Segeln auf unruhigen Gewässern

Rassismus, Patriarchat und nationale Befreiung

in (23.04.2001)

Der Anstoß zu diesem Artikel kam auf einer Konferenz im Downtown Women's Centre in Belfast zum Internationalen Frauentag, 1997.

Die Konferenz mit dem Titel "Frauen bauen Brücken" befaßte sich mit Frauen, die zusammenarbeiten, obwohl sie auf verschiedenen Seiten nationaler Konflikte stehen - im ehemaligen Jugoslawien, in Israel, Palästina und Nordirland. Eine der Teilnehmerinnen, eine jüdische Frau aus Dublin, bat mich um einen Artikel über Rassismus in Nordirland.

Bis dahin hatte mich noch nie jemand nach meinen Erfahrungen mit Rassismus in Irland gefragt. Ich nahm gern an und schrieb eine erste Fassung. Es stellte sich jedoch heraus, daß sich der schwarze Teil von mir nicht ohne weiteres vom Rest trennen ließ. Ich hatte das Gefühl, mich zu fragmentieren, und ebenso die Erfahrung anderer. Der Artikel, wie er jetzt vorliegt, ist ein aufrichtiger Versuch die politische Sicht auszudrücken, an die ich glaube und nach der ich lebe, mit den Mitteln, die mir derzeit zur Verfügung stehen.

Eine globale Realität

Rassismus ist eine weltweite Realität. Die individuelle und kollektive Erfahrung von Schwarzen kann das bezeugen, gleich ob in Industrie- oder in Entwicklungsländern. Weiße Männer machen die Machtpositionen unter sich aus, überall. Sie sind das finanzielle, militärische und mediale Rückgrat der Welt. Die Ökonomie der Entwicklungsländer ist darauf zugeschnitten, die Bedürfnisse von weißen Konsumenten im In- und Ausland zu bedienen, durch Produktion, Plantagenwirtschaft und Tourismus (Taiwan, Kenia, Thailand). Das weiße Militär steht bereit, die "bad boys" der Entwicklungsländer zu bestrafen, zu ignorieren oder zu unterstützen, abhängig von den sozialen und politischen Werten des Westens. Es ist der weiße, westliche Kulturimperialismus, der die Standards dafür setzt, wie korrektes soziales und politisches Benehmen aussieht. Die Spur dessen, was jetzt eine weltweite weiße Suprematie ist, führt über den Genozid an der nordamerikanischen Urbevölkerung, die Versklavung der AfrikanerInnen, asiatische ZwangsarbeiterInnen in Afrika, die Kolonisierung ganzer Nationen und die Zerstörung kompletter Zivilisationen (die von Zimbabwe zum Beispiel). Rassische Unterdrückung ist nichts Neues, sie reicht zurück bis zum ersten Kontakt zwischen Weißen und Schwarzen.

In Nordirland wurde mir mit ermüdender Regelmäßigkeit erzählt, daß Irinnen und Iren nicht rassistisch wären, da sie selbst kolonial unterdrückt waren (im Süden) oder noch sind (im Norden). In bezug auf Nordirland ist das eine typisch republikanische, nationalistische Haltung. Man geht davon aus, mit Schwarzen eine gemeinsame Erfahrung zu teilen. Es ist richtig, daß sich viele Formen von Kolonialismus gegen Schwarze und Weiße richten. Es ist auch wahr, daß es innerhalb der Weißen die ökonomische und politische Oberschicht ist, die am meisten von der weißen Suprematie in Wort und Tat profitiert - historisch geschult, aufrechterhalten durch Erziehung, Religion und populäre Kultur, verewigt in der Pornographie, praktiziert in informellen und in institutionellen Formen. Irische Katholiken kaufen immer noch die verdammten Seelen schwarzer Kinder, wenn sie für die Kollekte spenden.

