Jerzy Sosnowski, Major der Polnischen Streitkräfte, wurde auch 1926, nunmehr
dreißigjährig, wie alljährlich von seinen Vorgesetzten überprüft. Sie bestätigten
ihm, nicht zum ersten Mal, vorzügliche Eignung für den Dienst.
Seine ersten Sporen hatte er sich bei der Kavallerie im österreich-ungarischen
k.-u.k.-Militär verdient. Stammte er doch aus einer in Lemberg ansässigen Familie,
jener Großstadt, die bis 1918 zum Habsburger Reich gehört hatte. Seinen
Dienst in dieser Truppe verstand er, wie die meisten seiner polnischen Kameraden,
stets als Wechsel auf die Zukunft. Lebten und kämpften sie doch für
das Wiedererstehen Polens, das Zaren, Habsburger und Hohenzollern unter
sich aufgeteilt hatten. Seit die Kronen der genannten und weiterer Herrscherhäuser
unter dem Sturm der europäischen Revolutionen von 1918 übers Straßenpflaster
gekullert waren, diente Rittmeister Sosnowski wie hunderte seiner
Kameraden auch, die zuvor in fremden Heeren Dienst geleistet hatten, unter
Josef Pilsudski, der zuvor unter preußischem Kommando eine Polnische Legion angeführt hatte. Aus den polnischen Legionären wurden ab 1918 die Streitkräfte
der wiedererstandenen Republik Polen.
Im Generalstabsdienst kam der junge, kriegserfahrene Rittmeister und weltmännische
Lebemann mit exzellenten Deutschkenntnissen schnell zu Majorsehren,
wurde Stabsoffizier. Dies in einer der beiden wichtigsten Spionageabteilungen
des Generalstabs, der Abteilung »N«, die Abkürzung für »Niemcy«,
Deutschland. Die andere, wenn möglich noch wichtigere Abteilung war die
Abteilung »R«, deren Stoßrichtung gegen »Rosja«, Rußland, zielte.
Als Georg von Sosnowski und Ritter von Nalecz traf der Sohn eines polnischen
Ingenieurs mit einem, wie es heutzutage heißt, »adligen Hintergrund«
sowie auskömmlich mit »Penunzen« ausgestattet in Berlin ein. Schnell nahm
ihn die »bessere Gesellschaft« an, ihr weiblicher Teil auch in die Arme. Sein
Weg führte ihn via Trab- und Galopprennbahnen sowie Spielcasinos im weltoffenen
Zopot, in Karlshorst und Hoppegarten – wo sich ehemalige und aktive
Offiziere beim Pferderennen wie beim gelegentlichen Flirt trafen und wo
man sich »zum Tee« oder »auf ein Spielchen« verabredete – Schritt für Schritt
dorthin, wo ihn sein Dienst haben wollte. Schnell lernte der polnische Offizier
den jungen Abwehroffizier der Reichswehr im Wehrbereichskommando
Berlin Günther Rudloff kennen, einen Spieler, der bei Wetten und beim Spiel
immer waghalsigere Einsätze wagte. Sosnowski versorgte ihn bald mit immer
größeren Summen und wurde dafür seinerseits mit geheimen Kenntnissen
über die Absichten und die Identitäten deutscher Spione in Polen versorgt.
Rudloff zahlte mit immer detaillierteren und immer wichtigeren Informationen
über die Innereien der Abwehr unter Admiral Canaris und Ferdinand von
Bredow, auch führte er den »Kameraden« in immer neue Kreise ein.
Bald hatte der auch in Minnediensten erfolgreiche Major sein feinmaschiges
Spionagenetz geknüpft. Ihm gehörten Irene von Jena, Benita von Falckenhayn
und Renate von Natzmer an. Benita von Falckenhayn, deren Onkel im
Ersten Weltkrieg eine Zeitlang Chef des Generalstabes gewesen war, hatte
Sosnowski im mondänen Zopot kennengelernt. Sie war es, die den doppelgesichtigen
Offizier mit Renate von Natzmer bekanntmachte. Sie und weitere
Damen adligen Geblüts wie Lotte von Lammel und Isabell von Tauscher hatten
allesamt Schlüsselstellungen inne. Aus »bester Familie« stammend, erledigten
sie hier zwar nur subalterne Sekretariatsarbeiten, hatten jedoch in den
Vorzimmern der Macht den gleichen Einblick in Mobilisierungs- und Aufmarschpläne
sowie in Rüstungsprojekte der Heeres- oder Luftwaffenrüstung
wie die jeweiligen Entscheidungsträger. Der Spionagering lieferte erstklassige
Informationen, die beteiligten Frauen ließen sich erstklassig bezahlen.
