­­Der Programmentwurf der Partei Die Linke und die deutsche Außenpolitik

Sowohl im Entwurf des Parteiprogramms der Partei Die Linke als auch in der Diskussion zu diesem Entwurf wird der komplexen und kritischen Analyse der deutschen Außenpolitik, ihrer Entwicklung besonders nach 1990 und ihren Folgen erstaunlich wenig Raum gegeben. Es besteht ein offensichtlicher Widerspruch zwischen dem Anspruch der Partei Die Linke, als Antikriegs-Partei anerkannt zu werden, und der fehlenden komplexen Analyse der Prinzipien, Aufgaben und Ziele, die sich die BRD in den internationalen Beziehungen stellt, sowie der Mittel und Methoden, mit denen diese Ziele verwirklicht werden sollen.

Natürlich ist der Standpunkt im Programmentwurf der Partei Die Linke zu unterstützen, der den Krieg als Mittel der Politik grundsätzlich ablehnt.

Unter dieser Überschrift wird weiter ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr, ein Verbot von Rüstungsexporten, die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch die Schaffung eines „kollektiven Sicherheitssystems“ unter Beteiligung Russlands gefordert. Damit werden wichtige friedenspolitische Grundfragen angesprochen. Ihre positiven Inhalte sind zu bewahren.

Angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklung im Inneren, der Entwicklung der internationalen Verhältnisse und der aktuellen Veränderungen in der außenpolitischen und militärpolitischen Konzeption der Bundesregierung erhebt sich zugleich die Notwendigkeit, sie zu präzisieren.

 

Beendigung der Auslandseinsätze

So deckt die Forderung nach „sofortigem Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr“ ein wichtiges Segment der Politik der BRD, der EU und der NATO ab. Der Einsatz der Bundeswehr im Zuge der Expansionspolitik des deutschen Kapitals und der Militarisierung seiner Außenpolitik ist aber nicht nur mit „Kampfeinsätzen“ verbunden. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien, die nach 1990 systematisch erweitert wurden, sprechen eine klare Sprache. Laut „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ von 2006 hat die Bundeswehr „den Auftrag,

• die außenpolitische Handlungsfähigkeit zu sichern,

• einen Beitrag zur Stabilität im europäischen und globalen Rahmen zu leisten,

• die nationale Sicherheit und Verteidigung zu gewährleisten,

• zur Verteidigung der Verbündeten beizutragen,

• die multinationale Zusammenarbeit und Integration zu fördern:“ (S. 13)

Die Bundeswehr wird also als „Instrument einer umfassend angelegten“ (Hervorhebung – A. L.) Politik der Bundesregierung angesehen – auch in der Praxis. Also muss auch die Haltung der Partei Die Linke zur Bundeswehr und ihrem Einsatz umfassender angelegt sein und kann sich nicht nur auf die jetzigen Kampfeinsätze beschränken.

Die Reduzierung auf „Kampfeinsätze“ erfasst nicht die wirkliche Funktion der Bundeswehr im außen- und sicherheitspolitischen Konzept der Bundesregierung. Sie berücksichtigt ebenso wenig die Werte, Ziele und Interessen der außenpolitischen Konzeption des deutschen Kapitals. In diesen geht es darum, die Bundeswehr immer dann, immer dort und immer so einzusetzen, dass eine „umfassend angelegte“ Politik der Bundesregierung durchgesetzt wird, „die außenpolitische Handlungsfähigkeit“ Deutschlands, die internationalen Handelswege für die Produkte der deutschen Konzerne (auch im Wettbewerb mit den anderen Großmächten und ihren Konzernen), die Beherrschung von Rohstoffquellen und die Erweiterung der Einflusssphären gesichert wird usw.

Auch die neuesten Vorschläge zur Umstrukturierung der Bundeswehr sind darauf ausgerichtet, die Bundeswehr zu einer Armee für den Auslandseinsatz umzuwandeln, die solchen Aufgabenstellungen am besten entsprechen kann.

