Notwendigkeit einer Zusammengehörigkeit in der Differenz, doch vermied er jegliche Benennung der begangenen Verbrechen (Howard 1999). In der offiziellen Reaktion, die der Minister für Angelegenheiten der Aborigines und Torres Strait Islanders im Jahr 2000 vorlegte, ging die Regierung einen Schritt weiter. Es wurde behauptet, dass es nie eine "Generation" gestohlener Kinder gegeben habe, da lediglich 10 % von den Eltern separiert worden seien. Die Intentionen seien gute gewesen, die im Kontext der Zeit verstanden werden müssten. Die Praxis sei zudem gesetzmäßig gewesen und konsequenter Weise könne der Empfehlung, Entschädigungen zu zahlen, nicht gefolgt werden, zumal angesichts der vermuteten Kosten (Herron 2000). In dieser Schuldabwehr wird das konservative Bemühen im Zeitraum der Millenniumswende deutlich, sich eine australische Vergangenheit begründet auf die europäische Besiedlung des Kontinents zu bewahren, die als national-vereinendes Moment dienen kann. Doch anders als noch in den 1980er Jahren stellte sich nicht nur die Frage, ob Australien eine oder mehrere Vergangenheiten habe, sondern Mabo und "Bringing them Home" unterminierten die moralische Legitimität der Siedlergeschichte insgesamt. Indigene Geschichte war keine alternative Vergangenheit zum konservativen Australien mehr, sondern war seine Nemesis geworden. Die Leugnung der Verbrechen an Aborigines wurde so zur ideologischen Notwendigkeit national-konservativer Politik. Auf einer konservativen Konferenz im Jahr 2000, die sich eigentlich mit der Geschichte der Stolen Generation beschäftigte, stellte Keith Windschuttle eine Arbeit vor, mit der er den "Mythos" der frontier-Massaker zerstören wollte und die weithin akzeptierte Zahl von insgesamt 20.000 in Massakern getöteten Aborigines in Frage stellte. Er behandelte vier zeitlich und geographisch weit auseinander liegende Fälle von untersuchten Massakern, bei denen er mit zum Teil dubiosen Argumenten aber kaum neuen Erkenntnissen versuchte den belegten hohen Opferzahlen zu widersprechen (vgl. Green 2003). Beflügelt durch eine große Resonanz nicht nur in konservativen Kreisen, begann Windschuttle ein Projekt in dem er die "Fabrikation der indigenen Geschichte" für die australischen Staaten und Territorien aufzeigen und widerlegen wollte. Der erste und bisher einzige Band aus der Reihe, der sich mit den Massakern in Tasmanien im Zuge des Black War auseinandersetzt, erschien 2002 (Windschuttle 2002) und führte zu einem Aufruhr unter Historikern. Hier versucht er die etablierten Forschungsergebnisse zu widerlegen und die Anzahl der Opfer in gewagten Spekulationen klein zu rechnen. Trotz der Absurditäten seiner Behauptungen, die offensichtlich von politischen Motiven beeinflusst waren, kam es zu einer publizistischen Offensive gegen die Windschuttlethese. Ein argumentativ schwergewichtiger Sammelband und zahlreiche Artikel gingen auf Windschuttles Werk ein und widerlegten seine Behauptungen (Manne 2003; Ianziti 2005). Konservative Historiker versuchten Windschuttle beizustehen, waren aber akademisch weitgehend isoliert (Stove 2003; Dawson 2004). Die Debatte um Windschuttles Thesen wurden zwar im Nachhinein als exemplarisch für die History Wars beschrieben, die nun seit fast 20 Jahren ausgefochten werden (Neumann 2003; Brantlinger 2004), sie wurden sogar mit dem deutschen Historikerstreit verglichen (Bonnell & Crotty 2004). Doch anders als im Historikerstreit war der Windschuttledisput nicht der Auftakt einer Debatte, sondern ihr letztes Aufbäumen. Die gesellschaftliche Bedeutung war minimal und ihre Konfliktlinien waren längst gezogen. Die angestrebte Revision war ironischer Weise nun eine konservative, die sich gegen die etablierte neue Historiographie auflehnen wollte. Trotz oder vielleicht gerade wegen einer konservativen Regierung, die den Versöhnungsprozess längst zum Erliegen gebracht hatte, hatte diese Revision keine gesellschaftliche Resonanz. In der Öffentlichkeit war eine breite Basis entstanden, die eine Versöhnung anstrebte. Zum Sorry Day 2000 gingen dafür über 250.000 Menschen in Sydney auf die Straße. Doch auch die historische Anerkennung der kolonialen Verbrechen war politisch machtlos und von dem ursprünglichen Bestreben nach gesellschaftlicher Versöhnung weit entfernt. Hatte die Aufarbeitung der indigenen Geschichte mit den frontier-Massakern begonnen, um