Ungesunde Ökologien, prekäre Arbeit und Pandemie in der globalisierten Fleischindustrie im Süden Brasiliens

Keywords: COVID-19, meat industry, precarious work, unhealthy ecologies, Brazil

Schlagwörter: COVID-19, Fleischindustrie, prekäre Arbeit, ungesunde Ökologien, Brasilien

Etwa achtzehn Monate nach Beginn der Pandemie lassen aktuelle Zahlen keinen Zweifel daran, dass COVID-19 zum tragischsten Ereignis der Gegenwartsgeschichte geworden ist. Am 15. November 2021 ging das Coronavirus Resource Center der John Hopkins Universität von weltweit mehr als 257 Mio. bestätigten Infektionen und 5,15 Mio. Toten aus. Zeitgleich wurden laut Angaben des #PainelConass COVID-19 in Brasilien bereits mehr als 610.000 Todesfälle gezählt.[1] Aber nicht nur die Zahlen und ihre durchaus wichtigen biomedizinischen und epidemiologischen Wirkungen sind von Bedeutung. Denn die Pandemie als multiples und ungleiches Ereignis geht nicht in den globalen Narrativen über den Krankheitserreger auf. Viel eher fordern immer auch sozioökonomische, kulturelle, politische, ökologische, kollektive sowie individuelle Unterschiede die Homogenität des Risikos, der Krankheit und der entsprechenden Sorge heraus. Aus einer anthropologischen Perspektive macht das Virus allein nicht die Pandemie aus. Stattdessen gibt es immer ein mehr oder weniger kontingentes Geflecht an Bedingungen, aufgrund derer Ereignisse wie dieses an Form, Verbreitung und Intensität gewinnen (Segata u.a. 2021a; Gamlin u.a. 2021).[2]

Der brasilianische Fall zeigt besonders deutlich, wie die schädliche Kombination des Handelns von politischen und unternehmerischen Akteuren, des Sozialabbaus sowie der historischen Machtbeziehungen und Ungleichheiten im Zusammenspiel mit dem Virus ein Ambiente von Risiko und Vulnerabilität hervorbringt. Ein Mitschnitt eines Treffens der Spitze der brasilianischen Bundesregierung im Mai 2020 förderte einige Windungen dieses destruktiven politischen Systems zutage. In einer der emblematischsten Szenen begeisterte sich der damalige Umweltminister Ricardo Salles angesichts der Möglichkeit, „infralegale Reformen der Deregulierung“ durchzuführen und „gleich das volle Programm an Vereinfachungen voranzutreiben“.[3] Während die Presse ihre Aufmerksamkeit auf die Pandemie richtete, war dies für den Ex-Minister der richtige Moment, um die „Rinderherde freizulassen, das ganze Regelwerk zu ändern und Normen zu vereinfachen“ (Salles 2020).[4]

Die Fleischindustrie im Süden Brasiliens ist einer der Sektoren, in denen die „Rinderherde freigelassen“ wird. Anfang letzten Jahres wurden in mehreren Ländern, unter anderem den USA, Deutschland und Brasilien Betriebe der fleischverarbeitenden Industrie[5] mit unzähligen Ausbrüchen des neuen Coronavirus in Verbindung gebracht. Die hohen Infektionsinzidenzen unter den Beschäftigten, ihren Angehörigen und in ihren Gemeinden führten zur Einstellung der Aktivitäten in vielen Betrieben der Branche. Im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul gab es zwischen März 2020 und März 2021 – gerade einmal einem Pandemie-Jahr – nach offiziellen Angaben 7.693 COVID-19-Fälle unter Beschäftigten der Fleischindustrie. Im Juni vergangenen Jahres machte dies 32 % der Fälle im gesamten Bundesstaat, also ein Drittel der Infektionen aus. Diese Befunde zur Pandemiesituation legen den Eindruck nahe, dass die Fleischverarbeitung einen großen Anteil an der Verbreitung der Krankheit in Rio Grande do Sul hatte (Segata u.a. 2021b). Sie knüpfen an andere Debatten an, im Rahmen derer die schweren Risiken und Probleme der Fleischindustrie bereits betont wurden. Benannt werden dabei Arbeitsunfälle, das Repetitive-Strain-Injury-Syndrom und psychische Störungen. Zudem können die Beschäftigten chemischen Substanzen ausgesetzt sein und erkranken leichter, da ihr Immunsystem aufgrund der strukturell ungesunden Arbeitsbedingungen besonders anfällig ist. Dies betrifft auch indigene und migrantische Arbeiter*innen.[6] Vor diesem Hintergrund wirft die Entstehung neuartiger Krankheitserreger ein neues Licht auf die unheilvollen Effekte des Agrobusiness auf lokale Ökologien und globale Ökosysteme.

Diese durch das toxische Handeln des Agrobusiness hervorgerufene Situation führt zentrale Themen der Debatte über das Anthropozän zusammen und wiederholt auf neue Weise die historischen und zerstörerischen sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Bedingungen, die Länder wie Brasilien seit dem kolonialen Extraktivismus bis hin zum Neoextraktivismus der commodities[7] (Acosta & Brand 2018; Svampa 2019) in Angst und Schrecken versetzen. Das Szenario der gegenwärtigen COVID-19-Infektionen verdeutlicht zudem, dass angesichts dieser neuen Kombination aus prekärer und rassifizierter Arbeit und der Produktion ungesunder Ökologien[8] in der fleischverarbeitenden Industrie auch eine Debatte über strukturelle Gewalt auf dem Feld der Gesundheit und Krankheit geführt werden muss (Farmer 2004 & 2018; Singer & Rylko-Bauer 2021).