Die Durchsetzung des oben genannten Standpunktes, wonach die Partei Die Linke den Krieg als Mittel der Politik grundsätzlich ablehnt, erfordert deshalb, nicht nur „Kampfeinsätze“ der Bundeswehr, sondern generell alle „Auslandseinsätze“ abzulehnen und die Herstellung ihrer strukturellen Nichtangriffsfähigkeit zu fordern. Die Bundeswehr muss abgezogen werden aus allen Auslandseinsätzen, insbesondere sofort aus Afghanistan.

Auf ihrem ersten Parteitag in Cottbus beschloss die Partei: „Die Linke lehnt jegliche Militäreinsätze im In- und Ausland ab“. Es wäre fatal, wenn die Partei diesen Gründungskonsensus mit dem neuen Programm kippen würde. Dies würde dazu führen, dass sich die Partei von ihrem Credo als Friedenspartei verabschiedet. Dass dies nicht nur eine vage Vermutung ist, zeigen die Erklärungen der Vertreter des fds (Forum Demokratischer Sozialismus) zu diesem Thema.

Das Aufgeben der in Cottbus beschlossenen Position würde aber auch eine gefährliche Entwicklungsrichtung in der Partei bestätigen und verfestigen.

Es stellt sich ebenso die Notwendigkeit, auch für das Verbot der Teilnahme anderer militärischer und paramilitärischer Strukturen (z. B. Polizei) der Bundesrepublik an Auslandseinsätzen zu kämpfen – ganz gleich unter welcher Flagge diese Einsätze erfolgen sollten.

 

Abrüstung

Im Rahmen der Diskussion zum Programmentwurf spielt der Kampf um Abrüstung und Rüstungsbegrenzung eine relativ geringe Rolle.

Unter der Überschrift „Abrüstung und strategische Nichtangriffsfähigkeit“ werden wichtige abrüstungspolitische Forderungen formuliert. Jedoch zeigt sich, dass auch diese Forderungen von den Standpunkten ausgehen, die von konservativen und sozialdemokratischen Kreisen schon länger vertreten werden. Diese werden nicht auf der Grundlage der Interessen der werktätigen Menschen bestimmt, sondern versuchen bestenfalls, zwischen diesen und den „Interessen der deutschen Politik“ ausgleichend Rechnung zu tragen.

Schon die Formulierung: „Die Linke setzt daher auf Abrüstung …“ (Hervorhebung – A. L.) bringt zu wenig den kämpferischen, offensiven Charakter der Friedens- und Abrüstungspolitik einer sozialistischen Antikriegspartei zum Ausdruck.

 

Rüstungsbegrenzung

Gleichzeitig setzt sie – wie es im Entwurf heißt – auf „Abrüstung und Rüstungskontrolle“. Der Begriff „Rüstungskontrolle“ wurde von der Außenpolitik der kapitalistischen Großmächte in den vergangenen Jahrzehnten schon immer dafür eingesetzt, um klare Aussagen zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zu vermeiden.

„Rüstungskontrolle“ beschreibt das Bestreben der Großmächte und ihrer Rüstungskonzerne sich gegenseitig zu kontrollieren, um den Wettbewerb (Konkurrenz) untereinander zu eigenen Gunsten zu entscheiden. Es geht darum, die Rüstung „unter Kontrolle“ zu halten. Es ging und geht nicht darum, durch die Verhandlungen das Wettrüsten einzuschränken bzw. zu beseitigen, sondern darum, die Kontrolle zu sichern, um z. B. die Märkte und die Profite zu sichern.

Das Konzept der Rüstungskontrolle hat sich in der Vergangenheit schon immer als ernstes Hindernis für den Abschluss internationaler Verträge erwiesen, weil es vom Vorrang der Kontrolle vor echten Begrenzungen der Rüstungen ausgeht. Die Rüstungskontrolle hat sich für die Lösung des Abrüstungsproblems als zentrale Frage der Weltpolitik als ungeeignet erwiesen.

