Rache und Nation

Am 29. März dieses Jahres erschoß die Polizei in Bombay drei Männer. Es hieß, wie üblich bei solchen Ereignissen, es sei zu einem Schußwechsel gekommen, als die drei in eine Polizeifalle fuhren

... und festgenommen werden sollten.Angeblich waren diese drei Männer für den Bombenanschlag in Bombay verantwortlich, der am 13. März elf Menschen in einem Vorortzug getötet hatte. Angeblich waren sie auch Teil eines Netzwerkes, das schon die drei vorangegangenen Bombenanschläge organisiert hatte, den ersten im Dezember letzten Jahres und zwei weitere im Februar 2003.
Alle vier Bomben waren relativ krude; die letzte war technisch etwas komplexer. Alle wurden offenbar "wahllos" im öffentlichen Raum ausgelegt, so daß man kein eindeutiges Ziel ausmachen konnte. Als die vierte Bombe in Bombay explodierte und dazu noch im Frauenabteil eines überfüllten Vorortzuges, stand die Polizei unter enormem Druck, den Fall zu lösen. Doch sie tappte im Dunkeln. Noch kurz vor dem erlösenden Zusammenstoß (Encounter) bat sie in der Presse dringend um Hinweise. Nun aber schien sofort allen klar zu sein, daß die Täter Muslime sein müßten. Alle Festnahmen im Zusammenhang mit der ersten Bombe galten Muslimen; und auch die drei, die den Polizeikugeln zum Opfer fielen, waren Muslime.
Obwohl sie nach Polizeiangaben schon vor ihrer Festnahme starben, schien zweifelsfrei festgestellt, daß sie die Verantwortlichen für den Bombenanschlag waren. Als hätten sie Mitgliedsausweise bei sich getragen, war auch ihre Zugehörigkeit zu der verbotenen islamischen Organisation SIMI (Students Islamic Movement of India) eindeutig; und als hätten sie die Bankbelege in der Tasche, war sicher, daß sie vom Pakistanischen Geheimdienst (ISI) finanziert wurden.
Nur insgeheim flüsterten einige (hochrangige oder bereits pensionierte) Polizisten: Vielleicht wären die wahren Täter ja gar keine Muslime ... Aber sie versicherten auf Nachfrage auch, daß wir dies niemals erfahren würden, sollte es sich im Zuge der Untersuchungen herausstellen.1 Der Tod der drei Muslime im Encounter mit der Polizei besiegelte deren Schuld.
Terrorismus im Namen von Muslimen ist in Indien nicht neu. Die indische Regierung verweist im Zusammenhang mit dem globalen "Krieg gegen den Terror" darauf, diesen schon lange vor dem Rest der Welt gesehen und erlitten zu haben. Bisher galten in Indien terroristische Bomben jedweder religiöser oder ethnischer Provenienz der Untermauerung von Forderungen nach eigenen Territorien: Kaschmir, Punjab, der Nordosten des Landes haben separatistischen Terrorismus hervorgebracht.
Auch der Kampf der Tamilen von Sri Lanka wurde zuzeiten in Indien gekämpft. Doch die Bomben von Bombay galten keinem Traum vom eigenen Staat. Die Motive, die den Tätern zugeschrieben wurden, verweisen auf eine andere Logik, nämlich die Logik der Rache.
Die Logik der Rache stellt keine Forderungen; man kann sie nicht "erfüllen", indem man Besitz austauscht oder Rechte einführt. Sie verweist nicht auf eine Zukunft, sondern sie ist retrospektiv. Als Form der Selbstjustiz vergilt sie Vergangenes. Als Gegenseitigkeitssystem führt sie leicht in einen Teufelskreis, auch wenn - oder gerade weil - viele Rachesysteme hochgradig verregelt sind. Der Rache geht es um (die Wiederherstellung von) Gerechtigkeit.2 Als Selbstjustiz verweist sie auf ihr "Anderes": den Richter.
Dem Rache-Terrorismus - mag er auch viele weitere Motive haben - mangelt es somit nicht an Territorium oder Selbstbestimmung; es ermangelt ihm an Gerechtigkeit - und am Richter. Als Terrorismus richtet sich diese Rache auch an den Staat.
Der neue muslimische Terrorismus in Indien ist Teil eines asymmetrischen Rachesystems. Dieses ist Austragungsort eines Konflikts um die gute Ordnung und den Staat. Hier stehen sich allerdings keine Religionen gegenüber, sondern Vorstellungen vom Nationalstaat: von der alten "guten Ordnung" - vom säkularen Republikanismus, wie ihn Nehru einst erträumte; und von der neuen "guten Ordnung" - vom Vorrecht der Hindus auf Indien.
Dieses Rachesystem ist asymmetrisch, denn in diesem Konflikt um die gute Ordnung wird der Staat vom Richter zur Partei im Rachesystem. Die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit wird zum Instrument der neuen "guten Ordnung". Indem Sicherheitsdiskurs und Nationsdiskurs zu einem werden, setzt sich diese durch. Die Rache an der Ausgrenzung und der Entrechtung legitimiert wiederum die Sicherheitspolitik, die diese Entrechtung weiter vorantreibt.