Unser Artikel basiert auf den Ergebnissen eines Forschungsprojekts über die Produktion und den Vertrieb von Fleisch, die Umweltzerstörung sowie die Ausbeutung menschlicher und tierischer Arbeit in der Fleischindustrie im Süden Brasiliens. Dieses Projekt trägt den Titel: COVID-19 in Brasilien. Analyse und Bearbeitungsstrategien der sozialen Folgen der Pandemie für Beschäftigte im Gesundheitswesen und isolierte Bevölkerungsgruppen.[9]

In den ersten beiden Abschnitten skizzieren wir den Kontext der politischen und unternehmerischen Entscheidungen zum Abbau von arbeits- und umweltpolitischen Abkommen und Regulierungen, die zur Verschlimmerung der Pandemie in der südbrasilianischen Fleischindustrie beigetragen haben. In den beiden abschließenden Kapiteln beziehen wir das Agrobusiness und die Pandemie auf die Debatte über das Anthropozän und betonen dabei die historischen Macht- und Ungleichheitsbeziehungen, in welche diese in Ländern wie Brasilien – wo die ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Krisen meist früher und langfristiger als an anderen Orten zutage treten – verwickelt sind.

Ein „sehr stressiges“ Jahr

„Ich habe drei Tage mit über 38 Grad Fieber gearbeitet. Ich hatte Covid“, schreibt Nelson in einer WhatsApp-Nachricht. „Man konnte nicht anhalten. Wenn der Vorarbeiter herausgefunden hätte, dass jemand krank war, hätte er Einen direkt nach Hause geschickt, wegen der Vorschriften. Aber wenn Du zuhause bist, dann gibt es kein Geld. Die Firma zieht alles ab. Und so mussten wir arbeiten gehen, auch wenn wir wussten, dass das gefährlich ist. Ich war nicht der einzige Kranke. Wir haben es versteckt, verstehst Du? Wir haben ein Medikament genommen, um das Fieber zu senken und die Fieberthermometer auszutricksen. Es muss halt weitergehen.“

Nelson arbeitet in der Fleischindustrie. Seine Tätigkeit besteht im Ausbeinen von Fleisch. Der Betrieb, in dem er arbeitet, gehört zu einem Unternehmen mit Sitz in den USA, welches in mehreren Kleinstädten im Süden Brasiliens Standorte unterhält. Wir sprachen im Rahmen der Interviews zu den Folgen der Pandemie für Beschäftigte in der Fleischindustrie im Februar 2021 mehrmals telefonisch mit ihm; zu diesem Zeitpunkt fühlte er sich bereits viel besser. Er gilt als genesen, dennoch war die im August 2020 durchgemachte Infektion nicht so schnell ausgeheilt: „Ich hatte noch lange Zeit Schmerzen in der Brust und Atemnot. Das war ganz und gar nicht gut. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt“, sagt er. Andere Arbeiter*innen, die sich ebenfalls im Kühlhaus angesteckt hatten, hätten jedoch nicht so viel Glück gehabt und fühlten sich weiterhin schlecht: „Ich habe einige Kollegen, die immer noch schlecht Luft bekommen, nichts riechen und starke Kopfschmerzen haben. Es hat sie voll erwischt. Und 2020 war ein richtig stressiges Jahr“, beschwert er sich.

Nelsons Eindruck stimmt. Tatsächlich war 2020 „richtig stressig“, denn in der Fleischindustrie wurden in diesem Jahr Rekorde verzeichnet. Auch wenn die COVID-19-Pandemie internationale Handelsbeziehungen durcheinanderbrachte, scheint sie die brasilianische Fleischindustrie nicht weiter berührt zu haben. Während das Bruttoinlandsprodukt 2020 um 4,1 % schrumpfte, verzeichnete die Landwirtschaft als einziger Wirtschaftszweig Brasiliens ein Wachstum von 2 %.

Angaben des brasilianischen Instituts für Geographie und Statistik (IBGE – Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística) zufolge wurden allein im letzten Quartal des Jahres 7,1 Mio. Rinder, 12,5 Mio. Schweine und 1,55 Mrd. Hühner geschlachtet (IBGE 2021). Tierisches Protein (in natura sowie in verarbeiteter Form) macht weiterhin einen beträchtlichen Anteil der brasilianischen Exporte, insbesondere nach China, aus. Der chinesische Markt absorbierte in diesem Zeitraum mehr als die Hälfte des in Brasilien produzierten Rinder- (56,8 %) und Schweine- (58,3 %) sowie etwas mehr als 16 % des Geflügelfleisches (IBGE 2021). Insgesamt hat Brasilien seine Exporte an Geflügel, Schweine- und Rindfleisch um ungefähr 10 % gesteigert, womit das Land nun zum drittgrößten Fleischproduzenten weltweit avanciert ist (CNA 2021).

Die beeindruckende Entwicklung dieser Industrie basiert darauf, dass das Land über einen der weltweit größten Viehbestände verfügt: Es gibt um die 200 Mio. Rinder sowie enorme Bestände an Geflügel und Schweinen, welche durch mehr als eine halbe Million Arbeiter*innen in tausenden von Betrieben im ganzen Land geschlachtet, zerlegt und verarbeitet werden. Auf Grundlage dieser Daten kultiviert die Arbeitgeberseite das hochtrabende Narrativ, das Agrobusiness – oder, wie es im Werbeslang heißt, der „Agro“ – bilde auch in Zeiten einer tiefgehenden und globalen Gesundheitskrise ein solides Fundament für die Entwicklung des Landes.

Die positive Bilanz des brasilianischen Agrobusiness im ersten Pandemie-Jahr hat unterschiedliche Gründe. Zwanzig Tage nach der Proklamation des öffentlichen Katastrophenfalls durch das Parlament (Brasil 2020a) veröffentlichte das Ministerium für Landwirtschaft, Viehzucht und Lebensmittelsicherheit (MAPA – Ministério da Agricultura, Pecuária e Abastecimento) eine Verordnung, in welcher quasi alle Bereiche der Lebensmittelproduktion zu „systemrelevanten Dienstleistungen“ erklärt wurden (Brasil 2020b). Der primäre Sektor war damit – anders als viele andere Wirtschaftszweige, insbesondere im Bereich der Dienstleistungen – von vielen Einschränkungen in Bezug auf die Zirkulation von Personen und Waren ausgenommen. Zudem hat der schnelle Wiederanstieg des Konsums in China in der zweiten Jahreshälfte dazu beigetragen, dass das Agrobusiness bessere Ergebnisse erzielte als andere brasilianische Wirtschaftssektoren. Insbesondere die Fleischindustrie hatte bereits seit Ende 2018, als ein Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest die chinesischen Viehbestände stark dezimiert hatte, von den Handelsbeziehungen zu diesem Land profitiert. Laut Angaben des IBGE hat China im letzten Quartal 2020 im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres 52 % mehr Schweinefleisch aus brasilianischen Schlachthöfen gekauft. In gewisser Hinsicht schien daher die Pandemie dem brasilianischen Agrobusiness sogar ein positives Geschäftsklima zu bieten – die Krise hatte sich in eine Chance verwandelt. Doch parallel dazu, dass der „Agro“ in der Pandemie seine Resilienz unter Beweis stellte, litten die Beschäftigten in den fleischverarbeitenden Betrieben unter wiederholten Ausbrüchen des neuen Coronavirus. In den drei südlichen Bundestaaten Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul ist es besonders kritisch. Hier hat ein Großteil der Betriebe für Schlachtung und Verarbeitung von Tieren aus Massenstallhaltung (Schweinen und Geflügel) ihren Standort.[10]