Dagegen enthält eine Forderung nach Rüstungsbegrenzung konkrete Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Eindämmung des Wettrüstens durch Verbot des Einsatzes und der Entwicklung bestimmter Waffenarten oder durch Verhinderung der Ausdehnung des Wettrüstens auf bestimmte Gebiete und Territorien (z. B. Weltraum). Zur Rüstungsbegrenzung gehören auch die Festlegung von quantitativen und qualitativen Höchstgrenzen für bestimmte Waffenarten sowie die Einschränkung der finanziellen Ausgaben für militärische Zwecke, wie z. B. die Reduzierung der Militärhaushalte und die Verwendung der Mittel für soziale/humanitäre Zwecke.

Dazu gehört auch die Forderung nach Rüstungskonversion, die, zugleich mit ihrer eigenständigen Bedeutung den Arbeitern in den Rüstungsbetrieben und den Gewerkschaften Kampffelder für die Sicherung ihrer Arbeitsplätze durch Umstellung der Rüstungsproduktion auf Produktion von Gütern für gesellschaftlich notwendige Produkte anbietet. Zugleich wird damit der enge Zusammenhang des Kampfes für soziale Forderungen mit dem Friedenskampf verdeutlicht.

 

Waffenexporte

Es wird ein „Verbot von Waffenexporten in Krisengebiete“ gefordert. Warum wird diese Forderung auf „Krisengebiete“ eingeschränkt?

Warum wird nicht deutlich ein Standpunkt formuliert, der Rüstungsexport überhaupt verbietet? Geht es nicht vielmehr darum, gerade in dieser Frage den Antikriegskampf mit dem Kampf gegen die Monopole und ihre Ausbeutung zu verbinden?

Warum wird nicht die Forderung erhoben, die Produktion von Rüstungsgütern zu untersagen? Wenn nicht produziert wird, kann auch nicht exportiert oder importiert werden. Außerdem würden unvorstellbare Summen nicht „verpulvert“, sondern könnten für soziale Zwecke eingesetzt werden.

Außerdem: Kampf gegen die Rüstung ist auch Kampf gegen die Militarisierung der Wirtschaft. Wer gegen die Militarisierung kämpfen will, muss auch gegen die Rüstungsproduktion und ihre Träger kämpfen! In Zusammenhang mit dem neuen Kriegsbild  und der Entwicklung der Militärtechnik hat diese Aufgabe eine noch größere Bedeutung erlangt.

Es wird oft die Frage gestellt, woraus sich die Probleme der Friedensbewegung ergeben. Auch die Tatsache, dass die Partei den Zusammenhang zwischen Kampf um Frieden und Abrüstung und materiellen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen zu wenig in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellt, dürfte eine Ursache dafür sein. Daraus ergibt sich nur eine bestimmte Schlussfolgerung!

 

NATO

Es muss deutlich gemacht werden, dass die Partei Die Linke für eine bedingungslose Auflösung der NATO eintritt. Es kann nicht darum gehen, die NATO „zu ersetzen“, wie es im Programmentwurf heißt. Wir wollen nicht eine neue NATO unter einer anderen Überschrift, deren Politik aber im Wesen gleich bleibt, weil sie sich aus den gleichen sozial-ökonomischen und politischen Verhältnissen speist.

Die Auflösung der NATO bedeutet auch die Tilgung aller aggressiven Konzepte, nach denen diese Organisation bis in unsere Tage tätig wird!

Die NATO ist ein Bündnis wachsender Unsicherheit. Sie bedroht mit ihrem Verständnis von Sicherheit die Souveränität und Integrität anderer Länder. Der Verlauf der internationalen Ereignisse besonders in den vergangenen 20 Jahren beweist, dass Frieden und Herrschaft des demokratischen Völkerrechts nur gegen die NATO möglich ist. Deshalb muss sie aufgelöst werden.

Auf dem Weg dahin bedarf es konsequenter Ablehnung der militärischen NATO-Aggressionen, nationale und internationale Mobilisierung der antiimperialistischen Kräfte für sofortigen Rückzug aller ausländischen Truppen von fremden Territorien, für die Auflösung aller ausländischen Militärbasen, für den Austritt der Länder aus der NATO und schließlich für die Auflösung dieses Bündnisses.

