... und die AfD wütet gegen ein „linksextremes Schmierblatt“
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
ist die Graswurzelrevolution reif fürs Museum? Allerdings. Am 21. September wurde in der RETRO STATION Recklinghausen die vom rock‘n‘popmuseum und LWL-Museumsamt für Westfalen zusammengestellte Wanderausstellung „Demos, Discos, Denkanstöße – die 70er Jahre in Westfalen“ eröffnet. In zwei Vitrinen sind dort auch Ausgaben der Graswurzelrevolution (GWR) aus den Jahren 1972 bis 1974 zu sehen. Zu hören und zu sehen sind unter anderem die GWR-Autoren und Liedermacher Konstantin Wecker und Pit Budde (Ex-Cochise). Und viele(s) mehr. Die sehenswerte Ausstellung kann bis zum 23. November 2018 in Recklinghausen besucht werden, bevor sie auf Wanderschaft geht und bis April 2020 in Museen in Gronau, Gütersloh, Hemer, Brakel, Bielefeld, Minden und Warstein gezeigt wird. (1)
Großer Andrang herrschte am 4. September 2018 im Demokratisch-Kurdischen Gesellschaftszentrum in Münster beim Streitgespräch „Anarchismus vs. Marxismus“ mit dem Vorstandssprecher des Linken-Kreisverbandes Münster, Karsten Schmitz, und mir. Es hat mich gefreut, dass mich die Linke dazu eingeladen hat. Über 100 Menschen kamen zur Veranstaltung, die zuvor lediglich in sozialen Medien beworben wurde. Etwa 2000 Leute verfolgten die Diskussion im Livestream. (2) Das Interesse an einer Auseinandersetzung mit anarchistischen Ideen ist erfreulich groß. Den ersten Teil der Diskussion hat MünsterTube gefilmt und auch auf youtube dokumentiert. (3)
Leider wird Anarchie in den Medien von taz bis BILD auch heute noch oft mit Chaos und Terror gleichgesetzt. So wird ein Zerrbild gezeichnet, dem nicht zuletzt auch die GWR etwas entgegensetzen will. Es ist schön, dass viele Menschen der permanenten Anarchie-Diffamierung zum Trotz ihre Berührungsängste in Bezug auf den Anarchismus verloren haben. In diesem Zusammenhang finde ich es auch gut, dass mich im September der taz-Redakteur Christian Jacob im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung zu einem moderierten Streitgespräch mit Peter Rudolf, einem Vertreter des militärstrategischen, regierungsnahen Thinktanks „Stiftung für Wissenschaft und Politik“, ins taz-Café Berlin eingeladen hat. Eine Kurzversion der Debatte soll im BPB-Magazin Krieg oder Frieden erscheinen.
Angenehmer war das Interview, das die Journalistin Leonie Krzistetzko mit mir zum Thema Volkszählung und Informationelle Selbstbestimmung geführt hat. Teile daraus sind in ihren am 19. September 2018 auf Spiegel Online veröffentlichten Artikel „Volkszählungen. ‚Es gibt keine harmlosen Daten‘“ eingeflossen. (4) Lesenswert.
Gefreut haben wir uns auch über die Resonanz, die es auf die GWR 431 gab. Die junge Welt (5) rezensierte die Septemberausgabe wohlwollend und viele GWR-Artikel wurden wieder von anderen Internetseiten gespiegelt. Auch die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke zitierte in einer Presseerklärung aus der GWR 431. (6)
Rechte hetzen gegen GWR-Autor Andreas Kemper
Übel ist die Kampagne, die gerade von extrem rechten Kreisen gegen GWR-Autor Andreas Kemper läuft. (7) Auslöser der AfD-Hetze ist der auf Seite 1 der Graswurzelrevolution Nr. 431 erschienene Artikel „Björn Höckes faschistischer Fluss. Der völkische Machiavellismus des AfD-Politikers“. (8) Aus dieser hervorragenden Analyse des Soziologen hat der Leiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Stephan J. Kramer, in einer u.a. von den tagesthemen gezeigten Presseerklärung zitiert (9), um damit die Beobachtung der AfD in Thüringen durch den VS zu begründen.
Auf Twitter verbreitete die AfD-Fraktion Thüringen am 18. September einen Tweet, in dem sie eine offensichtlich selbst gemachte Collage eines Graswurzelrevolution lesenden VS-Chef Kramer unter dem Titel „Verfassungsschutz macht sich linksextremes Gedankengut zu eigen“ zeigt, sowie den Text: „Der Präsident des Thüringer Verfassungschutzes, @Stjkramer, erhob einen Text der anarchistischen & linksextremistischen ‚#Graswurzelrevolution‘ zur offiziellen Stellungnahme seines Landesamtes.“ (siehe Abb. auf Seite 10).