Es gibt aber noch weitere Gründe dafür, dass 2020 ein „stressiges Jahr“ war. Denn während Brasilien in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr auf der Welt-Hunger-Karte vertreten war, wurde das Land nun erneut von Ernährungsunsicherheiten heimgesucht. Schlechte Ernährung verstärkte während der Pandemie wiederum die Anfälligkeit der Bevölkerung für das Virus (Galindo u.a. 2021; Pompeia & Schneider 2021). In der Anerkennung der Fleischindustrie als „systemrelevanter Dienstleistung“ schwingt daher auch eine bereits ältere Debatte über Ernährungsstrategien mit. In Rio Grande do Sul werden in dieser Diskussion beispielsweise identitäre und neoevolutionistische Argumentationen über die menschliche Vorherrschaft in der Nahrungskette angeführt (Sordi 2016). Während der Pandemie haben verschiedene, mit der Fleischindustrie verbundene Verbände mit einem Protestbrief auf Betriebsschließungen in Rio Grande do Sul reagiert. Dabei legten sie nahe, dass das Fehlen von Fleisch in den Supermarktregalen ein soziales Chaos hervorrufen könne:

„Das Herunterfahren der Nahrungsmittelproduktion birgt das Risiko einer Inflation und von Versorgungsengpässen. Die Schließung von Betrieben kann zu Lücken im Supermarktsortiment führen. Eingriffe, die das Angebot an Nahrungsmitteln verringern, können in der Zukunft ein soziales Chaos herbeiführen.“ (o.V. 2020)[11]

Und so gab es im ganzen Land, gegenläufig zu den wachsenden Produktions- und Exportzahlen, einen schwindelerregenden Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel, insbesondere Rindfleisch, der dazu führte, dass die brasilianischen Esstische ab 2020 während der Pandemie spärlicher gedeckt waren.[12] Diese Ambilvalenz zeigt, dass das Agrobusiness sich nicht darum dreht, in demokratischer Manier Lebensmittel zu produzieren, sondern auf intensive Weise Geld und Krankheit zu vermehren (Segata u.a. 2021c; Pomar 2021). Nelson und mit ihm tausende weitere Arbeiter*innen dieser Branche sind dem Risiko ausgesetzt, am Virus oder an Hunger zu sterben, während sie Nahrung produzieren, welche wiederum die Börsen und die Vermögen der Eigentümer*innen der Agrobusinessimperien mästet.

„Agro ist Techno“

Der Werbeslogan „Agro ist Techno“ verweist auf eine entstehende Rationalität, welche die Ernährung einer immer stärker bevölkerten und hungrigeren Welt verspricht, während sie in Wirklichkeit kapitalistische Gewinnerwartungen steigen lässt, indem Kulturen durch die Verbindung aus genetischer Veredelung und prekarisierter Arbeitskraft optimiert werden (Wallace 2020a; Almeida 2011).[13] Schweine zum Beispiel müssen gleichmäßig wachsen, damit sie als Arbeitskraft im agrarindustriellen Kapitalismus ausgebeutet werden können. Dies hat mit Standardisierungsanforderungen der Lebensmittelindustrie zu tun. So sollen beispielsweise die Qualität des Fetts und der Muskeln keine Diskrepanzen aufweisen, schließlich ist die Gleichförmigkeit des Produkts ein wesentliches Qualitätsmerkmal kapitalistischer Waren (Segata & Muccillo 2021). Und auch die Fertigungslinien der fleischverarbeitenden Betriebe erfordern Standardisierungen – denn damit sie auf Fließbändern und Haken transportiert werden können, müssen die Kadaver eine adäquate Größe und entsprechendes Gewicht haben. Dies verlangt wiederum den menschlichen Arbeiter*innen die immer gleichen monotonen Bewegungsabläufe ab (ebd.).

Doch während im Lebensmittelkapitalismus die Waren standardisiert werden, gibt es keine Standards in Bezug auf die Verteilung des daraus resultierenden Reichtums noch zur Verringerung des Leids, das den verletzlichen Körpern zugefügt wird (Holmes 2013). Wie Alex Blanchette (2020) aufgezeigt hat, spezialisieren sich die menschlichen Arbeiter*innen darauf, mit bestimmten Teilen des Schweinekadavers zu arbeiten, was sich wiederum in Form von Traumata in ihren Körpern manifestiert. Mit anderen Worten: Menschen, Schweine und Kapitalismus fügen sich am Schlachtband zusammen, denn durch die das standardisierte Zerlegen der Fleischstücke am Fließband ermöglichenden erwünschten, repetitiven Bewegungen verkörpern die menschlichen Arbeiter*innen zugleich die auf Vermarktung ausgerichtete Anatomie der Schweinekörper und den industriellen Kapitalismus. Darüber hinaus zeigt Blanchette auch auf, wie die medizinischen Abteilungen, die die entsprechenden Betriebe betreuen, dazu beitragen, die Arbeitskraft der Schweine durch die menschliche Animalität verstärkt auszunutzen. Denn sie identifizieren betriebsbedingte Traumata und klassifizieren menschliche Körper entsprechend ihrer Sehnen und Muskeln. Auf diese Weise ermöglichen sie es den Unternehmen, die Fertigkeiten so anzuordnen, dass die Stärken der menschlichen und schweinischen Anatomie in Schlachterei und Zerlegung zur Geltung kommen. In den Worten von Blanchette (2020) markiert dieser Prozess

„eine Situation, in der jahrzehntelange Anstrengungen, den Schweinekörpern mehr Wert abzupressen, dazu geführt haben, dass sich die Art und Weise verändert, wie der menschliche Körper als industrieller Standort für die Gewinnung neuen Geldes eingesetzt wird“ (ebd.: 181).

