Rüstung außer Kontrolle

Der Verteidigungsminister beendet Eurohawk – das Vorhaben einer europäisierten U.S.-Großdrohne zur elektronischen Aufklärung. Die Opposition im Bundestag erklärt, mit Eurohawk seien fast 700 Millionen Euro „verbrannt“ worden. Die Zuständigen hätten die Reißleine viel früher ziehen müssen, denn es sei ihnen schon längst bekannt gewesen, dass der Betrieb der Drohne nicht ohne weiteres mit den Regeln des europäischen Luftverkehrs vereinbar sein würde. Dem Minister wird der Vorwurf gemacht, das Parlament getäuscht zu haben. Die Kritik ist lautstark. Es könnte der Eindruck entstehen, eine lebendige Volksvertretung bemühe sich energisch um Kontrolle. Doch weit gefehlt! Dass die Opposition aufmuckt, ist in erster Linie dem anlaufenden Wahlkampf geschuldet, also eine Ausnahme.
Ob der Minister Projekte abbläst, verschleppt oder trotz größter Bedenken über die Runden bringt: Das wird von vielen Abgeordneten aus allen Lagern mehr oder weniger kritiklos hingenommen. (Wobei die Linkspartei den Vorteil hat, dass sie die ganze Chose ohnehin nicht sonderlich interessiert.) Eine parlamentarische Kontrolle der Rüstungsplanung gibt es nicht. Und auch im Rahmen der Exekutive findet sich kein Gremium, das diesen Bereich – von Sachkriterien geleitet – wirkungsvoll durchleuchtet.
Sachkriterien? Nehmen wir einmal für die Dauer der Lektüre dieses Essays an, dass es – welch kühne Hypothese – sinnvoll sein kann, eine stabilitätsorientierte Außenpolitik auch militärisch zu unterstützen, dass dies aber mit möglichst nicht-provokativen, der konkreten Lage angemessenen Mitteln zu geschehen hätte und dass die Rüstungsbeschaffung weder internationalem Statusgerangel dienen noch Instrument der Industriepolitik sein darf.
Diese Kriterien werden seit Jahrzehnten notorisch verletzt, und die dabei verheizten Steuermittel bewegen sich im höheren zweistelligen Milliardenbereich. Die Eurohawk-Millionen sind peanuts. Da sind die Programme des Kampfhubschraubers Tiger und der Korvette 125, bereits in dieser Zeitschrift behandelt, (siehe Das Blättchen Nr. 15/2011 und 26/2012) beide mit kränkelnder Technologie, beide ohne engeren Bezug zu akzeptablen Einsatzszenarien. Und da ist die Großbeschaffung des Eurofighter, die sich auch nach der Reduzierung von 180 auf 143 Maschinen nicht rechtfertigen lässt. Wären doch für eine eventuelle defensive Luftraumkontrolle über einem Krisengebiet (und für luftpolizeiliche Aufgaben über Deutschland) kaum mehr als 45 Systeme erforderlich. Hier nun werden weitere Beispiele präsentiert, um die These fehlender Sachkontrolle zu belegen – und zwar für jede Teilstreitkraft eines:
Zunächst ist von einer rüstungspolitischen Ehe­anbahnung zwischen Luftwaffe und Heer zu berichten, die nicht zur Hochzeit führte. Verheiraten wollte man das A400M (MilitAirbus), ein mittelschweres Transportflugzeug für strategische Distanzen, mit einem Schützenpanzer, der mittlerweile Puma heißt. Der Schützenpanzer sollte für den Lufttransport, ohne abnehmbare Zusatzpanzerung, nur etwa 30 Tonnen wiegen. So würde der MilitAirbus das Fahrzeug auch in entfernte Krisengebiete fliegen können. Für den Einsatz sollte dann die getrennt transportierte Panzerung wieder angebracht werden. Auf dieser Basis entwickelte sich die Argumentation, dass nur beides zusammen, der „synergetische“ Verbund von Flugzeug und Panzer, einen Sinn ergebe. Was zugleich bedeutete, dass beide Teil­streitkräfte sich im Sinne einer Kumpanei für das jeweils andere Vorhaben einsetzten. Diese seltene Solidarität hat offenbar auch die Parlamentarier beeindruckt.
Der Systemverbund verhieß bei Einsätzen fern der Heimat Statusgewinn, auch und gerade gegenüber den Verbündeten. Keiner hätte eine so kampfkräftige Kombination gehabt, hätte da draußen so schnell und so hart auftreten können. Dachte man doch bei den in Mode gekommenen Militärinterventionen an richtige Schießkriege und kaum an den behutsamen Gebrauch militärischer Mittel.
