Folter in Abu Ghraib - ein Signal an die islamische Welt
Nachdem die monatelang unterdrückten Berichte und Fotos über Folter in Abu Ghraib an die Öffentlichkeit gelangt sind, überbieten sich die PolitikerInnen des Westens mit Verurteilungen:
"Abscheulich" ist es, was da irakischen Gefangenen angetan wurde (und wird?), die schrecklichen Vorgänge müssen "rückhaltlos aufgeklärt" und die Schuldigen bestraft werden. Während Bush die Gewalttaten schlicht für "unamerikanisch" erklärt, eine formelle Entschuldigung aber verweigert, dürften sich die Führer von Old Europe insgeheim die Hände reiben über den weltweiten und auf Jahrzehnte irreparablen Ansehensverlust des transatlantischen Partners und Konkurrenten.
Dass es sich bei den verharmlosend als "Demütigungen" bezeichneten Quälereien um Folter handelt, verschweigen auch die europäischen Regierungen - nicht allein aus Gründen diplomatischer Zurückhaltung, sondern auch, weil man seit Ausrufung des "War on terror" im Herbst 2001 mit den Folterern zumindest gemeinsame Sache macht: In Afghanistan übergibt das deutsche Kommando Spezialkräfte (KSK) regelmäßig gefangene "Terrorverdächtige" an die US-Truppen, die ihrerseits bei Bedarf das Know-how von "Verhörspezialisten" aus Pakistan, Syrien, Jordanien oder Ägypten in Anspruch nehmen.
Was den Fall Abu Ghraib über die Normalität des antiterroristischen Kreuzzugs hinaus hebt, sind die Bilder, die weltweit verbreitet wurden. Über ihre Wirkung in der arabischen und islamischen Welt sagt der New Yorker Islamwissenschaftler Bernard Haykel:
"Die Leute, die das taten, wussten ganz genau, was für ein enormes Tabu öffentliche Nacktheit in der arabischen Kultur darstellt. Auch zwischen Männern. Dass Frauen dabei waren, hat die Folter nur noch verschärft. (...) Wenn man jemanden zwingt, sich auf diese Weise anderen nackt zu zeigen, bricht man seine Menschenwürde. Buchstäblich." (Interview in Süddeutsche Zeitung, 8.5.2004)
Dass die Folter die Gefangenen auf Verhöre "vorbereiten", d.h. Geständnisse und Denunziationen erzwingen sollte, ist inzwischen unbestritten. Die Einlassung der ausführenden TäterInnen, sie hätten nur Befehle übergeordneter Stellen im militärischen Geheimdienst ausgeführt, ist glaubwürdig - auch wenn sie natürlich deren individuelle Schuld in keiner Weise mindert. In dem monatelang geheim gehaltenen 53-seitigen Bericht von Generalmajor Antonio M. Taguba wird das Lob der Militärgeheimdienstler für die "Vorarbeit" der Folterer zitiert: Letztere hätten einen "guten Job" gemacht; die Gefangenen "brechen wirklich schnell zusammen. Sie beantworten jede Frage. Sie geben gute Informationen." Zitiert werden diese Aussagen in dem inzwischen schon legendären Artikel "Torture at Abu Ghraib", dessen Autor Seymour Hersh schon 1968 das Massaker der US-Armee in dem vietnamesischen Dorf My Lai aufgedeckt hatte. Hersh kommt zu dem Schluss, Tagubas Bericht beweise "kollektives Fehlverhalten und das Versagen der Armeeführung auf höchster Ebene." (www.newyorker.com)
Strittig ist allerdings, ob die systematische Folter noch andere Zwecke hatte. Bernard Haykel bejaht diese Frage - eben weil es die Fotos gibt: "Sie wurden aufgenommen, um neuen Häftlingen Angst einzujagen und sie zum Reden zu bringen. Wer auch immer den Amerikanern gesagt hat, dass sie das tun sollen, muss ein Araber gewesen sein, wahrscheinlich Mitglied eines arabischen Geheimdienstes, der genau wusste, an welchen Schwachstellen der Wille und das Selbstbewusstsein eines Häftlings zu brechen sind."
Aber die Fotos sind nicht nur eine Warnung an die IrakerInnen, was sie im Falle ihrer Gefangennahme erwartet. Sie sind auch ein politisches Signal an die gesamte islamische Welt. Bernard Haykel: "Für Araber und Moslems sind diese Bilder exemplarische Symbole für die gesamte Beziehung zwischen der islamischen und der westlichen Welt. Die Bilder bringen die ganze Dynamik aus Unterwerfung, Erniedrigung und Entmannung auf den Punkt. Al-Qaida spielt mit diesen Motiven schon lange. Sie sagen immer wieder, dass der arabische Mann vom Westen entmannt wurde, dass der Westen Frauen als Soldaten einsetzt, die sich über die Mannesehre der Araber lustig machen. Und jetzt bestätigen die Bilder all das." Die in einigen arabischen Staaten bei mehr als 50 Prozent liegende Analphabetenrate verschärfe die Wirkung noch: "Diese Bilder werden das einzige sein, was viele Menschen über diese Vorfälle erfahren."
Die Frage, ob das alles so geplant war, lässt sich kaum beantworten. Der politischen Führungsspitze in Washington dürfte es lieber sein, es gäbe diese Fotos nicht, mit denen die von ihr geduldete systematische Folter dokumentiert wird - eben weil die "moralische Führungsrolle" der USA (Joschka Fischer) dadurch bleibenden Schaden genommen hat. Andererseits kann die US-Regierung darauf vertrauen, dass die Folterbilder auf Dauer abstumpfen. Zumal es schon andere Bilder gibt und vermehrt geben wird - von "Vergeltungsaktionen", mit denen islamische Gotteskrieger die Schande von Abu Ghraib rächen. Die Anschläge lenken nicht nur von den Verbrechen der Besatzungsmacht ab, sondern liefern auch neue Gründe, den "Krieg gegen den Terror" zu intensivieren. Dass dieser Krieg Jahrzehnte in Anspruch nehmen werde, gehört seit Herbst 2001 zur US-amerikanischen Staatsdoktrin - eine Prophezeiung, die nach den Verbrechen in Abu Ghraib weniger denn je bezweifelt werden kann.
aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 484 / 21.05.2004