auch auf die gegenwärtige Situation von Aborigines aufmerksam zu machen, so wurde nun die neue Historiographie von den Revisionisten auf diesen Beginn zurück verwiesen. Vielleicht erklärt sich dadurch die überwältigende Reaktion der neuen Historiker auf Windschuttle, mit der sie ihr Fundament sichern und ihre akademische Dominanz deutlich machen wollten, während sie zugleich mit einer gesellschaftlichen Außenseiterposition kokettierten (z. B. Macintyre & Clark 2004). Im Laufe der 1990er Jahre hatte sich die Aufmerksamkeit der Historiker von den frontier-Konflikten und den Verbrechen der Siedler auf gegenwärtig relevantere Aspekte der indigenen Geschichte verschoben. Für eine gerichtliche Anerkennung von Landrechten bedurfte es eines Nachweises, dass die entsprechende Topographie historisch von kultureller Relevanz war und in dieser Tradition noch immer genutzt wurde. So begannen weiße und indigene Historiker sich verstärkt der Oral-History zuzuwenden, um die Mythen und Sagen von indigenen Gruppen historiographisch aufzuarbeiten und für Gerichtsverfahren verwendbar zu machen (vgl. Attwood & Magowan 2001; Paul & Gray 2002; Choo & Holbach 2003). Zudem gab es Bemühungen, auseinander gerissene Familien der stolen generations wieder zusammen zu führen. Der Historiker Peter Read hatte bereits 1980 das erste Link-Up-Projekt ins Leben gerufen, um getrennte Eltern und Kinder wieder zusammen zu bringen (Read 1998). Nach dem Bericht "Bringing them Home" wurde ein nationales Netzwerk von Agenturen eingerichtet, die durch Archivarbeit Familien wieder zusammenführen und betreuen. Im Übergang von Mabo zu "Bringing them Home" war die Aufarbeitung der indigenen Geschichte in den Mittelpunkt gerückt. Bain Attwood beobachtete einen Wandel von Forderungen nach einer geteilten Geschichte (shared) zu Hoffnungen auf eine teilende Geschichte (sharing). Während Mabo noch als eine post-koloniale und damit alternative Geschichtsschreibung verstanden worden sei, sei es im Fall von "Bringing them Home" um die Anerkennung neuer und zusätzlicher Geschichten gegangen (Attwood 2005: 248f). Die Bemühungen von Aborigines um Versöhnung wurden so durch den Verlauf der History Wars und die Politik der liberalen Regierung stark beeinflusst. Aufgehoben in einer teilenden Geschichte wären auch indigene Erfahrungen von kolonialer Herrschaft und ihr Status als ursprüngliche Bewohner Australiens. Ein Vertrag sollte daher einen staatlichen Rahmen schaffen, in dem auf Grundlage dieser Erfahrungen politische Situationen ausgehandelt werden könnten, was der indigenen Bevölkerung eine gewisse Souveränität verleihen würde (M. Dodson & Strelein 2001; Langton 2004). Die Forderungen nach einem Vertrag waren zum zentralen Bestandteil der indigenen Versöhnungsforderungen geworden, doch John Howard verweigerte kategorisch jegliche Entschuldigung, auf der eine solche Anerkenntnis hätte basieren können. Vielmehr verabschiedete das Parlament 1998 eine Änderung der indigenen Landrechte in Reaktion auf das Wik-Urteil, die unter anderem der landwirtschaftlichen Nutzung einen Vorrang vor indigenen Landrechten einräumte. Der langjährige und einflussreiche Vorsitzende des CAR Patrick 'Pat' Dodson trat daraufhin zurück, da er den Prozess der Versöhnung durch die Regierung massiv untergraben sah (P. Dodson 1997). Noch in seinem abschließenden Bericht im Jahr 2000 forderte das CAR die Regierung auf, die Versöhnung von indigenen und nicht-indigenen Australiern durch einen Vertrag zu befördern. Doch solche Forderungen nach versöhnter Einheit verhallten. Die History Wars waren schon entschieden. Sie hatten in den 1980er Jahren die Geschichte der Aborigines zum Objekt einer australischen Selbstfindung gemacht. Mit dem Ende der politischen Anerkennung vergangener Verbrechen durch die Howard Regierung, die versucht hatte ein gemeinsames Australien unter europäischer Herrschaft zu schaffen, blieben zwei Gesellschaften für sich bestehen, eine weiße und eine indigene. Die Missstände in indigenen Gemeinden traten als gegenwärtige in den Vordergrund und wurden als ausschließlich soziale Probleme betrachtet; ein Politikansatz der nun auch von dem umstrittenen indigenen Aktivisten und Anwalt Noel Pearson unterstützt wurde (Pearson 2000). An die Stelle von historischer Anerkennung und Versöhnung trat damit wieder die Politik der geschichtslosen Assimilation.

