Auszug aus den Marxistischen Blättern 04_2017: "Rechtstrends international"
Während die extreme Rechte in verschiedenen Ländern deutlich an Einfluss gewinnt, selbst wenn sie hinter den von Medien spekulierten Ergebnissen bei Wahlen zurückblieb, ist eine gesamteuropäische Antwort auf diese Entwicklung noch nicht in Sicht. Dafür gibt es zwei zentrale Ursachen. Selbst wenn die Entwicklungen europaweit registriert werden können, so sind doch die Gründe für den politischen Aufstieg sehr stark von
den nationalen Bedingungen abhängig und die Antworten beziehen sich ebenfalls auf die nationalen Bedingungen. Zum zweiten existiert aktuell keine europaweite politische oder gewerkschaftliche Organisationsstruktur, die willens oder in der Lage wäre, eine solche gemeinsame Mobilisierung
zu leisten.
Österreich
Wenn man die verschiedenen Beispiele rechtspopulistischer Bewegungen genauer betrachtet, dann sind zwar gemeinsame Ideologiemuster
und Feindbilder festzustellen, das reicht aber nicht aus, um hieraus eine Identität der politischen Strukturen und Zugänge zu generieren. Wenn
man den Vormarsch der österreichischen FPÖ unter Heinz-Christian Strache betrachtet, dann fällt auf, dass diese Partei nicht zuletzt davon
profitiert, dass es im Lande eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit der jahrzehntelangen faktischen Großen Koalition von Konservativen und
Sozialdemokraten gibt, die nicht nur gemeinsam politische Programme umgesetzt haben, sondern auch im »Proporz«-System alle relevanten
gesellschaftlichen Positionen untereinander verteilt hatten. Die Folgen der kapitalistischen Krisen und ihre Bewältigung wurden nicht durch politische Auseinandersetzungen begleitet, sondern weitgehend durch interne Absprachen zwischen den »Sozialpartnern«. Wer sich also von der ökonomischen Entwicklung überrollt fühlt, sieht in den großen Parteien – und teilweise auch den Gewerkschaften – keine Akteure, die sich für ihre Interessen einsetzen, sondern mittelbar Beteiligte oder gar Verantwortliche. Politische Entwicklungen, wie die Flüchtlingsproblematik wurden und werden von den politisch Verantwortlichen nicht offensiv und transparent angegangen, sondern durch Verschiebungen und andere Maßnahmen zu Lasten der Flüchtlinge behandelt. Dass vor diesem Hintergrund die FPÖ mit ihrer Kritik am »Establishment« und ihrer rassistischen Hetze gegen Flüchtlinge verfängt, kann nicht überraschen, obwohl alle politischen Beobachter wissen, dass die FPÖ nichts anderes anstrebt, als selber an die »Fleischtöpfe« zu kommen.
Aus den angedeuteten Gründen haben es die etablierten Parteien und Gewerkschaften, wenn sie es denn überhaupt wollen, schwer, als glaubwürdiger Widerpart zum rechten Vormarsch aufzutreten, da sie – in der Perspektive vieler Bürger – die Ursache des Problems sind, nicht die Lösung. Ausdruck davon ist auch der Erfolg verschiedener neuer Parteien wie die liberalen NEOS oder das populistische Team Stronach. Offenkundig wurde dies bei der Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten im vergangenen Jahr, wo es die sozialdemokratischen und konservativen Kandidaten nicht einmal in die Stichwahl geschafft hatten. Erkennbar war bei der letztlichen Wahl des Kandidaten der Grünen Alexander Van der Bellen, dass eine Wählermobilisierung nicht für den Grünen, sondern gegen Norbert Hofer von der FPÖ zum Wahlerfolg von Van der Bellen, der mit seinem politischen Programm nicht wirklich linke, basisdemokratische oder ökologische Themen abdeckte, geführt hat.
