Von der Pathologisierung zur Ignoranz

Heterosexismus in der Psychologie

Die Psychologie als Wissenschaft hat sich aktiv an derDiskriminierung von Homosexuellen beteiligt.

Seit den 70er Jahren sind auch in diesem Fachgebiet Veränderungen festzustellen, offen diskriminierende Positionen sind einer zunehmenden Enthaltsamkeit der PsychologInnenschaft beim Thema "lesbische und schwule Lebensweisen" gewichen. Damit vergibt sich die Zunft die Chance, durch die Beachtung und Erforschung von Lesben und Schwulen wertvolle Beiträge zur Entwicklung der Gesellschaft insgesamt zu gewinnen, wie Melanie Caroline Steffens und Michaela Ise feststellen.

Die wissenschaftliche Psychologie ist eine der sozialen Institutionen, die systematisch die Unterdrückung, Diskriminierung und Pathologisierung1) von Lesben und Schwulen vorangetrieben und unterstützt haben. Von Beginn ihrer etwa hundertdreißigjährigen Geschichte an hat die Psychologie auf die Akzeptanz von Lesben und Schwulen in der Gesellschaft Einfluß genommen, und diesen Einfluß behält sie auch heute. Beispielsweise erhielt kürzlich ein angesehener Entwicklungspsychologe von der Bundesregierung den Auftrag, ein Gutachten zu verfassen, wie sich das Aufwachsen mit lesbischen oder schwulen Eltern auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirke. Dazu bediente er sich veröffentlichter Untersuchungen aus aller Welt - vornehmlich aus den USA -, die ihrerseits auf dem Hintergrund bestimmter Einstellungen und Werte der durchführenden WissenschaftlerInnen entstanden sind. Neben solchen Gutachten hat die Psychologie durch ExpertInnenhearings einen direkten Einfluß auf politische Entscheidungen. Darüber hinaus kann der indirekte Einfluß psychologischer Theorien, Untersuchungen und Ergebnisse auf die in der Gesellschaft vorherrschenden Bilder von Schwulen, Lesben und Bisexuellen gar nicht zu hoch eingeschätzt werden.

Es ist mit seltener Eindeutigkeit festzustellen, daß der Einfluß der Psychologie in der Vergangenheit, mindestens bis in die 70er Jahre hinein, ein fast ausschließlich negativer war. Am besten illustrieren läßt sich dies am Beispiel der Psychoanalyse - zur Entlastung aller anderen psychologischen Strömungen, die dadurch meist erst gar nicht in die Schußlinie geraten. Das christliche Dogma "Homosexualität ist eine Sünde" wurde von der Psychoanalyse ersetzt durch eine nicht minder abwertende Pathologisierung: Sigmund Freud, Vater der Psychoanalyse und vielleicht sogar der gesamten Psychologie, genialer Denker und großer Theorieentwickler, konzipierte Homosexualität als eine psychische Krankheit.2) Demnach werden zwar alle Menschen mit der Anlage zur Bisexualität geboren, doch die normale psychosexuelle Entwicklung, die mit der Geburt beginnt und sich in aufeinander aufbauenden Phasen vollzieht, resultiert in erwachsener Heterosexualität. Fehlprozesse bei der Identifikation mit den Eltern während bestimmter Entwicklungsphasen können nach dieser Theorie zu Homosexualität führen. So bewirke die Abwesenheit des Vaters und die Dominanz der Mutter, daß ein Junge den Sprung zur Identifikation mit dem Vater nicht schafft, mit der Mutter identifiziert bleibt und daher schwul wird.

Eine despektierliche, nicht ganz ernst gemeinte Ansicht zu dieser Theorie ist übrigens, daß der Anteil der Schwulen in unserer patriarchalen Gesellschaft abwesender Väter sehr viel höher sein müßte, als selbst nach optimistischsten Schätzungen Schwuler vermutet wird, kann doch fast jeder erwachsene Mann über diese Konstellation in seiner Kindheit berichten.

