„Der Anarchismus ist ein idealer Entwurf des menschlichen Lebens"

Die Kollektivierungen im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 (Teil 1)

Vor 70 Jahren, im April 1939, endete der 1936 mit dem Putschversuch Francos angezettelte Spanische Bürgerkrieg. Der Sieg des Franco-Faschismus über die Republik und den Anarchosyndikalismus war eine Katastrophe, die Hitler in seinem Plan bestärkte, „die ganze Welt" zu erobern. Fast vergessen ist, dass es als Reaktion auf den faschistischen Putschversuch erbitterten Widerstand der Bevölkerung gab und in weiten Teilen Spaniens im Sommer 1936 eine soziale Revolution stattfand.

Deren TrägerInnen waren vor allem in der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT (Nationale Konföderation der Arbeit/er) und in der FAI (Anarchistische Föderation Spaniens) organisiert. Wolfgang Haug, Mitbegrün­der des 2004 nach 24 Erscheinungsjahren eingestellten Schwarzen Fadens, erläutert die Geschichte der damals verwirklichten Kollektivierungen. (GWR-Red.)

Die Kollektivierungen 1936 können nicht ohne ihre Vorgeschichte verstanden werden.

In diesem Jahr finden wir be­reits eine revolutionäre Tradition vor, in der aufgrund kollektiver Experimente auf praktische Erfahrungen zurückgegriffen werden konnte. Durch neue Or­ganisationsstrukturen und eine geänderte inhaltliche Ausrichtung der anarcho-syndikalistischen CNT wurden seit 1931 Kollekti­vierungen nach einer Revolution konkret vorbereitet.

In weiteren Teilen gehe ich (in GWR 342 und GWR 343) auf die Kollektivierungen in der Landwirtschaft und in der Industrie näher ein und beschäftige mich schwerpunktmäßig mit den Aspekten wirtschaftliche Koordination, die Rolle des Geldes, die Anzahl der Kollektive und die jeweilige Ausprägung. Damit eng verbunden sind Fragen nach der Funktionsweise: Wie wurde die Produktion und Verteilung organisiert? Wie wurde getauscht? Wie wurden die Beziehungen zwischen kollektivierten und nicht kollektivierten Gegenden geregelt usw.?

Zwei anarchosyndikalistische Zeitzeugen stehen uns zur Verfügung: Gaston Leval und Au­gustin Souchy. Es bietet sich an, ihre Berichte, die teilweise zu denselben Dörfern oder Betrieben verfasst wurden, zu vergleichen. Noch weitgehend unausgewer­tet sind die CNT- und FAI-Informationen, in denen auch im­mer wieder Artikel aus spanischen anarchistischen und an­archosyndikalistischen Zeitungen wiedergegeben wurden, die die Gruppe DAS (Deutsche Anarchosyndikalisten) in Barcelona 1937 unter der Bezeichnung Boletin de Informacion ins Deutsche übersetzt und herausgegeben hatte. Die Beiträge, die sich mit der Kollektivierung beschäftigen, sollen in den späteren Teilen aufgegriffen werden. Am Ende wird zu diskutieren sein, was man aus den anarchistischen Kollektiven für die Zukunft lernen kann. Oder auch, ob es Grenzen gibt, Probleme, die gelöst werden müssten bzw. ob diese Form über­haupt noch zukunftsweisend sein kann.