Jörg Henke, der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, diffamierte am 21. September die Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft als „linksextremes Schmierblatt“: „Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz macht sich die verfälschten Argumente eines linksextremen Schmierblatts zu eigen, um Deutschlands größte Oppositionspartei ins Visier zu nehmen.“ (10) Am 23. September wetterte daraufhin BILD am Sonntag in ähnlichem Ton gegen die „linksextreme“ Graswurzelrevolution. BILD: „Die Anarcho-Postille kämpft seit 1972 für die Abschaffung UNSERES Staates.“ (11) BILD-Leser, aufgepasst! Jetzt die „Anarcho-Postille“ bestellen: www.graswurzel.net/service/abo
Zum Thema siehe auch die Stellungnahme von Andreas Kemper „Virtualität und Würde“ auf den Seiten 1 und 10 dieser GWR. (12) Dort analysiert der Publizist unter anderem auch die absurde Gleichsetzung von Hitler und Gandhi bzw. von Neonazis und Gewaltfreien Anarchist*innen durch die Extremismusideologie. Er stellt klar: „Die Graswurzelrevolution ist ein Magazin im Geiste Mahatma Gandhis, es tritt ein für Ungehorsam und Gewaltfreiheit und für einen Begriff von Würde, welcher mit Wahrhaftigkeit (‚Satyagraha‘) verbunden ist – und damit gilt es in der Logik des Verfassungsschutzes als ‚extremistisch‘. (…) Stefan J. Kramer, ehemals Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland und heutiger Präsident des Verfassungsschutzamtes in Thüringen, muss diesen Widerspruch lösen, der mit dem Plagiat deutlich geworden ist. Er muss sich aus der Extremismusideologie, die Mahathma Gandhi und Adolf Hitler formal in gleicher Weise als ‚extremistisch‘ sieht, verabschieden.“
Libertäre Buchseiten
Als Supplement dieser GWR 432 findet Ihr eine neue Ausgabe der Libertären Buchseiten (LiBu). In die Collage auf der LiBu-Titelseite hat GWR-Zeichner Roy Brick viel Arbeit und Liebe gesteckt. Wir finden sie so stark, dass wir sie in veränderter Form als Plakat der GWR 433 beilegen wollen. Ihr könnt Euch also auf ein cooles Poster in der Novembernummer freuen.
Damit nicht genug: Wer uns bis zum 15. Oktober 2018 die Namen von mindestens 30 der auf der LiBu-Titelseite abgebildeten Menschen und Figuren an redaktion@graswurzel.net mailt oder mit der Post an die Redaktion Graswurzelrevolution, Breul 43, 48143 Münster schickt, nimmt an einer Verlosung teil. Zu gewinnen gibt es das druckfrische Buch aus dem Verlag Graswurzelrevolution: Clara Wichmann. Vom revolutionären Elan. Beiträge zu Emanzipationsbewegungen 1917-1922. Mit einer biografischen Einleitung herausgegeben von Renate Brucker. (13)
Im November könnt Ihr dann in der GWR 433 nachlesen, wer alles auf dem Plakat und der LiBu-Titelseite zu sehen ist.
Mit antifaschistischen Grüßen,
Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)
Anmerkungen:
2) https://www.facebook.com/Linke.Muenster/videos/546235952500628/
3) https://www.youtube.com/watch?v=JlmNp-fJve8
4) www.spiegel.de/einestages/volkszaehlung-massenproteste-1983-boykottaufrufe-1987-a-1228667.html
5) https://www.jungewelt.de/artikel/339535.neu-erschienen.html
6) https://www.ulla-jelpke.de/2018/09/zeit-des-wolfes/
7) Siehe: https://www.journalistenwatch.com/2018/09/16/unfassbar-thueringens-vs/ und https://www.unzensuriert.de/content/0027753-Thueringer-Verfassungsschutz-Chef-begruendete-AfD-Pruefung-mit-linksextremen-Zitaten
8) https://graswurzel.net/431/hoecke.php
9) https://www.pscp.tv/tagesschau/1vAGREyrleqKl?t=13
12) http://www.linksnet.de/artikel/47545
13) Siehe: https://www.graswurzel.net/verlag/wichmann.php
Editorial aus: Graswurzelrevolution Nr. 432, 47. Jahrgang, Oktober 2018, www.graswurzel.net