Das Recht auf Dominanz

Audre Lorde, schwarze und lesbische Schriftstellerin und Aktivistin, definiert Rassismus als "den Glauben an die unverbrüchliche Überlegenheit einer Rasse über alle anderen, und, daraus folgend, an das Recht zur Dominanz". Es dürfte nicht überraschen, daß ich über einen ausführlichen Katalog persönlicher Erfahrung mit Rassismus in Nordirland verfüge: Angespuckt werden auf der Straße, Schwarzer Bastard genannt werden, gefragt werden wieviel Sex mit mir kostet. Auch eine Verkäuferin findet sich darin, die mir mit ausgesuchter, dröhnender Stimme mein Geld auf der Theke vorzählt; ihrer Stimme für Schwerhörige und sonstige Andersartige.

Die Grenzen zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Royalisten und Republikanern, sind scharf gezogen in Nordirland; aber die rassistische Belästigung ist davon unberührt. Auf der Glen Road in West Belfast oder auf der Doagh Road in Nord Belfast, es ist dasselbe, tägliche Spießrutenlaufen in Wort, Tat und Blick, das mir klarmachte, ich gehörte nicht hierher. Eine Bekannte von mir, ebenfalls schwarz, geboren und aufgewachsen in Ballymoney, wurde andauernd gefragt "wo sie herkäme". Ballymoney war einfach nicht die richtige Antwort. Es hätte irgendwas in Afrika sein müssen.

Ich selbst lebe auf dem rassisch feindlichen Terrain Englands seit meinem vierzehnten Lebensjahr. Und ich kenne das alles. Man gewöhnt sich daran, man stumpft ab. Oder man schöpft eine nützliche Wut daraus, einen geschärften Überlebenswillen und Gerechtigkeitssinn.

Nordirland beheimatet noch eine andere Form von Rassismus, der typisch ist für den republikanischen Nationalismus. Es ist eine Variation patriarchalen Verhaltens, das bestimmte Leute als "anders", minderwertig, unwichtig einstuft und darüber eine Hierarchie verteidigt. Das hat mich wirklich überrascht; vielleicht war ich auch zu naiv. Aber all die Reden über die gemeinsame Sache mit dem schwarzen Südafrika, mit Palästina, Nicaragua, die Verbundenheit durch die gemeinsame koloniale Erfahrung, hatten in wir die Hoffnung geweckt, daß diese Verbindung tatsächlich Substanz hatte, daß sie begriffen und empfunden wurde. Ich lernte dann, daß solche Verbundenheit aus blankem politischem Kalkül aufgemacht wird, ohne sich in irgendeiner Weise um eigene Vorurteile und Verhaltensweisen Gedanken zu machen.

Die Auslöschung des Selbst

Die Atmospäre des "Sag was du willst, aber halt den Mund", die von der britischen Kriegsmaschine in Nordirland verbreitet wird - eine Atmospähre der Furcht, des Terrors und des Schweigens - findet ihre Widerspiegelung auf Seiten der nationalen Befreiungsbewegung. Auch hier beschränkt sich die Diskussion auf einen weißen, männlichen Kriegsrat. Die Themen handeln davon, was Männer getan haben, was Männer tun, was Männer tun werden. Frauen und Kinder sind Anhängsel dieser Aktionen und Strategien, sie leiden, helfen und werden geopfert. Andere spielen überhaupt keine Rolle, allerdings in unterschiedlicher Weise.