Frankreich
Noch eklatanter ist die Situation in Frankreich bei der Präsidentschaftswahl im Mai deutlich geworden. Der Zustand des etablierten politischen Systems konnte an der ersten Runde der Präsidentschaftswahl augenscheinlich abgelesen werden. Marine Le Pen wurde im traditionellen kleinstädtischen französischen Milieu, in den unter der Wirtschaftskrise leidenden nord-westlichen Départements und in sehr stark mit der Migrationsgesellschaft beschäftigten südlichen Départements gewählt. In Paris dominierte die Linke und in den anderen Landesteilen verteilte sich die Majorität unter den verschiedenen bürgerlichen Lagern, die bei der Aufstellung ihrer Kandidaten deutlich gemacht hatten, dass es ihnen in erster Linie um die Parteielite und weniger um das politische Profil ging. Dort, wo die Parteibasis anders entschieden hat als die Parteielite, wie im Fall des Kandidaten der sozialistischen Partei Benoît Hamon, ließ diese Elite »ihren« Kandidaten krachend durchfallen. Dass in einer solchen Konstellation der zurückgetretene Finanzminister und Vorkämpfer neoliberaler Wirtschaftspolitik Emmanuel Macron als »europäischer Heilsbringer« auftauchte, macht den Zustand der politischen Elite in Frankreich deutlich. Das Ergebnis des zweiten Wahlgangs, bei dem Le Pen nur ein Drittel der gültigen Stimmen erhalten konnte, macht deutlich, dass die politische Stimmung im Lande immer noch klar gegen einen Vormarsch der Rechten steht. Ein deutliches Indiz dafür ist auch die große Zahl von ungültigen Stimmen, die zeigen, dass Menschen gegen den Front National eintreten, aber dafür nicht Macron zu wählen bereit waren. Auch die Massenaktionen am Tag nach der Wahl unter der Losung »Weder LePen, noch Macron« verweisen auf diese Stimmung. Wie politische Beobachter zurecht erklärten, sind mit dieser Wahlentscheidung der Vormarsch des FN und die politische Rechtsentwicklung aber in keiner Weise gestoppt.
Die Niederlande
Das dritte Beispiel, bei dem angeblich Europa auf der Kippe stand, waren die Parlamentswahlen in den Niederlanden und das prognostizierte
Ergebnis für Geert Wilders und seine PVV (Partei der Freiheit). Durch die bürgerliche Presse ging ein kollektives Aufatmen, als Wilders in keiner Weise das durch die Medien vorhergesagte Ergebnis erreichen konnte. Dabei wurde in vielen Berichten völlig ignoriert, dass er etwa ein Drittel mehr Wählerstimmen als noch vor fünf Jahren erhielt. Als großer Sieger wurde Premierminister Mark Rutte gefeiert, obwohl seine konservative Partei (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) massive Stimmenverluste hinnehmen musste und die mitregierenden Sozialdemokraten gar auf bloß
knapp ein Viertel ihrer bisherigen Stimmen schrumpften. Der entscheidende Grund dafür, dass Rutte nicht noch höhere Verluste hinnehmen musste, war die sehr gefährliche politische Strategie der Übernahme der fremdenfeindlichen Propaganda von Wilders gegenüber der türkischen Community. Rutte exekutierte in den Tagen vor dem Wahltermin mit der massiven Durchsetzung des Verbotes von Auftritten türkischer Politiker in den Niederlanden das, was Wilders öffentlich propagierte. Dass damit die Wahl von Rutte kein Signal für eine antirassistische Orientierung war, dürfte unstrittig sein. Schon wichtiger waren die Stimmen der Sozialistischen Partei und die Zugewinne der Grünen (Groen Links), die sich im Wahlkampf in aller Klarheit gegen die PVV positioniert hatte. Unterstützung erhielt diese Bewegung durch die Kampagne »Nederland bekent kleur!«, einer antirassistischen Initiative, die zwar schon seit 1992 existiert, sich aber jetzt vor allem gegen den Vormarsch von Wilders engagiert.