 

Europäische Union

Der antikapitalistische und antiimperialistische Charakter des Programms der Partei Die Linke muss auch in ihrer Positionsbestimmung gegenüber der Europäischen Union zum Ausdruck kommen.

Im vorliegenden Programmentwurf wird die EU als „unverzichtbares politisches Handlungsfeld für die Sicherung des Friedens, für wirtschaftliche Entwicklung in Europa und die Bewältigung von Wirtschaftskrisen, für die Wahrung der Interessen der Beschäftigten, für den sozial-ökologischen Umbau in Europa und für die Lösung der globalen Herausforderungen“ charakterisiert.

Eine solche krasse Fehlinterpretation kann nur vertreten, wer das Wesen des Kapitalismus/Imperialismus negiert und seine Wertungen auf der Grundlage idealistischer Anschauungen vornimmt. Es wird verdrängt, was Karl Liebknecht, ein anerkannter Vorgänger auch dieser Partei, schon 1914 erkannt hat. Im Reichstag erklärte er am 11. Mai 1914: „Es ist bekannt, dass die auswärtige Politik unserer jetzigen Epoche schon längst nicht mehr in den Auswärtigen Ämtern gemacht wird, sondern in den Fabrik- und Bankkontoren, und dass ihre Mittel weit weniger diplomatische Noten als andere Noten sind.“ (Zitiert nach: Norbert Podewin, Ebert und Ebert, Berlin 1999, S. 120)

Dies trifft auch für die Einschätzung der EU zu. Sie ist eine supranationale Vereinigung kapitalistischer Staaten Europas. Ihr Funktionieren wird von den Gesetzen des Kapitalismus bestimmt. Getrieben und geprägt wurde und wird ihre Entwicklung und Politik vom Streben nach Profitmaximierung. Die EU ist Produkt der Entwicklung der materiellen Bedingungen des Kapitalismus und zugleich der Vereinbarung zwischen den Staaten als Machtinstrument des Kapitals. Mit Hilfe der EU suchten und suchen die imperialistischen Mächte und Monopole die objektive Tendenz der Entwicklung für ihre Klasseninteressen nutzbar zu machen. Die EU entstand als reaktionäre Antwort auf die Erfordernisse der historischen Entwicklung und ist eine Hauptform des Kampfes der Großmächte des Kapitals gegen gesellschaftlichen Fortschritt und um eine Neuaufteilung der Einflusssphären. Charakteristisch für die EU ist heute weiterhin, dass sie auf dem Weg ist, sich als ökonomisches, politisches und militärisches Imperium zu etablieren. Die Militarisierung ist Bestandteil dieses Prozesses.

Die Wirklichkeit widerspricht also der über Gebühr positiven Einschätzung der Bedeutung und Politik der EU.

Die Vertreter oben genannter Einschätzung der EU kommen zu einer solchen Position, weil sie es vermeiden, die Ursachen und den sozialökonomischen Charakter dieser Form der Integration unter oben genannten Gesichtspunkten zu untersuchen. Sie ziehen es vor, davon auszugehen, dass von „Politik und Wirtschaft“, wie sie sagen, bestimmte, als wünschbar gesetzte Ziele vorgegeben sind. Dem entsprechend braucht man nur die Träger dieser „Vorgaben“ auszutauschen, um die notwendigen Veränderungen herbeizuführen. Auf diese Weise können sie, abstrakt und von der Wirklichkeit weit entfernt, dem wachsenden Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen, der sich aufdrängt, aus dem Wege gehen. Diesen zu erörtern würde ja bedeuten, die innere Widersprüchlichkeit des Kapitalismus aufzudecken.

Im Rahmen der so erarbeiteten idealisierenden Standpunkte werden illusionäre „Forderungen“ gestellt, durch die der tatsächliche reaktionäre Charakter der EU eher verschleiert wird, statt Orientierung für die Kämpfe um Frieden, Demokratie  und gesellschaftlichen Fortschritt zu sein.