Die Entwicklung des A400M wurde hingegen zum Trauerspiel. Die neuen Triebwerke erbrachten nicht die verlangte Leistung, den Tragflächen mangelte es an Stabilität, die Zelle des Flugzeuges litt unter starken Vibrationen. Trotz mancher Nachbesserung könnte nach aktuellem Konstruktionsstand der Puma mit seinem vorgesehenen Minimalgewicht nicht über die geplante Distanz geflogen werden. Von den zunächst anvisierten 30 Tonnen Nutzlast, die 4.500 Kilometer weit transportiert werden sollten, ist keine Rede mehr.
Mehrfach wurde der Erstflug verschoben und fand dann Ende 2009 statt. Mehrfach auch hätten Regressforderungen geltend gemacht werden können. Sogar ein Abbruch des Projektes wäre möglich gewesen. Stattdessen hat man sich 2009 erneut auf eine Fortsetzung festgelegt und ist damit am schwächeren Hebel, wenn Nachforderungen gestellt werden, um technische Probleme auszubügeln.
Der Systempreis für den MilitAirbus wird gegenwärtig bereits auf über 150 Millionen Dollar geschätzt. Tendenz: rapide steigend. Den Zulauf der ersten Maschinen dürfte die Luftwaffe wohl frühestens Mitte dieses Jahrzehnts erleben.
Als das Vorhaben A400M zur Zeit der ersten rotgrünen Koalition konkret wurde, war geplant, für die Luftwaffe 73 Flugzeuge zu beschaffen, deren Systempreis damals mit 50 Millionen Dollar angegeben wurde. Fiskalische Zwänge führten dazu, dass die Zahl der Systeme für die Luftwaffe mittlerweile auf 53 reduziert wurde. Eine weitere Verringerung glaubt man sich aus industriepolitischen Motiven, sprich: wegen des Einflusses von Airbus Industries, nicht erlauben zu können. Hinzu kommt noch der Gesichtspunkt, den anderen europäischen Projektpartnern keine Gründe für den Ausstieg zu liefern.
Während des deutschen Afghanistan-Einsatzes wurde der strategische Lufttransport durch angemietete ukrainisch-russische Maschinen bewältigt. Und nun sind offenbar künftige große Ferneinsätze der Bundeswehr politisch unwahrscheinlich geworden. Fragt sich also, warum überhaupt einen strategischen Transporter beschaffen?
Auch beim Puma (Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall) gab es Probleme. Das geplante Fahrzeug firmierte zuerst als Schützenpanzer 3, um dann nacheinander als Neuer Schützenpanzer, Panther (!) und Igel bezeichnet zu werden. Dies verrät konzeptionelle Unsicherheit. In der Tat: Bevor es zum Puma kam, wurde beschlossen, das Vorhaben technologisch weniger ehrgeizig anzulegen als ursprünglich vorgesehen und zugleich die Zahl der zu bestellenden Systeme von etwa 1.150 auf 405 zu reduzieren (gegenwärtig geht es noch um 350).
Trotz dieser Korrektur sollte das Produkt immer noch ein Tausendsassa sein: ein gut geschütztes Fahrzeug als Rückhalt leichter Expeditionskräfte, das sich gegenüber Aufständischen durchsetzen, Hubschrauber bekämpfen und gegnerische Kampfpanzer auf Distanz halten kann. Doch gab es während der Entwicklung große Probleme mit der Stabi­lisierung der Maschinenkanone, mit Kraftübertragung und Fahrwerk. Nachbesserungen wurden nötig. Das Fahrzeug wiegt mittlerweile „nackt“ mehr als die vorgesehenen 30 Tonnen. Und aus fünf Millionen Euro, dem ursprünglichen Systempreis, wurden sieben. Nach mehrfacher Verschiebung soll der Panzer in diesem Jahr der Truppe zulaufen. Er ist schwerer, klobiger und teurer als alles, was unsere Verbündeten an Vergleichbarem haben.
Und nun zur Marine! Die neue U-Bootklasse 212, die in den 1990er Jahren Gestalt annahm, stellt einen beträchtlichen Sprung gegenüber dem Vorgängertyp (206) dar. So nahm die Unterwasserverdrängung von 500 Tonnen Standardverdrängung bei der Klasse 206 auf 1.450 Tonnen Standardverdrängung zu. Damit wuchsen Reichweite und Seeausdauer beträchtlich. Die neuen Boote sind zwar immer noch, wie schon die alten, für den Einsatz in Küstengewässern geeignet, doch bieten sie sich gleichermaßen auch für Hochseeaufgaben an.
Der eigentliche Clou liegt beim Hybridantrieb dieser Boote. Der elektrische Strom für die Unterwasserfahrt wird nicht nur durch die Kopplung von Dieselmotor und Generator, sondern zusätzlich durch ein Brennstoffzellen-Aggregat erzeugt. Dies ermöglicht eine Verdreifachung der Fahrtstrecke unter Wasser, ohne auf Außenluft angewiesen zu sein. In diesem Kontext ist vom „Atom-U-Boot des kleinen Mannes“ gesprochen worden. Hinzu kommt eine beispielhafte „Signaturarmut“ in den Bereichen Akustik, Magnetik, Hydrodynamik und Wärmeabstrahlung.