Freuds Phasenlehre, so wenig Anerkennung sie in der wissenschaftlichen Psychologie findet, ist in einem Ausmaße wie nur wenige andere psychologische Theorien in die Gesellschaft, in das Allgemeinwissen diffundiert, und sie begegnet vielen jungen Lesben und Schwulen noch immer. Wenn Eltern angesichts des Coming-out ihrer Kinder entsetzt reagieren und sich fragen: "Was habe ich nur falsch gemacht?", so resultiert das aus ihrem psychoanalytischen Allgemeinwissen. Wenn Eltern im Gegensatz dazu recht gelassen auf das Coming-out reagieren, in der Überzeugung, daß homosexuelle Gefühle "nur eine Phase" in der Pubertät auf dem Weg zu erwachsener Heterosexualität seien, so zeichnet ebenfalls die Psychoanalyse verantwortlich.

Alte und neue Fragen

Die Psychologie versteht sich heute als empirische Wissenschaft, das heißt, Theorien werden anhand von Daten zu überprüfen versucht. Für das psychoanalytische Gedankengebäude finden sich nur sehr wenige empirische Belege. Die erste, die die Pathologisierung Homosexueller in der Psychoanalyse einer sorgfältigen empirischen Prüfung unterzog, war die (wohl heterosexuelle) Amerikanerin Evelyn Hooker.3) Ihr Vorgehen basierte auf folgender Überlegung: Wenn Schwule an ungelösten frühkindlichen Konflikten leiden und heterosexuelle Männer nicht, sollten PsychoanalytikerInnen diese Gruppen auf Basis der Ergebnisse eines psychoanalytischen Tests unterscheiden können. Sie wählte den Rorschach-Test:4) Man zeigt einer Person zehn bestimmte Tintenkleckse und bittet sie, alles zu nennen, was sie in diesen Klecksen sehen kann - in der Hoffnung, daß sich unbewußte Motive, Konflikte, Wünsche und Gedanken durch diese Projektionsfläche einen Weg ans Licht bahnen werden. Erfahrene PsychoanalytikerInnen interpretieren die Ergebnisse in bezug auf solche unbewußten Tendenzen und diagnostizieren Fehlentwicklungen und Persönlichkeitsstörungen. Übereinstimmendes Ergebnis von Hookers zahlreichen Untersuchungen war, daß erfahrene PsychoanalytikerInnen auf der Basis der Testergebnisse nicht zwischen schwulen und heterosexuellen Männern unterscheiden konnten.

Auch andere Untersuchungen lieferten keine Belege für die diskriminierenden psychoanalytischen Konzepte. Dennoch gibt es immer noch - auch heute! - Diskriminierung von Lesben und Schwulen in der Psychoanalyse. In einer Umfrage von Rauchfleisch bei verschiedenen tiefenpsychologischen Ausbildungsinstituten (Psychoanalyse, Jung, Adler und Szondi-Institute) im deutschsprachigen Raum geben nur 6 der 35 antwortenden Einrichtungen an, lesbische Kandidatinnen und schwule Kandidaten zur Ausbildung zuzulassen. Ein Institut erklärte offen seine Ablehnung, die anderen signalisierten ihre ablehnende Tendenz durch ein "ja, aber...".5) Größtenteils gibt es weder offen diskriminierende noch offen egalitäre Richtlinien dieser Institute. Die Praxis ist jedoch diskriminierend, wenn potentielle AusbildungskandidatInnen offen schwul oder lesbisch auftreten. Vielen gelingt jedoch problemlos der Weg durch die Ausbildung, wenn sie ihre sexuelle Orientierung zunächst verheimlichen. Und dies, obwohl die "reine Lehre" es verbietet, Schwule oder Lesben als reife, erwachsene Persönlichkeiten aus der Analyse zu entlassen: Schwule oder Lesben können per definitionem in diesem Theoriesystem keine reifen Persönlichkeiten sein, weil Heterosexualität ein bestimmendes Merkmal der erwachsenen Persönlichkeit ist. Daß eine mehrjährige Psychoanalyse aus Homosexuellen Heterosexuelle macht, glauben jedoch auch die AnalytikerInnen selbst nicht mehr: "Â… wir, d. h. wir Psychoanalytiker und alle anderen, seien sie nun Fachleute oder sonst etwas, verstehen Homosexualität nicht".6)

Trotz der dominanten Rolle der Psychoanalyse sei nicht verschwiegen, daß auch modernere Ansätze in der Psychologie dazu beigetragen haben, Vorurteile gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen wissenschaftlich zu untermauern und damit zu zementieren. So wurden in den 60er Jahren verhaltenstherapeutische Verfahren ohne ausreichende ethische Erwägungen auf die "Behandlung" homosexueller Männer angewandt. Eine Elektroschock-"Therapie" beim Betrachten attraktiver Männer bewirkte jedoch genauso wenig wie die Psychoanalyse eine langfristige Verhaltensänderung in Richtung Heterosexualität.7) Frauen wurden von solchen Konversionsversuchen übrigens weitgehend verschont, vielleicht, weil ihnen eine selbständige Sexualität sowieso nicht zugesprochen wurde.

