Familienväter, Bedarfsgemeinschaft und versorgte Ehefrauen

"Hart IV" und das Geschlechterverhältnis

in (16.12.2005)

Nicht umsonst war in den Debatten um das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt von der "verstärkten Quick-Vermittlung der Familienväter" die Rede. Trotz der Lippenbekenntnisse.

Nicht umsonst war in den ersten Debatten um das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt von der "verstärkten Quick-Vermittlung der Familienväter"1 die Rede. Trotz der Lippenbekenntnisse, das Gesetz beachte das Prinzip des Gender Mainstreaming, basiert das neue Sozialgesetzbuch II - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) im Kern auf der Ausrichtung auf eine Zielgruppe der heterosexuellen Kleinfamilie mit geschlechtsspezifischer Rollenverteilung. Trotz früher Proteste besonders frauenpolitischer AkteurInnen kann grundsätzlich nicht davon die Rede sein, dass in dem Gesetz einer Vielfalt von Lebensformen Rechnung getragen wird oder dass eine moderne Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit im SGB II herrscht. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Elementen von Geschlechterstereotypen im Gesetz und stellt Überlegungen zu den Auswirkungen dieser Normenstruktur auf die Lebensrealität der Betroffenen an.

Eigenverantwortung und Grundsicherung - Die Logik des SGB II
Zum 1. Januar 2005 wurden durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum neuen SGB II zusammengelegt. Die Arbeitslosenhilfe, die bisher 53 % des vorherigen Nettoeinkommens betragen hatte, wurde zugunsten von pauschalen Regelsätzen, die das Existenzminimum absichern sollen, abgeschafft. Problematisch dabei ist, dass die Regelsätze auf das Niveau des Jahres 2003 (Datengrundlage 1998) eingefroren sind und daher eher das theoretische Existenzminimum darstellen. Die Regelsätze betragen zudem für ein (Ehe-)Paar ohne Kinder 311 EUR pro Person im Westen und 298 EUR pro Person in Ostdeutschland. Sie liegen damit unter dem Regelsatz für Singles (345 EUR), um der Ersparnis durch gemeinsames Wirtschaften Rechnung zu tragen.
Hinzu kommt das Prinzip des "Forderns und Förderns": Eigenverantwortung soll gestärkt und die Existenzsicherung ohne Bezug von Sozialleistungen das Ziel sein (§ 1 S.1 SGB II). Das Fordern und Fördern ist allerdings von einem starken Ungleichgewicht geprägt. Die Rangfolge wird bereits durch die Reihenfolge im Gesetz klar: Es heißt zwar in der Überschrift noch "Fördern und Fordern", im Text wird diese jedoch gleich umgedreht: Grundsatz des Forderns (§ 2 SGB II), Grundsatz des Förderns (§ 14 SGB II).
Gefordert wird viel: Der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung, die Annahme und Ausübung jeder Arbeit, weit gehende Verwertung bestehenden Vermögens sowie umfassende private Solidarität durch Anrechnung von PartnerInneneinkommen. Das Fordern ist mit Sanktionen in Form der Kürzung der Geldleistungen belegt, das Fördern dagegen als Kann-Bestimmungen ausgestaltet, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Diese Elemente einer "aktivierenden Arbeitsmarktpolitik" übertragen die Verantwortung für Arbeitslosigkeit weitgehend auf das Individuum. Grundsätzlich sollen alle Personen ihren Lebensunterhalt selbst sichern. Um dies zu gewährleisten, existiert das SGB II mit seinem Leistungsspektrum. Daher ist es nur konsequent, dass der Titel des Gesetzes nicht "Grundsicherung für Arbeitslose" lautet, sondern "Grundsicherung für Arbeitssuchende". Nicht wer keine Arbeit hat, wird grundlegend abgesichert, sondern wer Arbeit sucht.