Ich habe nirgends eine so tiefe Auslöschung meiner selbst empfunden, wie in dieser Umgebung. Der Nationalismus ist das Instrument dazu. Mein Nicht-Irischsein, für das gar nicht weiter auf meine Hautfarbe, Herkunft, Sprache oder Kultur eingegangen werden mußte, genügte, um alle meine Erfahrungen, Überlegungen, Gefühle zu entwerten, die sich nicht auf die Tagesordnung und Theorie des nationalen Befreiungskampfes bezogen. Irische Dissidenten, die dessen Standpunkt nicht rückhaltlos teilen, werden verachtet, mitunter körperlich mißhandelt, manchmal Opfer eines regelrechten Scherbengerichts. Eine Frau erzählte mir, sie hätte sich einmal schockiert gezeigt, als ihr Nachbar durch eine nachlässig plazierte Bombe getötet wurde. Daraufhin wurde sie von ihrem Mann verprügelt, der ihr erklärte, er werde ihre Familie erschießen, wenn sie nochmal mit solchen Sentimentalitäten käme. Wer als Outsider eingestuft wird, bekommt keine Antwort, wird sozial ausgelöscht, und für jede Art der Abweichung gibt es eine spezifische Art der Verachtung.

In einer Umgebung, die stark von Hierarchie bestimmt ist, entgeht niemand der Einteilung in die verschiedenen Kategorien. Diejenigen, die die Definitionsmacht besitzen, sind notwendigerweise umgeben von allen möglichen Gruppen von "Anderen" - alle die, die nicht dem weißen, männlichen, jungen, christlichen, heterosexuellen Standard entsprechen. Alles Ausnahmen. Sozial Minderbemittelte.

Als schwarze Frau und Lesbe gibt es keinen Weg, auch nur einen Aspekt meines "Andersseins" angemessen auszudrücken. Stattdessen wird erwartet, jeden Teil meiner Person diskret vom Rest zu trennen, um mich für die anderen etwas akzeptabler zu machen - der tägliche Nackenschlag, den das Patriarchat für die "Abweichenden" bereithält. Fragmentierung ist das genaue Gegenteil von persönlicher Identität. Es ist auch keine politische Integrität möglich, wenn man sich von einzelnen Aspekten trennen muß. Aber Fragmentierung und Trennung sind genau das, was Projekte erwarten, die sich auf eine Sache konzentrieren und um nichts anderes kümmern. Der irische Nationalismus ist ein solches Projekt. Robin Morgan sagt: "Wenn ich mit einem Begriff ausdrücken sollte, was der Kern des Patriarchats ist, würde ich sagen: Einteilung - die Fähigkeit, Aufspaltung und Trennung zu institutionalisieren."

Die nationale Befreiungsbewegung ist in dieser Hinsicht genauso repressiv wie jede andere patriarchale Institution. Der irische Nationalismus ist keine Ausnahme, sein prinzipielles Anliegen ist das Erringen oder Verteidigen von Machtposition für weiße, heterosexuelle Männer.

Nach der Revolution

Nationale Befreiungsbewegungen vertreten bekanntlich alle die Auffassung, daß die Befreiung der Frau (oder überhaupt Frauenanliegen) bis nach der Revolution zu warten haben. In dieser These läßt sich "Frau" wahlweise ersetzen durch: Schwarze, Fremde, Lesben, Schwule, Kinder, Behinderte, Alte, praktisch durch alle, die nicht weiß und männlich sind, was sie zu Ausgeschlossenen macht. Gestützt auf diese Struktur, die unter den Bedingungen des Krieges noch schärfer wird, gelten die Erfahrungen der "Anderen" - ihre historische Erfahrung und ihre aktuellen Erfahrungen - als anekdotisches Gewäsch, das nicht wert ist, in den Katalog von Unterdrückung mit aufgenommen zu werden. Die folgenden Beispiele mögen das illustrieren.

Eine Frau, die im Gefängnis von Maghaberry gesessen hatte, erzählte mir von ihren Erfahrungen dort - Leibesvisitationen, Einzelhaft, ständige Überwachung, Ausschluß von den Bildungsangeboten, Verweigerung von Büchern, insbesondere feministischen oder allgemein politischen. Die Praxis der Leibesvisitation ist dank einiger erfolgreicher Kampagnen zurückgegangen, wenn auch nicht vollständig verschwunden; alle anderen Einschränkungen sind weiterhin tägliche Erfahrung für weibliche Gefangene, und eben nicht nur für die Männer, die in Long Kesh einsitzen. Um die Rechte der Frauen kümmerte sich die Bewegung allerdings nicht. Stattdessen erfuhren die weiblichen Gefangenen, daß ihre männlichen Mitstreiter und Mitinsassen die Tage mit pornographischem Material zubrachten. Als sie in einem versuchten, in einem gemeinsamen Brief klarzumachen, daß sie nicht sehen könnten, wie das mit der Gleichheit im Kampf zu vereinbaren sei, teilten die Männer ihnen mit, sie seien "überspannt".