In den 70er Jahren haben sich nicht etwa etablierte PsychologInnen eines besseren besonnen und von sich aus einen anderen Umgang mit Homosexualität angestrebt. Vielmehr wuchs mit der "Gay Rights"-Bewegung der Druck aus der Gesellschaft auf die Psychologie, Homosexualität nicht länger zu pathologisieren. "Am 14. Dezember 1973 waren die Homosexuellen geistig Kranke, sexuell Abartige. Am 15. Dezember 1973 waren die Homosexuellen nicht mehr krank."8) An jedem denkwürdigen Tag wurde beschlossen, "Homosexualität" als Krankheitsklassifikation aus dem Diagnostic and Statistic Manual of Deseases (DSM) zu entfernen. Die Diagnose "Homosexualität" gab es fortan in den USA nicht mehr.9) In der Psychologie wie auch in der Gesellschaft machte sich eine liberal-humanistische Gesinnung immer breiter. Demnach werden Heterosexuelle und Homosexuelle als prinzipiell ähnlich angesehen, und jedem Menschen sollte es freistehen, auf seine Weise glücklich zu werden.10) Damit gibt es keine pathologisierenden Darstellungen von Homosexualität mehr, auf der anderen Seite werden diese Ansätze jedoch dafür kritisiert, daß sie Homosexualität als zentrales identitätsstiftendes Merkmal negieren. Das heißt, es wird so getan, als sei die sexuelle Orientierung kein wichtiges Merkmal einer Person, als spiele sie auch für Schwule, Lesben und Bisexuelle keine besondere Rolle. So wird z.B. kritisch angemerkt: "Es gibt keine spezielle Psychotherapie für Lesben, sondern lediglich Psychotherapie für Frauen, die zufällig Lesben sind".11)

Es hat sich jedoch auch eine Forschungsrichtung etabliert, die explizit nicht pathologisiert: die "gay affirmative psychology". Diese Forschung unterscheidet sich von der früherer Jahrzehnte nicht nur dadurch, daß sie zu anderen Antworten kommt, sie stellt auch ganz andere Fragen. Während frühere Untersuchungen etwa die Frage zu beantworten suchten, inwiefern "Homosexualität" krankhaft ist, stellten neuere Untersuchungen die Frage, inwiefern "Homophobie" krankhaft ist.12) Sie kamen übrigens tatsächlich zu dem Schluß, daß sogenannte homophobe Personen Fehlanpassungen in einigen anderen Bereichen aufweisen: Sie seien beispielsweise im allgemeinen dogmatisch und autoritär und besäßen eine geringe Ego-Entwicklung. Weiterhin hätten sie ein stereotypes Frauenbild und plädierten für die Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Ihre Sexualmoral sei sehr eng - einschließlich der für sie selbst akzeptablen Verhaltensweisen. Als zweites Beispiel für den Wandel in der Psychologie läßt sich, überspitzt formuliert, über Schwule und Lesben selbst sagen: "[In the 60ies] you were sick if you liked being a homosexual; now you are sick if you do not like being a homosexual".13)

Ersatz durch - nichts

Obwohl es in den USA schon seit mehreren Jahrzehnten und auch hierzulande in den letzten Jahren verstärkt "gay affirmative psychology" gibt, ist es längst nicht so, daß die deutsche Psychologie generell nicht mehr lesben- und schwulenfeindlich ist. "Die deutsche Psychologie ist weit davon entfernt, ihre fatale Geschichte als eine essentielle Institution der Unterdrückung Homosexueller hinter sich gelassen zu haben. Das hervorstechendste Merkmal des fortbestehenden Heterosexismus in der deutschen Psychologie ist die fast vollständige Abwesenheit schwuler oder lesbischer Themen in Lehre und Forschung."14) Die etablierte wissenschaftliche Psychologie wie auch die therapeutischen Ausbildungsinstitute üben sich in Enthaltsamkeit, wenn es um lesbisch-schwule Themen oder entsprechende Stellungnahmen geht. Pathologisierende Darstellungen in Lehrbüchern sind größtenteils durch Nichts ersetzt worden. Es ist sehr leicht möglich, einen Diplomstudiengang der Psychologie an einer führenden deutschen Universität und mehrere therapeutische Zusatzausbildungen zu absolvieren, ohne jemals mit lesbisch-schwulen Themen konfrontiert zu werden.15)