Sicherheit
"Encounter killings" ist der umgangssprachliche Ausdruck für einen Schußwechsel zwischen Polizei und (verdächtigen) Kriminellen, Terroristen und anderen. 1999 starben in Indien offiziell 650 Zivilisten in Encounters (Crime in India 1999: 381). In Bombay allein waren es 83 Menschen, die Polizeikugeln zum Opfer fielen. Allerdings trennt das Staatliche Amt für Kriminalstatistik die Zahlen nicht immer nach den Umständen des polizeilichen Schusswaffengebrauchs: nur grob wird unterteilt in "Kontrolle von Unruhen", "Anti-Banditen Operationen", "Gegen Extremisten und Terroristen"; wobei die beiden letzten Kategorien die sogenannten Encounters ausmachen. Mit 52,5% ist die Kategorie "Gegen Extremisten und Terroristen" diejenige mit den meisten Toten (ebd.: 379). Doch 1999 war anscheinend ein ruhiges Jahr: Die Statistik von 2000 stellt einen zwölfprozentigen Anstieg der "Notwendigkeit von Schußwaffengebrauch" bei der Polizei fest, und meint, dies würde auf die "wachsende Gewalt von Terroristen, Aufständischen und Banditen" hinweisen (Crime in India 2000: 317). Bombay hat mit 102 Toten 2000 im Vergleich mit anderen indischen Städten die höchste Zahl von Encounter-Opfern (ebd.: 373).
Ein Großteil der Polizisten sieht sich mit den Encounters im Dienst am Gemeinwohl. Die Motivation des einzelnen Polizisten für seine Arbeit ist die effektive Kriminalitätsbekämpfung. Viele haben auch andere Interessen, die sie über ihren Beruf verfolgen, doch für alle - auch diejenigen, die nicht bei der Kriminalpolizei (Crime Branch) arbeiten - ist der Kampf gegen die Gangster die eigentliche Aufgabe der Polizei. So sind denn auch die, die diesen Kampf erfolgreich geführt haben, die Vorbilder innerhalb des Polizeiapparats; Polizisten rühmen sich der Zahl der (angeblichen) Kriminellen, die sie festgenommen, verbannt oder eben erschossen haben. Die "Encounter-Spezialisten", die auch immer wieder in den Medien gerühmt wurden, sind die Helden des Corps. Vorherrschend ist die Auffassung, man könne den braven Bürger nur noch dadurch schützen, daß man den Kriminellen erschießt, denn die Justiz sei nicht fähig, diese Gefährdung des Gemeinwohls zu unterbinden und Kriminelle effizient hinter Schloß und Riegel zu bringen; zu viele rechtsstaatliche Verordnungen, aber auch die Korruption innerhalb des Justizapparats ständen der zügigen Verurteilung von Kriminellen im Wege. Und so hätten diese freies Spiel.
In Indien ziehen sich sowohl strafrechtliche wie auch zivilrechtliche Verfahren meistens jahrzehntelang hin. Dies bedeutete der Polizei zufolge, daß die Freilassung auf Kaution es den Angeklagten ermöglicht, Zeugen einzuschüchtern und Beweismaterial zu beseitigen. Viele Zeugen ziehen ihre Aussagen zurück, verweigern von vornherein jede Aussage oder verschwinden im Laufe der langen Verfahren. Diese müssen wegen mangelnder Beweise eingestellt werden. Die Verurteilungsrate liegt so in strafrechtlichen Fällen bei lediglich 4%. Insbesondere diejenigen, die über gute ökonomische Netzwerke verfügten, können Gelder für Kautionen aufbringen und in Freiheit den Verlauf des Prozesses beeinflussen. Sie gehen oft straffrei aus, während die kleinen Fische unterdessen jahrzehntelang in Untersuchungshaft sitzen.
Die berüchtigte Ineffizienz der Justiz hat immer wieder verschiedene Diskurse über die Legitimität alternativer Formen der Kriminalitätskontrolle hervorgebracht. Es sind weniger Formen der Selbstjustiz, die hier an Legitimität gewinnen, als vielmehr alternative Institutionen, die parallel zur staatlichen Justiz arbeiten; aber eben auch die extra-juridische Rolle der Polizei. Die polizeiliche Rechtfertigung der Encounters durch den Verweis auf die "ineffiziente Justiz" bestätigte freilich das offene Geheimnis, daß es sich bei den Encounters nicht um Schußwechsel in Selbstverteidigung, sondern um außer-juridische Hinrichtungen handelte. Polizisten meinen, 99% der Encounter killings seien "gefälschte Encounters", bei denen es keinen Schußwechsel und auch keine Not der Selbstverteidigung gebe, sie seien also letztlich "extra-judicial killings".3 Doch als solche gewannen Encounters in der Öffentlichkeit an Legitimität; sie wurden als legitimes Mittel der Kriminalitätsbekämpfung betrachtet, und Mitte der 90er Jahre erlebten sie einen Boom in der Stadt. Polizeipräsident Mendonca wollte die Encounter-Methode damals zur offiziellen Politik der Kriminalitätsbekämpfung machen. Die Bandenkriege hatten in der Stadt im Zuge der Wirtschaftsliberalisierung (die den Schmuggel vieler Güter weitgehend irrelevant machte) zugenommen, und die Justiz schien unfähig, die Aktivitäten der organisierten Kriminalität zu unterbinden.
