Die Reaktionen mancher deutscher Politiker auf die dramatischen Bilder aus den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla gleichen einer verkappten Kriegserklärung:
Flüchtlinge, die es wagen, Mauern und Stacheldrahtzäune einzureißen, um nach Europa zu kommen, werden militärisch bekämpft. So zumindest muss man Peter Struck verstehen, der die deutschen Interessen nicht nur am Hindukusch, sondern zukünftig auch verstärkt in Afrika verteidigen will - mit Waffengewalt und Bundeswehreinsätzen. Vor dem Hintergrund des "Sturms auf Ceuta" und mit Blick auf weltweite militärische Operationen gelte es, so Struck, deutsche und europäische Interessen genauer zu definieren: "Massenfluchten können relevant werden für die Stabilität Europas." In Afrika sei deshalb künftig ein stärkeres militärisches Engagement erforderlich, "um auseinander fallende Staaten zu stabilisieren und Massenfluchten zu verhindern." Containment und Vorfeldverteidigung heißt das im Militärjargon.
Diese jüngsten Struck-Äußerungen werfen wichtige und oft viel zu wenig beachtete Schlaglichter auf die herrschende Flüchtlingspolitik. Zum einen ist sie als "Weltinnenpolitik" längst Bestandteil internationaler Kooperation der imperialistischen Staaten. Nichts zielte also mehr in eine falsche Richtung, als angesichts der Brutalität, mit der spanische und marokkanische Behörden die Flüchtlinge abschieben und in der Sahara aussetzen, die BRD und die EU aus der Verantwortung zu lassen. Flüchtlingsabwehr und Flüchtlingskontrolle sind auch im Mittelmeerraum Teil einer abgestimmten europäischen Gesamtstrategie - vom Umgang mit den Boat-People in der Straße von Gibraltar über die Stacheldrahtzäune in Ceuta und Melilla bis zu den Auffanglagern in "Frontstaaten" wie Marokko und Tunesien. Wenn das marokkanische Militär die Flüchtlinge, die Spanien aus seinen nordafrikanischen Enklaven abschiebt, in die Wüste deportiert und dort umbringt, so ist das barbarisch. Aber es geschieht direkt oder indirekt im EU-Auftrag und ist die Drecksarbeit, die Brüssel, Paris, Berlin usw. (bisher noch) nicht selbst übernehmen wollen.
Gerade vor dem Hintergrund der "neuen Kriege" mit ihrem Charakter von Polizeiaktionen heißt "Weltinnenpolitik" zum zweiten auch, dass die Kontrolle der internationalen Wanderungsbewegungen integraler Bestandteil allgemeiner geopolitischer und geostrategischer Planungen geworden ist; Planungen, die finanzielle und "humanitäre" Interventionen genauso umfassen wie direkte polizeiliche und militärische Operationen. Der Feind in der imperialistischen Weltordnung ist nicht mehr (nur) der nationale "Schurkenstaat" oder der "internationale Terrorismus", sondern auch der Flüchtling und die Migrantin. Die "instabilen Verhältnisse", die Struck und Konsorten bekämpfen wollen, sind deswegen bedrohlich, weil diese sozialen Konflikte und Bewegungen nicht eingedämmt sind. Sie sind deswegen gefährlich, weil die "Verdammten dieser Erde" noch immer Mittel und Wege finden, den ihnen zugewiesenen globalen Hungerzonen zu entkommen.
Die Bilder aus Ceuta und Melilla haben Menschen gezeigt, die sich nicht mehr damit abgefunden haben, vor den Toren Europas zu verrecken. Sie haben zumindest im Ansatz angefangen, die Festung zu stürmen. Darin liegt die Ursache für den Schock, den diese Bilder hier zu Lande nicht nur bei konservativen PolitikerInnen, sondern auch in der linksliberalen Behaglichkeit ausgelöst haben. Gegenüber Menschen, die im Massenansturm über die Stacheldrahtzäune klettern, gibt es wenig Platz für realpolitisches Räsonieren. So ist in der jetzigen Situation der Hinweis auf Entwicklungshilfe wenig mehr als ein humanistisch verbrämter Abwehrreflex. Wer jetzt allein auf notwendige Unterstützung für die Herkunftsländer verweist, verweigert den Flüchtlingen in Nordafrika die Solidarität. Die einzig vernünftige wie angemessene Antwort auf den Flüchtlingskampf in Nordafrika ist die: Helft ihnen durchzukommen! Grenzen auf für Alle!
ak-Redaktion
ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 499/21.10.2005