Da der Kopenhagener Gipfel lediglich eine Absichtserklärung ohne rechtlich bindende Verpflichtungen hervorgebracht hat, ruhen nun alle Hoffnungen auf der nächsten UN-Klimakonferenz in Mexiko im Dezember 2010. Die Copenhagen Accord genannte Erklärung basierte nicht auf den Ergebnissen der zahlreichen Arbeitsgruppen, die allerdings selbst häufig die Entscheidungsfindung wegen inhaltlicher Diskrepanzen auf die Konferenz in Mexiko verschoben hatten. Die Erklärung stellt vielmehr das Ergebnis informeller Verhandlungen zwischen den Staatschefs großer Volkswirtschaften und den Repräsentanten regionaler Gruppen dar. Dies führte bei einigen Entwicklungsländern, gerade auch aus Lateinamerika, zu heftiger Kritik. Bislang ist nicht einmal klar, ob und wann die Erklärung von Kopenhagen in das Kyoto-Protokoll und die Klimarahmenkonvention eingearbeitet wird.
Als eine der wenigen nennenswerten Konkretisierungen ist im Copenhagen Accord das Zwei-Grad-Ziel festgelegt, d. h. die Erwärmung der Erde soll diese zwei Grad nicht übersteigen. Dieses Ziel aber ist nur durch signifikante Emissionsminderungen zu erreichen - die in Kopenhagen vorgelegten Reduktions-Ziele reichen dagegen wohl nur für eine Begrenzung auf drei bis vier Grad. Verpflichtende Ziele für einzelne Länder gibt es nicht. Stattdessen können die Staaten ihre Klimaschutzmaßnahmen in einem Anhang niederlegen. Unklar geblieben ist zudem, wie die Emissionsminderungen kontrolliert werden sollen. Auch bei den Milliardenhilfen der Industriestaaten für die Entwicklungsländer gab es zwar konkrete Zahlen, aber keine konkreten Festlegungen der langfristigen Beiträge. Immerhin konnte man sich darauf einigen, dass die Finanzzusagen neu und zusätzlich sein sollen. Für die kurzfristige Hilfe zur Anpassung an den Klimawandel stellen die Industriestaaten für die Jahre 2010 bis 2012 30 Milliarden US-Dollar in Aussicht. Ab 2020 sollen sie dann jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die Entwicklungsländer aufbringen. Wegen der Anfälligkeit für den Klimawandel stehen hier insbesondere die am wenigsten entwickelten Länder, die afrikanischen Staaten sowie kleine Inselstaaten im Fokus. Aber auch in den Waldschutz sollen diese Gelder fließen. Allerdings konnte in Kopenhagen nicht geklärt werden, wer wieviel zu diesen langfristigen Hilfen beisteuern wird.
Auch für Lateinamerika sind diese Ergebnisse eine Enttäuschung. Dies gilt angesichts der wahrscheinlichen Folgen des Klimawandels für die Region, die verheerend ausfallen könnten. Dies gilt aber auch hinsichtlich der umfangreichen Vorteile, die den lateinamerikanischen Ländern durch ein internationales Klimaabkommen erwachsen könnten. Allerdings muss auch gesagt werden, dass sich die Region - gemessen an diesen Risiken und Potentialen - insgesamt den internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz noch eher wenig widmet. So waren in Kopenhagen von den größeren lateinamerikanischen Staaten nur die Präsidenten Boliviens, Brasiliens, Kolumbiens, Mexikos und Venezuelas vertreten (womit immerhin die ideologische Bandbreite in der Region recht gut abgedeckt war).