Der Schutz der Gesellschaft, der Nation vor den Gefahren der Kriminalität schien extra-legale Mittel auch von staatlicher Seite zu legitimieren. Da die staatlichen Institutionen, die formal mit dem Schutz von Recht und Sicherheit betraut waren, zu versagen schienen, mußten andere diese Verantwortung übernehmen bzw. ihre Rolle in dem Maße ausdehnen, wie es zum Schutz der Ordnung notwendig schien, die nun genau durch diesen Kompetenzwandel ausgesetzt wurde. Der Sicherheitsdiskurs war ein vigilanter Diskurs (Waldmann 1998: 93), der versprach, die rechtsstaatliche Ordnung mit Mitteln zu verteidigen, die gegen diese Ordnung verstießen.
Seit aber 1997 ein Erdnußverkäufer fälschlich als gefährliches Mitglied der organisierten Kriminalität in einem Encounter umkam, und seit dazu in diesem Fall noch öffentlich wurde, daß der Erdnußverkäufer unbewaffnet war, von der Polizei entführt und dann erschossen wurde, verloren die Encounters als Methode der Kriminalitätsbekämpfung an Legitimität. Doch im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit sind sie heute wieder von besonderer Bedeutung, wie auch die Begründung des Bundesamtes für Kriminalstatistik zeigt, die höheren Zahlen von Encounter-Toten wären auf eine "wachsende Gewalt von Terroristen, Aufständischen und Banditen" zurückzuführen (Crime in India 2000: 317). Das Bedrohungsszenario hat sich gewandelt.

Rache
Als die Bomben in Bombay explodierten, war im öffentlichen Diskurs klar, daß dies das Werk von Muslimen sein müsse. Zwar kennt man in Indien auch Terrorismus anderer Provenienz, doch der ist fern von Bombay, und er gehört in eine andere Zeit. Zudem sind die 12 Bombenanschläge, die in kurzer Folge am 13. März 1993 Bombay erschütterten und 257 Menschen töteten, noch in Erinnerung, wenngleich die Stadt stolz darauf ist, die Spuren der Zerstörung innerhalb kürzester Zeit gelöscht zu haben. Auch die Bomben von 1993 wurden Muslimen zugeschrieben. Es waren allerdings in Bombay weniger die heute weit verbreitete Vorstellung, Terrorismus sei islamisch oder der Islam sei terroristisch (die auch, oder gerade in Indien viele Anhänger hat), noch die verschwörungstheoretischen Vorstellungen von den infrastrukturellen Möglichkeiten der muslimischen Organisationen, die die Vermutung nahelegten, in jedem dieser Fälle seien Muslime die Verantwortlichen. Vielmehr war es das unterstellte Motiv, das die Vermutung so plausibel machte: Es war konkret die Rache, und zwar ihre Rache für die Pogrome, die die indischen Muslime 1992/93 zu erleiden hatten, und ihre Rache für die Pogrome, die sie 2002 in Gujarat erlitten.
Im Winter 1992/93 war Bombay von schweren Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen erschüttert worden.4 Die Unruhen begannen am Abend des 6. Dezember, nachdem in ganz Indien die Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya bekannt geworden war. Die Geschichte der Babri-Moschee - die nach jahrelanger Agitation von Seiten hindu-nationalistischer Gruppen, insbesondere der VHP, nach fehlgeschlagenen Versuchen, den Konflikt auf juristische oder politische Weise zu regeln, mit Hämmern, Brecheisen und bloßen Händen zerstört wurde - soll hier nicht thematisiert werden. Doch es war in Reaktion auf die Nachricht der Zerstörung, daß in Bombay wie in vielen anderen Städten Indiens am 6. und 7. Dezember Unruhen ausbrachen. Anfangs wechselten sich Angriffe muslimischer Gruppen auf öffentliche Einrichtungen, Busse, Polizeiposten und einige Tempel mit Angriffen hindu-nationalistischer Gruppierungen auf muslimische Wohnviertel und Lagerhäuser, auf Moscheen und muslimische Slums ab. Als in der Nacht zum 8. Januar eine Hindu-Familie in ihrem Haus eingeschlossen und verbrannt wurde, brach die gewalttätigste Phase der Unruhen an: sie verwandelten sich in ein regelrechtes Pogrom, bei dem gezielt Muslime und muslimisches Eigentum angegriffen und vernichtet wurden.5 Die Polizei schritt kaum ein. Im Gegenteil: viele Opfer bezeugten die Beteiligung von Polizisten an den Angriffen.6 Wahrscheinlich starben bis zu 2.000 Menschen in diesen Ausschreitungen, die meisten von ihnen - 70% nach offiziellen Schätzungen - waren Muslime.