Australische Vergangenheit und Versöhnung nach den History Wars

Welche Auswirkungen werden die Debatten der vergangenen 20 Jahre auf die australische Gesellschaft haben? Die nationalistischen Konservativen, die die australische Gesellschaft in einer englisch geprägten Herkunft von Siedlern vereinen wollen, sind vermutlich die deutlichsten Verlierer. Zwar hatten sie unter der Howardregierung politische und auch publizistische Macht, mit der der Versöhnungsprozess zum Erliegen gebracht wurde. Doch waren sie gezwungen, sich im Verlauf der History Wars mit indigener Geschichte auseinanderzusetzen. Durch ihr Streben nach nationaler Einheit waren sie mit der unmöglichen Aufgabe konfrontiert, entweder diese Vergangenheit zu integrieren, oder sie leugnen zu müssen. So ist ihre in den 1960er Jahren noch unumstrittene Version zur Ideologie einer politisch extremen Rechten geworden. Dennoch lag auch immer ein gewisser wahrer Kern in dieser Ideologie, an der sich die neuen Historiker reiben mussten: Die Versöhnung verlangt eine Einheit der gemeinsamen Vergangenheit. Versöhnung war der Punkt, um den die neuen Historiker kreisten. Von Beginn an war dabei offensichtlich, dass die Veränderung für eine Versöhnung von der Seite der Nicht-Aborigines ausgehen musste. Die Etablierung von indigener Geschichte war der Versuch, eine indigene Perspektive einzunehmen und dadurch deren gegenwärtige Position anerkennen zu können. Mabo und "Bringing them Home" waren die großen Erfolge in diesem Bemühen, in denen die australische Gesellschaft die andere Seite ihrer eigenen Geschichte erkennen konnte. Doch allzu oft ist in dem Versuch, die australische Gesellschaft zu transformieren, die Geschichte der Aborigines zu einem Objekt der Selbstfindung geworden, anstatt die Aborigines zum Subjekt der Geschichte zu machen (vgl. Attwood 2005; Moses 2001; Neumann 2003). Die History Wars waren vorwiegend ein Streit zwischen Nicht-Aborigines darüber, wie Aborigines Teil der australischen Gesellschaft sein sollten. Das langsame Ende der historischen Anerkennung und der Versöhnungspolitik unter der Howardregierung nahm jedoch die gesellschaftliche Relevanz aus der indigenen Geschichte und isolierte die europäische von der indigenen Vergangenheit Australiens. Die neuen Historiker standen nun, ganz entgegen ihren ursprünglichen Intentionen, zwischen zwei Vergangenheiten. Für die indigenen Gruppen hingegen, standen seit ihrem Kampf gegen die Kolonialgesellschaft immer die eigenen Interessen und die eigenen Erinnerungen im Vordergrund. Die politischen Möglichkeiten, die sich während der History Wars auch durch die Hilfe der neuen Historiker in den 1980er und 1990er Jahren eröffneten, erlaubten, die eigenen Erinnerungen erfassen zu können und eine begrenzte kulturelle Autonomie zu entwickeln. Wie dies die weitere australische Gesellschaft beeinflusste, schien angesichts wachsender Freiheiten in Bezug auf Landrechte und die Anerkennung einer eigenen Vergangenheit eher sekundär. Doch war in ihrem erkämpften Status als Bürger des australischen, auf europäischer Besiedlung begründeten Staates, die Begrenzung ihrer Freiheiten bereits festgeschrieben. Die praktische Aufarbeitung der Vergangenheit war nur im juristischen und legalistischen Appell an diesen Staat möglich. Hatte dieser aber nach langem Kampf der Aborigines und der neuen Historiker erst einmal anerkannt, dass es zwei Vergangenheiten und zwei Rechte gab, stand es nun in der Gewalt der Regierung, die Geschichte und die Sonderrechte auch gegen die Interessen der Aborigines zu wenden. Die Intervention der Howardregierung in den Northern Territories, was immer auch ihre Motivation gewesen sein