Lateinamerika ist heute für etwa zehn Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Verkehr, Industrie und Landwirtschaft lösen einen Teil dieser Emissionen aus; ein Großteil aber entsteht durch Abholzung der Regenwälder mit einhergehender Vernichtung der Biodiversität. Gemessen an diesen zehn Prozent, könnten die Folgen des Klimawandels die Region ungleich stärker treffen. Unmittelbar gefährdet sind von Überflutung bedrohte Inseln und Küstenstriche am pazifischen und atlantischen Ozean, durch die Erwärmung des Meeres bedrohte Korallengebiete in der Karibik, die rasant abschmelzenden Gletscher der Anden sowie die durch Versteppung stark beeinträchtigten Amazonas-Regenwälder. Darüber hinaus wird Lateinamerika mit langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu kämpfen haben. Ernährungssicherheit und Wasserversorgung sind gefährdet. Eine massive Zunahme von Infektionskrankheiten steht zu befürchten. Die landwirtschaftliche Nutzung weiter Gebiete insbesondere im Nordosten Brasiliens und in Teilen Zentralamerikas dürfte sehr schwierig werden. Die Energieversorgung ist vom Wassermangel ebenfalls betroffen. Die Folgen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region könnten daher bedrohlich ausfallen. Die lateinamerikanischen Volkswirtschaften könnten destabilisiert, die Fortschritte der vergangenen Jahre egalisiert werden. Diese Herausforderungen sind länderübergreifend und betreffen die gesamte Region. Lateinamerika könnte also zu einem der großen Verlierer nur schwacher Klima-Vereinbarungen werden. Denn ein nur halbherziges Abkommen bedeutet einen nur halbherzigen Kampf gegen den Klimawandel - mit den genannten Folgen.
Lateinamerikas potentielles Verhandlungsgewicht und interne Divergenzen
Die lateinamerikanischen Staaten sind in den internationalen Klimaverhandlungen vertreten in der sog. G77, einer Staatengruppe der Schwellen- und Entwicklungsländer, die weit über 100 Länder umfasst. Eine Ausnahme stellt das OECD-Mitglied Mexiko dar, denn Mexiko ist Mitglied der Environmental Integrity Group, zu der auch die Schweiz, Südkorea, Liechtenstein und Monaco gehören. Auch in der G77 wird inzwischen verbreitet das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung aller Staaten bei der Bekämpfung des Klimawandels anerkannt. Dies schließt allerdings eine differenzierte Lastenverteilung ausdrücklich ein.
Die Region Lateinamerika könnte bei der nächsten Runde der internationalen Verhandlungen zu einem Post-Kyoto-Abkommen eine wichtige Rolle spielen. Im Vorfeld der Kopenhagener Konferenz galt die Region gar als möglicher Vermittler bei der Ausarbeitung eines neuen Klima-Übereinkommens. Zu vermuten ist, dass Strategien solcher Länder wie Brasilien und Costa Rica für andere Länder des Südens viel eher eine Vorbildwirkung entfalten als Initiativen der Industrieländer. Zudem hat die Region einiges in die Verhandlungen einzubringen: In Lateinamerika finden sich fast 40 Prozent der weltweiten Tropenwälder. Die Ökosysteme binden riesige Mengen Kohlenwasserstoff im Boden. Ihre Freisetzung durch Abholzung oder Versteppung würde das Klima enorm belasten und könnte sämtliche Reduktionsbemühungen in anderen Sektoren hinfällig machen. Die daraus erwachsenden Möglichkeiten einer finanziellen Kompensation des Schutzes dieser Wälder und von Umweltdiensten liegen auf der Hand. Die Biokapazität der Region ist ebenfalls enorm. Zudem verfügt Südamerika über beachtliche Süßwasserreserven. Hier ließe sich in den internationalen Klimaverhandlungen ein ökologisches Angebot von globalem Nutzen geltend machen; als Gegenleistung könnten finanzielle und technologische Hilfen bei der Anpassung an den Klimawandel beansprucht werden - Möglichkeiten eines Nord-Süd-Transfers fernab herkömmlicher Entwicklungszusammenarbeit. Dieser Verhandlungsvorteil aber wird bislang noch zu wenig genutzt, auch weil die Region nicht mit einer Stimme spricht. Stattdessen traten die ideologischen Divergenzen zwischen den lateinamerikanischen Regierungen in den verschiedenen Verhandlungsrunden immer stärker zu Tage. So ist die Region in den Klimaverhandlungen nicht mit einer gemeinsamen Position aufgetreten. Und die ideologische Spreizung der lateinamerikanischen Regierungen lässt auch für die kommenden Verhandlungen nur wenig Einigkeit erwarten.