Es genügt nicht, nur festzustellen, dass der Grundlagenvertrag von Lissabon  „die wachsende Bedeutung militärischer Mittel für die EU“ widerspiegelt. So wichtig und unverzichtbar das ist – es geht nicht nur um diese oder jene „Mittel“, sondern um die Militarisierung  dieser Organisation in ihrem Grundbestand und in ihrer Politik. Eine kritische Positionierung ist deshalb unerlässlich.

Es wird die Hoffnung auf eine „demokratische, friedliche und soziale EU“ zum Ausdruck gebracht. Die Hoffnung ist gut. Doch es wird gefährlich, wenn damit Millionen Menschen desorientiert werden, denn  „…die Hoffnung, in Aktion umgewandelt, endet im Triumph  oder in der Katastrophe“. (José Marti, Mit Feder und Machete, Berlin 1974, S. 103) Und die EU ist nun mal eine imperialistische Koalition – und einen friedlichen Imperialismus gibt es nicht! Und: Die EU betreibt nicht nur die Unterordnung der europäischen Peripherie unter „Kerneuropa“, sondern auch die Aufhebung nationalstaatlich zugesagter sozialer und demokratischer Rechte.

Die sozial-ökonomischen und politischen Verhältnisse, die die jetzt bestehenden EU-Strukturen zustande gebracht haben, können nicht durch diese Strukturen in ihr Gegenteil verkehrt werden! Es ist Aufgabe einer sozialistischen Partei, in diesen Prozess aktiv und konstruktiv einzugreifen. Voraussetzung ist eine entsprechende Analyse und Positionsbestimmung.

 

Großmacht Deutschland

Erstaunlich wenig Raum wird im Programmentwurf der Analyse der Außenpolitik der BRD und ihrer Grundlagen eingeräumt. Es wird weder das Verhältnis von Innen- und Außenpolitik noch die außenpolitische Strategie der BRD zum Thema gemacht. Keine Berücksichtigung findet die Notwendigkeit, die Bestimmung und Entwicklung der außenpolitischen Interessen Deutschlands und der Mittel zu ihrer Durchsetzung zu analysieren. Das gilt besonders für die Funktion des Militärischen/Militärs als Instrument der Außenpolitik.

Dabei stellt sich die Frage, welche außenpolitischen Konsequenzen sich aus der „normalen“ ökonomischen Entwicklung des Kapitalismus in Deutschland und seiner imperialistischen Bestrebungen ergeben, als auch die Frage, welche politischen Besonderheiten nach der staatlichen Vereinigung der zwei deutschen Staaten nach 1990 sich für die deutsche Außenpolitik ergaben, welche Folgen das für die Bestimmung von Strategie und Interessen Deutschlands und für die Art und Weise des internationalen Auftritts der BRD hat.

Nichts derartiges ist in dem vorliegenden Entwurf zu finden. Dabei sind das doch alles Fragen, auf deren Beantwortung die Gesellschaft wartet, um politisch wirksam zu werden.

Mit der Herstellung der staatlichen Einheit  Deutschlands durch die Einverleibung der DDR wurden wichtige Ziele des nach 1945 wieder entstandenen deutschen Großkapitals  erreicht, die von allen Regierungen seit Adenauer (Alleinvertretungsanmaßung, Hallstein-Doktrin, Anschluss der DDR, erste Veränderung der Grenzen in Europa nach dem zweiten Weltkrieg) verfolgt wurden.

Es wurden zugleich neue, für das deutsche Kapital günstigere Bedingungen für eine neue Etappe bei der internationalen Durchsetzung seiner Interessen geschaffen. Durch die Revision der 1945 durch das Potsdamer Abkommen geschaffenen Verhältnisse wurden zugleich die letzten Fesseln, die es in Bezug auf Deutschland zur Vermeidung des Wiederauferstehens des deutschen Imperialismus, Militarismus gab, beseitigt.

Der Sozialismus, der Warschauer Vertrag haben sich in Europa von der politischen Bühne verabschiedet. Damit fehlte der hauptsächlichste Gegenpart zur Politik der kapitalistischen Großmächte allgemein und besonders zur Politik des deutschen Großkapitals.

Die Sowjetunion ist auf Russland zusammengeschrumpft und hat einen beträchtlichen Bedeutungsverlust erlitten. Russland ist nach 1990 weder Siegermacht noch Supermacht.