Irene von Jena, in der Finanzabteilung des Reichswehrministeriums tätig, lie-
ferte Angaben zu Rüstungsplanungen im Bereich von Luftwaffe und Panzerwaffe.
Ihr hatte sich Sosnowski als britischer Offizier genähert und war ihr
wie auch anderen Damen und deren Panzerschränken sehr nahegekommen.
Nichtsdestoweniger kam beim Chef der polnischen Militärspionage der Verdacht
auf, sein Mann in Berlin trüge auf zwei Schultern und liefere für viel Geld
»Spielmaterial« der deutschen Gegenspionage. Deshalb schickte er Oberstleutnant
Adam Studanski nach Berlin. Der hatte die Echtheit einer teuren Lieferung
von Spionagematerial zu prüfen. Letzten Endes wurden die zwei Millionen
Zl⁄oty gezahlt. Doch als 1930 die Unterlagen über ein komplettes »Kriegsspiel«
(so die Tarnbezeichnung) 400 000 Reichsmark kosten sollten, stieg der Warschauer
Chef zumindest partiell aus dem Geschäft aus und überließ den französischen
und britischen Spionagezentren das Feld, die unverhofft zu einem
»Schnäppchen« kamen. Im »Kriegsspiel« ging es um langfristige strategische,
mittelfristige operative und rüstungswirtschaftliche Planungen. Briten, Franzosen
und als Juniorpartner die polnische Militärspionage schlugen dabei jahrelang
zwei Fliegen mit einer Klappe. Erfuhren sie doch sowohl von der durch
den Versailler Vertrag verbotenen Panzer- und Luftwaffenrüstung der Reichswehr
als auch davon, daß diese Waffen gemeinsam mit der Roten Armee auf
den abgeschotteteten Übungsplätzen im fernen Kasan und Lipezk erprobt wurden.
An der umfassenden Heeresmotorisierung beteiligt war neben anderen
die Opel AG. Deren Belegschaftsstärke stieg von 6 442 Mann im Jahre 1932 auf
über 18 000 im Jahre 1934, dem letzten Jahr des Spionagerings, an dem letztlich
auch die USA partizipierten – auf direktem Wege über General Motors,
die zwischen 1929 und 1931 Opel mit Mann und Wagen gekauft hatten.
1934 zerriß das Spionagenetz. Wie in einem Schundroman lieferte eine eifersüchtige
Frau, die Schauspielerin Marie Kruse, ihren Geliebten Jerzy Sosnowski
der Abwehr ans Messer. Zu später Abendstunde begann am 27. Februar
1934 am Lützowufer 36 die Verhaftungswelle. Alle Beteiligten, ausgenommen
Günther Rudloff, kamen in Gestapohaft. Im Jahr darauf, am 16. Februar 1935,
urteilte der 3. Senat des inzwischen eingerichteten sogenannten Volksgerichtshofes
sie ab. Irene von Natzmer erhielt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe,
desgleichen Jerzy Sosnowski. Zum Tode verurteilt und zwei Tage später hingerichtet
wurden Benita von Falckenhayn und Renate von Natzmer.
Jerzy Sosnowski wurde bereits ein Jahr später – als polnischer Staatsangehöriger
war er nicht wegen Verrats angeklagt worden – gegen sieben deutsche
Spione ausgetauscht. Wegen Landesverrats verurteilte ihn im Juni 1939 ein polnisches
Militärgericht zu einer 15jährigen Freiheitsstrafe.
Sein Tod ist wie sein Leben von Geheimnissen überwuchert. Er soll 1939, als
sich von Westen Wehrmachtstruppen und von Osten die Rote Armee dem Gefängnis näherten, von den Wachen erschossen worden sein. Dies ist die Version
eines Abwehroffiziers, der im Dienst von Admiral Canaris stand. Eine zweite,
polnische, Version besagt, Sosnowski sei im September 1939 als »Kriegsgefangener
« eines nicht erklärten Krieges in die Hand der Roten Armee gefallen.