Vorgeschichte

Bereits 1854 entstand in Katalonien eine ArbeiterInnenuni­on, die mittels des Generalstreiks Forderungen durchsetzen wollte. 1868 reiste der italienische Anarchist Fanelli im Auftrag Ba­kunins nach Spanien. 1870 gründeten Delegierte von 40.000 ArbeiterInnen die 1.Internationale in Barcelona, die nach Bakunins Ideen zwei Organisationen schuf, eine breite, öffentliche, gewerkschaftliche Organisation, die Mitglieder verschiedener Ausrichtung aufnehmen durfte und eine geheime revolutionäre Organisation, deren Mitglieder in der großen Organisation verdeckt arbeiten sollten. Die 1. Internationale verpflichtete sich, in Abgrenzung zu reformistischen Gewerkschaften, eine neue Gesellschaft anzustreben, auf der Basis von Föderalismus, Kollektivierungen, einer kulturellen Revolution, der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Abschaffung des staatlichen, kirchlichen und militärischen Überbaus. Die Kollektivierung der Wirtschaft und die Anarchie als Or­ganisationsform der Gesellschaft wurden als Hauptziele bestimmt. In einem Manifest von 1872 wird ausgeführt, was darunter zu verstehen war: „Der Kollektivismus, d.h. das gemeinsame Eigentum der Ar­beitsinstrumente, ihre Benutzung durch die Arbeiterkol­lektive, die ihre Produktion direkt bestimmen, und das individuelle Eigentum am vollständigen Arbeitsertrag eines jeden. Die Anarchie, oder die Abschaffung der Regierungen, d.h. ihre Umwandlung in einfache Verwaltungsorgane der kollektiven Interessen." (Le­val, S. 24)

Aufgrund der zwei Organisationen entstanden in der Folge aber auch zwei Revolutionsvorstellungen. Während die einen, sie wurden auch die „Legalis­ten" oder „Bakunisten" genannt, meinten, eine Revolution könne nur mit einer starken revolutionären, gewerkschaftlichen Organisation und ausgiebiger Bildungsarbeit erfolgreich sein, erwarteten die anderen, nennen wir sie die „Anarchisten", die Revolution auf­grund einer spontanen Mas­senerhebung und sahen eine legale Arbeit von Revolutionä­rInnen als falsch an, weil sie der Polizei Zugriffsmöglichkeiten erlaubte.

Nach Bakunins Tod gelangten die anarchokommunistischen Ideen Kropotkins nach Spanien und unterstützten die „Anarchisten". Als Ideal betrachtet wurden jetzt autonome, au­tarke, sich selbst verwaltende anarchistische Kommunen. Unter diesem Einfluss wurde 1888 auf dem Kongress in Valencia die große revolutionäre gewerkschaftliche Organisation aufgelöst. Es begann die Zeit der Attentate und lokaler Aufstände aktiver Gruppen. Damit verlor der Anarchismus jedoch an Boden in der Arbeiterschaft und der Marxismus konnte in Spanien Fuß fassen.

Wie groß war die 1. Internationale zum Zeitpunkt ihrer Auflösung? In Valencia wurden 57.934 Mitglieder repräsentiert, davon arbeiteten 20.915 in der Landwirtschaft, so dass 1936 die große Zahl landwirtschaftlicher Kollektive in Aragón nicht mehr verwundert, weil die Bauern ebenfalls auf eine lange revolutionäre Tradition zurückblickten.

1907 gründeten die in Valencia unterlegenen „Bakunisten" zusammen mit sozialistischen Gewerkschaftlern die Gruppe „So­lidaridad Obrera", die 1908 zur katalanischen Organisation umgewandelt wurde und schließlich 1910 zur Gründung der CNT führte. Die neu gegründete Organisation knüpfte an die Vorstellungen des Kollektivismus an und entwickelte in ihrer Bildungsarbeit Modelle zur praktischen Umsetzung. Diese Arbeit brachte dem Anarchismus in Spanien eine breite Akzeptanz und durch die Aufnahme der in Frankreich entwickelten syndikalistischen Ideen wandelte sich die CNT zu einer anarchosyndikalistischen Union und zu einer Massenorganisation, die zwischen einer halben Million und einer Million Mitglieder zählte und zudem zahlreiche Sympathisierende an ihrer Seite wusste. Trotz dieser gewachsenen gesellschaftlichen Wichtigkeit konnte die CNT keine Revolution ausrufen, dazu waren die Kräfte zu schwach. In der Folge kam es erneut zu Streitigkeiten über den richtigen Weg. Der CNT-Aktivist José Peirats beschrieb 1967 in Mexiko die schwierige Problemlage mit den Worten: „Generalstreik, Meuterei, Insurrektion können nicht ungestraft angewandt werden, sofern man nicht die entscheidende Kraft ist ... Wir waren eine große bestimmende Kraft, aber nicht ei­ne entscheidende Kraft. Ernste Störungen der bestehenden Ordnung hervorzurufen, ohne imstande zu sein, die eigenen Ideen durchzusetzen, heißt für den Teufel arbeiten. Der Teufel ist die Diktatur."