Die zwölf Bomben, die im März 1993 an verschiedenen Plätzen in Bombay explodierten, wurden von Hindus und Muslimen gleichermaßen als Akt der Rache für diese ungesühnten Toten interpretiert. Sie gelten als das Werk der muslimischen Mafia-Bosse der Stadt, die sich mit diesem Akt als Schutzpatrone ihrer Glaubensgenossen etablieren, bzw. sich deren Unterstützung für ihre eher ökonomischen Aktivitäten sichern wollten. Sie schützten mit der den Bomben inhärenten Drohung die Muslime vor weiteren Ausschreitungen und gaben ihnen - in ihren eigenen Augen - ihre Würde zurück, weil die Gewalt der Bomben das Kräftegleichgewicht wiederherstellte, das in den Pogromen so augenscheinlich zerstört worden war.
Im Frühjahr 2002 wurden im indischen Bundesstaat Gujarat 2.000 Menschen in kommunalistischen Ausschreitungen ermordet. Fast alle, die hier starben, waren Muslime, und die Zahl der Toten liegt wahrscheinlich viel höher, als die offiziellen Schätzungen es zugeben. "Genozid im Lande Gandhis" war der Titel eines Berichts, der von den gezielten Angriffen auf Angehörige der religiösen Minderheit, von den planmäßigen Brandanschlägen auf muslimische Wohnviertel, auf die Läden und Restaurants der Muslime, und von der systematischen Zerstörung von Moscheen und heiligen Schreinen berichtete. In ihm wird ein Polizeioffizier zitiert, der meinte "dieses Mal sei der Massenmord an Muslimen das Ziel gewesen".7 Augenzeugenberichte8 und Aussagen der Betroffenen erzählen davon, wie die Häuser, in die sich die Menschen vor den Angreifern geflüchtet hatten, vernagelt und dann mit Benzin übergossen wurden, so daß alle bei lebendigem Leibe verbrannten; sie berichten, wie die Polizei nicht half, sondern Muslime, Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen den Angreifern auslieferte, ja zuführte. Berichte von Vergewaltigungen häuften sich.
Diese Pogrome plausibilisierten in der öffentlichen Diskussion das Rachemotiv, das die drei Muslime, die im Encounter starben, schuldig sprach. Denn wenn auch viele die Pogrome von 1992/93 und von 2002 selbst wiederum als gerechtfertigte Rache, als Gegenwehr der Hindus betrachteten, war doch anscheinend allen klar, daß die Beteiligten und die, die die Pogrome organisiert hatten, völlig straffrei ausgegangen waren - jedesmal. Daß dies den Bombenlegern als Motiv gedient hätte, machte zweifelsfrei klar, wer warum die Bomben gelegt hatte.

Strafen
Die strafrechtliche Verarbeitung der Pogrome - oder, wie sie in Indien noch immer genannt werden: der "riots", der Ausschreitungen also - lief 1993 und 2002 relativ parallel: Diejenigen Muslime, die man Straftaten verdächtigte, wurden unter der jeweils aktuellen Anti-Terrorismus-Gesetzgebung (1993 TADA und 2002 POTA) festgenommen, und die Hindus, die nachweislich an der Organisation und Ausführung der Pogrome beteiligt waren, gingen weitgehend straffrei aus. Dies geschah insbesondere dadurch, daß die Pogrome als Problem der öffentlichen Ordnung, die Anschläge der Muslime aber als strafrechtliche Angelegenheiten eingeordnet wurden.
Probleme der öffentlichen Ordnung, insbesondere Gruppenkonflikte, werden von Regierungsseite letztlich als Problem von Emotionen wie Haß, von Irrationalität und als Phänomene der Massenpsychologie verstanden. Verschiedene akademische Studien kommunalistischer Gewalt in Indien haben sich auf diese Aspekte der Emotionalität (Das 1990: 6) und die psycho-emotive Qualität kollektiven Handelns (Kakar 1996) konzentriert.9 Similes von vulkanischen Erruptionen begleiten daher oft die Analyse kollektiver Gewalt (z.B. Srikrishna Report 1998: 4). So werden diese letztlich "irrationalen Ausbrüche", die nur bedingt individueller Verantwortung zugeschrieben werden können, vielfach richterlichen Untersuchungskommissionen zugewiesen, deren vorrangige Aufgabe es ist, Hergang und staatliche Kontrollprobleme zu erfassen. Sie werden geleitet von - häufig paternalistischen - Annahmen über "die Volkswut" letztlich nicht rechtsfähiger Subjekte.
Die Ergebnisse solcher richterlicher Untersuchungskommissionen sind nicht justiziabel und die von ihnen gesammelten Beweise nicht als Beweise in einem strafrechtlichen Verfahren zulässig. Richterliche Untersuchungskommissionen können nur Empfehlungen aussprechen, die gegebenenfalls von den jeweiligen Regierungen umgesetzt werden müssen. Die richterliche Unabhängigkeit blieb in Indien tatsächlich so weit erhalten, daß solche Untersuchungskommissionen vielfach auf die Verantwortung regionaler Regierungen verweisen. Diese haben meist nur geringes Interesse, die Empfehlungen der Kommissionen umzusetzen, besonders wenn sie die Einrichtung strafrechtlicher Verfahren gegen einzelne Regierungsmitglieder oder Parteifreunde betreffen.10 Und so sind die Berichte richterlicher Kommissionen - wie z.B. der Bericht der Srikrishna-Kommission, welche die Ausschreitungen in Bombay untersuchte - Zeugnisse einer unabhängigen, säkular und rechtsstaatlich orientierten Richterschaft, die als "Fassade" (Hansen 2000) einen inzwischen schon anders gearteten Staat schmücken, bzw. die verschiedenen Auflösungsprozesse der Rechtsstaatlichkeit zu bekämpfen suchen, sie damit aber auch verdecken.
