Blickregime im Museum

in (18.03.2010)
Kaum eine andere Institution schafft so viele Blick-Szenarien wie das Museum: den ordnenden Blick, den fragenden Blick, den begehrlichen Blick, den beobachtenden Blick, den toten Blick, den flüchtigen Blick, den teilnehmenden Blick, den trügerischen Blick...[i] So eröffnet sich ein differenziertes Feld der visuellen Kultur, das weit über die Institution Museum hinaus weist. Die Ideologie des „reinen Sehens" ebenso wie das Sehen als das vorherrschende Paradigma der Erkenntnis oder als Garant der Transparenz sind obsolet geworden; im Blickpunkt kulturwissenschaftlicher Theorien steht eine Reihe von Filtern aus sozialen Normen und kulturellen Faktoren, die zwischen Sehendem und Gesehenem wirksam werden.[ii] Fragen des Sehens und der Sichtbarkeit lassen sich nicht von Fragen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse trennen. Insofern stellt sich die Frage, was wird von wem und mit welchem Effekt zu Sehen gegeben?

Der Museums- oder Ausstellungsraum schließt wie ein Rahmen ein und stellt etwas zur Schau. Er trennt ein Innen von einem Außen, schließt dieses Innen in sich selbst ab und umgibt es mit Wert. Das Museum kann diesen Schnitt von Innen und Außen nur durch den Ausschluss dessen setzen, was in einem Willkürakt als nicht museumswürdig klassifiziert wird. Auch wenn sich der „Kanon" gleichsam erweitert, sind dennoch Ein- und Ausschlussverfahren für die Institution Museum konstitutiv.[iii]
In einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft, hatten die Museen des 19. Jahrhunderts vor allem die Funktion, kollektive - nationale, regionale oder gruppenspezifische - Identitäten zu stiften. Die Identitätskonzepte basierten dem Denken der Moderne entsprechend auf der Konstruktion von Differenzen, wobei Identität in Abgrenzung zu einem Anderen, das zumeist als Negation gedacht ist, definiert wurde. Jedes Statement, jede Repräsentation schließt zwar andere Varianten aus, aber das, was gezeigt wird und das, was unsichtbar bleibt, ist unlösbar miteinander verbunden.[iv] Als Repräsentationsorte von gesellschaftlichen Eliten wurden Museen daher immer wieder für unterschiedliche marginalisierte Gruppen zu Kristallisationspunkten in der Auseinandersetzung um kulturelles und soziales Kapital. Sichtbarkeit ist in den letzten Jahrzehnten zu einer zentralen Kategorie oppositioneller politischer Rhetoriken aufgestiegen. Das hat auch damit zu tun, dass feministische, antirassistische/postkoloniale Theorien wesentlicher Antrieb für die Entwicklung zentraler Fragestellungen im Hinblick auf die visuelle Kultur waren. Zumeist wird davon ausgegangen, dass mehr Sichtbarkeit auch mehr politische Präsenz, mehr Durchsetzungsvermögen bedeutet.[v] Bei den Einschlussforderungen rekurrierten die VertreterInnen marginalisierter Gruppen auf den demokratischen Anspruch, dass Museen der gesamten Gesellschaft verpflichtete Orte des kulturellen Erbes seien. Wichtig für die Betroffenen war die Erfahrung, dass auch alltägliche und partikulare Lebenserfahrungen „wert waren" vermittelt zu werden. Im Unterschied zu museal vernachlässigten sozialen Schichten - wie ArbeiterInnen, die bis in die 1970er Jahre kaum in Museen vertreten waren, oder MigrantInnen, die bis heute in den meisten Museen fehlen - stellte sich die Repräsentation von Frauen und ethnischen Gruppen etwas anders dar. Insbesondere Kunstmuseen waren immer schon voll von Frauenbildern. Die Frage war hier vielmehr jene nach der Verfügungs- und Deutungsmacht. So stellte die Kunsthistorikerin Viktoria Schmidt-Linsenhoff fest, dass Frauen als Subjekte abwesend seien, während gleichzeitig Weiblichkeit im Objektstatus für Männer verfügbar gemacht werde.[vi] Das Ziel vieler marginalisierter Gruppen war es daher, eigenbestimmte Bilder zu produzieren. So sind Gegenerzählungen von den „gesellschaftlichen Rändern" her entstanden. Indem jedoch der Fokus dabei vielfach auf die jeweils vernachlässigten Fragestellungen gerichtet wurde, blieben die übergreifenden politischen und sozio-ökonomischen Strukturen oftmals ausgeblendet. Darstellungen von VertreterInnen marginalisierter Bevölkerungsgruppen garantieren nicht, dass deren Geschichtsbilder „authentischer", im Sinne von näher an einer wie auch immer definierten „historischen Realität" wären. Doch durch die Einbeziehung weiterer, oftmals gegenläufiger Sichtweisen werden die bisherigen Präsentationen als hinterfragbare Positionen markiert. Der Einschluss marginalisierter Erzählungen ist nicht immer ein Akt des Empowerments, ihm kann auch eine „Entlastungsfunktion" zukommen. Nämlich dann, wenn damit das Unbehagen, das dem Vergessenmachen anhaftet, durch einen symbolischen Akt entschärft wird.[vii]
Es stellt sich also die Frage, wie erfolgt visuelle Minorisierung und Majorisierung in Museen und Ausstellungen? Wie sind Bilder an der Aufrechterhaltung eines visuellen Status quo beteiligt? Wie können vor allem minorisierte Existenzweisen und Subjektpositionen anerkennend zur Anschauung gebracht werden, ohne dass durch die Art der Darstellung der Status Quo bestätigt wird. Gerade in aktivistischen politischen Zusammenhängen ist der Reflexion darüber, wie - im Gegensatz zu was - dargestellt wird, immer noch nicht selbstverständlich.[viii] Doch nur wenn sich Museen und Ausstellungen als aktive Teilnehmer an der „configuration of memory"[ix] begreifen, können sie zu Orten der gesellschaftlichen Auseinandersetzung werden, wo Geschichtsbilder, Wissenskategorien und ästhetische Praktiken immer neu zur Disposition stehen.



Dieser Text erscheint in BILDPUNKT. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Frühling 2010 „Regimestörungen".



[i] Vgl. Regina Wonisch: Museum und Blick. http://www.iff.ac.at/museologie/service/lesezone/imblick.pdf

[ii] Vorwort von Christian Kravagna. In: Christian Kravagna (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Berlin 1997, S. 8.

[iii] Die folgenden Ausführungen basieren auf dem einleitenden Kapitel in: Roswitha Muttenthaler/ Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld 2007, S. 13-68.

[iv] Sabine Offe: Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Jüdische Museen in Deutschland und Österreich. Berlin/ Wien 2000, S. 301.

[v] Johanna Schaffer: Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung. Bielefeld 2008, S. 36.

[vi] Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Sexismus und Museum. In: kritische berichte, 3/1985, S. 42-50, hier S. 47.

[vii] Irit Rogoff: Von Ruinen zu Trümmern. Die Feminisierung von Faschismus in deutschen historischen Museen, in: Silvia Baumgart u.a. (Hrsg.): Denkräume zwischen Kunst und Wissenschaft, Berlin 1993, S. 258f.

[viii] Schaffer, Ambivalenzen der Sichtbarkeit, S. 44.

[ix] Offe, Ausstellungen, S. 134.