Eine Psychologie, die dem heterosexistischen Blickwinkel verhaftet ist, diskriminiert zunächst die homosexuellen Angehörigen des eigenen Systems: In einer Umfrage unter 62 lesbischen und schwulen PsychologInnen und PsychologiestudentInnen16) gaben 93% an, daß lesbisch-schwule Inhalte in ihrem Studium wenig oder nie thematisiert wurden. Dies bedeutet eine immense Entfremdung von der eigenen Lebenswelt, insbesondere für das Drittel der Befragten, die angeben, ihre homosexuelle Lebensweise kaum jemandem im Ausbildungsumfeld offenbaren zu können. StudentInnen beschreiben "Isolation, keine Lesbengruppen, kein Thema", oder berichten über Erfahrungen "von Ignoranz über Ablehnung (bei einem Versuch schwule Themen zu bearbeiten) bis zu Unterstützung." Andere finden dort Rückhalt , wo Lesben und Schwule sich selbst Einrichtungen erkämpft haben, etwa beim Schwulenreferat.

Doch nicht nur für die lesbischen und schwulen PsychologInnen hat diese Ignoranz negative Folgen. Hoch angesehene und hervorragend ausgebildete PsychotherapeutInnen setzen sich möglicherweise zum ersten Mal mit dem Thema "Lesben und Schwule" auseinander, wenn die erste lesbische Klientin in ihrer Praxis sitzt. Ihre thematische Fachkompetenz gründet sich dann allein auf ihre Vorurteile oder auf ihre persönliche Initiative und Möglichkeit, sich über Entwicklung, Identität, Beziehungen, Auswirkungen von Diskriminierung etc. zu informieren. Nicht selten sind es in dieser Situation die KlientInnen, die während der Therapie die TherapeutInnen immer wieder korrigieren und weiterbilden, indem sie über die Szene, typische Coming-out-Schwierigkeiten und ähnliches informieren.17)

In den USA hat der renommierte Verlag des PsychologInnen-Berufsverbandes kürzlich ein umfangreiches Handbuch zur Beratung und Therapie mit Lesben, Schwulen und Bisexuellen herausgegeben18), so daß zumindest Informationsquellen für ein breites Fachpublikum zur Verfügung stehen. In der deutschen Therapieszene ist die Bereitschaft heterosexueller PsychotherapeutInnen, sich gezielt fortzubilden, offenbar niedrig. Ein deutschsprachiges Standardwerk fehlt bisher. Zudem sehen einer Umfrage im Rhein-Neckar-Raum zufolge zwar 55% der befragten PsychotherapeutInnen einen Fortbildungsbedarf für sich, die Resonanz auf entsprechende Angebote lesbischer und schwuler FachkollegInnen ist erfahrungsgemäß jedoch gering.19)

Ebenso wie innerhalb der Psychologie läßt die Einstellung gegenüber Schwulen und Lesben in der Gesellschaft auch heute noch zu wünschen übrig. Affirmative Forschung ist nicht mit derselben Vehemenz wie das psychoanalytische Krankheitsbild in die Gesellschaft diffundiert und wird sogar größtenteils gar nicht zur Kenntnis genommen. Auch innerhalb der Psychologie wird die affirmative Forschung immer noch schräg angesehen: Es ist kein Forschungsgebiet, mit dem sich zu beschäftigen Ruhm und Ehre garantiert, sondern eines, das akademische Karrieren eher gefährdet. Um diese Mißstände - und damit die Psychologie sowie letztlich auch die Gesellschaft - zu verändern, haben sich lesbische Psychologinnen und schwule Psychologen zusammengeschlossen.

Gegenbewegung

In den USA der 70er Jahre war die Annahme weit verbreitet , es gäbe keine lesbischen Psychologinnen und schwulen Psychologen. Auf dem Kongreß der American Psychological Association (APA) 1972 in Honolulu, Hawaii, befaßte man sich mit dem Thema "Psychotherapie und Homosexualität". Auf die Frage, warum auf dem Podium keine homosexuellen PsychologInnen vertreten wären, antworteten die VeranstalterInnen: "Weil es keine homosexuellen PsychologInnen gibt". Die im Saal anwesenden lebenden Gegenbeweise für diese Behauptung versammelten sich im Anschluß an die Veranstaltung vor der Tür des Konferenzsaales und legten den Grundstein für die Association of Lesbian and Gay Psychologists (ALGP).

