Was wurde aus DIY?

Von der Subkultur zum Neoliberalismus

in (10.11.2020)

Als Angela McRobbie den Aufsatz Second Hand Dresses and the Role of the Ragmarket erstmals 1989 veröffentlichte, in dem sie die Bedeutung von Do-it-yourself (DIY) für die Entwicklung der Second Hand-Mode auslotet, war die rasante Transformation des Begriffs DIY von einem punkinspirierten Ethos des Widerstands gegen die Kulturindustrie hin zur kommerziellen und neoliberalen Vereinnahmung wohl kaum absehbar. Dieser Artikel gibt einen kursorischen Überblick zur Geschichte der DIY-Kultur mit Blick auf die Partizipation von Frauen* an subkultureller Mode-, Musik- und Medienproduktion und skizziert einige Ambivalenzen der DIY-Karrieren, die durch den Neoliberalismus verstärkt werden.

Zur Geschichte
Einen Anfang nimmt die Geschichte der Do-it-yourself (DIY)-Kultur im 18. Jahrhundert mit Frauen*, die im privaten Raum Kunsthandwerk produzierten und konsumierten, weil diese Tätigkeiten mit Aspekten verbunden waren, die heute hinlänglich mit alternativer Kultur-/Kunstproduktion assoziiert werden, nämlich künstlerische Selbstverwirklichung, Kreativität und die Aneignung von Fertigkeiten abseits von Bildungsinstitutionen. Die Art- und Craft-Bewegung im England des 19. Jahrhunderts politisierte erstmals (Kunst-)Handwerk. In Abgrenzung zur Industrialisierung plädierte sie für langsamere und stärker individualisierte Modi der Produktion, wodurch der Begriff DIY zunehmend mit Unabhängigkeit von der Massenproduktion und der Ablehnung entfremdeter Arbeit und kapitalisierter Profitorientierung verknüpft wurde. Popularisiert wurde dieses Verständnis von DIY mit dem Heimwerken der Mittelschichtfamilien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die ihre Häuser ohne die Unterstützung von Professionist*innen reparierten und veränderten. Anfänglich aus Notwendigkeit und von allen Familienmitgliedern durchgeführt, entwickelte sich das Heimwerken bald zu einer produktiven Freizeitgestaltung, die mit persönlichen Interessen, Kreativität und „häuslicher Männlichkeit“ verbunden und seither von gewinnorientierten Unternehmen aufgriffen und vermarktet wird.
In den Feldern der Kunst waren es zunächst Dadaist*innen, die das DIY-Ethos aufgriffen und damit den Weg für die Entwicklung des Surrealismus und später der Situationistischen Internationale ebneten. Ungeachtet der Unterschiede zwischen diesen Bewegungen teilten die Künstler*innen den Wunsch der Avantgarde, Kunst und Alltag zu verbinden und die Diskurse der kapitalistischen Konsumkultur mit selbstproduzierten Manifesten, Zeitschriften, Plakaten und Collagen zu unterlaufen. Diese Publikationen nahmen den DIY-Gedanken der Fanzine-Kultur vorweg. Die ersten Fanzines produzierten männliche Science-Fiction-Fans in den 1930ern, aber auch Mädchen der Mittel- und Oberschicht griffen diese kreative Praxis in den 1920er und 30ern auf und entwickelten eine eigenständige Fankultur mit der Verehrung von Filmstars; ihre Zines blieben jedoch für die bereitere Öffentlichkeit unsichtbar.
Eine frühe Form des DIY-Musikmachens entstand mit Skiffle-Musiker*innen, die Haushaltsgegenstände wie Wachbrett und Teelöffel einsetzten und viele Jugendliche inspirierten, selbst Musik zu machen. Dieser Enthusiasmus wurde durch Rock’n’Roll und die steigende Popularität der britischen Beat-Gruppen in den 1960ern gefördert, und zahlreichre junge Frauen* nahmen ein Musikinstrument in die Hand und gründeten eigene Bands. Mit der Restrukturierung der US-amerikanischen und britischen Musikindustrie zu Beginn der 1970er-Jahre erfuhr dieser Anstieg an weiblichen Musiker*innen einen Rückschlag, da fortan weiße, männliche Rockbands gegenüber weiblichen Performer*innen und Musiker*innen of Colour bevorzugt wurden und Rock innerhalb nur eines Jahrzehnts zu einem weißen, männlich dominierten Genre mutierte. Diese Situation veränderte sich zumindest in Ansätzen mit Punk. 