Die Logik der Vereinheitlichung tierischer Körper in der Produktion ist in der Nahrungsmittelindustrie so allgegenwärtig, dass sogar die Forderung nach der Einführung von Technologien zur Stärkung des Tierwohls nur dann in die Produktionskette integriert wird, wenn sie zum übergeordneten Ziel: der Suche nach dem „perfekten Kadaver“, beiträgt. Und somit werden entsprechende Technologien durch industrielle Akteure nicht so sehr als eine ethische Problemstellung, sondern als Frage der Integrität und Qualitätskontrolle bezüglich des Endproduktes dargestellt (Sordi 2016). Mit anderen Worten: Techniken zur Reduzierung tierischen Leids werden von der Industrie in erster Linie dann übernommen, wenn sie dazu beitragen, die Folgen von Stress bei den Tieren zu mildern. Denn Stress beeinträchtigt die Zartheit des Fleisches oder führt zu Verletzungen, die wiederum die effiziente Nutzung aller Teile des Kadavers erschweren. Somit schreibt sich die „neoliberalisierte Natur“ (Wallace 2020a) in den Wunsch nach Humanisierung einer Welt voller standardisierter Schweinekörper ein.

Schlecht genutzte menschliche Fähigkeiten und falsch ausgerichtete Schweine stören den Massenproduktionsprozess, weswegen die Standardisierung der Tiere bereits bei den Genen beginnt. Genetische Manipulation setzt ganze Herden den Risiken von Massenansteckungen aus, da die Vereinfachung des Lebens um den Preis der Ausrottung von Diversität erlangt wird. Dies macht den Einsatz hochdosierter Antibiotika erforderlich. Diese werden eingesetzt, damit das kurze Leben dieser Tiere zumindest bis zur Schlachtung andauert und sie nicht bereits vorher einer Krankheit erliegen. Häufig beschränkt sich die ambivalente Arbeit von Tierärzt*innen in dieser Branche darauf, die Tiere so lange am Leben zu halten, bis sie ausreichend Gewicht angesetzt haben, um einen lukrativen Tod zu sterben.

Zu den sieben Gigatonnen CO2, die die intensive Viehzucht in die Biosphäre pustet, kommt hinzu, dass die Überzüchtung Immundefekte hervorruft, die dann wiederum durch den Einsatz von hochdosierten Antibiotika (so genannte Reserveantibiotika; Anm. d. Übers.) bearbeitet werden (Wallace 2020b). Blanchette (2020) weist darauf hin, dass die Tiere, vor allem Schweine, diese komplexen Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel nicht vollständig verdauen und daher Rückstände chemischer Substanzen ausscheiden. Er illustriert dies im Rahmen seiner Ethnografie mit einem Beispiel aus dem Süden der USA. In unmittelbarer Nähe zu den Schweinemastbetrieben befinden sich Lagunen, in welche die anfallende Gülle geleitet wird. Dadurch gelangen auch große Mengen Antibiotika und andere, nicht von den Schweinen verdaute chemische Substanzen in diese Gewässer. Durch die in den Wüsten im Süden der USA typische starke Sonneneinstrahlung verdampft der flüssige Teil der Gülle und mit ihm gelangen chemische Partikel in die Atmosphäre. Mit dem Regen wiederum kommen sie zu den Menschen und anderen Tieren in der Umgebung, und dringen über die poröse Grenze der Haut direkt in die Körper ein. Die getrockneten Rückstände der Gülle in den Lagunen werden zu Staub, verbreiten sich mit dem Wind, bis sie über die Atemwege in den Lungen der Arbeiter*innen und Anwohner*innen landen (Blanchette 2020).

Hervorzuheben ist, dass Techniken der Genmanipulation arme Länder in riesige, lukrative Anbauregionen für genmanipulierte Pflanzen sowie zu Standorten für Massentierhaltung verwandeln. Im Zusammenspiel mit den großen, unstrukturierten Metropolen, den Industriekomplexen und Fertigungsanlagen verursachen sie Schnitte und Wunden, die uns immer stärker den Risiken und der Verwundbarkeit aussetzen. Diese ungleich auf Schwarze und lateinamerikanische Körper verteilte Last prekärer Ökologien verdeutlicht die Logik eines rassifizierten Kapitalismus (racial capitalism) (Blanchette 2020; Holmes 2013), der Migrant*innen unverhältnismäßig häufig in den direkten Kontakt mit potenziell kontaminierten Substanzen und Situationen bringt (Segata u.a. 2021c). Diese materielle Ausprägung struktureller Gewalt verkörpert still und leise das Anthropozän mit seinen rassifizierten, klassistischen und speziesistischen Hierarchien.

Koloniale Effekte, Symptome des Anthropozän

Weltweit hat rücksichtsloses und extraktivistisches Handeln gegenüber Pflanzen, Tieren, Mineralien und Umwelt für Zerstörung und Ausrottung gesorgt. Dieser in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten begonnene Prozess hat sich zuletzt enorm verstärkt; er konzentriert sich dabei auf „neue Produkte wie Antibiotika, Pestizide und genmanipulierte Pflanze, […] intensive Monokulturen und selektive Effekte des Temperaturanstiegs und des Anstiegs der Meeresspiegel, welche evolutionäre Prozesse verändern“ (Descola 2017: 17). Entgegen der eher generalisierenden Tendenz in der aktuellen Debatte über die Herausbildung eines Anthropozäns, also eines neuen Erdzeitalters, das aus menschlichem Handeln hervorgegangen ist (Bonneuil & Fressoz 2016; Pálson 2020), heben Antropolog*innen hervor, dass Menschen im Kapitalismus verortet sind. Deswegen müsse auch ihr potenziell global und unwiederbringlich zerstörerisches Handeln mit ihrem berüchtigten Willen, die Welt in eine Ressource zur Generierung von Wachstum und Profit zu verwandeln, in diesem Kontext gesehen werden (Descola 2017; Ulloa 2017; Ferdinand 2019). Zudem blickt diese Perspektive nicht nur auf die Entwicklung des Handelskapitalismus, viel eher betont sie auch koloniale Verflechtungen sowie Geographien und Geschichten der Ungleichheit zwischen Europa und dem „Rest der Welt“– ausgebeutet seit mehr als fünf Jahrhunderten durch die Extraktion von Holz und mineralischen Rohstoffen, Enteignung von Territorien, Vernichtung von Identitäten und Denkweisen, Vergewaltigung von Frauen und Ermordung der lokalen (menschlichen und tierischen) Bevölkerung (Descola 2017; Ulloa 2017; Ferdinand 2019).

