Fridays for Future – Generalstreik für die Zukunft
Als ich am 15. März 2019 zur lokalen Fridays for Future-Demo in Münster gegangen bin, kam in mir ein Gefühl von Begeisterung, Zuversicht und Rührung auf. 5.000 Schüler*innen bestreikten an diesem Tag allein in dieser 310.000-Einwohner*innen-Stadt den Unterricht, um lautstark für eine klimagerechte Zukunft zu demonstrieren. „Liberté, Egalité et Fuck Kohlé“, „Alle elf Minuten schmelzen 5,3 Millionen Tonnen Eis in der Antarktis – Ich klimawandel jetzt. ACT NOW!“, „‚Mama, warum sind Tiere ausgestorben?‘ – ‚Deine Eltern haben zu viel Nutella gegessen‘“, „Die mächtigsten Waffen der Welt sind Messer und Gabel“, ... die Sprüche auf den selbstgemachten Schildern und Transparenten der Kids sind oft phantasievoll, lustig und aufklärerisch.
An diesem Freitagmorgen waren es weltweit 1,5 Millionen Menschen, die sich an 2038 Orten in 125 Ländern auf sechs Kontinenten an diesem globalen Schüler*innenstreik beteiligt haben. In Deutschland waren es 300.000 Menschen in über 200 Städten! Großartig!
„Wir sind die Jugend von heute und die Gesellschaft von morgen. Heute haben wir laut, konsequent und vielfältig gezeigt, dass wir nicht mehr länger zusehen werden, wie unsere Zukunft von unseren Politiker*Innen verspielt wird. Weltweit haben wir heute gezeigt, dass JETZT alles daran gesetzt werden muss, den Klimawandel aufzuhalten. Und solange die Politik nicht mit konkreten Maßnahmen konsequenten Klimaschutz in ihr Programm schreibt, werden wir weiterhin jeden Freitag auf den Straßen stehen!“, schreiben die Aktivist*innen selbstbewusst.
Bei „Fridays for Future“ handelt es sich tatsächlich um eine soziale Bewegung von unten. Diese globale Graswurzelbewegung der Schüler*innen wurde unter anderem von der heute 16jährigen Greta Thunberg inspiriert.
So sympathisch die schwedische Schülerin ist, so unsympathisch ist der Versuch der Massenmedien, sie zur Anführerin hochzustilisieren. Hierarchisch denkende Medienfuzzis können nicht akzeptieren, dass eine soziale Bewegung keine Führer oder Führerinnen braucht. Greta ist tatsächlich eine von Millionen, die sich für Klimagerechtigkeit und gegen Klimakiller engagieren.
Hinter dem von den Medien betriebenen Personenkult und Hype um Greta Thunberg steckt Kalkül. Anführer*innen lassen sich oft leicht in die bestehenden, hierarchischen Strukturen integrieren und korrumpieren. So mancher Funktionär von Nichtregierungsorganisationen wurde schon vom Apparat absorbiert und endete als öder Parteipolitikverkäufer im EU-Parlament, wie die Beispiele des Ex-Sprechers des einst mächtigen Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) Jo Leinen (SPD) oder des einstigen Attac-Promis Sven Giegold (Grüne) zeigen.
Die als „Anführer“ oder „Anführerinnen“ aufgebauten Bewegungsaktivist*innen bieten den Massenmedien zudem lukrative Projektions- und Angriffsflächen. So auch Greta Thunberg. Als die 16-Jährige am 17. März einen ungeschickt formulierten Text auf ihrer Facebookseite postete, nutzten das reaktionäre Schreiberlinge in den Redaktionsstuben von Spiegel Online, Focus, Blick, Welt, Tichys Einblick und Russia Today, um die bei AfD und anderen Rechten verhasste Klima-Aktivistin öffentlich zu diskreditieren.
Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer jubelte am 21. März auf Spiegel Online über „Thunbergs Bekenntnis zur Atomenergie“. Auch auf Twitter behauptete der Rechtsausleger des auflagenstarken Nachrichtenmagazins: „Greta Thunberg hat sich für die Atomkraft ausgesprochen.“ Wer sich allerdings den Eintrag der Schülerin angesehen hat, wird sich angesichts dieser üblen Word-im-Mund-Verdrehung die Augen reiben. Dort schreibt Greta, dass sie persönlich eine Gegnerin der Atomkraft ist: „Personally, I am against nuclear power.“ Es gehört schon eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu, daraus ein Bekenntnis zur Atomkraft zu machen.
Offenbar durch seinen rechten Spiegel-Kollegen inspiriert, legt Gabor Steingart Greta Thunberg auf Focus Online ein frei erfundenes Zitat in den Mund: „Ich bin eigentlich gegen die Nuklearenergie“.
Treffend analysiert Finn Holitzka in der taz vom 22. März unter dem Titel „Wie viel CO2 macht eine Nebelkerze?“ das Geschreibsel von Steingart und Co.: „Der ehemalige Spiegel- und Handelsblatt-Redakteur dürfte den Unterschied zwischen ‚eigentlich‘ und ‚persönlich‘ (personally) kennen. So liest sich der Satz bestenfalls als Fehlübersetzung. Oder aber als bewusste Verwässerung der klaren Aussage Thunbergs. Die Bild will derweil im Thunberg-Post gelesen haben: ‚Auf der Suche nach einem globalen Weg nach vorn dürfe man auch die Atomkraft nicht verteufeln.‘ Das ist entweder unsauber wiedergegeben oder verfälscht, über ‚Verteufelungen‘ verliert Thunberg jedenfalls kein Wort. Und Bild-Cousine Welt titelt zum überarbeiteten Post am 20. März: ‚Plötzlich ändert Greta Thunberg ihre Meinung zur Atomkraft‘. Eine offengelegte Präzisierung wird also zur ruckartigen Kehrtwende umgedeutet. Ein letztes Beispiel dafür, dass die aktuelle Posse nicht nur eine Frage handwerklich gewissenhaften Journalismus ist: ‚Die Prophetin des Klimawandels plädiert für Kernenergie‘, schreibt Josef Kraus für Tichys Einblick. Soweit, so falsch.“
Die Anti-Atom-Bewegung war seit 1968 die wohl erfolgreichste soziale Bewegung in Deutschland. Weder die über 100 geplanten Atomkraftwerke noch die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) konnten gegen den massenhaften Protest in der Bundesrepublik durchgesetzt werden. Und der – leider noch immer nicht zu 100 % vollendete – „Atomausstieg“ der Merkel-Regierung wäre ohne die Massenproteste nach dem Super-GAU in Fukushima nicht denkbar gewesen.
Ein Grund für die Langlebigkeit und Stärke der Anti-Atom-Bewegung ist, dass sie sich nicht spalten lässt und generationsübergreifend agiert. Deswegen ist es auch ermutigend, dass bis heute kein Blatt zwischen die Anti-Atom- und die Klimagerechtigkeitsbewegung passt; beide sind eng und solidarisch miteinander verzahnt.
Stellen wir uns vor, dass am Freitag nicht mehr nur die Schüler*innen und Student*innen, sondern auch viele andere Menschen aller Altersgruppen gegen die Klimakillerpolitik streiken und demonstrieren. Ein generationsübergreifender Generalstreik für eine menschenwürdige und klimagerechte Politik. Das wäre der Beginn einer Graswurzelrevolution, die das Zeug hätte, die Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen zu verhindern und ein würdiges Leben für alle Menschen zu verwirklichen. Sorgen wir dafür, dass diese Utopie Wirklichkeit wird. Anarchie und Glück! Für ein Klima der Gerechtigkeit, für eine gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft.
Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)
Kommentar aus: Graswurzelrevolution Nr. 438, April 2019, www.graswurzel.net