Frauen und Männer in der Logik des SGB II
Welche Rolle spielt nun das Geschlecht? Im Gefüge einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik liegen aus Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit Chancen und Risiken. Für bisher auf die unbezahlte Familienarbeit und in die stille Reserve des Arbeitsmarktes verwiesene Frauen könnte in der grundsätzlichen Verpflichtung zur Erwerbsarbeit auch eine Chance zu Erwerbsintegration, Qualifikation und eigenständiger Existenzsicherung liegen. Alleinerziehende Frauen, bisher die größte Gruppe der SozialhilfeempfängerInnen, sollen nicht länger notdürftig versorgt am Rand der Gesellschaft stehen. In § 1 SGB II ist zu lesen: "das Prinzip der Gleichstellung von Frauen und Männern ist als durchgängiges Ziel zu verfolgen", geschlechtsspezifischen Nachteilen werde "entgegengewirkt" und die "familienspezifischen Lebensverhältnisse von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die Kinder erziehen oder pflegebedürftige Angehörige betreuen", berücksichtigt. Wichtige Ziele, die bisher in Deutschland in der Arbeitsmarkt und Sozialpolitik kaum eine Rolle spielten. Wie werden sie umgesetzt?
Es gibt durchaus Positives zu vermelden: Zwei Elemente des bisherigen Rechts, die geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen und Hierarchisierungen enthielten, wurden abgeschafft. Zunächst gelten Mütter kleiner Kinder in Deutschland zumindest grundsätzlich als erwerbsfähig. Aber die Arbeitsaufnahme wird bei Betreuung von Kindern unter drei Jahren, ähnlich der Regelung § 18 Abs. 3 Bundessozialhilfegesetz, als nicht zumutbar eingestuft (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II), was vor allem den fehlenden Betreuungsmöglichkeiten im Westen Deutschlands geschuldet ist. Zweitens wurde die bisherige patriarchale Praxis der Vergabe der Sozialhilfe, dass der "Haushaltsvorstand" 100 % und PartnerInnen - in der Realität zumeist Frauen - 80 % des Regelsatzes erhalten zu einem egalitäreren Modell verändert.2 Jetzt erhalten beide PartnerInnen 90 % des Regelsatzes (§ 20 Abs. 3 SGB II). Das ergibt zwar in der Summe keinen Unterschied, vermeidet aber die Konstruktion der Frau als Abhängige und ermöglicht vielleicht eine andere Ressourcenverteilung innerhalb der Paarbeziehung.
Frauenverbände und Politikerinnen haben trotzdem und zu Recht von Anfang an beklagt, dass der Reformprozess Agenda 2010 stattfindet, ohne den Blick auf mögliche geschlechtsspezifische Auswirkungen zu richten.3 Wo liegen die Probleme? Das SGB II kreist im Kern um zwei AdressatInnen: Um die "erwerbsfähigen Hilfebedürftigen" und um die "Bedarfsgemeinschaft". Im Zusammenspiel dieser sehr unkonkreten Begriffe liegt auch das geschlechterpolitische Problem. Arbeitsmarkt und Sozialpolitik muss sich aus einer Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit zwei Fragen stellen lassen: Haben Frauen und Männer rechtlich und tatsächlich gleichen Zugang zu Leistungen (Geldleistungen und Förderung) und werden Frauen und Männer als Erwerbspersonen mit gegebenenfalls gleichen Familienpflichten angesehen oder herrschen Vorstellungen einer geschlechtspezifischen Arbeitsteilung?