Der Lernprozess

Im Gegensatz zu den deutschen SozialistInnen oder den GRÜNEN führte der nun einsetzende Lernprozess unter den spanischen RevolutionärInnen nicht zur fortschreitenden Anpassung an das herrschende System. Es gab bis in die 30er Jahre zahlreiche lokale Aufstände und Proklamationen „befreiter Zonen", die aber im­mer schnell niedergeschlagen wurden und doch die Auswirkung hatten, dass die Aktivis­tInnen (darun­ter Durruti, As­caso, García Oliver, Ricardo Sans u.a.) verstanden, dass für eine Revolution mehr organisatorische Voraussetzungen geschaffen werden mussten und mehr militärische Kenntnisse nötig waren. Von 1913 bis 1917 wurden zahlreiche örtliche Lokale geschaffen, eine exemplarische Zahl zeigt, wie umfangreich diese Tätigkeit einzuschätzen ist. Im Jahr 1920 existierten in der spanischen Stadt Córdoba in 61 von 75 Stadtteilen anarchistische Treffpunkte. 1933 kam es zu Streikbewegun­gen, Landbesetzungen und der Gründung von Kollektiven, die meist von der Zivilgarde niedergeschlagen wurden, aber dennoch als wichtige Schritte zur sozialen Revolution begriffen wurden. Leval zitiert eine Erfahrung aus Kastilien: „Wir mussten beweisen, dass unsere Ideen lebensfähig waren und unser Programm ausführbar. Trotz der Behörden und der Besitzer wurde nun der erste Versuch einer kollektiven Bebauung ausgeführt. Den Ärmsten ist beigestanden worden und die Kräftigsten haben den Schwächeren geholfen. Arbeiter wurden zu Bauern, um an dieser neuen Realisation teilzunehmen." (Leval, S.51)

Innerhalb der CNT wurde über BündnispartnerInnen nachgedacht wie sie sich z.B. in der sozialistischen Gewerkschaft UGT oder bei föderalistisch organisierten RepublikanerInnen finden ließen. Doch darüber kam es erneut zum Richtungsstreit, jetzt zwischen Anarchis­tInnen und SyndikalistInnen. Salvador Seguí, von den Anar­chistInnen bekämpft, versuchte eine Synthese der beiden Richtungen: „Der Anarchismus ist kein Ideal, das sofort verwirklicht werden kann, sondern er ist ein idealer Entwurf des menschlichen Lebens. Der Syndikalismus ist ein geistiges Kind des Anarchismus, er übernimmt die Inhalte des Anarchismus, die am leichtesten zu verwirklichen sind. Er ist kein Anarchismus, aber ein Schritt zum Anarchismus hin." Der Einfluss Seguís in Katalonien wird als sehr hoch be­schrie­ben. Seguí wurde 1923 im Alter von 33 Jahren von „Pis­toleros" des katalanischen Un­ternehmerverbands erschossen. Juan Peiro führte seine Arbeit fort. In seinem 1930 publizierten Buch „Ideas sobre Sindi­calismo y Anarquismo" schreibt er: „Unsere Konzeption des Anarchismus entfernt diesen von seinem traditionellen aristokratischen Individualismus und führt ihn in das Lager des Kollektivismus. Kollektivismus steht keineswegs im Gegensatz zum libertären Kommunismus. Kollektivismus ist für uns ein gegenwartsbezo­ge­nes Mittel, nicht das wirtschaftliche Ziel einer kommenden Gesellschaft. Wir sprechen vom Kollektivismus als Organisation, als Artikulation der Initiativen und Kräfte [...]"