Eine ungleiche Parteienfamilie
Von diesen drei einflussreichen politischen Bewegungen der Rechten in Europa wollte auch die AfD in Deutschland profitieren, weshalb sich im Januar 2017 in Koblenz führende Vertreter der ENF-Fraktion (»Europa der Nationen und der Freiheit«) auf Einladung der AfD trafen. Anwesend waren der Front National, die Lega Nord, die FPÖ, die PVV, die AfD selbst und weitere Redner aus europäischen Ländern. In einigen Medien konnte
man lesen, hier entstehe eine »Internationale« europäischer Rechtspopulisten. Das Treffen wurde als Wahlkampfauftakt für das Wahljahr 2017 und als Einstimmung in den Europawahlkampf tituliert. Vollmundig erklärte man unter dem Jubel der Kongressteilnehmer, hier stehe das »zukünftige Europa«. Mit Blick auf die Wahlen in seinem Land sprach Geert Wilders von einem »patriotischen Frühling«. Frauke Petry glaubte, man werde die »Vormacht der Europäischen Union« nicht länger dulden, und sah die Deutschen einer »Gehirnwäsche« unterzogen, so dass die individuellen Freiheiten und die kulturellen Errungenschaften der »weißen Europäer « bedroht seien. Marine Le Pen lobte Trump und propagierte den alten faschistischen Slogan »Frankreich den Franzosen«, wobei französische Bürger aus dem Maghreb natürlich nicht dazu gehören sollten. Es war eine gruselige Präsentation extrem rechter und rechtspopulistischer Ideologieversatzstücke, die da in Koblenz bejubelt wurde.
Was aber verbindet diese Parteien? Neben Rassismus, Islamophobie und Europa-Feindlichkeit ist die zentrale Gemeinsamkeit gegenüber dem Europäischen Parlament das Verhältnis zum Geld. Nachdem man anfangs keine Fraktion zusammenbringen konnte, überwog der Pragmatismus, sich an den »Fleischtöpfen« der Fraktionsgelder bedienen zu können. Man bastelte sich eine Fraktion, der jedoch noch nicht einmal alle AfD-Abgeordneten angehören. Nun bekam man Geld, das oftmals direkt in die Finanzierung der politischen Arbeit vor Ort floss. So fordert die Parlamentsverwaltung aktuell von Marine Le Pen fast 300.000 € zurück, die sie unzulässig für die Bezahlung von Mitarbeitern des Front National in Frankreich genutzt hat. Das Beispiel unterstreicht, dass die rechtspopulistische Kritik an Europa natürlich nicht mit einem anderen Umgang mit den Alimentierungen verbunden ist. Aber damit sind die dauerhaften Gemeinsamkeiten schon fast erreicht.
Natürlich kann man sich auf einen Kurs der Fremdenfeindlichkeit, der Islamfeindschaft und des Chauvinismus verständigen. In dem Moment, wo dies jedoch praktische oder wirtschaftliche Konsequenzen in den jeweiligen Ländern hat, hört die »Solidarität« auf. Darin unterscheiden sich die rechtspopulistischen Parteien wenig von der offen neofaschistischen Rechten, die ebenfalls seit einigen Jahren internationale Verbindungen knüpft und eine Fraktion »Identität, Souveränität, Tradition« begründet haben. Zahlreiche Treffen haben bereits stattgefunden, zum Beispiel in Budapest, in Petersburg oder beim »Europa-Tag« der Jungen Nationaldemokraten in Thüringen. Die hier beschworene Gemeinsamkeit funktioniert jedoch nur, wenn man die nationalistischen Interessen ausklammert. So einigen sich die Großrumänische Partei und die ungarische JOBBIK zwar in ihrem Rassismus gegen Roma und gegen »Überfremdung«, aber beide erheben territoriale Ansprüche gegenüber dem jeweiligen Nachbarland. Und deutsche oder österreichische Neonazis schwärmen von dem ideologischen Konzept der italienischen Casa Pound. Jedoch zerstreiten sie sich bei der Frage, ob »Südtirol« zum deutschen oder italienischen »Großraum« gehört.
