Venezuela, mein Gott … Als gäbe es nicht schon genug Großkonflikte in dieser unserer Welt.
Fraglos ist Nicolás Maduros Politik wie die seines Vorgängers Hugo Chávez nicht allein verantwortlich für den Niedergang des Landes, das Gros der Schuld daran dürften Maduro und die Seinen allerdings doch tragen. Eine Inflation von unfassbaren Eine-Million-Prozent, Rationierungen, Verarmung, Massenflucht et cetera – und das in einem Land mit, dank des Erdölreichtums, zumindest großen wirtschaftlichen Potenzen – das alles ist allein durch die ideologisch konnotierte Feindschaft der USA (trotz allem noch immer Venezuelas größter Handelspartner und somit Devisenbringer) nicht zu erklären. Wieder einmal nach dem zuallererst ökonomischen Ruin des Realsozialismus scheitert eine Sozialpolitik an dem, was sie gut meint, aber wirtschaftlich nicht zu untersetzen vermag. Wie die Geschichte eigentlich lehren sollte, geht in solchen Fällen das noch so „Gutgemeinte“ nach hinten los; bis dahin wird ein Volk für die hochlauteren Ideen zur – natürlich gutgemeinten – Experimentiermasse. „Junto todo es posible“ – „Gemeinsam ist alles möglich“, verkünden in Caracas Großplakate mit den Porträts Chavez’ und Maduros. Tja, was ist statt „möglich“ Realität geworden?
Bei der jetzt entstandenen Gemengelage fehlt eigentlich nur noch, dass Maduro das wohl noch zu ihm stehende Militär irgendwann auf die oppositionellen Demonstranten schießen lässt. Dann spätestens hätten wir es vermutlich mit einem zweiten Syrien zu tun, und auch hier wieder wären die USA und Russland unheilversprechend involviert. Dass Kommentatoren wie jener im nd, Venezuelas Probleme bestenfalls streifend, jetzt auffordert, Maduro nun die Daumen drücken zu sollen (so der Titel des Kommentares) kann man, mit ein wenig Humor, vielleicht der Jugend und der – laut nd-Profil – „niedersächsischen Frohnatur“ besagten Autors zuschreiben. An ideologischer Infantilität ist es jedenfalls nur schwer zu unterbieten. Das betrifft auch jene, die im Umfeld besagten Kommentars wieder wahrnehmbar darüber klagen, dass der (amerikanische) Imperialismus dank politischer und wirtschaftlicher Feindseligkeit am venezolanischen Desaster schuld sei. Es ist der unverändert kindische Erklärungsansatz dafür, dass dereinst auch der DDR-Sozialismus lediglich an imperialistischen (hier der BRD) Machenschaften, in diesem Fall gern kombiniert mit einem Gorbatschowschen Dolchstoß, gescheitert ist. Wenn es nicht so tragisch wäre, ließe sich über diesen Befund lachen, denn immerhin war der Kommunismus/Sozialismus mit nichts Offiziellerem angetreten, als den Kapitalismus/Imperialismus auf den „Müllhaufen der Geschichte“ zu befördern. Wer solches mit politischer Stentorstimme verkündet und sich dann darüber beklagt, dass ihm dieser Widerpart übel gewollt hat, also Widerstand leistet, und „die Klassenauseinandersetzung Wer-Wen?“ als dabei der Stärkere gewinnt, ist politisch wohl kaum noch als satisfaktionsfähig zu bezeichnen.
Maduros (wie Syriens Assads) Bereitschaft, ein ganzes Volk seinen Machtvorstellungen folgend in – gern auch tödliche – Geiselhaft zu nehmen, erinnert jedenfalls an ein Zitat Paul Levis, Luxemburgs Vertrautem, erst führendes KPD-, dann SPD-Mitglied, der 1926 über Macht, damals die der Bolschewiki in Russland, folgendes sagte: „Es ist keine sentimentale Lyrik, wenn die Bolschewiki uns versichern, dass sie 1917 nicht im Traum dachten, sie müssten tun, was sie 1920 taten. Das, was alledem zugrunde liegt, ist schließlich dieses: Es ist leichter, die Macht zu erringen, als sie zu halten, und es ist leichter, die Macht zu halten, als wieder aus der Macht zu verschwinden. Das ist eben das geschichtlich Unmögliche, nach Belieben aus der Macht zu scheiden, und wer einmal die Macht ergriffen hat, wird auch von der Macht ergriffen; er benutzt sie, und sie benutzt ihn – bis zum äußersten. Herrschaft ist eben ein Gewaltverhältnis, und Gewalt kann sich selbst keine Grenzen setzen.“
Neben vielen weiteren Aspekten, die das venezolanische Trauerspiel besitzt, dürfte hier ein nicht unwesentlicher Teil seiner Begründung liegen.