Damit bildeten die Staaten der Region eindrucksvoll die Bandbreite an Positionen von Schwellen- und Entwicklungsländern weltweit ab. Es gibt zahlreiche kleinere Staaten, gerade in Zentralamerika und der Karibik, die in hohem Maße verwundbar und daher auf finanzielle Hilfe bei der Anpassung an den Klimawandel dringend angewiesen sind. So vereinbarten die mittelamerikanischen und karibischen Staaten Belize, Costa Rica, die Dominikanische Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras und Panama einen gemeinsamen Vorschlag für Kopenhagen mit der Forderung nach konkreten Entscheidungen und finanziellen Zusagen der Industrieländer. Es gibt Länder mittlerer Größe wie Kolumbien, Chile und Peru, die auch auf Marktmechanismen bei der Bewältigung des Klimawandels setzen. Es gibt die Schwellenländer Brasilien und Mexiko, die auf eine unterschiedliche Belastung von Industrie- und Schwellenländern bei den Reduktionsleistungen pochen, die aber auch zu eigenen Anstrengungen bereit sind. Und es gibt eine stark ideologisch motivierte Gruppe von Staaten, die nicht zu Zugeständnissen gegenüber den industrialisierten Ländern bereit sind, diese vielmehr einem Klimatribunal unterwerfen wollen und jegliche Regelungen über Marktmechanismen ausschließen. Hier sind insbesondere Venezuela, Kuba, Bolivien, Nicaragua und Ecuador als maßgebliche Protagonisten zu nennen. Diese Regierungen haben sich weitestgehend dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts" verschrieben und pflegen eine antiimperialistische Rhetorik. Als Staatengruppe ALBA sorgten sie am letzten Verhandlungstag mit dafür, dass der Kopenhagen-Accord nicht angenommen, sondern lediglich zur Kenntnis genommen wurde, denn die Annahme hätte nur einstimmig erfolgen können. Sie warfen der dänischen Konferenz-Führung Unfähigkeit sowie eine intransparente und undemokratische Verhandlungsführung vor. Dafür wurden sie wechselweise euphorisch gefeiert oder scharf kritisiert, zumal zahlreiche Entwicklungsländer trotz aller Kritik auf die Annahme des Accords gedrungen hatten. In jedem Fall hat Kopenhagen gezeigt, dass mit Venezuelas Präsident Chávez auch in Fragen der internationalen Klimaverhandlungen zunehmend zu rechnen ist. Eine gemeinsame Linie mit Staaten wie Kolumbien, Chile oder Panama ist hier allerdings auch in Zukunft kaum denkbar.
Die genannten Gegensätze zeigen sich übrigens auch innerhalb der G77 immer deutlicher. In Kopenhagen wurde jüngst wieder deutlich, dass die Interessenlagen sehr unterschiedlich sind. Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: Es geht nicht länger nur um eine gemeinsame Abwehrhaltung gegenüber den Industriestaaten. In dem Maße, in dem sich einige Entwicklungs- und Schwellenländer existentiellen Bedrohungen durch die Folgen des Klimawandels gegenübersehen, andere sich hingegen in erster Linie gute Verhandlungspositionen sichern wollen, gewinnen die unterschiedlichen Interessen stark an Bedeutung. Dies gilt eben auch für Lateinamerika: Von einer gemeinsamen Verhandlungsposition war die Region in Kopenhagen weit entfernt und es spricht derzeit wenig dafür, dass sich dies bis zum Gipfel in Mexiko ändert. Durch das wenig konzertierte Auftreten in den internationalen Klimaverhandlungen gewinnen die Positionen einzelner Länder an Gewicht, allen voran die der beiden großen Schwellenländer Brasilien und Mexiko.
Brasilien als Vorreiter des Südens
Beide Länder legten nationale Strategien zum Klimawandel vor und sorgten damit für einiges Aufsehen in der internationalen Gemeinschaft. Insbesondere Brasilien hat sich in den letzten Jahren international zu einem zentralen Akteur mit erheblichem Gewicht entwickelt. Als Wortführer des Südens weist das Land auf die geringere Leistungsfähigkeit der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Bekämpfung des Klimawandels hin. Keinesfalls dürften, so die Sicht des Amazonas-Staates, in den internationalen Verhandlungen Maßnahmen vereinbart werden, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum sowie die Verringerung der Armut im Süden gefährden könnten. Damit verleiht Brasilien der unter Schwellen- und Entwicklungsländern wohl am weitesten verbreiteten Sorge Ausdruck.