Die Frau, die mir das erzählte, war schockiert über die Frauenfeindlichkeit, die ihr vom britischen Staat und ihren männlichen Mitstreitern gleichermaßen entgegenschlug. Je mehr sie weiter versuchte, sich zur nationalen Befreiung als "Hauptfrage" zu bekennen, desto mehr fühlte sie sich innerlich zerrissen angesichts ihrer Erfahrung als Frau. Ein Dossier, das sie als Mitglied der Frauenorganisation von Sinn Fein über die Situation weiblicher Gefangener vorlegte, verschwand aufgrund ihrer fordernden Position auf Nimmerwiedersehn in den Akten. In ihrer Organisation ist als neurotisch und hysterisch verschrieen, da man einen Grund für ihre Wut nicht anerkennen kann.

Die Hierarchie der Unterdrückung

Teboho Maitse schreibt, bezüglich ihrer eigenen Erfahrung in Südafrika: "Der Nationalismus läßt überdeutlich hervortreten, wie stark er selbst alte und neue Formen patriarchaler Kontrolle über Frauen hervorbringt." Teboho Maitse ist eine von vielen Frauen, die uns vor dem Verrat nationaler Befreiungsbewegungen am Anliegen der Frauen warnen. "Sisterhood is Global", ein Sammelband von Robin Morgan aus dem Jahr 1984, ist voll von warnenden Stimmen von Frauen überall auf der Welt, die diese Erfahrung gemacht haben. Die Frage ist, warum wir diese Warnungen immer wieder in den Wind schlagen. Warum glauben wir, daß wir selbst in einer so anderen Lage sind, daß diese Frauen "Andere" sind, deren Erfahrungen uns nicht betreffen? Am Geschlecht kann es nicht liegen. Also an ihrer anderen Hautfarbe, Kultur, Religion, Geschichte? Wenn das so ist, was ist das für eine Zusammenarbeit, die wir mit ihnen haben? Suchen wir uns bloß das aus, was wir gern hören wollen? Sind die Männer in unserer Bewegung, in unserem Land, in unserem Haus, bessere Menschen als die Männer anderer Frauen? Haben sie die Politik der Mißhandlung und sexuellen Gewalt aufgegeben? Des sexuellen Mißbrauchs von Kindern? Würden sie einen Krieg führen für das Recht von Frauen, abzutreiben?

In Long Kesh fällte ein republikanischer Gefangener in den späten Achtzigern die mutige Entscheidung, sich als Homosexueller zu outen. Das erste war, daß den Duschraum für sich allein hatte, und die anderen Männer erst einmal über seine abwegige Veranlagung klatschten. In der Folge gab es eine offene Debatte unter den heterosexuellen republikanischen Gefangenen, ob er das Recht habe, seine sexuelle Orientierung innerhalb der Gefängnismauern zu "praktizieren", und inwiefern das die politische Moral untergraben würde. Das ist dasselbe Argument wie bei der amerikanischen und britischen Armee. Andrea Dworkin schreibt: "Die Angst vor Homosexualität ist ein schrecklich mächtiges Instrument, um Männer sozial zu manipulieren und zu kontrollieren. Alle sind sich einig, Männer sein zu müssen; alle konkurrieren gegeneinander im endlosen und aussichtslosen Wettstreit um unanfechtbare Männlichkeit."

