Kampf der DienerInnen

Arbeitsbedingungen und Konflikte im Dienstleistungsbereich

Mit dem Wandel zur so genannten Dienstleistungsgesellschaft scheinen auch die industriellen Konflikte zurückgehen ...

... - ein Eindruck, der, obwohl vielfach beschworen, nichts desto trotz reichlich oberflächlich ist. Peter Rennebergs Studie "Die Arbeitskämpfe von morgen? Arbeitsbedingungen und Konflikte im Dienstleistungsbereich" schaut genauer hin. Seit 1969 ist die Zahl der Streiktage in Deutschland kontinuierlich zurückgegangen. Gleichzeitig jedoch hat sowohl die Zahl der Streikenden wie auch die Zahl der bestreikten Betriebe in den Jahren von 1991 bis 2001 deutlich zugenommen. Und noch spannender wird das Bild, wenn man sich den Dienstleistungssektor anschaut. Hier sind die Streikaktivitäten in auch gemessen in Streiktagen seit 1990 deutlich angestiegen: Noch nie sind im Dienstleistungsbereich mehr Arbeitstage streikbedingt ausgefallen als in den Jahren zwischen 1990 und 2002. Gleichzeitig wurden noch nie so viele Betriebe bestreikt wie in diesem Zeitraum, und auch die Streikbeteiligung war nie höher. Einzel- und Großhandel, Bahn/Post/Verkehr, Öffentlicher Dienst und besonders Banken und Versicherungen sind die Branchen, in denen die Konflikte massiv zugenommen haben.

Arbeitskampf ohne Gewerkschaft

Die so genante Tertiarisierung der Ökonomie, die Ausweitung der Dienstleistungssektoren sowie die zunehmende Integration von personen- und produktionsbezogenen Dienstleistungen in den industriellen Produktionsprozess hat keineswegs zu einer Stilllegung des Klassenkampfes geführt. Peter Rennebergs Buch belegt mit einer Fülle von Befragungen, Fallstudien und anderem empirischen Material, dass an den Dienstleistungsarbeitsplätzen weder die Konflikte und Interessensgegensätze verschwunden sind, noch die Bereitschaft von ArbeiterInnen und Angestellten, ihre Interessen in Arbeitskämpfen durchzusetzen. Dabei korrespondiert die Kampfbereitschaft im Dienstleistungsbereich keineswegs mit einer Zunahme gewerkschaftlicher Organisierung. Die schwindende gewerkschaftliche Bindung zeigt sich auch und gerade im Dienstleistungsbereich, doch - und das macht Renneberg sehr deutlich - sagt das eben nichts über die Kampf- und Konfliktbereitschaft in diesen Bereichen aus. "Wer etwas über die Arbeitskämpfe von morgen sagen will, sollte die Arbeitsbedingungen, die gegenwärtig als zukunftsweisend und fortschrittlich gelten, betrachten." So lautet gleich der erste, programmatische Satz in Rennebergs Buch. Es ist deshalb vor allem der Bereich der Informations- und Kommunikationsdienstleistungen, der im Zentrum seiner Untersuchung steht. Auch wenn er die unterschiedlichen Betriebsformen, Formen der Arbeitsorganisation und Arbeitsbeziehungen in einer etwas schematischen Betriebstypologie zusammenfasst, so zeichnet Renneberg doch ein sehr differenziertes Bild der IT-Branche. Neben den kleinen Internetklitschen mit keinen oder kaum wahrnehmbaren Hierarchien, hohem Identifizierungspotenzial ("We are familiy") und individualistischen Selbstverwirklichungsappeal (vgl. "Kulturloser Rockerhaufen", ak 446), stehen hochgradig neo-tayloristisch organisierte Call-Center, Ausgründungen größerer Firmen oder aber auch Betriebe auf der Schwelle zum "seriösen" Unternehmen. Arbeitsbedingungen und Arbeitskulturen sind - selbst für ein und dieselbe Tätigkeit - höchst unterschiedlich. Renneberg identifiziert zwei prototypische Entwicklungspfade für die Arbeitsbeziehungen in der IT-Branche: zum einen einen eher restriktiven Pfad mit klaren formalisierten Strukturen, tayloristischen Organisations- und Kontrollformen und relativ geringen individuellen Freiheitsgraden in der Arbeit (bei gleichzeitig hohem Anteil leicht austauschbarer "Rand"belegschaften). Auf der anderen Seite steht die Tendenz zur "ambivalenten Autonomie" mit ihrer Dominanz von Team- und Projektarbeit und ihrem hohen Anteil gut bezahlter, relativ gesicherter Angestelltenverhältnisse. Kontrolle und Steuerung erfolgt hier eher indirekt, über eine totale Vermarktlichung aller Arbeitsbeziehungen und die Entgrenzung der Arbeit, über den "Unternehmer im eigenen Kopf" und dadurch, dass die Beschäftigten sich Unternehmensziele und zwänge permanent zu Eigen machen - ein Thema was in der gewerkschaftlichen Diskussion als "Glissmann-Debatte" bekannt geworden ist (vgl. ak 436).

Conflict in paradise

In beiden skizzierten Entwicklungspfaden ist der Arbeitskonflikt virulent - mal offener, mal eher unter der Oberfläche: Wenn in das Boot, in dem doch alle gleich sitzen, plötzlich "richtige" Hierarchien eingezogen werden, wenn der Hype zusammenbricht und Entlassungen anstehen, wenn dann plötzlich doch Arbeitsdruck, Gesundheitsschutz und Qualifizierungsfragen zum Problem werden. Selbst bei den gestandenen "Gewinnern" des New Economy-Booms mit ihrer hohen Bindungswirkung von Corporate Identity und individuellen Freiheitsgraden in der Arbeit brechen an Arbeitszeiten/Überstunden, Entgelt, Gleichbehandlung und Qualifizierung immer wieder Konflikte auf. Doch die Arbeitskämpfe von morgen sieht Renneberg nicht in erster Linie in gewerkschaftlich organisierten Streiks. Bedeutsamer sind in seinen Augen Kampagnen, die in soziale Netzwerke eingebunden sind, Boykotte oder auch virtuelle Arbeitskampfformen wie die Störung von betrieblichen Mailsystemen und Internetverbindungen. Es handelt sich dabei jeweils um Kampfformen, die mit ihrer zeitlichen Überschaubarkeit, ihrem Projekt- und Netzwerkcharakter, ihrer klaren Zielsetzung und ihrem selbst bestimmten Handlungsrahmen den Arbeitsbedingungen wie den Bedürfnissen der Beschäftigten sehr entgegenkommen bzw. sehr viel bessere Anknüpfungspunkte bieten. "Die Arbeitskämpfe von morgen?" liefert somit nicht nur jede Menge Material für eine Entzauberung der schönen heilen IT-Welt. Das Buch zeigt vor allem eines: DienerInnen können auch widerborstig sein. Dirk Hauer Peter Renneberg: Die Arbeitskämpfe von morgen? Arbeitsbedingungen und Konflikte im Dienstleistungsbereich. Hamburg (VSA) 2005, 301 S., 18 Euro aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 497/19.8.2005