Ende 2008 - zeitgleich zur UN-Weltklimakonferenz in Posen - präsentierten die Brasilianer ihren Nationalen Plan zum Klimawandel. Als weltweit erstes Schwellenland legten sie sich damit freiwillige quantitative Emissionsminderungsziele auf. Diese Maßnahme galt als Meilenstein auf dem Weg zu einer Post-Kyoto-Regelung. Konkret setzt das Konzept auf Einsparungen insbesondere durch eine Reduzierung und Kompensation der Entwaldung. Die Entwaldung soll bis 2020 um 80 Prozent gesenkt werden; parallel sollen ab 2015 durch Aufforstungen im großen Stil alle durch Abholzung entstehenden CO2-Emissionen kompensiert werden. Neben der Aufforstung sollen dazu auch Maßnahmen im Energiebereich wie eine Steigerung der Energieeffizienz, der intensivere Einsatz erneuerbarer Energien sowie die verstärkte Nutzung von Biokraftstoffen beitragen.
Mit seinem ambitionierten Plan hat Brasilien auch andere Schwellen- und Entwicklungsländer unter Zugzwang gesetzt. Denn mit der freiwilligen Benennung konkreter Reduktionsziele ging Brasilien einen Weg, den das Gros der Schwellen- und Entwicklungsländer zuvor kategorisch ablehnte. Brasilien selbst gehörte ehedem zu den Ländern, welche die historische Verantwortung in den Mittelpunkt aller internationalen Verhandlungen rücken wollten. In dieser Lesart müssten alle seit dem Beginn der Industrialisierung verursachten Emissionen bei der weiteren Ausgestaltung eines Klimaregimes berücksichtigt werden. Damit würden nahezu sämtliche Reduktionsverpflichtungen bei den Industriestaaten liegen, die Schwellen- und Entwicklungsländer dagegen blieben von konkreten Reduktionsverpflichtungen weitestgehend befreit. Seinen Perspektivwechsel hat Brasilien nun in Gestalt des Nationalen Plans zum Klimawandel eindrucksvoll mit Leben gefüllt. Zwar geht der Plan vielen Klimaschützern nicht weit genug. Doch auf der internationalen Bühne machte das südamerikanische Schwergewicht damit den Weg frei, um die für den Klimawandel so wichtige Waldfrage in ein Kyoto-Nachfolgeabkommen einzubeziehen. Brasilien beheimatet den weltweit größten tropischen Regenwald, der für die globale Sauerstoffproduktion überragende Bedeutung hat. Etwa zwei Drittel aller brasilianischen Emissionen stammen aus der Abholzung von Wald und dem Abbrennen von Steppenland. Der Primärverbrauch des Landes dagegen erfolgt beneidenswert emissionssparend, da der Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix bei 45 Prozent liegt. Lange war Brasilien wegen dieser Ausgangslage strikt dagegen, die Bedeutung der weltweiten Abholzung ins internationale Klimaregime einzubeziehen. Die wichtige Waldfrage aber außer Acht zu lassen, hätte sämtliche Anstrengungen zur Emissionsminderung torpediert. Immerhin sind schätzungsweise ein Viertel aller Emissionen weltweit auf Entwaldung zurückzuführen. Zudem lassen sich auf diesem Gebiet vergleichsweise kostengünstig Emissionen reduzieren. Dieser Einsicht wurde inzwischen international Rechnung getragen. So wurde auf der Bali-Konferenz 2007 die Einbeziehung der Waldproblematik in ein Post-Kyoto-Regime ausdrücklich festgeschrieben. Diese Einigung wäre ohne Brasiliens konstruktive Rolle nicht denkbar gewesen. Der Nationale Klimaplan des Landes schreibt dieses Engagement nun konsequent fort. Damit wird es Brasilien auch möglich sein, weiterhin hohen Druck auf die Industriestaaten auszuüben. Zudem erklärte Präsident Lula da Silva in Kopenhagen, dass auch Brasilien in den Klima-Fonds für arme Länder einzahlen werde. Damit geht das südamerikanische Schwellenland ein weiteres Mal in Vorleistung und sichert sich auch zukünftig eine zentrale Rolle bei den Klimaverhandlungen. Gleich im Anschluss an die Konferenz in Kopenhagen wurde zudem in Brasilien ein Gesetz erlassen, das die Reduzierung des CO2-Ausstosses um mindestens 36 Prozent bis zum Jahr 2020 regelt. Damit hat das Land sein Versprechen von der Klimakonferenz bereits in Gesetzesform gegossen. Derzeit werden die Beiträge der einzelnen Sektoren verhandelt. Allerdings hatte der Präsident mehrfach sein Veto gegen Gesetzesformulierungen eingelegt, die seiner Auffassung nach der wirtschaftlichen Entwicklung schaden würden.