Am 11. Februar 2017 wollten europäische Neofaschisten erneut in Genua ein Treffen organisieren. Angekündigt waren Roberto Fiore, Präsident von Forza Nuova, Udo Voigt, Mitglied im Europäischen Parlament für die deutsche NPD, Yvan Benedetti, Führer der französischen Rechtspartei Parti Nationaliste Français und Nick Griffin, ehemaliger Präsident der British National Party sowie zahlreiche weitere Repräsentanten verschiedener faschistischer Gruppen. Nachdem die Regionalverwaltung alle öffentlichen Aufmärsche untersagt hatten und das geplante Hotel die Räume storniert
hat, konnte dieses Treffen nur im Parteibüro der neofaschistischen Partei Forza Nuova stattfinden. In den – von den Nazis verbreiteten – Video-Berichten wird zwar von einem »Erfolg« berichtet, aber von einer öffentlichen Wirksamkeit kann keine Rede sein, andere Bilder vom Tage machten deutlich, dass dieses Treffen nur unter massivem Polizeischutz überhaupt stattfinden konnte. Es gibt also wenig Grund, vor dem Aufkommen einer »rechten Internationale « Angst zu haben. Das ist auf Dauer keine reale politische Bewegung. Jedoch zeigen diese Vernetzungsbemühungen der Rechtspopulisten und der offenen Faschisten, dass in fast allen europäischen Staaten die sozialen und gesellschaftlichen Probleme bei gleichzeitiger Schwäche der politischen Linken extrem rechten Parteien und faschistischen Ideologien Vorschub leisten.
Ansätze des Widerstands
Welche Ansätze des Widerstands gibt es? Bei aller Dimension der Entwicklung rechtspopulistischer Kräfte kann man eigentlich in allen Ländern auch aktive Gegenkräfte erkennen. In Frankreich sind es die Linkskräfte unterschiedlicher Parteien, die sich zwar nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten hatten einigen können, die aber unmittelbar nach der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl
bereits erste öffentliche Massenproteste gegen Le Pen und Macrons angekündigte Wirtschaftspolitik organisierten.
Sabine Lösing (MdEP für die Partei DIE LINKE) formulierte als Aufgabe der Linken nach den Wahlen in Frankreich: »Zum einen müssen wir Macron, dem Wunschkandidaten des Systems, der Banken und großen Konzerne, und seiner neoliberalen Politik entschlossen entgegentreten. Zum anderen müssen wir Le Pen und ihren Rassismus bekämpfen, sowie den rechten Angriff auf die Rechte von Minderheiten abwehren. Macron steht
für eine Gesellschaft der Konkurrenz. Le Pen für eine Gesellschaft des Hasses.« Solche Protestaktionen können dazu beitragen, dass auch die enttäuschten Anhänger linker Parteien und Gewerkschaften wieder eine Möglichkeit der politischen Artikulation bekommen, um sich gegen die
Rechtsentwicklung zu positionieren. Und dass es dafür ein Potenzial gibt, zeigen auch die spontanen Massenaktionen in Genua gegen das neofaschistische Treffen. Innerhalb sehr kurzer Zeit organisierte der antifaschistische Partisanenverband ANPI gemeinsam mit Gewerkschaften, politischen Parteien und anderen Organisationen eine kämpferische Gegenaktion, an der mehrere tausend Demonstranten teilnahmen. In den Ansprachen und Losungen wurde betont, dass man sich gemeinsam gegen die extreme Rechte wehren müsse, wo immer sie versucht sich mit rassistischen und demagogischen Parolen gegen die demokratischen und sozialen Rechte aller Menschen zu formieren. Die Demonstration in Genua war ein sichtbares Zeichen für die Mobilisierungsfähigkeit der antifaschistischen Idee in Italien. Aber auch in Deutschland sind solche Signale deutlich. Gegen die Konferenz der AfD und der europäischen Rechtspopulisten in Koblenz traten