In den frühen Neunzigern wurde eine Reihe von jüdischen Gräbern in der jüdischen Abteilung eines Friedhofs in West Belfast geschändet. Der Vorfall ging durch die Presse; auf Seiten der republikanischen Bewegung hatte man dafür nicht mehr als einen kurzen Ausdruck des Bedauerns. Bis dahin hatte ich überhaupt nicht gewußt, daß es eine jüdische Gemeinde in Belfast gab. Daß es eine eigene Abteilung auf dem Friedhof gibt, zeigt, daß es eine langjährige jüdische Gemeinschaft in Belfast geben muß.

Außerhalb von Nordirland erkennen irische Nationalisten im Allgemeinen an, daß es Antisemitismus gibt und daß er der physischen und ideologischen Unterdrückung von Juden und Jüdinnen dient. Innerhalb ihres eigenen geographischen Terrains aber wird die Praxis des Antisemitismus, als eine Praxis von Iren, totgeschwiegen. Er wird nicht einmal zu einer Nebenfrage der nationalen Befreiung subsumiert, er wird schlichtweg getilgt. Nur der rassistische Haß der Briten gegen die Iren zählt. Es geht also gerade nicht um Verbindungen und Bündnisse. Es geht zuallererst um eine Rangfolge der Unterdrückung.

Die unsichtbare Unterdrückung

In England kämpfen die Iren dafür, daß ihr Kampf wahrgenommen und anerkannt wird, den sie gegen den britischen Staat führen, der sie in ihrer eigenen Heimat unterdrückt und als Flüchtlinge behandelt, die englischen Boden bewohnen. Damit sind sie nicht die einzigen. Es gibt viele unterdrückte Gruppen, schwarze und weiße, die in England um Wahrnahme und Anerkennung ihres Kampfes streiten. Und alle rivalisieren um den Platz ganz oben auf dem Treppchen, den Platz der "am meisten Unterdrückten". Man zeigt sich gegenseitig die Narben und übertrumpft sich mit den Kriegsverletzungen. Es ist ein männlicher Zeitvertreib, und die Folgen liegen auf der Hand. Die Bewegungen der Unterdrückten sind fragmentiert, die Unterschiede in Leben und Erfahrung werden nicht zur Kenntnis genommen, eine Hierarchie der Unterdrückung wird aufgemacht, Bündnisse werden nicht geschlossen. Jedes Stereotyp, daß die patriarchale Ordnung uns jemals an den Kopf geworfen hat, ruht weiter in unserem Herzen. Wir leben und atmen diese Vorureile, und manche profitieren mehr davon als andere. Können wir uns selbst die Gründe für dieses Wettrennen eingestehen, uns die Folgen klarmachen, und warum diese Folgen den Beteiligten egal sind?

"Die Formen von Haß, die sich durch die Geschichte ziehen und wieder und wieder unentrinnbares Grauen produzieren, sind alle in erster Linie Leidenschaften und Bekenntnisse, nicht Ideen oder Theorien. Haß gegen Schwarze, Haß gegen Juden, und die hartnäckigen, blutgetränkten Formen von nationalistischem Haß sind alle Formen von Rassenhaß." (Andrea Dworkin)

Auf einer Lesbentagung in Belfast 1991 gab es einen Workshop, wo Lesben und Frauen aus der Frauenorganisation von Sinn Fein miteinander diskutierten. Im Verlauf der Debatte behaupteten die Sinn-Fein-Frauen kategorisch, es gäbe gar keine Lesben bei Sinn Fein. Es erinnerte mich an eine Passage aus Adrienne Richs "Zwangsheterosexualität und lesbische Existenz":

"Die Verdrängung und Verunsichtbarung der Tatsache, daß Frauen Leidenschaft für Frauen empfinden, daß Frauen Frauen als Verbündete wählen, als Lebenspartnerinnen, als Gemeinschaft; der Druck, solche Beziehungen zu verheimlichen und ihr teilweises Scheitern unter diesem Druck; all das hat über alle Frauen einen unabschätzbaren Verlust an Kraft und Macht gebracht. Die Lügengebilde des Zwangsheterosexismus beeinträchtigen heute jeden Versuch der Organsierung, jede Beziehung und jede Unterhaltung zwischen Frauen."