In Brasilien wird die Diskussion über die Folgen des Klimawandels auch auf nationaler Ebene recht lebhaft geführt. Die brasilianische Zivilgesellschaft kann hier zweifelsohne als Vorreiter in der gesamten Region gelten. Auch Gewerkschaften und Industrieverbände legen eigene Vorschläge zur Bekämpfung des Klimawandels vor. Allerdings beschränkt sich die Debatte wesentlich auf die Frage der Abholzungen im Amazonasgebiet sowie auf das Potential von Bioenergie bei der CO2-Reduktion. Das Thema Energieeffizienz dagegen erfährt noch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Im Bereich der Klimaforschung genießt Brasilien international ebenfalls einen guten Ruf. Das Amazonas-Land war es auch, das den Clean Development Mechanism (CDM) mit einem Vorschlag während der Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll 1997 mit auf den Weg brachte. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, Reduktionsziele der Industriestaaten durch Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern zu realisieren. So sollte gesichert werden, dass auch Schwellenländer von den Bemühungen der Industriestaaten zur Reduzierung von Klimagasen profitieren können. Brasilien ist heute selbst ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit dieses Mechanismus. Nach China und Indien steht der Amazonas-Staat an dritter Stelle bei allen weltweit verwirklichten CDM-Projekten.
Mexiko zieht nach
Auch Mexico ist 2009 mit einem Vorschlag zur CO2-Reduktion an die Öffentlichkeit getreten und hat damit im Vorfeld der Kopenhagen-Konferenz für Aufmerksamkeit gesorgt. Die mexikanische Regierung schlug sowohl eine Erhöhung der Energie-Effizienz bei der Stromerzeugung vor als auch eine Reduzierung der Abholzung. Damit sollen bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Calderón im Jahr 2012 50 Millionen Tonnen Emissionen jährlich eingespart werden. Zudem hat das Land sich bereit erklärt, bis zum Jahr 2020 seine Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren. Doch um dieses Ziel zu erreichen, wird Mexiko erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, insbesondere in der Strom- und Ölwirtschaft. Diese Sektoren sind in Mexiko privaten Investoren weitestgehend verschlossen; daher wäre es die Regierung selbst, die den angestrebten Wandel legislativ und finanziell herbeiführen müsste. Die Unterstützung der Opposition ist dabei fraglich. Der Plan der Regierung sieht vor, dass einige der Maßnahmen durch das Schwellenland selbst getragen werden, bei anderen ist die finanzielle Unterstützung des Auslands nötig. Auch Mexiko ist überzeugt davon, dass die Industriestaaten als Hauptverursacher des Klimawandels finanzielle Mittel in hohem Umfang bereitstellen müssen, um Schwellen- und Entwicklungsländer bei Emissionsreduktionen zu unterstützen. So schlug das Land die Einrichtung eines Grünen Fonds vor, in den alle Nationen einzahlen und der für Emissionsreduktionsprojekte weltweit dienen könnte - bei überproportionaler Berücksichtigung der ärmsten Länder. Die Beiträge an diesen Fonds sollen nach mexikanischer Vorstellung anhand bestimmter Faktoren wie Bevölkerungszahl, Emissionsausstoß sowie Zahlungskraft festgelegt werden. Wie die Gelder für den Fonds generiert werden, soll jedem Land selbst überlassen bleiben. Aber die mexikanische Regierung machte auch klar, dass ihrer Ansicht nach die großen Schwellenländer selbst Verantwortung beim Klimaschutz übernehmen müssen. Zudem plädierte sie dafür, dass die Staatengemeinschaft dem Beispiel der Environmental Integrity Group folgt und die traditionellen Grenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hinter sich lässt.
