Ernüchterte Ernüchterung

Hefteditorial iz3w 330: Arabischer Frühling 2.0

»Klimakarneval in Rio« titelte die iz3w im November 1991 über die im Juni 1992 anstehende UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (UNECD). Angesichts des wachsenden Verkehrsaufkommens in Deutschland seien die dortigen Verhandlungen am grünen Tisch ein »Klimabluff«. Dass so viele UmweltretterInnen zum Gipfel nach Rio reisen wollten, wurde skeptisch gesehen: »So viele Menschen sind sicher ein Segen für die brasilianischen Taschendiebe, ein Segen fürs Weltklima sind sie nicht.«

Doch die damalige Redaktion nahm das Thema trotz aller Vorbehalte ernst. Im Vorfeld von Rio folgten in gleich vier iz3w-Ausgaben die »UNCED-Infos«. Die darin gestellten Fragen lauteten: Sind es nicht die Entwicklungsländer, die die Hauptlast der beschlossenen Maßnahmen tragen müssen? (Soviel vorweg: Ja). Führt Nachhaltige Entwicklung zu einer erweiterten Herrschaft über die Natur? (Ja) Wird Ökologie auf die Vorstellung von »effizientem Ressourcenmanagement« verkürzt? (Ja) Oder auf »weise Selbstbeschränkung«? (Eher nicht)

Das UNCED-Info 3 berichtete von einer globalen Vorbereitungskonferenz der »Nicht-Regierungsorganisationen (NRO)« – wie das damals noch neue Zauberwort heißt. In sie wurden allerlei Hoffnungen auf eine »kritische Reflexion des eigenen Standorts und zu einer strategischen Neubestimmung zukünftiger Politik über Rio hinaus« gesetzt. Solche Positionsbestimmungen lasen sich nicht immer so spannend wie ein Krimi: »Die strategische Ratlosigkeit zeigte sich auch daran, dass eine politische Analyse der Bedeutung von UNCED, des Standes des Verhandlungsprozesses und seiner Perspektiven fehlte.«

Mit einem Themenschwerpunkt »Ökologie & Entwicklung« wollte die iz3w kurz vor Rio noch einmal Schwung in die Debatte bringen. Denn »ohne innergesellschaftlichen Druck auf die Staaten des Nordens« würde Rio »ein gigantisches Spektakel, ein Festival des Stillstands und der Scheinheiligkeit«. Eine Autorin schreibt über die Vorbereitungsverhandlungen der Regierungen, es sei bereits »große Ernüchterung« eingetreten.

Über die aktuellen Vorbereitungen zum erneuten Erdgipfel Rio plus 20 im Juni 2012 urteilt die Zeitschrift südlink: »Zwanzig Jahre und viele Krisen später ist allenthalben Ernüchterung angesagt.« Auch die KollegInnen von welt-sichten finden, die Bilanz zwischen den Rio-Gipfeln sei »ernüchternd«. Die einstigen Hoffnungen der entwicklungspolitischen Szene auf globale Strukturpolitik sind einem Zustand der ernüchterten Ernüchterung gewichen.

Dagegen spricht Kanzlerin Merkel geradezu von Hoffnung berauscht über Umweltkonferenzen: »Nur wenn wir offene Märkte, faire Wettbewerbsbedingungen, nachhaltiges Wirtschaften und soziale Gestaltung von Wachstum und Beschäftigung im Rahmen eines kohärenten Gesamtkonzepts verfolgen, werden wir einen fairen und ausgewogenen Globalisierungsprozess erreichen.«

Ein Erfolg muss Rio 1992 zugesprochen werden: Der begriffliche Grundpfeiler des damaligen Gipfels, »Nachhaltige Entwicklung«, ist zu einem Keyword der nord-
süd-politischen und der Umweltdebatten geworden. Der Terminus war freilich von Beginn an umstritten: Radikalen KritikerInnen war er zu schwammig, Neoliberale beschworen die Gefahr der Regulierung, Linke reklamierten die fehlende Umverteilung.

Rio plus 20 verschiebt die Fragestellung ein wenig. Der neue Hoffnungsträger (und potentielle Ernüchterungsträger) ist die Green Economy. Zur Debatte in Rio stehen »grüne Ökonomie im Kontext der nachhaltigen Entwicklung« und der »institutionelle Rahmen für nachhaltige Entwicklung«. Doch wenn das strukturell bedingte Marktversagen im globalen Konkurrenzkapitalismus ausgeblendet bleibt und internationale Politik kaum mehr als Handelsliberalisierungen zustande bringt, ist das Ergebnis erwartbar: Wohlmeinende Appelle streichen die graue Realität grün an. Selbst der Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann sagt, dass er grünes Wachstum befürwortet. Die Green Economy entsteht dort, wo sie sich rentiert. Ihr Wachstum beinhaltet den weiteren Anstieg der Erdtemperatur.

Regelmäßige UNCED-Infos gibt es in dieser Zeitschrift keine mehr zu lesen. Wir verstehen einfach nicht mehr alles, was derzeit in der NGO-Szene diskutiert wird. Etwa wenn das Netzwerk 21 in seiner Publikation »Rio+20 – Nachhaltigkeit vor Ort!« proklamiert: »Wirtschaft und Umwelt, Ökonomie und Ökologie müssen näher zusammenrücken. Bedingung einer zukunftsfähigen sozialen Marktwirtschaft ist der ökologische Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Energie- und Ressourceneffizienz und geschlossenen Kreisläufen.« Wir blicken auf solche Sätze, als kämen sie von einem anderen Planeten und beträfen auch einen anderen. Und bei geschlossenen Kreisläufen müssen wir an ein Hamsterrad denken.

Die Rede vom Global Village, in dem alle an einem Strang ziehen müssen, will uns wohl noch bis Rio plus 50 einlullen. Bis dahin wünschen wir den TaschendiebInnen in Rio wenig und den PolitikerInnen dort keinen Erfolg bei ihrer Arbeit. 

 

die redaktion