Nach dem Sturz der Diktatur Primo de Rivieras 1931 hatte Peiro den „Plan zur Reorganisation der CNT" entworfen. Nach Francos Sieg 1939 floh er nach Südfrankreich, wurde aber nach der deutschen Besetzung Südfrankreichs an Franco ausgeliefert und sollte als Integra­tionsfigur in der Führung der falangistischen Gewerkschaft mitarbeiten. Da er es ablehnte, wurde er 1942 in Valencia erschossen. In seinem 1931 entwickelten und verabschiedeten Plan für die CNT gibt er zwei unterschiedliche Aufgaben vor, zum einen soll die CNT ein gewerkschaftliches Kampfmittel gegen das Kapital sein, zum anderen soll sie sich darauf vorbereiten, die Produktion und Verteilung zu übernehmen und sich dabei streng an föderalistische Orga­nisationsprinzipien halten. Als Schwerpunkt und wichtigstes Ziel für die LandarbeiterInnen verabschiedete die CNT im Juni in Madrid die Kollektivierung von Grund und Boden. Da diese Grundsätze 1936 zu Bedeutung gelangen sollten, will ich an dieser Stelle die fünf zentralen Forderungen nennen: Alles Weideland, Großgrundbesitz, Jagdgebiete und anderer Grundbesitz müssen ohne Entschädigung enteignet und zum sozialen öffentlichen Besitz erklärt werden. Alle mit den früheren Besitzern abgeschlossenen Verträge, die den Zehnten verlangen, sind ungültig. Die Höhe der Abgaben wird von den Gewerkschaften neu festgelegt und richtet sich nach den Bedürfnissen der Bezirke.

Zuchtvieh, Saatgut, Werkzeuge und Maschinen, die einem Privatbesitzer gehören, werden enteignet.

Kostenlose, den jeweiligen Bedürfnissen angepasste Verteilung der Werkzeuge; Verteilung der bestellten Äcker an die Landwirtschaftsgewerkschaf­ten, die für die weitere Verwertung des Bodens sorgen. Abschaffung der Steuern, des Zehnten, Liquidierung der Schulden und Hypotheken, die auf dem landwirtschaftlichen Besitz der Bauern lasten; ferner Abschaffung der unbezahlten Arbeit für den Großgrundbesitzer.

Abschaffung der Landwirt­schaftssteuern und sonstigen Abgaben, zu denen die Bauern durch die Großgrundbesitzer oder deren Verwalter gezwungen wurden.

Wie sollte dies in der Praxis verwirklicht werden?