Wegweisende, doch einzelstaatliche Strategien
Neben den beiden regionalen Schwergewichten haben auch andere lateinamerikanische Länder mit Strategien zum Klimawandel auf sich aufmerksam gemacht. Hier ist beispielsweise Costa Rica zu nennen, dass bis zum Jahr 2021 CO2-neutral sein möchte. Zusammen mit Papua Neuguinea brachte Costa Rica den Vorschlag zur Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und Walddegradierung (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation - REDD) in die Klimarahmenkonvention im Jahr 2005 ein. Durch diesen Mechanismus wird der Waldschutz in den Klimaschutz integriert. Wald bekommt einen ökonomischen Wert beigemessen, sein Schutz und seine Erhaltung werden damit finanziell lukrativ. Auf diesem Wege wird einer zentralen Ursache des Klimawandels Rechnung getragen. Hier wäre vergleichsweise kostengünstig eine signifikante Reduzierung von Emissionen zu erreichen. Allerdings sind REDD bzw. REDD plus (Emissionsminderung durch vermiedene Entwaldung und nachhaltige Forstwirtschaft) noch nicht endgültig ausgestaltet, auch hier gilt die Finanzierung als Knackpunkt. Zudem ist REDD nicht unumstritten. Es wird insbesondere befürchtet, dass die Industriestaaten sich über den Mechanismus von eigenen Reduktionsverantwortungen zu Hause freikaufen könnten. Damit würde die gesamte Idee aber ad absurdum geführt. Verbreitet wird daher eine Obergrenze für die Anrechnung von REDD auf Reduktionsziele der Industriestaaten gefordert.
Auch Chile nimmt mit seinen Bemühungen zum Einsatz erneuerbarer Energien und zur Steigerung der Energieeffizienz eine bedeutende Rolle in Lateinamerika ein. Der für seine Investitions- und Rechtssicherheit bekannte Andenstaat nutzt bereits heute die Möglichkeiten internationaler Klimavereinbarungen für seine wirtschaftliche Entwicklung. Hierbei trifft ausgezeichnetes Potential bei erneuerbaren Energien auf ausgeprägtes wirtschaftliches Interesse. So gilt Chile beim Clean Development Mechanism als Lateinamerikas Primus, bezogen auf die Rahmenbedingungen zur Umsetzung solcher Projekte.
Peru hat ein Nationales Programm zum Erhalt seiner Wälder vorgelegt und verspricht sich davon Emissions-Reduktion von 47 Prozent. Dafür sollen eigene Mittel in Höhe von 80 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist es, die Abholzungsrate der tropischen Wälder bis zum Jahr 2020 auf Null zu senken.
Entwicklungsmodelle versus Klimapolitik
Den genannten Beispielen könnten weitere hinzugefügt werden. Zwar ist ihnen gemein, dass sie bislang noch kaum über den Planungsstatus hinausgehen. International haben sie aber wegen der ambitionierten Ziele durchaus Aufmerksamkeit hervorgerufen. Bislang handelt es sich allerdings um einzelstaatliche Strategien. Es fehlt sowohl an koordinierten regionalen Abkommen als auch an gemeinsamen Energie-, Wirtschafts- und Klimastrategien. Insbesondere das so wichtige Thema einer CO2-extensiven Wirtschaft wird noch kaum diskutiert. Die Entwicklungspfade orientieren sich größtenteils an den Industriestaaten. Lateinamerika hat insbesondere im Bereich der Energienutzung einen hochriskanten Pfad eingeschlagen. Die Internationale Energie-Agentur geht davon aus, dass der Energiebedarf Lateinamerikas bis zum Jahre 2030 um 75 Prozent zunehmen wird. Auch angesichts der vorhandenen Ressourcen an fossiler Energie wie Öl und Gas stehen die Zeichen derzeit eher auf einer schlichten Ausweitung der Angebotsmenge zur Deckung des steigenden Energiebedarfs.
Diese Strategie scheint auf den ersten Blick vergleichsweise risikolos, wird so doch ein Aufbegehren der an niedrige Preise gewöhnten Bevölkerung verhindert. Allerdings wird damit die Abhängigkeit der Volkswirtschaften von fossiler Energie für weitere Generationen fortgeschrieben. Dies ist umso bedauerlicher, als Lateinamerika über hervorragende Voraussetzungen im Bereich erneuerbarer Energien verfügt. Lateinamerika deckt heute etwa ein Viertel seines Energiebedarfs über erneuerbare Energien. Bislang meint dies insbesondere Wasserkraft. Aber auch für die Nutzung von Wind- und Solarenergie wie von Geothermie bestehen ausgezeichnete Voraussetzungen. Doch weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene sind Strategien einer CO2-extensiven Wirtschaft bislang wirklich ein Thema. Um jedoch angesichts des massiv ansteigenden Energiebedarfs der lateinamerikanischen Volkswirtschaften nicht ebenso rasant ansteigende Emissionen zu verzeichnen, bedarf es eines konsequenten Bekenntnisses zu energieeffizienten Strategien. In zahlreichen Ländern der Region werden derzeit neue Entwicklungsmodelle mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung diskutiert. Wenn es jetzt nicht gelingt, Klimaaspekte in diese Strategien zu integrieren, dann verspielt die Region eine einmalige Chance. Nicht vergessen werden sollte bei allen Anforderungen an ein internationales Abkommen, dass die heimischen Entwicklungspfade diese Anforderungen zwangsläufig abbilden müssten. Dies ist auch aus entwicklungspolitischer Sicht zu favorisieren. So sind ein verbesserter Zugang zu Energie, eine geringere Luftverschmutzung sowie schonende Anbaumethoden in der Landwirtschaft schließlich nicht nur gut für das Klima, sondern auch für die Bevölkerung vor Ort.