Der Vorrang des Privaten: Bedürftigkeitsprüfung und Subsidiarität
Zunächst zu dem Problem des Zugangs zu Geldleistungen. Die Leistungen des SGB II sind subsidiär gegenüber anderen Einkommensquellen. Subsidiarität bedeutet im Recht der Sozialleistungen - was die kleinere Einheit (Familie) allein bewältigen kann, braucht der Staat nicht zu regeln. Also: wer durch einen Partner oder eine Partnerin versorgt ist, gilt als nicht bedürftig und benötigt keine Sozialleistungen. Dieses Konzept ist nicht neu - es galt auch schon in der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.
Bereits im alten System der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe betraf die Ablehnung von Leistungen wegen der Anrechnung von Partnereinkommen überwiegend Frauen. Zwar ist auch der umgekehrte Fall denkbar - in Zeiten formeller Gleichberechtigung knüpft die Regelung nicht ausdrücklich an das Geschlecht an - auch Männer können von der Anrechnung von Partnereinkommen betroffen sein. Wegen der schlechteren Erwerbsintegration von Frauen - sie gehen öfter einer Teilzeitbeschäftigung nach, verdienen weniger etc. - sind die Chancen für Frauen, einen erwerbstätigen Partner zu haben, dessen Einkommen hoch genug ist, um auch sie zu versorgen, sehr viel höher. Die Statistik über abgelehnte Anträge auf Arbeitslosenhilfe aufgrund der Anrechnung von Partnereinkommen spricht daher eine deutliche Sprache: Mehr als zwei Drittel der Betroffenen waren Frauen.4
Die Anrechnungsregeln im Bereich der Arbeitslosenhilfe waren 1992 sogar Gegenstand eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht urteilte damals, dass mit der Anrechnung nicht der faktische Zwang zur Hausfrauenehe einhergehen dürfe und drängte auf einen höheren und variablen Selbstbehalt der erwerbstätigen Person.5 Nur wenn diese ihre eigene hypothetische Arbeitslosenhilfe frei von Anrechnung behalten dürfe, könne die Schlechterstellung ehemals berufstätiger Paare gegenüber der "Hausfrauenehe" verhindert werden. Als Folge dieses Urteils wurden die Freibeträge in der Arbeitslosenhilfe erhöht - und erst 2003 im Rahmen von "Hartz I" wieder reduziert.

Subsidiarität in der Logik der Bedarfsgemeinschaft
Wie setzt sich das Prinzip der Subsidiarität in den neuen Regelungen fort? Es wurde beibehalten und durch die Absenkung der Regelsätze auf das Niveau des Existenzminimums faktisch ausgebaut. Zugang zu Leistungen des SGB II wird über die Merkmale Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit definiert. Dies gilt für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer für sich und die mit in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen den Bedarf nicht durch Arbeitsaufnahme, Einkommen oder Vermögen einschließlich Hilfe anderer oder andere Kräfte sichern kann. Wer die erforderliche Hilfe auch von anderen erhält oder erhalten kann, gilt ausdrücklich nicht als hilfebedürftig.6

Was ist dann eigentlich die Bedarfsgemeinschaft?
Zur Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 SGB II gehören die erwerbsfähigen Hilfedürftigen, die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines minderjährigen, unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, Partner (nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten, in eheähnlicher Gemeinschaft lebende Personen, nicht dauernde getrennt lebende Lebenspartner) und dem Haushalt angehörende minderjährige, unverheiratete Kinder. Man kann es auch einfacher ausdrücken: Die Bedarfsgemeinschaft sind in einer Partnerschaft und in einem gemeinsamen Haushalt lebende Menschen (ausgenommen homosexuelle Paare ohne "Trauschein"7) und Kinder (zumindest eines) der PartnerInnen.
Im § 7 Abs. 2 SGB II heißt es weiter, zum "Kreis der Berechtigten" zählen erwerbsfähige Hilfebedürftige und mit ihnen "in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen". Die hier zu Berechtigten erklärten Menschen sind in der Realität vielmehr Verpflichtete. Wenn das Einkommen eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft nämlich für den Bedarf aller ausreicht, erhalten auch die anderen kein Geld. Im Klartext: Wenn das Einkommen eines Partners oder einer Partnerin ausreicht. Denn der Begriff der Bedarfsgemeinschaft verschleiert, dass der Kreis der gegenseitig Verpflichteten im neuen Gesetz nicht gewachsen ist - füreinander finanziell einstehen müssen Paare sowie Eltern für ihre minderjährigen Kinder. Durch die Absenkung des Leistungsniveaus auf das Existenzminimum wurde allerdings der Umfang der Einstandspflichten verschärft: der Freibetrag der verdienenden Person beträgt im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1992 nur noch deren eigenes Existenzminimum.