gut 5000 Demonstranten auf. Damit übertraf man die Teilnehmerzahl der Rechten, die ihre 800 Gäste bundesweit mobilisiert hatten, um ein Vielfaches. Deutlich war die politische Haltung der Demonstranten, die nicht nur gegen den Rechtspopulismus der AfD aufstanden, sondern auch den sich anbiedernden Minister Sigmar Gabriel auspfiffen. Vorsichtshalber nahm der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, der noch in einem Zeitungsinterview vollmundig zum Protest aufgefordert hatte, gar nicht erst an der Aktion teil. Die breite Mobilisierbarkeit gegen die Rechtspopulisten zeigen auch die Protestaktionen anlässlich des AfD-Parteitags in Köln, zu denen verschiedene antifaschistische Netzwerke aufgerufen hatten und bei denen
gut 20.000 Menschen auf der Straße, bei Blockaden oder Kundgebungen gezählt werden konnten. Politisch wichtig war es, dass verschiedenste Organisationen und Kräfte der Zivilgesellschaft, der Gewerkschaften, der Migrantenorganisationen, der antifaschistischen Organisationen und Initiativen, aus kulturellen und anderen gesellschaftlichen Strukturen in gleicher Richtung agieren konnten. Das erinnerte an die erfolgreichen Massenaktionen gegen den 2008 von Pro NRW in Köln geplanten Anti-Islam-Kongress. 40.000 Menschen aus dem Rheinland, aber auch aus Belgien und den Niederlanden bildeten damals mit ihren Protestaktionen eine »antifaschistische Internationale«.
Eine interessante Perspektive für die Mobilisierungsfähigkeit gegen extrem rechte und antidemokratische Politik und ihre Parteien findet
man in Ungarn. Hier richtet sich der politische Kampf vor allem gegen eine rechtspopulistische Partei an der Macht, die FIDESZ, die durch
Verfassungstricks und Volksentscheide versucht, ihre politischen Ziele durchzusetzen. Dies fällt ihr umso leichter, als es in Ungarn im parlamentarischen und parteipolitischen Spektrum aktuell keine handlungsfähige und einflussreiche Opposition gibt. Dennoch gibt es drei deutliche
Beispiele, dass die Zivilgesellschaft sich der Zustimmung zu den rechten Formierungen entgegenstellt. Schon 2016 gab es erste nicht parteimäßig
organisierte Massenproteste – insbesondere in Budapest, als FIDESZ die Einschränkung der Internetzugänge und Internetauftritte von alternativen Medien per Gesetz (u. a. Werbeverbot) durchsetzen wollte. Da im Parlament keine wirksame Opposition vorhanden war, formierten sich breiteste Proteste auf den Straßen, so dass die Regierung ihr Vorhaben revidieren musste. Der Versuch, sich mit einem Plebiszit eine Legitimation zur von der EU abgrenzenden Haltung und zur Verschärfung der Politik gegenüber Flüchtlingen zu verschaffen, scheiterte trotz massivem Propagandaaufwand an der Distanz der Bürger gegenüber diesem Ansinnen. Zwar konnte FIDESZ eine große Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreichen, eine Beteiligung von 50 % wurde aber verfehlt, womit das Plebiszit nicht gültig war.
Einen weiteren breiten Protest insbesondere jüngerer Menschen in Budapest lösten die Versuche der juristischen Auflösung der »Europäischen
Universität« der Soros-Stiftung in Budapest aus. Die Studenten erkannten zurecht, dass damit die Hochschullandschaft in Ungarn im Sinne von FIDESZ gleichgeschaltet werden sollte. Ohne Parteien oder andere Großorganisationen demonstrierten mehrere Tage über 50.000 junge Menschen in Budapest gegen diese Pläne. Diese Beispiele zeigen, dass politisches Handeln gegen eine Rechtsentwicklung, wie sie in Ungarn
stattfindet, durchaus möglich ist, selbst wenn Organisationskräfte auf der Linken erkennbar schwach sind.