Die bisherigen Entwicklungspfade aber weisen in eine andere Richtung. Egal, ob es sich um eine der wenigen verbliebenen konservativen Regierungen handelt, um eine eher sozialdemokratisch ausgerichtete Regierung oder um eine dem Lager des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zugehörige Regierung - eines ist ihnen gemein: Die Entwicklungsmodelle der Region basieren überwiegend auf dem Handel mit Rohstoffen und Agrargütern. Durch den Preisboom in diesen Sektoren in den vergangenen Jahren war der gesamten Region ein veritables Wirtschaftswachstum vergönnt. Schon die traditionellen Wirtschaftsbeziehungen zu den USA und der Europäischen Union sind geprägt von einem Export fossiler Energieträger und landwirtschaftlicher Produkte. Durch die Diversifizierung der Außen- und Wirtschaftsbeziehungen hin zu Ländern wie China, Russland und Indien wird diese internationale Aufgabenteilung noch verstärkt. Die neuen Partner versprechen Investitionen und Handelsbeziehungen in den zentralen Bereichen Energie und Landwirtschaft (der Vollständigkeit halber muss auch der Rüstungssektor hier angeführt werden). Gerade die linken Regierungen nutzen die Einkünfte aus dem Außenhandel zur Finanzierung ihrer weitreichenden Sozialprogramme. Dies ist angesichts der großen Armut in der Region nur zu verständlich. Doch sind diese Strategien eher kurzfristig ausgerichtet. Zum einen bleibt damit die hohe Abhängigkeit von den Schwankungen des Weltmarktes bestehen, was 2009 angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise sehr deutlich wurde. Zum anderen wird ausgeblendet, dass durch die Folgen des Klimawandels ein solches Wirtschaftsmodell in Zukunft wohl nicht haltbar wäre. So sieht insbesondere die Agrarwirtschaft schweren Zeiten entgegen. Eine kohärente klimapolitische Strategie Lateinamerikas verlangt daher weitaus mehr als die Anpassung einiger Stellschrauben. Die Region muss sich intensiv mit ihren entwicklungspolitischen Paradigmen auseinandersetzen, sich quasi neu erfinden. Dieses Schicksal aber teilt Lateinamerika angesichts der Herausforderungen des Klimawandels mit dem Rest der Welt.
Literatur
Comisión Económica para América Latina y el Caribe (2009): Análisis e investigaciones. URL: http://www.eclac.org/analisis/ (Stand: 06.02.2010)
Detsch, Claudia (2008): ¿Son conciliables producción y protección climática? El potencial de los instrumentos internacionales de protección climática como elementos constitutivos de la política estructural global. La revista La Tendencia, Fundacion Friedrich Ebert. Quito, Ecuador.
Greenpeace International (2008): Forests for Climate. Developing a hybrid approach for REDD. URL: http://www.greenpeace.org/raw/content/international/press/reports/forestsforclimate2008.pdf (Stand: 06.02.2010).
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Quirola, Dania (2009): Las oportunidades de América Latina frente al cambio climático. Fundacion Friedrich Ebert. Quito, Ecuador.
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United Nations Environment Programme. URL: http://www.unep.org/climatechange/ (Stand: 06.02.2010).
Claudia Detsch, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ecuador, Koordinatorin des Regionalprojektes "Energie und Klima" der FES in Lateinamerika
aus: Berliner Debatte INITIAL 21 (2010) 1, S. 6-12