Ein europäischer Verband wurde 1990 in Holland gegründet, die Association of Lesbian, Gay, and Bisexual Psychologies (ALGBP Europe ). Der mit Abstand erfolgreichste nationale Tochterverband von ALGBP Europe ist der Verband lesbischer Psychologinnen und schwuler Psychologen in Deutschland e.V. (VLSP), der seit 1993 arbeitet.*)

Ziel von VLSP und ALGBP ist die Förderung und Entwicklung affirmativer psychologischer Theorien der Homosexualität in Forschung, Lehre, Weiterbildung und praktischer Anwendung. Neben den Austauschforen für lesbisch- schwule ForscherInnen auf den jährlichen Kongressen stellt die VLSP- Geschäftsstelle Karteien über FachreferentInnen und lesbisch-schwule bzw. "homoerfahrene" TherapeutInnen zur Verfügung. Die Verbandszeitung dient zur Veröffentlichung von aktuellen Forschungsansätzen, Literatur- und Veranstaltungshinweisen sowie als Diskussions- und Kontaktforum. Darüber hinaus versucht der VLSP im Rahmen seiner personellen Möglichkeiten, zu gesellschaftspolitisch aktuellen Fragen (z.B. Homosexuelle in der Bundeswehr, eingetragene Lebensgemeinschaft) öffentlich Stellung zu nehmen

Zufriedenheit und Engagement der Mitglieder entstehen vor allem durch die Erfahrung intensiven Austauschs und fruchtbarer Zusammenarbeit, besonders auf den Kongressen. Auch können sich VLSP und ALGBP zu den wenigen Organisationen zählen, in denen die Zusammenarbeit von Lesben und Schwulen weitgehend funktioniert. Auf dem Kongressfest des VLSP in Köln 1996 fragte ein Mitarbeiter des Catering-Service, wer hier denn feiere. Auf die Mitteilung, es handele sich um lesbische Psychologinnen und schwule Psychologen, reagierte er entsetzt: "Was denn, alles Psychologen?". Diese Reaktion aus der Umwelt erleben PsychologInnen regelmäßig - und das stiftet Gemeinschaft.

Wer sich näher für Literatur im Bereich der "gay affirmative psychology" interessiert, sei im deutschsprachigen Raum auf die leicht verständlichen, für ein breites Publikum geschriebenen Werke des Schweizer Professors Udo Rauchfleisch verwiesen.20) Die Division 44 der APA veröffentlicht regelmäßig Bände in der Reihe "Psychological perspectives on lesbian and gay issues", in der jeweils themenspezifisch ein aktueller umfassender Überblick gewährt wird.21) Ebenfalls amerikanisch ist das sehr umfassende Standardwerk "Psychological perspectives on lesbian & gay male experiences", in dem auch zentrale ältere Abhandlungen wiederabgedruckt sind.22) Zur Psychotherapie mit Lesben und Schwulen gibt es ein sehr informatives Buch aus dem europäischen Raum (Großbritannien).23)

Fazit

Der Umgang der Psychologie mit Lesben und Schwulen hat sich also sichtlich weiterentwickelt - in Richtung "Diversity", einer größeren Bandbreite von Reaktionen. Obwohl Homosexuelle von einigen Angehörigen der Psychologie und Psychotherapie weiterhin pathologisiert und diskriminiert werden und sich die Mehrheit der Zunft in Schweigen hüllt, nehmen die übrigen eine explizit egalitäre Haltung an oder betrachten homosexuelle Lebensformen als von heterosexuellen verschieden und der besonderen Betrachtung wert.