Sozialpolitisches Leitbild des männlichen Ernährers
Was im neuen SGB II so geschlechtsneutral formuliert daherkommt ist sozialpolitisch ein alter Hut: das männliche Ernährermodell. Der in der Regel männliche Normalarbeitnehmer versorgt mit seinem Erwerbseinkommen (Ehe)frau und Kinder. Sozialversicherungsleistungen wie Kranken-, Arbeitslosenhilfe- oder Rentenversicherung stehen dem Normalarbeitnehmer unmittelbar, den Familienangehörigen nur mittelbar über Familienmitversicherung oder Hinterbliebenenrente zur Verfügung.8 Bedarfsgeprüfte Sozialleistungen benötigt nicht, wer diese familiäre Versorgung noch genießt - der Schutz greift erst ein, wenn die "vorrangigen" privaten Versorgungsmechanismen versagen, das Einkommen des Partners/der Partnerin nicht ausreicht oder ein Partner/eine Partnerin nicht vorhanden ist.
Die Selbstverständlichkeit der Subsidiarität ergibt sich aus der Tatsache, dass sie so alt ist wie der Sozialstaat selbst. Deutsche Sozialpolitik ist wesentlich geprägt von den Überlegungen der katholischen Soziallehre, die Subsidiarität als ein wesentliches Element enthält. Ein anderes wesentliches Element ist der traditionelle Geschlechtervertrag, wie er auch in der bürgerlichen Ehe des 19. Jahrhunderts galt: Männliche Versorgung im Austausch gegen weibliche Reproduktionsarbeit und Gehorsam. Eine eigenständige Existenzsicherung durch Arbeit war damals für Frauen des Bürgertums nicht die Norm - ihnen wurde dadurch eine Versorgung ermöglicht. Der Preis, die persönliche Abhängigkeit, war im Geschlechtervertrag ohnehin vorgesehen. Heute ist das nicht mehr so, die Sicherungssysteme sind aber weiter am männlichen Ernährer orientiert.9

Privat versorgte Personen sind von Eingliederung in das Erwerbsleben ausgeschlossen
Hinzu kommt, dass Personen, die wegen Versorgung durch den Partner/die Partnerin nicht als hilfebedürftig gelten, auch von der Förderung des SGB II ausgeschlossen sind. Auch das war schon in der Arbeitslosenhilfe ein Problem, kommt jetzt aber noch stärker zum Tragen, weil die Anrechnung verschärft wurde und mehr Menschen in der Situation sind, als versorgt zu gelten. Die Maßnahmen des Förderns richten sich aber an erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Menschen, die auf die Versorgung durch das Erwerbseinkommen des Partners/der Partnerin verwiesen werden, sind nach der Logik des Gesetzes aber weder hilfebedürftig, noch leben sie mit einer solchen Person in einer Bedarfsgemeinschaft. Hilfe für ein Bemühen um eine eigenständige Existenzsicherung wird ihnen deshalb auch nicht gewährt werden.
Zwar kann es angesichts des Ausmaßes des Forderns durchaus als Segen betrachtet werden, von den Aktivierungsmaßnahmen verschont zu bleiben. Aber aus diesem Blickwinkel erscheint der Titel des SGB II - Grundsicherung für Arbeitssuchende - in neuem Licht. Eigentlich geht es nicht darum, die abzusichern, die keine Arbeit haben, sondern diejenigen, die Arbeit suchen und das auch sollen. Für angeblich privat abgesicherte Personen ist also die Erwerbsintegration Privatvergnügen. Nicht geschlechtsneutral formuliert: Was wollen Sie denn, Ihr Mann verdient doch!