Aufgrund seiner eigenen kolonialen Situation war Irland nie im Sklavenhandel engagiert. Dennoch sind alle Spuren jener schwarzen Sklaven und Sklavinnen, Hausdiener und Hausmädchen usw., die am Ende ihrer Deportation in Dublin oder Belfast ankamen und bei englischen Kaufleuten und Grundbesitzern arbeiteten, aus der Geschichte Irlands getilgt worden. Ich kenne auch keine Studie, die der Frage nachgegangen wäre, woher so viele Menschen mit afrikanischer Abstammung irische Namen haben - wo Heirat oder Adoption über die Rassenschranke hinweg doch eher die Ausnahme gewesen sein dürfte.

Kolonisierung und Schweigen

In jedem anderen Kontext gilt die Geschichte eines Volkes oder einer Gruppe als notwendiger Anker, um sowohl eine persönliche als auch eine nationale Identität zu entwickeln. Für die nationale Befreiungsbewegung ist die Geschichte der Kolonisation - aus der Sicht der Kolonisierten -, die Geschichte der Fremdbestimmung und des Kampfes dagegen, der Grundstein jeder politischen Analyse und politischen Aktion, die Grundlage für die Vision einer alternativen Zukunft. Nur wenn wir wissen, wer wir waren, können wir herausfinden, wer wir sein könnten.

Die Kolonisierung von Schwarzen, von Fremden, Frauen, Lesben, Schwulen, bekommt im Kontext von Irland ein anderes Gesicht, wenn wir uns klarmachen, daß die Geschichte dieser Gruppen - ob verstreut oder nicht, ob Minderheit oder 51-%-Mehrheit im Falle der Frauen - so gut wie ungeschrieben ist. Niemand hat diese Geschichte erzählt. Sie ist ausradiert, verdrängt und zensiert worden, und das ist bis heute unsere tägliche Erfahrung.

Der nationale Befreiungskampf entsteht in der Regel aus dem Gefühl von Männern, ohnmächtig zu sein; aus männlicher Erniedrigung und männlicher Sehnsucht nach Krieg; aus der Wut, von der Macht ausgeschlossen zu sein und wie kleine Jungen behandelt zu werden. Auf welcher Grundlage also erhebt dieser Nationalismus den Anspruch, die Erfahrung anderer unterdrückter Gruppen zu teilen, wenn er auf seinem eigenen Gebiet selbst zum Unterdrücker wird? Wenn ihm die Geschichte und das Leben derer nichts bedeuten, von denen er findet, daß ihr Anliegen vom Projekt der nationalen Befreiung nur ablenkt?

Kolonisierung ist nichts, was uns ausschließlich von Leuten aus einem anderen Land angetan wird; Kolonisierung ist zuallererst etwas, was die Menschen mit uns tun, die mit uns leben. Wir sind kolonisiert, wenn wir nicht darüber reden können, wer wir sind, oder was mit uns geschieht; wenn wir so tun müssen, als ob wir nicht verletzt werden; wenn wir uns nicht nur denen fürchten, die von draußen kommen, sondern auch vor denen, die drinnen sind. Dies ist die Kolonisierung unseres Geistes und unseres Körpers, und niemand mußte über den Ozean segeln, um das zu tun.

Welche Gerechtigkeit?