Die Bauern waren auch in Spanien von Traditionen geprägt, religiös, oft auf einem rückständigen kulturellen Niveau mit stark ausgeprägtem egoistischen Besitzstreben, voller Vorurteile gegen Neuerungen. Die CNT setzte sich mit dieser Realität auseinander; ihr war klar, dass eine soziale Revolution in Spanien nur möglich werden konnte, wenn die Landbevölkerung mitzog und den Vorteil der Kollektivierung erkannte. Ziel war es deshalb, eine klare und verständliche Propaganda für die inhaltlichen Vorstellungen der AnarchosyndikalistInnen zu entwickeln und mit der Schulung der Landbevölkerung die tief verwurzelten Vorbehalte zu überwinden. Es musste den Bäuerinnen und Bauern deutlich wer­den, dass die kollektive Solidarität die wichtigste Voraussetzung dafür ist, ein kollektives Wirtschaftssystem zu schaffen. Dass die kollektive Bestellung des Grund und Bodens, der gemeinsame Besitz an Werkzeu­gen und Maschinen für alle von Vorteil ist und vor allem der Gesellschaft die Basis verschafft, auf einer solidarischen Ebene zu funktionieren. In der Industrie hatten sich die lokalen Berufsverbände seit 1910 zu lokalen Föderationen und in ländlichen Gebieten zu Föderationen auf Kreisebene zusammengeschlossen. Diese wiederum wurden zu Re­gionalföderationen zusammengefasst und diese bildeten das nationale Komitee der CNT. Diese Organisationsform fand in den „Arbeitsbörsen" des französischen Syndikalismus und später der FAUD ab 1919 ihre Entsprechung. Die nationalen Industrieföde­rationen, die die ArbeiterInnen einer bestimmten Industrie unabhängig von ihrem Beruf organisierten, wurden 1931 beschlossen. Dabei blieben die Berufsorgani­sationen erhalten. Ihre Selbstbestimmung in eigenen Fragen blieb unangetastet, so dass weiterhin die Basis in den Be­rufsorganisationen die Ent­scheidungskompetenz behielt. Diese Berufsorganisationen eines Betriebs entsandten nun Delegierte in die Betriebs- oder Fabrikkomitees, die für den Betrieb bei innerbetrieblichen Fragen die Autonomie in allen Entscheidungen behielten. Vor der Revolution kämpften sie dafür, dass die Belegschaft als Kol­lektivperson bei Forderungen und Verhandlungen anerkannt wird. Nach Abschaffung des Staates sollten sie die Betriebe übernehmen, die Produktion kontrollieren und letztlich die Leitung der Wirtschaft übernehmen. Um vorbereitet zu sein, sollten die Betriebskomitees auch technische und wirtschaftliche Fachleute gewinnen. Neben den Betriebskomitees wurden Stadtteil- oder Distriktkomitees gegründet. Einerseits, um von den Fabriken einen direkten Bezug zu den Wohnbe­zirken herzustellen, ande­rer­seits, um bei einem Verbot gewerkschaftlicher Tätigkeit eine weitere organisatorische Ebene zu besitzen, die noch funktionierte. Zu dieser Basisstruktur sollten 1931 per Beschluss die „nationalen Industrieföderationen" treten. Ihre Aufgabe sollte es sein, die verschiedenen Berufsorganisationen einer Industrie zusammenzufassen, den Kampf auf Industrieebene zu koordinieren und alles statistische Material zur eventuellen Übernahme der Betriebe zusammenzutragen und vorzubereiten. Wenn nun der Eindruck entsteht, dass der Konflikt innerhalb der CNT beendet war und dieser Weg zur Revolution auf­grund des Beschlusses 1931 von allen geteilt wurde, dann muss festgestellt werden, dass das Gegenteil der Fall war. Dies kann daran festgemacht werden, dass die „nationalen In­dustrieföderationen" erst 1937, also erst während der sozialen Revolution in Spanien, eingeführt wurden, als der Bedarf dringend war. Bis 1936 hatte die FAI, die Föderation der Anar­chistInnen, die Umsetzung dieses Beschlusses von 1931 verhindert. Die FAI war 1927 gegründet worden, ihr Einfluss führte 1932 zur Spaltung der CNT und man kann heute sagen, dass die ca. 30.000 FAI-Mitglieder seit 1933 die CNT kontrollierten. Wichtige Protagonisten der CNT wie Peiro und Pestana wehrten sich in einem öffentlichen Manifest gegen die Beherrschung der CNT durch die FAI und traten aus. Erst auf dem Kongress 1936 in Zaragoza traten sie wie­der ein, allerdings ohne Pesta­na, der eine syndikalistische Partei gründete. Auf dem Kongress von Zaragoza wurde