Bei genauerem Hinsehen kann die Erforschung der gleichgeschlechtlichen Liebe wertvolle Beiträge zum Verständnis und zur Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Kultur insgesamt beitragen. Beispielsweise lassen sich Geschlechtsunterschiede in den Lebens- und Liebensformen bei Schwulen und Lesben in ausgeprägterer Weise beobachten als bei Heterosexuellen. Darüber hinaus zeugen ausgedehnte, enge, verläßliche Freundschaftsnetzwerke ("Wahlfamilien") und freiwilliges soziales Engagement (Coming-out Gruppen, Notrufe, AIDS-Hilfen etc.) von Coping-Strategien und der Mobilisierung von Kräften durch gemeinsam erfahrene Diskriminierung. Schließlich - wie zumindest unter Lesben augenscheinlich - verlaufen Trennungen häufig so, daß weiterhin Kontakt, Freundschaft und Nähe möglich sind ("Die beste Freundin ist immer die Ex", bringt der Szenemund es auf den Punkt). Die Randbedingungen hierfür zu erforschen könnte auch für heterosexuelle und schwule Trennungs- und Konfliktberatung fruchtbringend sein.

Um solche Ansätze und grundsätzlich affirmative Modelle der Homosexualität in die Psychologie und die Gesellschaft hineinzutragen, haben sich lesbische Psychologinnen und schwule Psychologen zusammengeschlossen. Das gilt sowohl für die wissenschaftliche Forschung als auch für deren Anwendung in Ausbildungen, Psychotherapien oder gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Wir wollen, daß Lesben und Schwule in Lebenspartnerschaften (insbesondere auch als Eltern) selbstverständlich dieselben Rechte genießen wie Heterosexuelle. Erst wenn es beispielsweise denkbar ist, eine Bundespräsidentin und ihre Lebensgefährtin mit den gemeinsam adoptierten Kindern auf einem Empfang zu sehen, können wir davon ausgehen, daß die Diskriminierung von Lesben und Schwulen in Psychologie und Gesellschaft der Vergangenheit angehört.

Dr. Melanie Caroline Steffens, Diplom-Psychologin, ist wissenschaftliche Assistentin im FB I-Psychologie der Universität Trier und Vorsitzende der Association of Lesbian, Gay, and Bisexual Psychologies (ALGBP) Europe.

Michaela Ise ist Diplom-Psychologin und im Vorstand des VLSP (Verband lesbischer Psychologinnen und schwuler Psychologen in Deutschland e.V.). Sie arbeitet als Dozentin für Erwachsenenbildung und Mediatorin in Kassel.

Anmerkungen

*) Verband lesbischer Psychologinnen und schwuler Psychologen in Deutschland e.V., Postfach 14 06 67, 80456 München, Fon 0700-8577 8577, email vlsp@gay-web.de, Internet: http://stadt.gay-web.de/vlsp/

1) Pathologisieren: Jemanden als (psychisch) krank bezeichnen.

2) Es sollte jedoch hinzugefügt werden, daß Freud sich in seinen zahlreichen Schriften und Vorträgen nicht einheitlich zu Homosexualität geäußert hat. Beispielsweise hat er zum Teil für die damalige Zeit sehr liberale Ansichten vertreten, die er jedoch unter starkem gesellschaftlichen Druck relativiert hat. Übrigens hat seine Tochter und Schülerin Anna Freud offenbar lesbisch gelebt, ohne dies je öffentlich zu machen - so wie zahlreiche andere PsychoanalytikerInnen lesbisch oder schwul waren, ohne daß sich dies in ihrer Theorieentwicklung niedergeschlagen hätte (Moor, 1990, s.u.).

3) Hooker, E.: The adjustment of the male overt homosexual. Journal of Projective Techniques, 21(1957), S.18-31

4) Eine vereinfachte Version dieses Tests liegt den "Tintenklecksen" im Spiel "Therapie" zugrunde.

5) Rauchfleisch, U.: Zum Einfluß der in der Öffentlichkeit kolportierten Bilder von Lesben und Schwulen auf therapeutische und emanzipatorische Prozesse. In M. C. Steffens & M. Reipen (Eds.), Versteckt und mittendrin. Zur (Selbst-)Darstellung und Wahrnehmung von Lesben und Schwulen in der Öffentlichkeit (9-17). München 1997

6) Moor, P.: Homosexualität und psychoanalytische Heuchelei. Psyche, 44,(1990) S.545-558

7) Haldeman, D. C.: The practice and ethics of sexual orientation conversion therapy. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 62, (1994), S.221-227

8) Zimbardo, P. G.: Psychologie. Berlin 1983

9) Derselbe Schritt wurde erst in den 80er Jahren für das ICD (International Classification of Deseases) vollzogen, das hierzulande gewöhnlich angewandt wird.

