»Im Rahmen der Verfassung«

Der Militärputsch in Myanmar nimmt mörderische Ausmaße an

Myanmar ist ein Militärstaat. Man hatte es schon fast vergessen. Die demokratischen Wahlen vom 8. November 2020 verlor die Partei des Militärs, die USDP, krachend. Doch dann putschten die Generäle am 1. Februar 2021, nahmen demokratisch gewählte Volksverteter*innen fest und verhängten den Notstand.

Die Gründe sind einfach: Erstens ist es der aktuelle politische Bedeutungsverlust des Militärs, zweitens sind es dessen eigene wirtschaftliche Interessen, drittens ist das außenpolitische Umfeld günstig und viertens ist Militärdiktatur Landessitte. Das Militär herrscht faktisch seit 1962. Auch nach der demokratischen Öffnung im Jahr 2015 behielten seine Generäle die Fäden in der Hand: Die USDP hat durch eine Sperrminorität ein Viertel der Parlamentssitze für sich reserviert. Die Möglichkeit zum Putsch sowie für die nun erfolgte Einrichtung eines »Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrates« steht in der Verfassung.

Trotzdem kommt es zu Protesten. Und die weiten sich aus. Mit einem überschaubaren Maß an Repression lässt sich dieser Widerstand nicht unterdrücken. Das Militär steht vor dem für Unrechtsregime üblichen Dilemma: Entweder die Generäle geben die Herrschaft ab und riskieren, für Korruption, die früheren Gewaltakte der Diktatur, den Völkermord an den Rohingya oder für die aktuellen Tötungen von Demonstrant*innen vor Gericht gestellt zu werden. Oder sie ersticken die Proteste im Blut.

Ein mörderischer Beutezug …

Gegenwärtig eskaliert die Gewalt durch das Militärregime. Am Samstag, den 27. März 2021, dem »Tag der Streitkräfte« wurde landesweit demonstriert. Das Regime nutzte den Feiertag, um mit patriotischen Parolen die Sicherheitskräfte zu mobilisieren. Die gingen mit großer Härte gegen friedliche Demonstrant*innen vor. 114 Menschen wurden von Sicherheitskräften getötet. Nach unabhängigen Angaben der »Vereinigung zur Unterstützung politischer Gefangener« (AAPP) wurden bis Anfang April über 700 Menschen bei Protesten umgebracht, die meisten gezielt erschossen. Vermutlich liegt die Zahl der Opfer höher und sie steigt kontinuierlich.

Die Auseinandersetzung entwickelt sich zu einem Krieg gegen die Bevölkerung. Die sozialen Medien dokumentieren, wie Soldat*innen mit Gewehren durch die Straßen ziehen und mit gezielten Kopfschüssen Demonstrant*innen liquidieren. Andere Videos zeigen Soldat*innen, die jubeln, wenn ein Kamerad oder eine Kameradin getroffen hat. Es ist wieder das faschistische Movens da, welches die Streitkräfte bei den Mordattacken, Brandschatzungen und Vergewaltigungen gegen die Dörfer der Rohingya 2017 bewiesen haben. Der neue Vorsitzende des Staatsverwaltungsrates, General Min Aung Hlaing, nannte den Putsch »unvermeidlich«. Eine kleine Clique von Militärs, die sich die politische Macht sichern will, kann auf ein entschlossenes Milieu mordbereiter Unterstützer*innen zählen.

Diese Militärs und ihre Verbündeten in der Wirtschaft wollen zudem ihre ökonomischen Pfründe absichern, wie etwa Firmenbeteiligungen und den illegalen Handel mit Edelsteinen, Jade, Drogen oder Tropenhölzern. Steven Law, der reichste Mann Myanmars, entstammt einer Familie, die schon lange mit dem Militär verbandelt ist und mit dem Drogenhandel reich wurde. Sein Konzern, Asia World Company, ist der größte Myanmars. Law steht mit mächtigen Generälen seines Landes unter US-Sanktionen. Putschgeneral Hlaing ist Großaktionär der Myanma Economic Holdings Limited, ein vom Militär betriebenes Konglomerat. Auch die Familie Hlaing besitzt etliche Firmen.

In der internationalen Politik hat das Putschregime effektive Unterstützer*innen. Dem »Tag der Streitkräfte« in Naypyidaw wohnte etwa der russische Vizeverteidigungsminister Alexander Fomin bei. Er nannte Myanmar einen »zuverlässigen Verbündeten«. Der mitgereiste Chefredakteur der Moskauer Boulevardzeitung Moskowski Komsomolez sagte, die Militärdiktatur bewege sich »im Rahmen der Verfassung«. Russland verhinderte mit China, Indien und Vietnam eine Verurteilung des Putsches im UN-Sicherheitsrat. Und im UN-Menschenrechtsrat betonten China und Russland, der Putsch sei eine »innere Angelegenheit«. Trotz des Putsches kamen zum »Tag der Streitkräfte« Militär-Attachés aus China, Indien, Pakistan, Bangladesch, Vietnam, Laos und Thailand. Dieses Nachbarland ist ein Vorbild: In Thailand regiert ein vom Militär protegiertes Regime, das nach einem Staatsstreich eine scheindemokratische Zivilregierung installiert hat. Ein wichtiger Kontrapunkt: Auch die regimekritischen Demonstrant*innen in Thailand und in Myanmar beziehen sich gegenseitig positiv aufeinander.

… und einige Sanktionen

Immerhin positioniert sich »der Westen« gegen den Militärputsch und ruft nach Sanktionen. Der bundesdeutsche Außenminister Heiko Maas twitterte am 4. März 2021: »Wir haben beim EU-Außenministerrat den Weg frei gemacht für gezielte Sanktionen.« Zehn Militärs wurden sanktioniert, ebenso der Vorsitzende der Wahlkommission, Thein Soem. Weiter trifft es den Oberbefehlshaber der Streitkräfte Hlaing sowie den neuen Verteidigungsminister General Mya Tun Oo.

Die Süddeutsche Zeitung machte am 29. März 2021 jedoch auf eine Beteiligung der deutschen MAN aufmerksam: Viele myanmarische Militärlastwagen stammen vom chinesischen Hersteller Sinotruk. Dort hat MAN eine Sperrminorität von 25 Prozent plus eine Aktie. Ebenfalls in München sitzt der Lieferant für myanmarische Geldscheine: Giesecke & Devrient.

Das Militär hatte für seine Massaker gegen die Rohinya-Minderheit 2017 noch breite gesellschaftliche Unterstützung. Jetzt wendet sich das Militär gegen die eigene Bevölkerung. Während den Protesten ein emanzipatorisches Potentialinnewohnt, stellt sich das Militär als ein kommendes Schlächterregime dar. Um den ungleichen Kampf zu gewinnen, braucht die Zivilgesellschaft ein langes Durchhaltevermögen – und Unterstützung von außen

Winfried Rust ist Mitarbeiter im iz3w.