Gleichzeitig liefern die richterlichen Untersuchungskommissionen das Argument, Privatklagen gegen einzelne Täter abzuweisen. Vielfach sind aber private Einzelklagen auch deswegen ausgeblieben, weil die Polizei, die zumeist aktiv an den Ausschreitungen beteiligt war, die bei Plünderungen, Vergewaltigungen und Brandanschlägen mitwirkte, sich auch nach den Ausschreitungen oft weigerte, Klagen gegen Hindus zu registrieren, oder Einzelklagen zu Sammelklagen umwandelte, so daß die Namen Einzelner gelöscht wurden.
Polizei ist in Indien Ländersache; der jeweilige Innenminister entscheidet über Gedeih und Verderb einer jeglichen Polizei-Karriere. Er entscheidet über Beförderungen, über Postenvergabe und andere Karrierechancen. Zwei besondere Mittel der politischen Einflußnahme auf die Polizeiarbeit sind Bonusversetzungen und Strafversetzungen. Die beiden Motive der Versetzungspolitik sind monetäre Einkommen und Immunität (die u.U. wiederum monetären Einkommen zukommt). Arbeiten Polizisten im Sinne ihrer politischen Patrone, können sie sich lukrativer Posten sicher sein. Widersetzen sie sich solchen Instrumentalisierungen, folgen Strafversetzungen. Sie gelten denjenigen Polizisten, welche die diversen politischen oder wirtschaftlichen Aktivitäten einflußreicher Netzwerke durch ihre Arbeit stören, die Korruptionsketten aufdecken, oder die rivalisierenden Netzwerken angehören.
Auf Grund der Versetzungs- und Beförderungspolitik wird die Autonomie der Polizei praktisch eingeschränkt; sie wird zum Instrument spezifischer - monetärer oder politischer - Interessen entscheidender Politiker. "Alle streben danach, die Polizei unter ihre eigene Kontrolle zu bringen, um sicherzustellen, daß diese zum eigenen Nutzen und nicht zum Nutzen anderer agiert." (Brass 1997: 274)
Pogrome sind immer wieder drastischstes und fürchterlichstes Beispiel der politischen Einflußnahme auf polizeiliche Arbeit, und eben auch auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. "Keine Ausschreitung kann länger als 24 Stunden dauern, wenn der Staat es nicht will", insistiert Police Inspector Vibhuti N. Rai.11 Die implizite oder offene Unterstützung durch die Regierung ist ausschlaggebend für den Verlauf solcher Ausschreitungen (Engineer 1996: 130). In Gujarat wurden 2002 innerhalb kürzester Zeit diejenigen Polizeibeamten strafversetzt, die gegen die Pogrome vorgingen. Sie wurden an Orte versetzt, an denen sie die Pogrome nicht störten, und die für sie und ihre Familien, z.B. auf Grund mangelnder Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder, eine persönliche Strafe bedeuteten.
Ob solche Formen politischer Einflußnahme die unterschiedliche Praxis der Polizei gegenüber hindu-nationalistischen oder gegenüber muslimischen, niedrig-kastigen oder linksradikalen Gruppen allein erklären kann, ist zu bezweifeln. Viele Polizisten sind vielfach von den gleichen kommunalistischen Vorurteilen geprägt wie ihre Mitbürger. Gerade anti-muslimische Haltungen sind weit verbreitet. Doch die Systematik der Entrechtung hängt mit ihrer strukturellen Verankerung über das Zusammenwirken verschiedener administrativer Verfahren und politischer Kompetenzen zusammen, die als einzelne u.U. völlig anderen Belangen gelten.
Während also die Strafverfolgung derjenigen, die maßgeblich an den Pogromen beteiligt waren, durch das Zusammenwirken verschiedener Verfahren und Praktiken weitgehend unterbunden wurde, hat man Taten, die Muslimen vorgeworfen wurden, strafrechtlich untersucht, und die meisten der Verdächtigen saßen dabei unter den oben genannten Anti-Terrorismus-Gesetzen TADA (Terrorist and Disruptive Activities Act) und POTA (Prevention of Terrorist Activities Act) in Untersuchungshaft.
POTA wurde gegen den starken Widerstand der Kongreßpartei und anderer Oppositionsparteien 2002 in einer Gemeinschaftssitzung von Oberhaus und Unterhaus verabschiedet. Es ersetzt TADA, welches auf Grund einiger weitreichender rechtsstaatlicher Probleme nicht verlängert worden war; TADA war offensichtlich politisch mißbraucht worden und hatte zudem zwar viele Unschuldige lange in Gefängnissen festgehalten, jedoch wenig zur Verhinderung oder Bekämpfung terroristischer Aktivitäten beigetragen. Von POTA hieß es, es sei vor Mißbrauch sicher.
