Unter deutschen Linken kursieren nach dem 11.9. kontroverse Analysen zur Frage von Krieg und Frieden.
Jenseits des bellizistischen mainstreams der Grünen scheint die Ablehnung des Afghanistan - Krieges im herrschaftskritischen Diskurs zu überwiegen.
Stellvertretend seien dafür die GlobalisierungsgegnerInnen und als deren Ausdruck die Essays von Arundhati Roy genannt, die ein brillantes Pamphlet gegen die Arroganz des us - amerikanischen Imperialismus formulieren. http://www.magicvillage.de/magicvillage/KonferenzPlaza/fbs/Special/%2343382866
Damit beginnt dann auch gleich die Verwirrung, denn diese antikapitalistischen Angriffe wurden skurrilerweise in der FAZ zuerst auf deutsch veröffentlicht. Klarer werden die Dinge, wenn wir versuchen, den kleinsten gemeinsamen Nenner von FAZ, Roy und deutscher Linke auszutüfteln und dabei auf den Antiamerikanismus stoßen. An diesem Punkt wiederum treten KritikerInnen auf den Plan, die die reaktionären Traditionen antiamerikanischer Politiken in Deutschland anführen sowie deren häufige Liaison mit dem Antisemitismus. Stellvertretend sei hier Günther Jacobs Abrechnung mit dem hartnäckigen Fortbestand eines "Antiimperialismus der dummen Kerls" genannt http://www.trend.partisan.net/trd1101/t051101.html.
Die bizarr zugespitzte Variante solcher Kritik in Form eines Aufrufs zum antifaschistischen Krieg á la Bahamas soll hier genauso links liegen gelassen werden, wie der regierungsamtliche Bellizismus rechts.
Den Versuch einer antimilitaristischen Positionierung und gleichzeitiger Vermeidung antisemitischer Tendenzen macht Ernst Lohoff von der Jungle World http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/48/05a.htm.
Er umgeht die genannten Fallstricke durch die klare Ablehnung jeglicher Parteinahme. Eine solche könne sich nur auf eine emanzipatorische antikapitalistische Bewegung stützen, die im Gegensatz zu den gegenwärtigen Kombattanden stehe.
Da diese im Weltmaßstab eher als marginal zu bezeichnen ist, steht die Wirkungsmacht solcher Positionen allerdings im umgekehrten Verhältnis zur Radikalität.
In der jüngsten Ausgabe der Prokla entwickelt Wolf-Dieter Narr in gewohnt stilsicherer und kenntnisreicher Manier seine Genese globalisierter Gewalt.
http://www.linksnet.de/artikel.cfm?id=510
So lobenswert eine historisch-materialistische Analyse der Wurzeln bürgerlicher Gewaltverhältnisse sein mag, so ratlos lässt sie die Lesenden mit der konkreten Gegenwart zurück.
Sicherlich ist das Diktum "nach dem 11.9. wird nichts mehr wie vorher sein" voreilig formuliert worden, doch nicht minder bizarr gerät die flotte Eintütung der Ereignisse in die Antiismen von links. Besonders suspekt erscheint mir die detaillierte Darlegung der "wahren Interessen" von USA & Helfershelfern im Mittleren Osten durch linksradikale Geografen á la konkret
http://www.konkret-verlage.de/redaktion/artikel/a3.php4?para=1000
oder Materialien für einen neuen Antiimperialismus http://www.materialien.org/texte/antiterrorismus.html.
So unbestritten sein dürfte, dass die regionalen Erdölvorkommen und -pipelines eine geostrategische Bedeutung haben, so wenig beweisbar kommt mir eine Nachrangigkeit der antiterroristischen Motive vor. Auf mich wirken diese geostrategischen Simulationen wie ein Zerrspiegel der herrschenden Politik. Allzu leicht drohen dabei die Koordinaten der US-Regierung lediglich ausgetauscht zu werden, aus gut wird böse und umgekehrt.
Gegenüber geschlossenen Erklärungsmustern favorisiere ich etwa die steinbruchartige Herangehensweise von Frank Deppe, der eher fragend bis thesenartig daherkommt. Gleichermaßen die neuesten Analysen von Toni Negri mit seinem Konzept des Empire http://www.jungle-world.com/_2001/50/sub05a.htm und Mary Kaldor http://www.zeit.de/2001/42/Politik/print_held_westen.html zur privatisierten Kriegführung einbeziehend, formuliert er seine Vorschläge zu breiten Bündnissen gegen neoliberale und für multilaterale Tendenzen eher vorsichtig
http://www.trend.partisan.net/trd1101/t181101.html .
Vor dem Hintergrund der aktuellen Eskalation im Nahen Osten möchte ich darüber hinaus eine pazifistische Position nahelegen, die ungeachtet aller sozialen und nationalen Legitimitätsfragen zu einer Politik des bedingungslosen Bremsens der Konfrontation aufruft. Das Zitat "Aug´um Aug´macht die Menschheit blind" von Mahatma Ghandi stand auf Transparenten zunächst der Friedensbewegung in den USA. Trotz dessen terroristischer Ermordung dürfte nur der Bruch mit unmittelbarer Vergeltung die Chance auf eine Beruhigung der eskalierten Lage wahren.
Auch wenn die Zerschlagung des reaktionären Taliban-Regimes als Teilerfolg der selbstgesteckten Ziele der Allianz gegen den Terror zuzugestehen ist, wird erst die Zukunft Aufschluß über die Nachhaltigkeit dieser primär militärischen Strategie erlauben. Für eine aufgeschlossene Linke empfiehlt sich meines Erachtens Vorsicht bei der Analyse bis sich die Rauchschwaden etwas gelegt haben.