Punk: Musik, Style und Second Hand-Fashion 
Punk bot vielen desillusionierten Jugendlichen eine Möglichkeit, ihre Wut auf soziale Ungleichheiten stilistisch und musikalisch zu artikulieren. Es waren aber vor allem junge Frauen*, die mit ihrer Musik, ihrem konfrontativen Glamour und distinkten Second-Hand Style eine spezifische Form der Selbstermächtigung auf der Bühne, im Publikum und im Alltag performten. Für Angela McRobbie (1989) markiert Punk einen „Wendepunkt“, weil diese Jugendlichen eine eigenständige subkulturelle DIY-Ökonomie mit der Veröffentlichung von Fanzines, dem Produzieren von Musik, der Gründung von Plattenlabels und dem An- und Verkauf von Second Hand-Kleidung auf Flohmärkten ins Leben riefen, um auf die kommerzielle Kulturindustrie zu reagieren. In Übereinstimmung mit den Jugendsubkulturanalysen der britischen Cultural Studies schlägt McRobbie vor, Second-Hand Style und Flohmärkte als eine Form des „subversiven Konsums“ zu verstehen, weil er vor allem jungen Frauen* eine Möglichkeit bot, die Modeindustrie mit ihren massenproduzierten und hochpreisigen Gütern zu umgehen und subkulturelle Tätigkeiten in einem Feld voranzutreiben, das traditionell mit Weiblichkeit assoziiert ist und in dem sie relativ ungestört von männlicher Dominanz ihre Kreativität entfalten, Geld verdienen und an der subkulturellen DIY-Ökonomie des Punk partizipieren konnten. Diese Ökonomie entstand im Anschluss an die „Counter Culture“ der Hippies, die ab den späten 1960ern von einer explosionsartigen Eröffnung von Shops und Restaurants begleitet war, während sie sich gleichzeitigt über die Ablehnung traditioneller Mittelschichtvorstellungen hinsichtlich Ausbildung, Karriere und Familie definierte und sich mit sozial und ökonomisch benachteiligen Gruppen identifizierte. Auf diese Ambivalenz hat Stuart Hall bereits in den späten 1970ern hingewiesen, und sie beschäftigt auch McRobbie, wenn sie danach fragt, was es eigentlich bedeutet, wenn Mittelschichtjugendliche eine Vorliebe für Second Hand-Kleidung, „dressing down“ und „looking poor“ entwickeln, und festhält: Second Hand-Style ist eine unbeabsichtigt erniedrigende Antwort auf all jene, die Second Hand-Kleidung kaufen müssen. Diese klassenspezifischen Ambivalenzen sind keineswegs auf den Bereich der Second Hand-Mode beschränkt, sondern charakterisieren auch die Karrieren von subkulturellen Modedesigner*innen, Musiker*innen, Grafiker*innen, Blogger*innen usw., die sich in Mikroökonomien der Jugendkulturen entwickeln, und durch den Neoliberalismus verstärkt sicht- und spürbar werden.