Länger als ein Jahr sitzen 123 Muslime, die mit dem Brand im Zug in Godhra in Verbindung gebracht werden, unter POTA im Gefängnis.12 Erst im März dieses Jahres wurden weitere Muslime aus Godhra unter Terrorismusverdacht festgenommen. Hier sind weniger die drakonischen Befugnisse von Belang, die das Gesetz der Polizei zuspricht, als die Tatsache, daß Taten von Muslimen regelmäßig als "terroristisch" eingestuft wurden und somit unter das Anti-Terrorismus-Gesetz POTA fielen. Viele Straftatbestände unterschieden sich in keiner Weise von denen, die Hindus während der Pogrome vorgeworfen wurden, wie Waffenbesitz, Planung von Gewaltaktionen etc. Muslimische Straftaten fielen und fallen jedoch fast automatisch unter das Anti-Terrorismus-Gesetz, weil sie, auch wenn sie sich nicht im eigentlichen Sinne gegen den Staat oder die staatliche Ordnung richten, und diese auch meist in weit geringerem Maße verletzen als die Pogrome, sondern gegen Hindus oder gegen die hindu-nationalistischen (letztlich noch immer privat-rechtlichen) Organisationen gerichtet sind, als grundlegend anti-national eingestuft werden. Während Kommunalismus auf Minderheiten-Seite immer wieder als Zeichen nationaler Illoyalität gesehen wird, erscheint der Kommunalismus der Mehrheit leicht als "national", bemerkte schon Nehru.13 Auf die Frage, warum das Anti-Terrorismus-Gesetz nicht auch gegen die Hindus angewendet würde, die an den Ausschreitungen nachweislich beteiligt gewesen wären, meinte Innenminister Advani 2002, das Anti-Terrorismus-Gesetz gelte anti-nationalen Straftaten, und die hindu-nationalistisch gesinnten Täter seien ja eindeutig nicht anti-national.14

Bedrohungen
72 Stunden, drei Tage, hatte der Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, der "verständlichen Wut" der Hindus Zeit gelassen, um sich auszutoben, der angeblich natürlichen und zwangsläufigen "Reaktion auf die Aktion": Die Ausschreitungen gegen die Muslime in Gujarat galten als "Reaktion" auf den Brand in einem Zug, bei dem 57 "Freiwillige" (kar sevaks) der hindu-nationalistischen Organisation VHP (Vishwa Hindu Parishad - Welt-Hindu-Rat) umkamen. Der Zug der Freiwilligen kam aus Ayodhya, der Stadt, in der 1992 die Babri-Moschee zerstört worden war und wo nach dem Willen der VHP ein Tempel für den Gott Ram gebaut werden soll. Der Brand im Zug gilt noch immer als Beginn (und manchen als Rechtfertigung) einer Welle der Gewalt, die den letzten Höhepunkt in einem seit Jahren an Brutalität zunehmenden Konflikt bildet.
Sowohl in Bombay 1992/93 als auch in Gujarat werden die Pogrome selbst als Akt der Rache bezeichnet. Pogrome sind in den Diskursen derjenigen, die sie maßgeblich organisieren, Rache an konkreten Ereignissen: am Brand im Zug von Godhra, am Tod der Hindu-Familie in Bombay. Sie sind in diesem Diskurs darüber hinaus aber auch Rache für die "Tausende von täglichen Angriffen, denen wir Hindus seit Hunderten von Jahren ausgesetzt sind".15 Nun sei es an der Zeit, zurückzuschlagen, meinten viele.
Der hindu-nationalistische Diskurs behauptet, nicht nur der islamische Terrorismus, sondern der Islam als solcher, und die Muslime Indiens bedrohten heute Hindusthan. Allein ihre Präsenz wird über die kollektivierte Eroberungs-"Erinnerung" zum permanenten Angriff. Der Aufruf an die Hindus, sich zu verteidigen, verweist auf die letztlich orientalistische Idee der inhärenten Spiritualität, Passivität und Toleranz des Hinduismus - und somit aller Hindus. Die inhärente Toleranz der Hindus wird zu ihrer Schwäche, die überwunden werden muß, denn ihrethalben seien die Hindus unfähig, sich selbst und ihre Kultur gegen die zu verteidigen, die angeblich so ganz anders sind: eben die Muslime, deren Religion aggressiv, hegemonial und intolerant sei.
So wird der Ruf zur Vergeltung der Sangh Parivar oft als Versuch gesehen, eine Hindu-Identität zu konstruieren, die sich von orientalischen Visionen der Passivität und Spiritualität des Ostens abwendet (Hansen 1996).16 Freilich reproduziert der Ruf zur Gewalt diese orientalischen Bilder gleichzeitig, denn er rechtfertigt die Gewalt mit dem Verweis genau auf die angebliche essentielle Toleranz.