Frankreich und Großbritannien haben ebenfalls wichtige Instrumente des Einwirkens auf die deutsche Politik verloren.

Auch die USA haben wichtige Instrumente aus der Hand gegeben, weil sie anders den Niedergang der Sowjetunion nicht erkaufen konnten.

Allein die BRD hat hinzugewonnen (auch territorial) und wurde in die Lage versetzt, eigene Ansprüche „ungenierter“, direkt anzumelden und sie, auch ohne als „Juniorpartner“ auftreten zu müssen, auch zunehmend eigenständig durchzusetzen.

In der nach 1990 geschaffenen „neuen Weltordnung“ hat sich Deutschland zunehmend gleichberechtigt mit den anderen Großmächten positioniert. Es hat weiter von seinem ökonomischen Gewicht profitiert (eine der fünf größten Wirtschaftsmächte der Welt) und dieses in die Waagschale der internationalen Politik  gelegt. Es ist aber nicht mehr weitgehend darauf beschränkt. Sein politisches Gewicht hat neue Dimensionen erreicht – und Deutschland nutzt es aktiv. Dadurch haben sich auch die Möglichkeiten für den aktiven Einsatz auch der anderen Bereiche (Militär, Kultur, Medien) bei der internationalen Durchsetzung eigener Interessen wesentlich erweitert. Das Zusammenwirken aller derartiger Faktoren haben das Macht- und Einflusspotenzial der BRD potenziert!

Auf dieser Grundlage verfolgt Deutschland nach 1990 eine Außenpolitik, deren Leitlinie vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl wie folgt vorgegeben wurde: „Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten.“ (Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag im Januar 1991)

Grundsätzlich bedeutet die Einschätzung Helmut Kohls, dass die Mächtigen der BRD davon ausgingen und ausgehen, dass die Außenpolitik des Landes sich in der Phase befindet, in der die offene Wiederaufnahme der imperialistischen Zielstellungen Deutschlands zur Normalität der internationalen Beziehungen gemacht werden muss.

Der damalige Außenminister, Klaus Kinkel, fasste 1993 die „Herausforderungen“ der deutschen Innen- und Außenpolitik wie folgt zusammen: „Zwei Aufgaben gilt es parallel zu meistern: Im Inneren müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es, etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht. Die Rückkehr zur Normalität (Hervorhebungen – A. L.) im Inneren wie nach außen entspricht einem tiefen Wunsch unserer Bevölkerung seit Kriegsende. Sie ist jetzt auch notwendig, wenn wir in der Völkergemeinschaft respektiert bleiben wollen. … Unsere Bürger haben begriffen, dass die Zeit des Ausnahmezustandes vorbei ist.“ ((Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. März 1993)

Deutschland muss also nach der „Zeit des Ausnahmezustandes“ schon wieder aufholen. Das bedeutet aber, dass es seine „Weltmachtrolle“ gegen andere Staaten oder Großmächte durchsetzen muss. Das bringt mit sich, dass auch die Wiederherstellung des jus ad bellum, der Alltäglichkeit des Krieges, zum Normalen im internationalen Agieren Deutschlands gehört. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 (verkündet von Minister Volker Rühe) waren das erste offizielle Dokument, in dem mit der militärischen „Zurückhaltung“ der BRD gebrochen wurde. Deutschland wurde darin zu einer „kontinentalen Mittelmacht mit weltweiten Interessen“ erklärt. (www.asfrab.de) Der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr bezeichnete militärische Einsätze als „klassisches Mittel der Politik“.

Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündete dann die „Enttabuisierung des Militärischen“, was praktisch in der Beteiligung Deutschlands an der Aggression gegen Jugoslawien realisiert wurde. Seine Regierung hat die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992  in diesem Sinne ergänzt, aktualisiert und neu aufgelegt (2003). Ihre Kernaussage erläuterte Minister Peter Struck mit dem Satz: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“. Sie wurden von der Regierung Merkel 2006 im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ (Minister Jung) fortgeschrieben. Horst Teltschik, Chef der Münchener Sicherheitskonferenz bis 2008 und wirksames Verbindungsglied zwischen Kapital und Politik, erklärte kurz vor seinem Rückzug von dieser Tätigkeit, dass deutsches diplomatisches Gewicht auf der internationalen Bühne nur über weitere weltweite militärische Präsenz herstellbar sei. Dazu gehöre auch der Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan (www.securityconference.de).