Am 26. Mai 1942 sei er bei Saratow zu Tode gekommen.
dreißigjährig, wie alljährlich von seinen Vorgesetzten überprüft. Sie bestätigten
ihm, nicht zum ersten Mal, vorzügliche Eignung für den Dienst.
Seine ersten Sporen hatte er sich bei der Kavallerie im österreich-ungarischen
k.-u.k.-Militär verdient. Stammte er doch aus einer in Lemberg ansässigen Familie,
jener Großstadt, die bis 1918 zum Habsburger Reich gehört hatte. Seinen
Dienst in dieser Truppe verstand er, wie die meisten seiner polnischen Kameraden,
stets als Wechsel auf die Zukunft. Lebten und kämpften sie doch für
das Wiedererstehen Polens, das Zaren, Habsburger und Hohenzollern unter
sich aufgeteilt hatten. Seit die Kronen der genannten und weiterer Herrscherhäuser
unter dem Sturm der europäischen Revolutionen von 1918 übers Straßenpflaster
gekullert waren, diente Rittmeister Sosnowski wie hunderte seiner
Kameraden auch, die zuvor in fremden Heeren Dienst geleistet hatten, unter
Josef Pilsudski, der zuvor unter preußischem Kommando eine Polnische Legion angeführt hatte. Aus den polnischen Legionären wurden ab 1918 die Streitkräfte
der wiedererstandenen Republik Polen.
Im Generalstabsdienst kam der junge, kriegserfahrene Rittmeister und weltmännische
Lebemann mit exzellenten Deutschkenntnissen schnell zu Majorsehren,
wurde Stabsoffizier. Dies in einer der beiden wichtigsten Spionageabteilungen
des Generalstabs, der Abteilung »N«, die Abkürzung für »Niemcy«,
Deutschland. Die andere, wenn möglich noch wichtigere Abteilung war die
Abteilung »R«, deren Stoßrichtung gegen »Rosja«, Rußland, zielte.
Als Georg von Sosnowski und Ritter von Nalecz traf der Sohn eines polnischen
Ingenieurs mit einem, wie es heutzutage heißt, »adligen Hintergrund«
sowie auskömmlich mit »Penunzen« ausgestattet in Berlin ein. Schnell nahm
ihn die »bessere Gesellschaft« an, ihr weiblicher Teil auch in die Arme. Sein
Weg führte ihn via Trab- und Galopprennbahnen sowie Spielcasinos im weltoffenen
Zopot, in Karlshorst und Hoppegarten – wo sich ehemalige und aktive
Offiziere beim Pferderennen wie beim gelegentlichen Flirt trafen und wo
man sich »zum Tee« oder »auf ein Spielchen« verabredete – Schritt für Schritt
dorthin, wo ihn sein Dienst haben wollte. Schnell lernte der polnische Offizier
den jungen Abwehroffizier der Reichswehr im Wehrbereichskommando
Berlin Günther Rudloff kennen, einen Spieler, der bei Wetten und beim Spiel
immer waghalsigere Einsätze wagte. Sosnowski versorgte ihn bald mit immer
größeren Summen und wurde dafür seinerseits mit geheimen Kenntnissen
über die Absichten und die Identitäten deutscher Spione in Polen versorgt.
Rudloff zahlte mit immer detaillierteren und immer wichtigeren Informationen
über die Innereien der Abwehr unter Admiral Canaris und Ferdinand von
Bredow, auch führte er den »Kameraden« in immer neue Kreise ein.
Bald hatte der auch in Minnediensten erfolgreiche Major sein feinmaschiges
Spionagenetz geknüpft. Ihm gehörten Irene von Jena, Benita von Falckenhayn
und Renate von Natzmer an. Benita von Falckenhayn, deren Onkel im
Ersten Weltkrieg eine Zeitlang Chef des Generalstabes gewesen war, hatte
Sosnowski im mondänen Zopot kennengelernt. Sie war es, die den doppelgesichtigen
Offizier mit Renate von Natzmer bekanntmachte. Sie und weitere
Damen adligen Geblüts wie Lotte von Lammel und Isabell von Tauscher hatten
allesamt Schlüsselstellungen inne. Aus »bester Familie« stammend, erledigten
sie hier zwar nur subalterne Sekretariatsarbeiten, hatten jedoch in den
Vorzimmern der Macht den gleichen Einblick in Mobilisierungs- und Aufmarschpläne
sowie in Rüstungsprojekte der Heeres- oder Luftwaffenrüstung
wie die jeweiligen Entscheidungsträger. Der Spionagering lieferte erstklassige
Informationen, die beteiligten Frauen ließen sich erstklassig bezahlen.