Der Blick auf die europäische Expansion verdeutlicht, dass das Anthropozän nicht nur durch die ökologischen Konsequenzen menschlichen Handelns geprägt ist. Viel eher bezieht der Begriff auch koloniale Prozesse der Extraktion von Holz und Mineralien, Sklaverei und Genozid lokaler Bevölkerungen ein (Araóz 2020). Er ermöglicht außerdem, diese Debatte in eine historische Linie der strukturellen Gewalt einzuordnen, welche sich mit ökologischen Ungleichgewichten und den von Menschen, Tieren sowie lokalen Ökologien geteilten gesundheitlichen Risiken und Beschwerden überschneidet. Die aktuelle Situation in der brasilianischen Fleischindustrie ist ein Beispiel für diese tiefgreifende strukturelle Gewalt. Viele der mit dem neuen Coronavirus infizierten menschlichen Arbeiter*innen in Rio Grande do Sul waren Schwarze Jugendliche sowie Migrant*innen aus Venezuela, Haiti und dem Senegal. Andere sind Angehörige indigener Gemeinschaften aus dem Westen der Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná. Sie arbeiten dort unter besonders vulnerablen Bedingungen (Granada u.a. 2021). Diese Situation weist einige Parallelen zur Kolonialzeit und zur Epoche der Sklaverei auf.

Der Süden Brasiliens hat eine lange Vorgeschichte mit der Fleischindustrie. Rio Grande do Sul beispielsweise war bereits im 19. Jahrhundert ein weltweit einschlägiger Produktionsstandort für Dörrfleisch (charque), dessen Herstellung auf Sklavenarbeit basierte. Während weiße Narrative diese Geschichte negieren, belegen archivbasierte Recherchen nicht nur, dass es in dieser Branche Sklaverei gab, sondern auch, dass es sich dabei um eine ihrer brutalsten Formen im ganzen Land handelte. Denn infolge ständiger Bestrafungen waren die Körper der Sklav*innen durch offene Wunden gezeichnet. Diese Wunden kamen dauernd mit dem bei der Arbeit mit dem Fleisch verwendeten Salz in Berührung, sodass diese Arbeit zur konstanten Folter wurde (Gutierrez 2002; Kosby 2021). Die Arbeitsbedingungen waren äußerst ungesund; unter anderem rief die Arbeit mit den riesigen Stücken gesalzenen Fleisches schwere Rückenprobleme hervor. Die nicht adäquat entsorgten Abfälle dieser Industrie führten zur Umweltverschmutzung, die sich in Flüssen aus Blut und Eingeweiden sowie Fäulnisschwaden manifestierte. Hinzu kamen die Krankheiten Cholera und Beulenpest. Da mit den Viehtransporten und Lieferungen von Fleisch und Leder auch infizierte Ratten zirkulierten, breiteten sich diese Krankheiten in ganz Brasilien, Uruguay und Argentinien aus (Schwartsmann 2010; Loner u.a. 2012). Zusammengefasst lässt sich daher festhalten, dass sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart die Fleischindustrie aufs Engste mit Praktiken der Ausbeutung, der prekären und rassifizierten Arbeit, der Produktion ungesunder Ökologien und mit Pandemien verknüpft ist.

Für den lateinamerikanischen Kontext ist darüber hinaus hervorzuheben, dass die Ausweitung der Viehzucht für den Schlachtereibetrieb mit der Einbindung von Territorien in globale koloniale Ausbeutungssysteme sowie der Herausbildung einer „imperialen Lebensweise“ (Brand & Wissen 2017) zusammenhing. Der europäische Kolonialismus auf dem amerikanischen Kontinent hatte in den Rinderherden einen wichtigen Verbündeten an vorderster Front seines „tragbaren Biotops“ (biota portátil) (Crosby 2011). Als Vorhut der territorialen Expansion ermöglichte und vereinfachte die Rinderzucht die europäische Besetzung abgelegener Territorien im Landesinneren über die Einrichtung großflächiger Weidekulturen (Baretta & Markoff 1978). In ihrer Ausweitung über den amerikanischen Kontinent erwies sich die intensive Viehwirtschaft als rechte Hand landwirtschaftlicher Monokulturen und der Suche nach Edelmetallen. Sie zerstörte die Lebens- und Subsistenzformen indigener Gemeinschaften, eignete sich auf gewaltsame Weise deren Territorien an, rottete Teile dieser Bevölkerung aus und rekrutierte andere Teile als Arbeitskräfte. Dies geschah parallel zur Ausbeutung der Sklav*innen, die aus dem afrikanischen Kontinent verschleppt worden waren (Nibert 2013). Nach den Unabhängigkeitserklärungen und im Laufe des 20. Jahrhunderts erfuhr die lateinamerikanische Landwirtschaft sukzessive Modernisierungswellen, die ihre Produktivität und den Einsatz von Technologien steigerten. Dies führte allerdings nicht dazu, dass sich die durch eine starke Konzentration von Landbesitz und Prekarität geprägten landwirtschaftliche Produktionsstrukturen und Arbeitsbeziehungen veränderten.