Was ist die Liebe wert? Gründe für die Vergemeinschaftung
Wie werden die Solidaritätspflichten juristisch begründet? Ehepaare und nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz institutionalisierte gleichgeschlechtliche PartnerInnen sind sich familienrechtlich zu gegenseitigem Unterhalt verpflichtet. Für nichteheliche Paare bestehen solche Pflichten nicht - eine familienrechtliche Legitimation der Anrechnung des Partnereinkommens gibt es für sie also nicht. Der Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz verbietet nach herrschender Auffassung aber die Schlechterstellung der Ehe gegenüber nichtehelichen Paaren. Also müssen diese mit ins Boot - ohne die Privilegien der Ehe (Ehegattensplitting) zu genießen. Zumindest stellt die Rechtsprechung gewisse Anforderungen an das Merkmal "eheähnlich" - nicht jede sexuelle Beziehung oder Wohngemeinschaft erfüllt dieses Merkmal: Die Partner müssen schon "in den Not- und Wechselfällen des Lebens füreinander einstehen" wollen bzw. dies erwarten lassen.10 Wann dies gegeben ist, lässt sich natürlich in der Verwaltungspraxis schwer ermitteln - so ist die Lektüre einschlägiger Urteile erfüllt von Geschichten von unbekleideten Männern und für zwei Personen zurechtgemachten Doppelbetten. Schon zu Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes war frau unter Umständen schlecht beraten, beim Kontrollbesuch des Sozialamtes eine zweite Zahnbürste oder einen Einwegrasierer im Bad zu haben. Diese Suche nach in Anspruch zu nehmenden PartnerInnen wird allem Anschein nach auch unter Geltung des neuen Rechts fortgesetzt - in einem aktuellen Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf wurde jedoch der Auffassung, der unbekleidete Mann und das Doppelbett begründeten eine "eheähnliche Gemeinschaft" mit entsprechenden Einstandspflichten eine Absage erteilt.11

Wo liegt eigentlich das Problem
Wenn man die Anrechnung von Partnereinkommen kritisiert, muss man sich die Frage gefallen lassen, wo dabei eigentlich das Problem liegt. Die Personen, die wegen Einkommen oder Vermögen des Partners als nicht bedürftig eingestuft werden, sind immerhin versorgt und sollten der Allgemeinheit nicht zur Last fallen - Politiker beschwören dann gern das Bild der Millionärsgattin, die auf Kosten der schwer arbeitenden Putzfrau Arbeitslosengeld II beziehen würde. Die Argumentation, dass private Solidarität angesichts leerer Staatskassen selbstverständlich sei, ist keineswegs zwingend, sondern geht von einem idealisierten Familienbild aus: Ehe mit traditioneller Rollenverteilung. Dieses Ideal kann durchaus auch als Ideologie bezeichnet werden, die auch rot-grüne Politik bestimmt. Tatsächlich ist es sicher verlockend, in einem immer strenger wehenden Wind der Marktlogik den Rückzugsort Familie politisch schmackhaft zu machen. Diese heile Welt des Privaten hat aber Risse.
Zunächst ist die Vorstellung hinter den Anrechnungsregelungen, dass in heterosexuellen Paarbeziehungen und inzwischen auch nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz institutionalisierten homosexuellen Beziehungen, die auch von der Anrechnung von Partnereinkommen betroffen sind, das Einkommen "Halbe-Halbe" geteilt wird, eine nicht belegte Utopie. Wie die Verteilungen tatsächlich funktionieren, ist unter SozialwissenschaftlerInnen umstritten und keineswegs umfassend erforscht.
Die Auswirkungen der erzwungenen finanziellen Abhängigkeit, auf das Machtgefüge in der Partnerschaft werden nicht berücksichtigt. Konservative JuristInnen und PolitikerInnen würden natürlich die Behauptung, dass Macht in Partnerschaften oder Familien ein relevanter Faktor ist, weit von sich weisen. Schutz von Ehe und Familie wird auch als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe begriffen - das Private soll dem öffentlichen Zugriff so weit es geht entzogen bleiben. Die idealisierte Version der Partnerschaft oder Familie in der alle an einem Strang ziehen und niemand benachteiligt wird existiert aber nicht. Mangelnder ökonomischer Beitrag führt zu weniger Verhandlungsmacht in der Beziehung. Die finanzielle Abhängigkeit von einem Partner hat mangelnde Kontrolle und mangelnde Rechte zur Folge. Schließlich kommt auch noch die Verpflichtung zur Dankbarkeit für die Versorgung hinzu. Falls der/die PartnerIn nicht versorgen möchte, ist das Einklagen der entsprechenden angerechneten Summe zwar theoretisch möglich, praktisch sieht frau sich aber mit dem Problem konfrontiert, dass eine entsprechende Anspruchsgrundlage im Familienrecht leider fehlt: In der "intakten Durchschnittsehe" verklagt man sich eben nicht.
Der schlechtere Zugang zu staatlichen Leistungen für Frauen geht einher mit schlechteren Chancen, die eigene Existenz durch Berufstätigkeit zu sichern. Während gut ausgebildete junge Frauen eine ziemlich erfolgreiche Gruppe auf dem Arbeitsmarkt sind, ändert sich das Bild nach der Geburt von Kindern: Private Haus- und Sorgearbeit ist nach gängigem gesellschaftlichem Rollenmodell immer noch Frauensache. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist zwar ein viel beschworenes Ziel, in der Realität aber doch immer noch nicht möglich. Die Risiken dieser Sorgearbeit sichert das am männlichen Normalarbeitnehmer orientierte System der Sozialversicherung nicht ab. Auch das Erziehungsgeld ist keine Lohnersatzleistung sondern eine Sozialleistung, in der auch Partnereinkommen angerechnet wird. Den so mit einem schlechteren Zugang zu Erwerbsarbeit konfrontierten Frauen, die einen Partner haben, bleibt angesichts der Subsidiaritätsregeln noch nicht einmal die Sicherung durch Sozialleistungen. Die Verweisungskette in die private Abhängigkeit ist komplett!
Der aktuelle Umbau des Sozialstaates verlagert an der Schnittstelle Arbeitsmarkt und Sozialpolitik die Verantwortung für Arbeitslosigkeit weit gehend auf das Individuum. Das im SGB II proklamierte Prinzip des "Förderns und Forderns" ist hierfür ein Beispiel. Im Zuge einer solchen Individualisierung sollte die Übernahme von Verantwortung für die eigene Existenzsicherung konsequenter Weise auch allen ermöglicht werden: Die Verweisung auf private Versorgung ist dabei kontraproduktiv. Und schließlich: Nicht nur formelle, sondern tatsächliche Gleichheit der Geschlechter beginnt mit finanzieller Unabhängigkeit und eigenständiger Existenzsicherung. Nur diese ermöglicht die gleichberechtigte Partizipation von Frauen und Männern im privaten und öffentlichen Raum.