Irene von Jena, in der Finanzabteilung des Reichswehrministeriums tätig, lie-
ferte Angaben zu Rüstungsplanungen im Bereich von Luftwaffe und Panzerwaffe.
Ihr hatte sich Sosnowski als britischer Offizier genähert und war ihr
wie auch anderen Damen und deren Panzerschränken sehr nahegekommen.
Nichtsdestoweniger kam beim Chef der polnischen Militärspionage der Verdacht
auf, sein Mann in Berlin trüge auf zwei Schultern und liefere für viel Geld
»Spielmaterial« der deutschen Gegenspionage. Deshalb schickte er Oberstleutnant
Adam Studanski nach Berlin. Der hatte die Echtheit einer teuren Lieferung
von Spionagematerial zu prüfen. Letzten Endes wurden die zwei Millionen
Zl⁄oty gezahlt. Doch als 1930 die Unterlagen über ein komplettes »Kriegsspiel«
(so die Tarnbezeichnung) 400 000 Reichsmark kosten sollten, stieg der Warschauer
Chef zumindest partiell aus dem Geschäft aus und überließ den französischen
und britischen Spionagezentren das Feld, die unverhofft zu einem
»Schnäppchen« kamen. Im »Kriegsspiel« ging es um langfristige strategische,
mittelfristige operative und rüstungswirtschaftliche Planungen. Briten, Franzosen
und als Juniorpartner die polnische Militärspionage schlugen dabei jahrelang
zwei Fliegen mit einer Klappe. Erfuhren sie doch sowohl von der durch
den Versailler Vertrag verbotenen Panzer- und Luftwaffenrüstung der Reichswehr
als auch davon, daß diese Waffen gemeinsam mit der Roten Armee auf
den abgeschotteteten Übungsplätzen im fernen Kasan und Lipezk erprobt wurden.
An der umfassenden Heeresmotorisierung beteiligt war neben anderen
die Opel AG. Deren Belegschaftsstärke stieg von 6 442 Mann im Jahre 1932 auf
über 18 000 im Jahre 1934, dem letzten Jahr des Spionagerings, an dem letztlich
auch die USA partizipierten – auf direktem Wege über General Motors,
die zwischen 1929 und 1931 Opel mit Mann und Wagen gekauft hatten.
1934 zerriß das Spionagenetz. Wie in einem Schundroman lieferte eine eifersüchtige
Frau, die Schauspielerin Marie Kruse, ihren Geliebten Jerzy Sosnowski
der Abwehr ans Messer. Zu später Abendstunde begann am 27. Februar
1934 am Lützowufer 36 die Verhaftungswelle. Alle Beteiligten, ausgenommen
Günther Rudloff, kamen in Gestapohaft. Im Jahr darauf, am 16. Februar 1935,
urteilte der 3. Senat des inzwischen eingerichteten sogenannten Volksgerichtshofes
sie ab. Irene von Natzmer erhielt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe,
desgleichen Jerzy Sosnowski. Zum Tode verurteilt und zwei Tage später hingerichtet
wurden Benita von Falckenhayn und Renate von Natzmer.
Jerzy Sosnowski wurde bereits ein Jahr später – als polnischer Staatsangehöriger
war er nicht wegen Verrats angeklagt worden – gegen sieben deutsche
Spione ausgetauscht. Wegen Landesverrats verurteilte ihn im Juni 1939 ein polnisches
Militärgericht zu einer 15jährigen Freiheitsstrafe.
Sein Tod ist wie sein Leben von Geheimnissen überwuchert. Er soll 1939, als
sich von Westen Wehrmachtstruppen und von Osten die Rote Armee dem Gefängnis näherten, von den Wachen erschossen worden sein. Dies ist die Version
eines Abwehroffiziers, der im Dienst von Admiral Canaris stand. Eine zweite,
polnische, Version besagt, Sosnowski sei im September 1939 als »Kriegsgefangener
« eines nicht erklärten Krieges in die Hand der Roten Armee gefallen.
Am 26. Mai 1942 sei er bei Saratow zu Tode gekommen.