10) Typisches Beispiel für eine Stadt mit liberal-humanistischer Gesinnung ist in Deutschland wohl Köln. Die kölsche Übersetzung für liberal-humanistisch ist "jedem Tierchen sein Pläsierchen".

11) Kitzinger, C.: The social construction of lesbianism. London 1987, Coyle, A., Milton, M., & Annesley, P. (in press). The silencing of lesbian and gay voices in psycho-"therapeutic" texts, training and practice. In M. C. Steffens & U. Biechele (Eds.), Annual Review of Lesbian, Gay, and Bisexual Issues in European Psychology, Volume I

12) Homophobie ist vom Wortursprung her die krankhafte, übersteigerte Angst vor Homosexuellen. Das Wort wird häufig als Umschreibung der negativen Einstellung gegenüber Lesben und Schwulen benutzt, aber auch kritisch diskutiert.

13) Kitzinger 1987, a.a.O.

14) Reisbeck, G., Bittner, M., Edinger, M., & Knoll, C.: Lesben und Schwule in der Arbeitswelt. München 1996

15) In meinem eigenen (MCS) Psychologiestudium kam allerdings eine Lesbe vor: Betty, die wahrscheinlich berühmteste Lesbe in der Gedächtnispsychologie. In einer Vorlesung zu Schematheorien des Gedächtnisses wurde ein Experiment zitiert, in dem die Teilnehmenden genau dann vergessen hatten, daß Betty in ihrer Jugend mit Männern ausgegangen war und ähnliche typisch heterosexuelle Dinge getan hatte, wenn sie später erfahren hatten, daß Betty eine Lesbe ist (Bellezza, F. S., & Bower, G. H. (1981). Person stereotypes and memory for people. Journal of Personality and Social Psychology, 41, 856-865. Snyder, M., & Uranowitz, S. W. Reconstructing the past: Some cognitive consequences of person perception. Journal of Personality and Social Psychology, 36, (1978). S.941-950). Prinzipiell ist ein solches Vorkommen von Lesben und Schwulen im Zusammenhang mit allgemeineren Themen, also ohne "Ghettoisierung", wünschenswert (Simoni, J. M. Confronting heterosexism in the teaching of psychology. Teaching of Psychology, 23, 1996, S.220-226). Allerdings sollten Lesben und Schwule dabei nicht so distanziert präsentiert werden, als handle es sich um außerirdische Lebensformen.

16) Reisbeck, G.; Bittner, M.; Edinger, M. Knoll, Christopher. Lesbische Psychologinnen und schwule Psychologen in Deutschland: Diskriminierung in der Ausbildung und am Arbeitsplatz. In: Reipen, M. (Hg.): Ganz Normal?! Lesbischer und schwuler Alltag zwischen Anpassung und Selbstbestimmung. München 1996

17) Garnets, L., Hancock, K. A., Cochran, S. D., Goodchilds, J., & Peplau, L. A.: Issues in psychotherapy with lesbians and gay men: A survey of psychologists. American Psychologist, 46, (1991) S.964-972, haben zahlreiche weitere Beispiele für unprofessionelles Verhalten in der Therapie mit Lesben und Schwulen gesammelt.

18) Perez, R.M.; Debord, K.A. & Bieschkle, K.J.: Handbook of Counseling and Psychotherapy with Lesbian, Gay, and Bisexual Clients. 1999

19) Heinrich, T., & Biechele, U.: Die psychotherapeutische Versorgung von Lesben und Schwulen. Eine Umfrage der Regionalgruppe Rhein-Neckar. In M. C. Steffens & M. Reipen (Eds.), Versteckt und mittendrin. Zur (Selbst-) Darstellung und Wahrnehmung von Lesben und Schwulen in der Öffentlichkeit (55-63). München 1997

20) Z. B.: Rauchfleisch, U.: Schwule, Lesben, Bisexuelle. Göttingen 1994

21) Z. B.: Greene, B., & Herek, G. M.: Lesbian and gay psychology: Theory, research, and clinical applications. Psychological perspectives on lesbian and gay issues, Vol. 1. Thousand Oaks,1994

22) Garnets, L., & Kimmel, D. C.: Psychological perspectives on lesbian & gay male experiences. New York 1993

23) Davies, D., & Neal, C.: Pink therapy: A guide for counsellors and therapists working with lesbian, gay and bisexual clients. Buckingham 1996.