Maria Wersig ist Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin in einem Forschungsprojekt zum Thema des männlichen Ernährermodells im deutschen Recht. Ihr Interesse gilt dem Verhältnis von Recht und Politik und dem Recht der Geschlechterverhältnisse.

Literatur:
Berghahn, Sabine, Der Ehegattenunterhalt und seine Überwindung auf dem Weg zur individualisierten Existenzsicherung, in: Leitner, Sigrid / Ostner, Ilona / Schratzenstaller, Margit (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat und Geschlechterverhältnis im Umbruch. Was kommt nach dem Ernährermodell, 2004, 105-131
Berghahn, Sabine, Ist die Institution Ehe eine Gleichstellungsbarriere im Geschlechterverhältnis in Deutschland?, in: Oppen, Maria / Simon, Dagmar (Hrsg.), Verharrender Wandel. Institutionen und Geschlechterverhältnisse. 2004, 99-138
Berghahn, Sabine / Wersig, Maria, Homoeheähnlich - Kommentar zum Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.2.2005, Blätter für deutsche und internationale Politik 2005, 528-532
Degen, Christel / Fuchsloch, Christine / Kirschner, Karin, Die Frauen nicht vergessen. Forderungen für das Vermittlungsverfahren der Hartzgesetze III und IV, Frankfurter Rundschau 26.11.2003
Kulawik, Teresa, Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterregime im internationalen Vergleich.
In: Gender...Politik...Online. Das geschlechterpolitische Portal für die Sozialwissenschaften,
www.gender-politik-online.de (28.4.2005)
1 Bericht der Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" von 2002, www.sozialpolitik-aktuell.de.
2 Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 15/1516, 56.
3 Degen/Fuchsloch/Kirschner, Frankfurter Rundschau v. 26.11.2003.
4 Bundesagentur für Arbeit, Bereich Statistik, nur auf Anfrage erhältlich.
5 BVerfG 17.11.1992, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, 643 ff.
6 BT-Drs. 15/1516, 53.
7 Zu den verfassungsrechtlichen und sozialpolitischen Problemen dieses Umstandes: Berghahn/Wersig 2005.
8 Kulawik 2005, 3.
9 Berghahn 2004, 105.
10 BVerfG, NJW 1993, 643 ff.
11 SG Düsseldorf, NJW 2005, 845.