DIY-Karrieren
Die Transformation des DIY-Begriffs ist unmittelbar mit dem Neoliberalismus verbunden, der die Demokratie und ihre Institutionen aushöhlt und dazu führte, dass Prekarisierung das Leben vieler (junger) Menschen strukturiert, nachdem traditionelle Formen der Sicherheit, Stabilität und Gemeinschaft erodieren, die Beziehungen zwischen (Aus)Bildung und Arbeit verändert werden und in vielen westlichen Ländern die Arbeitslosigkeit und Armut drastisch ansteigt. Gleichzeitig werden (junge) Menschen aufgefordert, die Position von erfinderischen und eigenverantwortlichen Bürger*innen einzunehmen, die für sich selbst die besten Entscheidungen treffen, sich an strategischer Planung und Selbstverwaltung beteiligen und unternehmerisch handeln, um eine kohärente Identität zu konstruieren und ihre eigenen Karrieren zu managen. Do-it-yourself lautet nunmehr das Motto, nachdem sich der Wohlfahrtsstaat seiner Verantwortung zunehmend entledigt. In diesem Zusammenhang sind Style, Mode, Konsum und Jugendkulturen für viele junge Menschen zunehmend wichtiger geworden, um eine Identität zu konstruieren, die von anderen anerkannt wird, und um eine DIY-Karriere als alternativen Weg in die Arbeitswelt einzuschlagen. Diese Karrieren basieren auf dem DIY-Prinzip hinsichtlich Selbstorganisation und -management, sie sind von der Integration in die informellen subkulturellen Mikroökonomien der mode-, musik- und medienaffinen Jugendkulturen und Szenen abhängig und charakterisieren sich häufig durch „hope labour“, wie Kuhn und Corrigan (2013) in einer Studie über Online-Medienproduktion festhalten. Die Autor*innen beschreiben mit diesem Begriff die schlecht oder unbezahlte Arbeit, die von Blogger*innen und Webdesigner*innen in der Gegenwart erledigt wird, um Erfahrungen zu sammeln und Netzwerke zu knüpfen, in der Hoffnung, dass in der Zukunft besser bezahlte Aufträge folgen. Diese Zukunftsorientierung findet sich in vielen Narrativen von subkulturellen Unternehmer*innen, die Kleidung, Musik oder Kunst für kein oder wenig Geld im Hinblick auf eine bessere Zukunft produzieren. Steven Threadgold (2018) beobachtete in Underground-Musikszenen in Australien, dass zahlreiche junge Menschen kein Interesse an einem normativen Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt hatten und eine DIY-Karriere anstrebten, was bedeutet, in relativer Armut zu leben und unterschiedliche Strategien zu entwickeln, um Lohnarbeit, Kulturproduktion und Selbstverwirklichung zu verbinden. Diese hohen affektiven Investitionen in kreative, erfüllende und „sinnvolle“ Arbeit sind kennzeichnend für Akteur*innen, die eine DIY-Karriere einer „straighten“ Arbeit mit geregelten Arbeitszeiten vorziehen. Sie können häufig ihre vererbten Klassenprivilegien mit ihren Fähigkeiten und Kenntnissen, die sie sich durch die Partizipation in jugendkulturellen Szenen angeeignet haben, kombinieren, um ein subkulturelles Unternehmen wie beispielsweise einen Second Hand-Shop oder ein kleines Mode-Label zu realisieren und, ermutigt durch das punkinspirierte DIY-Ethos, Unabhängigkeit und Selbsterfüllung über Profit und Stabilität stellen. Vielen anderen jugendkulturell sozialisierten Individuen bleiben diese Möglichkeiten aufgrund fehlenden kulturellen Kapitals oder mangels Geld verwehrt. Diese sozialen Ungleichheiten verschärfen sich durch den Neoliberalismus und durchdringen die Mikroökonomien der Jugendkulturen. Gleichzeitig bewirkt das wachsende Interesse vieler Jugendlicher mit diversen sozialen und kulturellen Hintergründe an einer DIY-Karriere die globale Ausbreitung einer „alternativen“ Kulturproduktion, die sich zunehmend professionalisiert und Kritik am Neoliberalismus und sozialen Ungleichheiten artikuliert.


Literatur
McRobbie, A. (1989): Second-Hand Dresses and the Role of the Ragmarket. In: dies. (Hg.): Zoot Suits and Second-Hand Dress. London: Palgrave Macmillan, S. 23-49.

Kuhn, K. / Corrigan, T. Hope Labour: The Role of Employment Prospects in Online Social Production, The Political Economy of Communication, 1 (1): 9-25.

Threadgold, S. (2018): Creativity, Precarity and Illusion: DIY Cultures and ‘Choosing Poverty’, Cultural Sociology, 12 (2): 156-173.

Rosa Reitsamer ist Professorin für Musiksoziologie an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie forscht zu Jugendkulturen und Szenen, Popularmusik, Gender und kulturelles Erbe, Arbeitsbedingungen, Karrieren und Ausbildung von Musiker*innen und zur Bewertung musikalischer Leistungen.


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 55, Herbst 2020, „Modethema“.