Der Defensivdiskurs ist die rhetorische Figur par excellence, um die kognitive Dissonanz zwischen Toleranz und Aggressivität aufzulösen, die der Rechtfertigung von Gewalt als Rache anhaftet. Schließlich kann man prinzipiell gewaltlos sein, auch wenn man auf das Recht zur Notwehr nicht verzichten will. Hier wird die Notwehr quasi kollektiviert und generalisiert: (fast) jeder Muslim kann zum Sinnbild der Bedrohung werden, und so kann der Angriff auch auf einzelne, wehrlose Muslime über die Notwehr gerechtfertigt werden. Jede Form des Alltagslebens der Muslime wird zum Symptom der Gefahr: die Geburt eines Kindes bedeutet "Übervölkerung"; ein muslimischer Bettler bestätigt, daß am wirtschaftlichen Ruin Indiens die "Rückständigkeit" des Islam schuld sei; ihr Rückzug aus den öffentlichen Institutionen belegt ihre angebliche patriotische "Illoyalität"; die Wahlbeteiligung der Muslime erregt den Verdacht, sie wollten den indischen Staat "erobern".
Vor allem diese Konstruktion, die Muslime Indiens hätten den indischen Staat "erobert" - die indischen Regierungen unter der Kongreßpartei würden die Minderheiten verwöhnen (pampering minorities); sie würden ihnen Sonderrechte einräumen, weil die Muslime als Wahlvolk nützlich seien - beflügelt den Verteidigungsdiskurs: die Rechte der Hindus würden vernachlässigt, geradezu verraten und verkauft; die politischen Parteien und die gegenwärtige säkulare Ordnung seinen "Verräter" an den Hindus, den rechtmäßigen Eigentümern Bharats.
Dem Bedrohungsdiskurs entsprechen auf der anderen Seite majoritäre - religiös-kulturell legitimierten - Besitzansprüche auf das Land. Die Bedrohung liegt demnach in der säkularen Ordnung, die die Identifikation von Land und Religion verneint. Die hindu-nationalistischen Organisationen als Verfechter der gerechten Ordnung, als die einzigen Repräsentanten der rechtmäßigen Ansprüche der Hindus und als ihr einziger Schutz - sie führen den eigentlichen "Vigilanz"-Diskurs, der behauptet, die Ineffizienz der politischen und juridischen Instrumente des säkularen und demokratischen Staates würde die Selbstjustiz rechtfertigen: "Das Recht auf Selbstverteidigung ist jedem Bürger durch die Verfassung verliehen ... Die Nation ist in Gefahr. Die Verräter haben sich eingefressen in die Lebensadern dieses Landes."17 Sie stellen sich als "Gesinnungstäter" dar, als Retter der gerechten Ordnung und der Gemeinschaft, und behaupten, die Ordnung der Gesellschaft zu verteidigen, indem sie ihre Gesetze brächen, denn: "Fie upon the law that does not protect us"18; "This law canÂ’t give justice to the people"19.
In diesem Zusammenhang gewinnen die Encounters, die der spezifischen Bedrohung des Terrorismus gelten, wieder an Legitimität. Doch alle Encounters gelten heute direkt oder indirekt der terroristischen Bedrohung: da der Terrorismus immer auch der Finanzen bedarf und diese letztlich in der organisierten Kriminalität vermutet werden, wird jedes Encounter zum legitimen Mittel im "Krieg gegen den Terrorismus". Die Entdifferenzierung der Bedrohungsszenarien im Krieg gegen den Terrorismus läßt Sicherheitsdiskurs und Nationsdiskurs verschmelzen.

Schlußfolgerungen: Staatsgewalt, Rache und Nation
In diesem Szenario wird zuerst die eskalative Dynamik des Rachediskurses deutlich: die Motivkonstruktion unterstellt den Bomben ein Rachemotiv. Die Rache gilt darin den Pogromen, die gleichzeitig selbst als Akt der Rache gerechtfertigt werden. Die Befürchtung der Polizei, aber auch vieler Muslime ging nun dahin, daß die Bomben einen weiteren Akt der Rache auf Seiten der Hindus provozieren würden - und viele mutmaßten, dies sei das eigentliche Motiv der Bombenleger gewesen, "die wahren Täter seien vielleicht gar nicht Muslime gewesen".
Der Rachediskurs, dem diese eskalative Logik eigen ist, verweist aber auch auf die Frage, die darin eigentlich verhandelt wird: nämlich die Frage nach Zugehörigkeit und Ausschluß, die Frage nach der Nation, die sich da zu schützen habe. Das Rachemotiv, das den Bomben unterstellt wird, ist nicht wie in anderen terroristischen Zusammenhängen ein separatistisches oder in anderer Form oppositionelles Motiv, sondern wird als Rache am Ausschluß und an der Entrechtung verstanden. Die Interpretation der Bomben als Rache an den ungesühnten Pogromen verweist ja eigentlich auf die Forderung nach einer strafrechtlichen Verfolgung, d.h. auf die Rolle des Staates als neutraler "Dritter", als Richter. Dieses Rachemotiv steht mit seinem Staatsbild also im spiegelbildlichen Gegensatz zu dem Staatsbild, welches das andere Rachemotiv vertritt: Die Pogrome als Rache der Hindu-Nation am Betrug der säkularen republikanischen Staatsordnung, als Forderung nach dem Hindu-Staat.