Parallel zur Neubestimmung der internationalen Stellung und Rolle Deutschlands und der Mittel zur Erreichung dieses Zieles haben sich die Strategen der deutschen Außenpolitik auch zur Frage der deutschen außenpolitischen Interessen neu positioniert. Dafür steht für die CDU/CSU das so genannte Schäuble-Lamers-Papier von 1994 (www.cducsu.de). Egon Bahr formulierte seine Position sehr deutlich wie folgt: „An erster Stelle steht die Macht. … Machterhalt, Machterweiterung, Machtwiederherstellung.“ (Egon Bahr, Deutsche Interessen. Streitschrift zu Macht, Sicherheit und Außenpolitik, München 1998, S. 17) „Die freundliche demokratische Schwester  der Macht heißt Einfluss“ formuliert Egon Bahr weiter. Und auf die Frage „Macht wozu“ antwortet er: „Das Land, das vor der Gestaltung eines neuen Abschnitts seiner nationalen Geschichte steht, muss wieder machtgewohnt werden. Machtgewöhnung ist ein anderes Wort für Normalität. Deutsche Macht als Normalität.“(Ebenda, S. 18)

Damit wurde eine Leitlinie nicht nur für die Außenpolitik der damaligen Schröder/ Fischer-Regierung verkündet, sondern eine Position fixiert, die dem Grundanliegen des deutschen Kapitals seit langem entspricht. Die Verbindung zur Kinkel-Aussage, wonach es gilt, nach außen „etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind …“ ist nicht zu übersehen.

Dies von einer sozialistischen Partei zu vernachlässigen, ist mehr als sträflich. Deshalb muss in der Folgezeit zu diesem Thema noch beträchtlich nachgearbeitet werden.

Dies umso mehr, als die Autoren, Träger und Vollstrecker dieser Vorstellungen damit rechnen, dass sich die Menschen in Deutschland und in anderen Ländern mit dem deutschen Verhalten abfinden, sich daran gewöhnen. Und das wäre ja nicht zum ersten Mal in der Geschichte! Egon Bahr formuliert das so: „Die Gewöhnung der Deutschen und ihrer Nachbarn, dass Deutschland, normal wie jeder Staat, Macht und Einfluss ausübt“ muss zu einer „fundamentalen Realität in der Mitte Europas“ werden. Wer soll darauf mit aller Entschiedenheit antworten, wenn nicht die Sozialisten!?

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte in ihrer ersten Regierungserklärung fest: „Deutsche Außen- und Europapolitik  gründet sich auf Werte und sie ist Interessenpolitik (Hervorhebung – A. L.). Politik in deutschem Interesse setzt auf Bündnisse und Kooperation mit unseren Partnern.“ (www.

handelsblatt.com/politik) Sie beendete diese Regierungserklärung mit dem Satz: „Denn Deutschland kann mehr. Deutschland kann es schaffen.“

Von der offiziellen und der von den Monopolen finanzierten deutschen Propaganda wird indes hartnäckig bestritten, dass die deutsche Außenpolitik, getragen von den deutschen Finanz-, Wirtschafts- und Militärkreisen, wieder eine Großmachtpolitik betreibt, die eigene, in den Interessen, Ideologien und Traditionen der deutschen Kapitalherrschaft wurzelnde Gründe hat.

Es ist Aufgabe der Sozialisten, die Wahrheit über diese Verhältnisse und über die davon ausgehende Strategie und Taktik und deren Folgen zu erkunden, zu formulieren und zu propagieren und Gegenkräfte und -bewegungen zu mobilisieren. Klare programmatische Aussagen in dieser Richtung sind unerlässlich. Konsequente Politik ist lebensnotwendig!