Perspektiven einer europäischen antifaschistischen Vernetzung
Eine neue Perspektive wäre es, wenn sich diese Proteste und Bewegungen gegen den Vormarsch der extremen Rechten und rechtspopulistischer Kräfte in Europa nicht nur vor Ort entwickeln würden, sondern europäisch vernetzt stattfänden. Dazu gibt es bereits Beispiele, auch wenn es von der zahlenmäßigen Dimension noch viel »Luft nach oben« gibt. So hat sich die europäische Vernetzung antifaschistischer Kräfte im Kampf gegen Geschichtsrevisionismus als erfolgreich erwiesen. Dabei geht es nicht allein um Massenaktionen vor Ort, so wichtig diese auch sind, sondern auch um das zielgerichtete gemeinsame Handeln gegen politische und gesellschaftliche Versuche der Abwicklung oder Uminterpretation
von Geschichte. Solche Bestrebungen kann man insbesondere in den ehemals sozialistischen Staaten, im Baltikum, in Polen, Ungarn, der Ukraine oder im früheren Jugoslawien erleben. Dort, wo die lokalen Kräfte zu schwach oder gesellschaftlich isoliert sind, Widerstand gegen solche Einflüsse zu nehmen, ist der internationale Protest, der aus verschiedenen europäischen Ländern organisiert und artikuliert wird, von großer Bedeutung. Exemplarisch kann das gemeinsame Handeln gegen das SS-Gedenktreffen am 16. März jedes Jahres in Riga genannt werden. Hier geht es um die Uminterpretation der faschistischen Kollaborateure zu nationalen »Freiheitskämpfern«. An dem Aufmarsch der Veteranen nehmen heutzutage in der Mehrheit jüngere Anhänger der SS-Veteranen und ausländische Neonazis teil. Da die lettische Regierung in den vergangenen Jahren alle Protestaktionen gegen diesen Aufmarsch mit Polizei und Schikanen versuchte zu verhindern, wurde diesmal auf Anregung der VVN-BdA und der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) europaweit gegen das SS-Gedenktreffen in Riga öffentlich demonstriert. Während in Riga selber nur wenige Menschen die Möglichkeit hatten, ihren Protest öffentlich zu machen, über 100 Antifaschisten erneut an der Grenze aufgehalten wurden, protestierten in verschiedenen Ländern Antifaschisten vor den diplomatischen Vertretungen Lettlands, zum Beispiel in Athen, Brüssel, Budapest, Rom und zahlreichen deutschen Städten. Diese Erfahrung macht deutlich, dass europäischer Widerstand nicht nur an einem Ort, sondern auch in gleichgerichtetem Handeln möglich ist.
Und in diesem Sinne versuchen antifaschistische Verbände wie die FIR und ihre Mitgliedsverbände zu einer handlungsorientierten Vernetzung der Widerstandspotenziale beizutragen. Geplant ist für den Spätherbst dieses Jahres eine Beratung in Brüssel, zu der auch andere antirassistische
Netzwerke, wie UNITED oder ENAR (European Network Against Racism) eingeladen werden sollen. Es soll um die Frage gehen, wie es gelingen kann, den politischen Widerstand, der sich auch sichtbar auf den Straßen artikuliert, über Grenzen hinweg und strömungsübergreifend zu organisieren. Hierbei geht es nicht um irgendwelche Führungsansprüche, sondern es ist dabei notwendig, die Impulse aufzunehmen, wie sie zum Beispiel auf den letzten Treffen der europäischen kommunistischen Parteien in Aachen oder Münster formuliert wurden, oder von den Vorschlägen der Partei der Europäischen Linken sowie ihres theoretischen Netzwerkes »transform« ausgegangen sind. Auch Impulse aus den Gewerkschaften können integriert werden. So hatte der Verbund europäischer Industriegewerkschaften IndustriAll Europe auf seinem Madrider Kongress 2016 beschlossen, »dem europaweiten Erstarken fremdenfeindlicher, nationalistischer, antieuropäischer und rechtsextremer Kräfte entschieden« entgegenzutreten. Die FIR als überparteiliche Organisation wird diese Vernetzung als ihren Beitrag in Vorbereitung des kommenden Wahlkampfes zur Europawahl 2019 vorantreiben.