Hervorzuheben ist, dass es sich hierbei nicht um einen abgeschlossenen Prozess handelt; vielmehr setzt er sich an den aktuellen Agrargrenzen in Brasilien fort, wobei die Viehwirtschaft weiterhin an vorderster Front steht, was Éric Alliez und Maurizio Lazzarato (2016: 48) als „fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation“ (laccumulation primitive continuée) bezeichnen. Ihnen zufolge ist der Kapitalismus gleichermaßen ein Produktions- wie auch ein Zerstörungsmodell, in dessen Funktionsweise der Krieg, und dabei auch der Krieg gegen die Natur auf unerbittliche Weise eingeschrieben sind. In diesem Sinne ist die aktuelle Expansion des Agrobusiness als ein Krieg zu verstehen, charakterisiert durch eine arbeitgeberorientierte sozio-technologische Entwicklung, die durch intensive Bodennutzung und Homogenisierung von Landschaften – mit hohen Auswirkungen auf die Biodiversität – und dem hohen Aufkommen an Fäkalien geprägt ist. Hinzu kommt der steigende Druck auf bereits anerkannte oder im Anerkennungsprozess befindliche indigene Schutzgebiete.[14] Francisco A. Costa (2011) und Marijane Lisboa (2009) heben hervor, dass die Viehwirtschaft sich in ihre Rolle als Warenproduzentin einfügt, indem sie

„Rodungen, Luftverschmutzung und Wasserknappheit herbeiführt […] Dabei konkurrieren sie [die Akteure der Viehwirtschaft, Anm. d. Übers.] untereinander und mit anderen landwirtschaftlichen Kulturen um billige Böden und eignen sich mittels grilagem öffentliches Land an.“ (ebd.: 232)[15]

Es reicht darum nicht, nur die Rolle menschlichen Handelns bei der Zerstörung des Planeten anzuprangern; wichtig ist auch, die verantwortlichen Akteure und die durch ihr Handeln Geschädigten zu benennen.

Die zerstörerische Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelten kann nicht jenseits breiterer Prozesse struktureller Gewalt verstanden werden. Dies zeigt sich in der historischen Verschlechterung der Umwelt durch Extraktivismus und die Transformation der Natur in eine Ware sowie durch fleischbasierte Ernährungsmodelle. Denn zur Versorgung proteinhungriger internationaler Märkte ist eine immer stärkere Ausweitung der Massentierhaltung und -schlachtung erforderlich (Sordi u.a. i.E.). Diese beiden Fälle, Tierhaltung und Schlachtung, basieren auf menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und der Entstehung ungesunder Ökologien, in deren Rahmen Tiere und Menschen Gefahren durch verschiedenartige Kontaminierungen ausgesetzt sind.

Schlussfolgerungen

Entgegen globaler Narrative über das Coronavirus geht die Pandemie häufig über den eigentlichen Krankheitserreger hinaus und gewinnt dann an Intensität, wenn es auf mehr oder weniger lokale und kontingente Verwicklungen und Begegnungen trifft (Segata 2020; Gamlin u.a. 2021; Singer & Rylko-Bauer 2021). Eine neuartige Kombination aus dem Handeln von politischen und unternehmerischen Akteuren sowie dem Abbau von Sozialpolitiken schafft gemeinsam mit dem Virus ein Ambiente der Vulnerabilität und des Risikos. Dabei erreichen die Umweltzerstörung sowie die übermäßige Gefährdung bestimmter Bevölkerungsgruppen durch Ansteckungsrisiken und das Risiko schwerer Krankheitsverläufe vernichtende Ausmaße. Der brasilianische Fall sticht dabei ohne Zweifel hervor. Die Regierung unter Jair Bolsonaro hat eine traurige Berühmtheit erlangt durch

„die Ermutigung zur Gewalt, den Abbau von Politiken zum Schutz der Bevölkerung, Angriffe auf die Regulierungen der Nutzungsrechte für (indigene) Territorien und das Zulassen von Holzeinschlag und Brandrodungen im Amazonasgebiet“ (Almeida u.a. 2021: 100).

All dies lässt die Probleme im Zusammenhang mit dem Agrobusiness in Brasilien anschwellen.

Es wurde bereits angeprangert, dass die zerstörerische Aktivität der globalen Fleischindustrie als Teil der Neoliberalisierung der Natur für die Intensität, mit der sich Pandemien wie COVID-19 ausbreiten, mitverantwortlich ist (Wallace 2020a & 2020b). Aus unserer Perspektive schlägt sich dies auch nieder in dem, was Ulrich Brand und Markus Wissen (2017) als „imperiale Lebensweise“ bezeichnen. Gemeint ist die Idee, dass

„das alltägliche Leben in den kapitalistischen Zentren wesentlich über die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Naturverhältnisse andernorts ermöglicht wird: über den im Prinzip unbegrenzten Zugriff auf das Arbeitsvermögen, die natürlichen Ressourcen und die Senken“ (ebd.: 43).[16]

Die modernen Vorstellungen von Autonomie und Freiheit, wie sie in den globalen Zentren ausgelebt werden, sind dann aufs Engste mit der Möglichkeit der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen an einem „anderen Ort“ (Charbonnier 2020) verbunden. Die aktuellen Krisenanzeichen des Anthropozäns, wie beispielsweise die gegenwärtige Pandemie, geben den Blick auf eine materielle Geschichte der Freiheit frei, in deren Rahmen die auf der Akkumulation von Energiequellen und Materialien basierende Entwicklung und Emanzipation der Länder des Globalen Nordens zur Verwandlung der Natur in eine auszubeutende Ressource führte. Freiheit materialisiert sich dabei in fossilen Brennstoffen, Soja, Fleisch, prekärer Arbeit und Umweltzerstörung andernorts. Das Zusammenspiel des Handelns von Politiker*innen, die alles tun, um die „Rinderherde freizulassen“, und einer globalen Pandemie, die nach dem Willen der Arbeitgeber*innen und des Agrobusiness behandelt wird, verwandeln Brasilien in eine enorme „Senke“ der Gegenwartsgeschichte.[17] Als Nelson uns erzählte, wie er während seiner COVID-19-Infektion mit Fieber in der Fleischproduktion gearbeitet hatte, und das in einem Land, welches zugleich Exportrekorde und einen Eintrag auf der Hungerweltkarte verzeichnet, wurde deutlich: Wir sind dieser „andere Ort“.