unter dem Einfluss des Arztes Isa­ak Puente und Federica Mont­senys der auf Kropotkin beruhende anarchokommunistische Weg beschlossen, autonome und sich selbst verwaltende anarchistische Kommunen anzustreben, aber wenige Monate später, nach Ausbruch der Revolution setzte sich in der Praxis die andere Richtung durch, vertreten durch den Ar­gentinier Abad de Santillán, Peiro und den Franzosen Gaston Leval, die in Zaragoza vertreten hatten, dass das Konzept der kleinen, sich selbst verwaltenden Einheiten mit einer modernen Industriegesellschaft nicht vereinbar sei und dass Kollektivierung und Arbeiterselbstverwaltung zentral von der CNT geplant werden müsse. Isaak Puente war zu dem Zeitpunkt, als seine Ideen verwirklicht wurden, in seiner Heimat Navarra bereits von Fran­co-Anhängern ermordet worden. Um die revolutionären Kollekti­vierungen realisieren zu können, trat die CNT in die katalanische und anschließend auch in die republikanische spanienweite Regierung ein. Als Gegenleistung wurde in Katalonien das Kollektivie­rungsgesetz vom 24.10.1936 verabschiedet, das der CNT-Wirtschaftsexperte Juan Fabre­gas verfasst hatte. Dieses Gesetz - es umfasste 39 Artikel und wurde von Fabregas und dem katalanischen Präsidenten Tarradellas unterzeichnet, - war aus anarchistischer Sicht ambivalent: zwar verrechtlichte es die in der Revolution geschaffenen Kollektive, die Enteignungen und die Übernahme der Betriebe durch die Arbeiterselbstverwaltung und akzeptierte die wirtschaftliche Vormachtstellung der CNT in den Teilen des republikanischen Spaniens, in denen die CNT sich durchgesetzt hatte, ande­rer­seits legte es aber die Zuständigkeit für den wirtschaftlichen Ablauf zurück in die staatlichen Hände des „Wirt­schaftsminis­ters und Wirt­schaftsrats". Auch wenn der Wirtschaftsminister sich nun selbst Wirtschaftsrat nannte und Fabregas hieß, und wenn der gesamte Wirtschaftsrat in diesem Augenblick von der CNT mitkontrolliert wurde, so beinhaltete das Dekret zu­dem die Kontrollfunktion durch andere politische Kräfte. Diese Beschränkung eigener Ent­scheidungsfreiheiten stieß auf den Widerstand vieler Mitglieder. Die Artikel 5 und 10 und im Gegensatz dazu 34 belegen diese Zweischneidigkeit: Artikel 5: „Das kollektivierte Unternehmen gilt als unmittelbare Rechtsnachfolgerin des ehemals privaten Unternehmens und übernimmt den Betrieb mit allen Aktiven und Passiven." Artikel 10: „Die Leitung eines kollektivierten Unternehmens hat der Betriebsrat, den die Arbeiter aus ihrer Mitte in der Vollversammlung wählen. Diese Versammlung bestimmt die Zahl der Mitglieder des Betriebsrates, der mindestens fünf und höchstens fünfzehn Mitglieder umfasst. Alle Abteilungen eines Betriebes - Produktion, Verwaltung, technische und kaufmännische Abteilungen - sind vertreten. Die verschiedenen Ge­werkschaftszen­tralen (CNT, UGT) sind im Verhältnis zur Zahl ihrer Mitglieder vertreten. Die Dauer des Mandats beträgt zwei Jahre; die Hälfte der Mitglieder des Betriebsrates wird jährlich neu gewählt. Wiederwahl ist möglich." Artikel 34: „Ist der Wirt­schafts­rat von Katalonien mit dem von der Kommission erarbeiteten Ergebnis (Anm.: Ermittlung des Bestands zu Beginn einer Kollektivierung durch ei­ne sechsköpfige Kommission aus Technikern und Buchhaltung) nicht einverstanden, kann er eine zweite Prüfung ver­langen. Er muss seine Auffassung begründen und dem Wirt­schaftsminister vorlegen, dessen Entscheidung nicht anfechtbar ist." Der Umstand, dass die CNT nicht im gesamten republikanischen Spanien die Wirtschaft prägte, nötigte sie dazu, zu­nächst in ihren Regionen eine Neuordnung zu schaffen. Dazu machte sich jetzt das Fehlen der „nationalen Industrieföderati­onen" negativ bemerkbar; mit ihnen wäre es leichter gewesen, das Gesamtinteresse gegenüber Sonderinteressen oder gar dem Egoismus einzelner Betriebe durchzusetzen. Anfang 1937 wurden deshalb die 1931 beschlossenen Indus­trieföderationen vorangetrieben, zusätzlich wurde eine Fachföderation von CNT-Wirt­schaftsspezialisten gebildet. Im landwirtschaftlichen Bereich wurden regionale Föderationen der Kollektive geschaffen.