Ich begann zu begreifen, daß es keine Gerechtigkeit für mich geben konnte - für mein Schwarzsein, meine Sexualität, mein Frau-Sein - wenn ich hörte, wie die Frauen in meiner Nachbarschaft in Lenardon schrien, wenn sei nachts von ihren Männern mißhandelt wurden; wenn die Frauen aus dem Gemeindezentrum gegenüber von meinem Haus verzweifelt an meine Tür klopften und mir erzählten, sie wüßten nicht mehr, wie sie mir all den Berichten über mißbrauchte Kinder in dieser Gegend fertig werden sollten; wenn Frauen mir erzählten, wie sie belästigt, gejagt und vergewaltigt wurden. Ich begriff, daß die Männer, die für ihre Freiheit kämpften, dieselben Männer waren, die all das taten. Wenn ich mit Frauen aus der republikanischen Bewegung darüber sprach, sagten sie, sie wüßten, was Frauen passiert und was Männer tun. Die Begriffe Freiheit und Selbstbestimmung, die ich glaubte verstanden zu haben, bekamen eine andere Bedeutung für mich. Und ich hatte geglaubt, eine Feministin zu sein.

Für uns als Frauen ist Kolonisierung etwas, was uns in vielschichtiger Weise verletzt und unser Leben beeinträchtigt. Es bedeutet nicht nur, von denen zum Schweigen gebracht und terrorisiert zu werden, die von außen kommen, sondern auch von den eigenen Leuten. Es bedeutet, daß wir diese Erfahrungen in jeder Minute, in jeder Stunde, unser ganzes Leben lang machen; so daß sie zu etwas werden, was so normal ist wie die Luft, die wir atmen. Wir sehen es nicht mehr; wir merken nicht, daß wir leiden. Seit Generationen hat es niemand gesehen, oder wenn es doch jemand bemerkte, dann hat niemand viel darauf gegeben. Es bedeutet, daß wir dem Leben anderer mehr Wert beimessen als unserem eigenen. Es bedeutet, daß es uns schwerfällt zu begreifen, daß jeder Ruf nach Befreiung, der uns nicht einschließt, überhaupt keine Befreiung ist.

Die patriarchale Ordnung, von der ich spreche, ist die Ordnung der männlichen Dominanz. Was auch immer sie sonst tun mag, im Namen von Freiheit, Demokratie, Religion, Kultur, sie besteht auf ihrem Privileg Frauen zu mißhandeln, zu vergewaltigen, sie sozial, ökonomisch und in vielerlei anderer Hinsicht zu mißbrauchen und zu kontrollieren. Männer bekennen sich individuell dazu, wenn sie Gewalt gegen uns anwenden, und sie bekennen sich kollektiv dazu, wenn sie uns erzählen daß unsere Befreiung warten muß, bis sie alles andere auf der Reihe haben. "Bis" ist eine ziemlich lange Zeitspanne; und alles deutet darauf hin, daß es soviel bedeutet wie "am Sankt Nimmerleinstag".

Ich will Gerechtigkeit gegen Rassismus, aber Gerechtigkeit gibt es nicht in hübschen kleinen Päckchen. Es gibt keine Gerechtigkeit für den einen Teil von mir, während der Rest von mir leer ausgeht. Ich kann keine Gerechtigkeit bekommen von Leuten, die sie in ihren engsten Beziehungen verletzen, in ihren intimsten Verbindungen mit anderen, und die Frauen als Freiwild ansehen. Sie können mich nicht verstehen, wenn ich über Gerechtigkeit spreche, weil sie sie nicht praktizieren. Ich kann nur dann Gerechtigkeit für meine gesamte Person bekommen, wenn wir sie als Frauen wollen und für uns selber schaffen.

Literatur:

Andrea Dworkin: Right-Wing Women. The Politics of Domesticated Females, The Womens Press, 1983.

Audre Lorde: Sister Outsider, The Crossing Press, 1984.

Teboho Maitse: The Past is Present. Thoughts from the New South Africa, in: Diane Bell and Renate Klein (eds.): Radically Speaking. Feminism Reclaimed, Zed Books, 1996.

"Charting Troubled Waters" erschien zuerst in Trouble & Strife 36, Winter 97/98. Übersetzung: CS.