Ailton Krenak (2020) schreibt:

„Es gibt diese unmoralische Kampagne, die besagt: Agro ist Techno, Agro ist Pop, Agro ist alles. (Dann) müsste doch eigentlich diese Katastrophe, die wir gerade weltweit erleben, auch auf das Konto des Agro gehen.“ (ebd.: 24)

Aus diesem Grund hinterfragen wir noch eindringlicher die Rolle des Neoliberalismus in der intensiven Ausbreitung von Krankheiten. Denn Viren tauchen nicht von allein auf. Neue Krankheitserreger entstehen und zirkulieren infolge jahrhundertelanger Zerstörung des Planeten. Wir können solche Ereignisse daher nicht als zufällige oder isolierte Begebenheiten betrachten. Ökologische, gesundheitliche und soziale Katastrophen sind Momente derselben Prozesse und erfordern daher auch immer stärker integrierte Antworten im Sinne von Politiken des Zusammenlebens und der Sorge zwischen Menschen, Tieren und Ökologien.

Übersetzung aus dem brasilianischen Portugiesisch: Anne Lisa Carstensen

Literatur

Acosta, Alberto, & Ulrich Brand (2018): „Contextos históricos comuns e divergentes“. In: Acosta, Alberto, & Ulrich Brand (Hg.) Pós-extrativismo e decrescimento: saídas do labirinto capitalista. São Paulo, BR-SP, S. 31-99.

Alliez, Éric, & Maurizio Lazzarato (2016): Guerres et capital. Paris.

Almeida, Alfredo Wagner (2011): „A reconfiguração das agroestratégias; novo capítulo da guerra ecológica“. In: Sauer, Sérgio, & Alfredo Wagner Almeida (Hg.): Terras e territórios na Amazônia: demandas, desafios e perspectivas. Brasília, BR-DF, S. 27-44.

Almeida, Eloísa M.; Juliana V. Santos & Luiz E. Terena (2021): „Direitos indígenas e meio ambiente“. In: Breta, Tadeu (Hg.): Bolsonaro genocida. São Paulo, BR-SP, S. 21-29.

ANPT – Associação Nacional do Procuradores do Trabalho (2021): Frigoríficos: ANPT e ABRAT divulgam nota pública contrária à aprovação de PL que altera art. 253 da CLT. https://www.anpt.org.br/imprensa/noticias/3873-frigorificos-anpt-e-abrat-divulgam-nota-publica-contraria-a-aprovacao-de-pl-que-altera-art-253-da- clt-2, letzter Aufruf: 30.11.2021.

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Anschriften der Autor*innen:
Jean Segata                                                         Caetano Sordi
jeansegata@gmail.com                                       caetano.sordi@gmail.com

Juliara Borges Segata                                         Bernardo Lewgoy
juliaraborges87@gmail.com                               mlewgoy.bernardo@gmail.com

https://doi.org/10.3224/peripherie.v41i4.02

 

[1]       Coronavirus Resource Center, abrufbar unter https://coronavirus.jhu.edu, letzter Aufruf: 2.12.2021. Der Nationalrat der Gesundheitsminister der Bundesstaaten (CONASS – Conselho Nacional de Secretários de Saúde) veröffentlicht täglich aktuelle Daten über die COVID-19-Fälle in Brasilien via Twitter. Am 15. August 2021 lag die genaue Zahl der Toten bei 569.068, die Gesamtzahl der Fälle wurde mit 20.364.099 angegeben, abrufbar unter: https://twitter.com/ConassOficial/status/1427012221968678912, letzter Aufruf: 16.11.2021.

[2]       Für Hilfe bei der Klärung von Fachbegriffen danke ich den Autor*innen, Theo Mutter, Karen Stubbemann und Peter Birke. Weiterführende deutschsprachige Informationen zur Fleischindustrie in globaler Perspektive finden sich in Chemnitz u.a. 2021; Anm. d. Übers.

[3]       Als „infralegal“ werden Normen unterhalb der Gesetzes- oder gar Verfassungsebene bezeichnet, z.B. Dekrete oder Verordnungen bzw. Verwaltungsakte, Das Wortspiel hinter dem von Salles benutzen Ausdruck „dar de baciada a simplificação“ ließe sich wörtlich mit „gleich die ganze Schüssel voller Vereinfachungen“ übersetzen. Die Metapher „baciada“ verweist auf eine Übertreibung: Es geht darum, sich anstelle einzelner Happen gleich die ganze „Schüssel“ zu genehmigen; Anm. d. Übers.

[4]       Dieser Ausdruck kann in etwa als „Voranbringen durch weitere Deregulierung“ übersetzt werden. Wörtlich bedeutet er „die Rinderherde freilassen“: Diese Metapher bezeichnet das Öffnen der Gatter als Regelverletzung, welche die Flucht des Viehs ermöglicht. In der brasilianischen Umgangssprache ist damit das Brechen vom Regeln mit dem Ziel des Vorankommens gemeint.

[5]       Die fleischverarbeitende Industrie setzt sich aus breit gefächerten Produktionsabläufen zusammen. Diese beinhalten Viehtransport (vom Bauernhof zum Betrieb), Gesundheitskontrollen, Schlachtung der Tiere sowie Ausweiden und Ausbeinen der Kadaver. Außerdem gibt es weitere Prozesse vor und nach der Verarbeitung, beispielsweise die Zucht und Aufzucht sowie Mästung der Tiere und der Vertrieb des verarbeiteten Fleisches als Ware. Die letztgenannten Aktivitäten finden zwar außerhalb der Fleischverarbeitungsbetriebe statt, sie sind aber durch deren Logik geprägt. Im brasilianischen Portugiesisch wird die Fleischindustrie in der Regel als „Kühlhausindustrie“ oder einfach als „Kühlhäuser“ (frigoríficos) bezeichnet, da die Aktivitäten aus Gründen der Nahrungsmittelsicherheit bei niedrigen Temperaturen stattfinden. In vielen brasilianischen Regionen wird frigorífico synonym mit Schlachthof (abatedouro) verwendet, allerdings weist er auf technische Unterschiede in der Arbeit mit dem Fleisch hin und markiert den Unterschied zwischen der industriellen und der handwerklichen/häuslichen Schlachterei. Historisch gesehen weist der Bezug auf das Kühlhaus zudem auf die Abgrenzung zu vergangenen Techniken der Konservierung von Fleisch mithilfe von Salz anstelle von Eis oder Kühlung hin. Letztere stehen für die Modernisierung des Sektors. Die Kühlung ist zudem eine wichtige und globalisierte Infrastruktur dieser Branche – schließlich erlaubt sie den Transport von frischem Fleisch.