Der Typ 212 wurde von HDW (Howaldtswerke-Deutsche Werft) und TNSW (Thyssen Nordseewerke) entwickelt. Eine Kooperation mit Italien führte zu Verbesserungen, zum Beispiel einer Vergrößerung der Tauchtiefe. Diese wurden von der deutschen Marine übernommen, und die U-Boot-Klasse wird jetzt 212A genannt. Der Zulauf einer ersten Tranche von vier Einheiten war 2007 abgeschlossen. Bis 2014 ist die Indienststellung von zwei weiteren Einheiten mit zusätzlichen Verbesserungen zu erwarten (Klasse 212B).
Mitte der 1990er Jahre wurde für die U-Boote der Klasse 212 noch ein Systempreis von umgerechnet etwa 350 Millionen Euro angegeben. Bei Zulauf der ersten Tranche ging es schon um deutlich über 400 Millionen Euro.
Während sich im Kalten Krieg bundesdeutsche U-Boote relativ leicht rechtfertigen ließen, insbesondere solche für die küstennahe Verwendung in der Ostsee, mussten danach neue Formeln gesucht werden. Man redet nun davon, dass eine Flotte, die leistungsfähig sein will, „ausgewogen“ sein müsse, was auch das Beibehalten einer Unterwasserkomponente erfordere. Überdies wird die Notwendigkeit der Krisenreaktion angesprochen und damit vor allem die Reichweitensteigerung und der Größensprung bei den neuen U-Booten gerechtfertigt. Es bedürfe kampfkräftiger Systeme, die weit entfernt von der Heimat über längere Zeit hinweg präsent sein, unauffällig aufklären und Seeräume überwachen könnten. Ergänzend wird gesagt, dass sich durch U-Boote Spezialkräfte unbeobachtet an Küsten absetzen lassen.
Des Weiteren ist zu vernehmen, dass es schließlich auch um Arbeitsplätze gehe, und zwar insbesondere in den strukturschwachen Gebieten an Nord- und Ostsee (was insbesondere SPD-Politiker immer wieder angetörnt hat). Und: Die Technologieführerschaft der deutschen U-Boot-Bauer könne sich nur dann in lukrative und beschäftigungsrelevante Exportgeschäfte umsetzen, wenn auch unsere Marine die entsprechenden Systeme nutze.
Dieser Zusammenhang scheint in der Tat zu bestehen, haben doch neben Italien auch Griechenland, Portugal, Südkorea und die Türkei die neue deutsche U-Boot-Technik beschafft; letztere vier in der größeren Variante „Klasse 214“. Und auch Israel ist zu den Kunden des Hybridantriebes zu zählen – allerdings auf etwas anderen, ebenfalls in Deutschland gebauten Plattformen („Dolphin-Klasse“). Durch diese Klasse, die sich mit präzisen, nuklear armierten Marschflugkörpern bestücken lässt, verbessert Israel seine atomare Zweitschlagsfähigkeit, gewinnt zugleich aber auch die Option, einen Gegner zu „enthaupten“, also die Erstschlagsfähigkeit mit der Folge riskanter Instabilität. Nichts anderes hat übrigens Günter Grass in seinem vielgeschmähten Poem gesagt.
Die U-Boot-Planung verrät Hochsee-Aspirationen der deutschen Marine. Man möchte größere und leistungsfähigere Plattformen, um die traditionellen maritimen Mächte beeindrucken zu können. Ob dies mehr Mitsprachemöglichkeiten bringt, ist freilich durchaus offen. Die westlichen Bündnisse verfügen über zahlreiche U-Boote, darunter leistungsfähige U.S.-amerikanische, britische und französische mit Atomantrieb. Eine Verstärkung dieses Unterwasserpotentials ist so überflüssig wie ein Kropf. Ein maritimer Gegner, der die westlichen Bündnisse herausfordern könnte, ist auf lange Sicht nicht zu erkennen.
Und das Argument mit der Verwendung von U-Booten in der Krisenreaktion erscheint lächerlich: bedarf es doch bei entsprechenden Einsätzen vor allem der sichtbaren Präsenz. Man denke etwa an Fregatten, die ein Embargo überwachen! Auch die Option, Spezialkräfte unter Wasser abzusetzen, trägt kaum zur Rechtfertigung der neuen U-Boot-Rüstung bei. Es gibt kostengünstigere und weniger akrobatische Möglichkeiten, Kommandos unauffällig in die Nähe ihres Zieles zu bringen.
Fazit: Hohle Verkaufsargumente, reale Profitinteressen – und ein Parlament, dass all diese Fehlentwicklungen nahezu klaglos geschluckt und in keinem Fall ernsthaft interveniert hat.