Doch die Möglichkeit des Staates als Richter verschwindet in der Austragung des Konflikts. Über die Sicherheitspolitik wird der Staat zu einem Teil des Rache-Systems. Der säkulare Republikanismus wird nicht mit Fanfaren abgesetzt und durch das neue Motiv der Hindu-Nation ersetzt, sondern er löst sich in kleinen und größeren Schritten auf. Wo Bedrohungen der inneren Sicherheit und der nationalen Ordnung nur auf der einen Seite verortet werden, und dies in den Formulierungen und Kategorisierungen, die z.B. dem Anti-Terrorismus-Gesetz zugrunde liegen, festgeschrieben wird, beginnt auch die Praxis der vigilanten Logik zu folgen. Die vigilante Logik der Staatsgewalt und die Selbstjustiz der Hindu-Nation berufen sich auf die gleichen Argumente: Wo die Nation von den ineffizienten politischen und judikativen Institutionen des säkularen Rechtsstaats nicht mehr geschützt werden kann, sind extra-legale Mittel legitim. Die Sicherheitspolitik des Staates fällt zusammen mit dem verallgemeinerten Notwehr-Begriff des Hindu-Nationalismus.

Anmerkungen
1 Interviews mit hochrangigen pensionierten Polizeioffizieren im März 2003. Diese verlangten Anonymität.
2 Freilich sind viele separatistische Terrorismusmotive ebenfalls aus Ungerechtigkeitsvorstellungen geboren worden.
3 Interviews mit Polizisten unterschiedlicher Ränge im Februar und März 2003.
4 Detaillierte Berichte über die riots in: Padgaonkar 1993; Daud/Suresh 1993; Ekta Samiti 1993; CPDR 1993. Die Berichte stimmen in der Darstellung der riots, in den Zahlen der Opfer und den darüber hinausgehenden Schätzungen weitgehend überein.
5 Über Wählerlisten waren die Wohnungen und Häuser von Muslimen und anderes muslimisches Eigentum gekennzeichnet worden.
6 Aufnahmen des Polizeifunks bestätigen, daß die Polizei teilweise die Losung ausgab, die Angriffe nicht zu unterbinden, oder sich gar daran beteiligte. Beschimpfungen von Muslimen widerspiegeln in der polizei-internen Kommunikation Vorurteile und Feindbilder.
7 Anjali Modi: Genocide in the land of Gandhi, The Hindu, 10.3.2002.
8 Viele Augenzeugenberichte und Untersuchungsreports sind zugänglich über www.mnet.fr/aiindex; siehe auch die Dokumente in Dayal 2003.
9 Die Autoren leugnen nicht die nachweisliche Elemente der Planung; siehe Kakar 1996: 51; Das 1990: 27f.
10 Inzwischen hat der Oberste Gerichtshof im Fall der Pogrome von 1992/93 die Regierung Maharashtras, die gegenwärtig in der Hand einer von der Kongreßpartei geführten Koalition ist, dazu aufgefordert, die Empfehlungen der Srikrishna-Kommission umzusetzen und Strafverfahren gegen Polizisten einzuleiten, die sich der Beteiligung an den Ausschreitungen schuldig gemacht hätten. Das Oberste Gericht folgt hier den Empfehlungen der Kommission, und die hatte keine Verfahren gegen die von ihr eindeutig als Organisatoren identifizierten hindu-nationalistischen Organisationen empfohlen, die letztlich die Polizei befehligten.
11 In einem Interview in: Combat Communalism 2 (1995), 6.
12 In Gujarat, only Godhra Cases are fit enough for POTA, The Indian Express, 3.4.2003, 3.
13 Nehru auf einer Rede zum All India Congress Committee am 11.5.1958; hier zitiert aus Noorani 1991.
14 Die Straffreiheit ist freilich nicht allein auf die Terrorismus-Definition zurückzuführen. Denn es gäbe zahlreiche andere Gesetze, nach denen die Verantwortlichen für die Pogrome angeklagt werden könnten. Wie gesagt fügen sich hier verschiedene Momente zusammen: die Weigerung der Polizei, Klagen gegen Hindus zu registrieren; die Zerstörung von Beweismaterial; die Auslagerung der Untersuchung in richterliche Untersuchungskommissionen; mangelnde Durchsetzung tatsächlicher Verurteilungen.
15 Interview mit einem jungen Mann in Ahmedabad, Gujarat, im April 2002.
16 Auch Gandhi und sein Prinzip der Gewaltfreiheit verkörpern für viele - und freilich besonders für Hindu-Nationalisten - Schwäche. Nicht ohne Grund war der Mörder Gandhis ein langjähriges Mitglied der Hindunationalistischen Zentralorganisation RSS (Rashtriya Swayam Sevak Sangh - Nationale Freiwilligen-Vereinigung). Die RSS vertrat immer ein Hinduismus-Bild, das mit "Wehrhaftigkeit" und disziplinierter Gewalt vereinbar war.
17 Saamna, 9.1.1993. Saamna ist das Sprachrohr der Shivsena Partei, einer der militantesten Verfechter hindu-nationalistischer Positionen.
18 Saamna, 9.1.1993.
19 Bal Thackeray, zit. in Purandare 1999: 56. Thackeray ist Gründer und Führer der Shivsena ohne formales politisches Amt.

Literatur
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Dr. Julia Eckert, Ethnologin, Max-Planck-Institut Halle

aus: Berliner Debatte INITIAL 14 (2003) 3 S. 28-36