mag, machte sich so das Ergebnis der History Wars zu nutzen. Bereits 2001 stellten Michael Dodson und Lisa Strelein fest: "Schließlich, eine praktische Versöhnung, Versöhnung wie sie von dem Council und in den Landrechten angestrebt wurde, ist nicht an sich die angemessene Methode, das Verhältnis zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Bevölkerung zu strukturieren. Diese Debatten haben sich nicht über den kulturellen Imperialismus des australisch-kolonialen Bewusstseins hinaus bewegt. Während sie indigene kulturelle Identität beinhalten, behalten sie die indigene politische Identität in einem Rahmen sozialer Ordnung, die das Verwalten indigener Belange von außen verwaltet und der indigenen Bevölkerung eine Autonomie in Entscheidungsprozessen verweigert" (M. Dodson & Strelein 2001: 837f). Es war daher keine koloniale Politik der repressiven Toleranz, keine nationalistische Politik der Assimilation, sondern eine Politik der History Wars, auf der die Intervention der australischen Regierung basierte. Erst durch eine Unterscheidung der Geschichte in der Anerkennung der Verbrechen und dann dem Ruf nach der legalen Anerkennung durch den Staat, wurde der Regierung ein solcher Zugriff ermöglicht. Andererseits kann eine Versöhnung weder auf zwei unterschiedlichen Vergangenheiten basieren, noch auf einer Geschichte der Verbrechen, sei sie bewusst oder unbewusst. Daher stellte sich Noel Pearson quer zu den meisten indigenen Interessenvertretern, forderte statt historischer eine soziale Verantwortung der Regierung für indigene Gemeinden und unterstützte deshalb die Interventionspolitik der Regierung (Pearson 2007). Die meisten Vertreter von Aborigines weigerten sich jedoch auch im Falle der Intervention und angesichts teils schwieriger Situationen in den indigenen Gemeinden historische und gegenwärtige Probleme getrennt zu behandeln (Altman & Hinkson 2007). Dabei liegt nach den History Wars eine Versöhnung vielleicht weiter entfernt als zuvor. Pat Dodson stellte resigniert fest: "Wir können entweder das Howardmodell der Leugung und der Assimilation übernehmen oder wir können unsere Reise der Versöhnung wieder aufnehmen, die 1967 begann, als anerkannt wurde, dass noch unerledigte Angelegenheiten zwischen unseren Völkern herrschen und Unmengen von Arbeit vor uns liegen, um unser Ziel einer Nation zu erreichen" (P. Dodson 2007: 28). Wie die Ende 2007 neu gewählte Labor Regierung unter Kevin Rudd mit diesem Erbe der History Wars umgehen wird, bleibt abzuwarten. Ein einfaches "Sorry", wie es angeboten wurde, wird nicht ausreichen, um aus dem Dilemma der Anerkennung auszubrechen und einen neuen Versöhnungsprozess anzustoßen. Zunächst werden Aborigines endlich zu Partnern in der australischen Debatte und Politik werden müssen.

Anmerkung

[*] Ich danke Dirk Moses für hilfreiche Kritik und viele wertvolle Hinweise, sowie Olaf Berg und der Peripherie-Redaktion, die dem Artikel mit viel Verständnis und Zuarbeit zu seiner endgültigen Form verholfen haben. Für die generelle Unterstützung meiner Arbeit in Australien bin ich Klaus Neumann verbunden. Das Institut for Social Research der Swinburne University of Technology in Melbourne, Australien hat meine Recherchen großzügig mit einem Arbeitsplatz und einer wunderbaren Atmosphäre ermöglicht, während die Friedrich-Ebert-Stiftung mit einem Stipendium meine Doktorarbeit finanziert, in deren Rahmen dieser Artikel entstanden ist.

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Aus: PERIPHERIE Nr. 109/110: "Vom Erinnern und Vergessen", 28. Jg. 2008, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 148-173

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