Der Kongress von Valencia im Januar 1938

Der Kongress von Valencia diente zur Beratung aller wichtigen ökonomischen Fragen, die im Bereich der CNT lagen, wurde aber schnell ausgedehnt auf die Problematik, dass die republikanische Regierung keine Lösung für die Organisation und Planung der Wirtschaft hatte. Die CNT beriet deshalb einerseits Vorschläge für das gesamte republikanische Spanien und integrierte in diesen Gesamtplan denjenigen Teil der Wirtschaft, der bereits nach den föderalen Prinzipien der CNT arbeitete. Andererseits wurde das Wirtschaftskonzept für den CNT-kontrollierten Bereich weiterentwickelt und dabei auch an verschiedenen Kollektiven Kritik geübt, dahingehend, dass anscheinend kapitalistisches Denken bei etlichen ArbeiterIn­nen, die die Kollektive leiten, vorherrsche und durch anarchistisches Soli­daritätsdenken ersetzt werden müsse. Die italienische Anarchistin Maria L. Berneri hielt fest: „Wir haben einen kollektiven Kapitalismus geschaffen, bei dem die Arbeiter in leistungsfähigen Betrieben höhere Löhne bekommen als die in schlechten. Solche Einkommensunterschiede müssen durch die koordinierende Tätigkeit der Ge­werkschaften ausgeglichen werden. Alle Gewinne müssen an einer Stelle zusammenfließen, die die Fonds gleichmäßig verteilt." In Valencia wurden ein einheitliches System der Entlohnung als erster Schritt auf dem Weg zur Abschaffung des Lohnsys­tems, eine Sozialversicherung in gewerkschaftlicher Regie, ei­ne Iberische Gewerkschaftsbank und der Ausbau des genossenschaftlichen Vertei­lungssektors zur Versorgung der Bevölkerung beschlossen.

Das Ende der Kollektivierungen

Seit den Mai-Unruhen in Barcelona 1937 war aber eine solche Weiterentwicklung der Kollektivierung kaum noch möglich. Nach dem Sturz der Regierung Largo Caballeros und dem Ausscheiden der CNT-Minister Montseny und Oliver aus der Regierung begann der offene Kampf gegen die anarchistischen Kollektive. Im landwirtschaftlichen Bereich wurden die Kollektive in Aragón direkt von den kommunistischen Brigaden Enrique Lister und Karl Marx angegriffen und zerstört. Letztere war zuvor für die Provokation im Mai von der Front abgezogen und nach Barcelona gekommen. Nach dem Mai wurde das katalanische Kollektivierungsgesetz für die Verkehrsbetriebe, den Bergbau und die Metallindustrie außer Kraft gesetzt und es kamen entweder die alten Besitzer zurück oder es wurden Kommunisten als Lei­tungskräfte eingesetzt. Der entscheidende Schlag gegen die Kollektive gelang aber durch das Dekret vom 11.08.1938 über die Verstaatlichung aller kriegswichtigen Be­triebe. Jetzt waren die 800 CNT-kontrollierten Betriebe der Rüs­tungsindustrie Kataloniens un­ter der Leitung des Ingenieurs und CNT-Mitglieds Vallejo betroffen. Er versuchte einen Kompromiss auszuhandeln, der der CNT und ihren fachlich erfahrenen Leitungskräften die Organisation der Produktion si­chergestellt und dem Kriegsministerium die Kontrolle über die Rohstoffe und die Planung der Produktion überlassen hätte. Auf Druck der Sowjetunion und ihrer „Berater" gelang dies nicht. Die lokalen Betriebsko­mitees protestierten erfolglos gegen die Beschlagnahmun­gen, als Folge sank die Produktion. Die CNT-Führung und die UGT stimmten der Verstaatlichung der Bergwerke, der Schwerindustrie, der Rüstungsbetriebe, der Eisenbahnen und des Nachrichtenwesens zu, um in den verbliebenen anderen Bereichen die Kollektivierung zu retten. Anfang 1939 trat mit Se­gunda Blanco wieder ein CNT-Mitglied in die Regierung ein, um dem bürgerlich-kommunistischen Einfluss entgegenzuwirken, den Angriffen auf die Kollektive etwas entgegenzusetzen und der Verfolgung ihrer Mitglieder Einhalt zu gebieten. In seiner „Geschichte der spanischen Anarchisten" schreibt César Lorenzo 1969: „Nach dem Eintritt der CNT in die Regierung verbesserte sich die Position der Libertären erheblich. Die Verfolgungen ihrer Anhänger hörten sowohl an der Front wie im Hinterland auf und die Pressezensur wurde weniger fühlbar." Mehr an  Bedeutung ließ sich durch das nahe Kriegsende jedoch nicht mehr entwickeln.

Wolfgang Haug

Der zweite Teil dieses Artikels beschäftigt sich mit den Industrie- und Landkollektiven. Er erscheint Ende August 2009 in der Graswurzelrevolution Nr. 341.

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 340, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, Sommer 2009, www.graswurzel.net