[6]       Cardoso 2020; Marra u.a. 2013; Silva 2013; Perrota 2016; Stefanuto 2017; Lopez 2019; Birke & Bluhm 2020; ANPT 2021; Granada u.a. 2021.

[7]       Vgl. Dietz 2013; Anm. d. Übers.

[8]       Der Begriff „ungesunde Ökologien“ hat eine doppelte Bedeutung: Einerseits verweist er darauf, dass die Ökologien selbst krank sind, andererseits rufen sie Krankheiten bei konkreten Lebewesen, z.B. Menschen hervor; Anm. d. Übers.

[9]       Das Projekt wurde durch das Forschungsnetzwerk Rede Covid-19 Humanidades MCTI (Convênio Ref.: 0464/20 FINEP/UFRGS) entwickelt. Es integriert die Aktivitäten des Netzwerks Vírus MCTI und ist finanziert durch das Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation. Gemeinsam mit uns arbeiten auch Luiza Beck, Luísa Muccillo, Giovanna Lazzarin und Marília Foôr Kosby an diesen Forschungsthemen.

[10]      Luciano Florit, Cristiane Sbardelati und Diego da Silva Grava (2019) sprechen daher mit Blick auf eine sozioökologische Ethik auch von einer „Region des intensiven Speziesismus“. Gemeint sind Regionen, in denen Menschen sich das Recht nehmen, andere Tierarten auszubeuten, da sie der Meinung sind, die Kontrolle über sie zu haben.

[11]      Unter den Unterzeichner*innen waren die Brasilianische Gesellschaft für tierische Proteine (ABPA – Associação Brasileira de Proteína Animal), die Gaucho-Gesellschaft für Geflügelwirtschaft (ASGAV – Associação Gaúcha de Avicultura), der Arbeitgeberverband der Industrie der Geflügelprodukte in Rio Grande do Sul (SIPARGS – Sindicato das Indústrias de Produtos Avícolas no Estado do Rio Grande do Sul), der Arbeitgeberverband der Industrien der Schweinefleischprodukte in Rio Grande do Sul (SIPS – Sindicato das Indústrias de Produtos Suínos do Estado do Rio Grande do Sul) und der Verband der Schweinezüchter in Rio Grande do Sul (Acsurs –Associação de Criadores de Suínos do Rio Grande do Sul).

[12]      Der vom Intergewerkschaftlichen Institut für Statistik und sozioökonomische Studien (DIEESE – Departamento Intersindical de Estatísticas e Estudos Socioeconômicos) auf Grundlage bundeweiter Daten erhobene Grundnahrungsmittelwarenkorb deutet auf einen Preisanstieg im ganzen Land hin. In São Paulo stieg der Preis für den Warenkorb um 24,67 % jährlich, sodass derzeit 63 % des Mindestlohns für Grundnahrungsmittel für eine erwachsene Person benötigt werden (DIEESE 2021).

[13]      „Agro ist Techno, Agro ist Pop, Agro ist alles“ („Agro é tech, o agro é pop, o agro é tudo“) ist der Slogan einer Kampagne, die das brasilianische Agrobusiness als eine neue ökonomische Kraft inszeniert. Die Kampagne wurde von der größten Mediengruppe des Landes lanciert. Diese betreibt unter anderem den Fernsehkanal Rede Globo, das Magazin O Globo sowie das Internetportal G1.

[14]      Die Anerkennung von Schutzgebieten ist ein vielschichtiges rechtliches Verfahren, bei dem es darum geht, indigene Rechtsansprüche auf das Land anzuerkennen. Dieser Prozess garantiert den Schutz der anerkannten Territorien und verbietet die Besetzung dieses Landes durch Dritte. Zudem werden vergangene Ansprüche von Gruppen, die im Verlauf der Kolonisierung vertrieben wurden, anerkannt und wiederhergestellt. Diese Prozesse werden durch bürokratische Hürden, technische Gutachten und politische Kräfteverhältnisse verkompliziert. Hervorzuheben ist dabei die Bedeutung parlamentarischer Blockbildung, beispielsweise die des Agrobusiness, welches ein Interesse daran hat, indigenes Land in intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen umzuwandeln. Auch Gewaltverhältnisse mit „grileiros“ und unerlaubtem Bergbau kommen vor. Die Bedeutung der Abgrenzungsprozesse geht auch deswegen über den Verwaltungsakt zur Klärung von ländlichen Eigentumsverhältnissen hinaus, da es hierbei auch um die Anerkennung der Identität indigener Gruppen geht, die aufs Engste mit ihrer Umwelt verwoben sind. Denn anders als in euroamerikanischen Vorstellungen, welche die „Natur“ als ein eigenständiges Konzept kennen, bilden Erde, Fluss, Wald, Mineralien und Tiere, die dort leben, in vielen Kulturen ein soziales Universum, was mit Begriffen von Verwandtschaft und Abstammung beschrieben wird. Dieses unterschiedliche Verständnis über die Bedeutung des Landes erschwert zusätzlich diese Prozesse, die eigentlich immer von der Frage des ökonomischen Wertes des Landes als natürliche Ressource angeleitet sind; s. Cadena 2018.

[15]      Grilagem bezeichnet die illegale Aneignung von Land mittels gefälschter Dokumente. Angeblich geht der Begriff auf die in den 1980er Jahren gängige Praxis zurück, falsche Dokumente mit Grillen in einen Koffer zu sperren, damit sie vergilbt und authentisch aussehen; Anm. d. Übers.

[16]      Als „Senken“ bezeichnen Brand und Wissen „jene Ökosysteme, die mehr von einem bestimmten Stoff aufnehmen, als sie selbst an ihre Umwelt abgeben (wie Regenwälder und Ozeane im Fall von CO2)“ (Brand & Wissen 2017: 43); Anm. d. Übers.

[17]      Im brasilianischen Portugiesisch hat der Begriff eine Doppeldeutung und kann auch als Abfluss oder Abfalldeponie verstanden werden; Anm. d. Übers.