„Wenn du gewinnst, dann ist da dieses Gefühl, dass das Volk gesprochen hat und deine Position teilt (...). Jetzt lasst uns an die Arbeit gehen." (San Francisco Chronicle, 4. November 2004). Klingt nach Barack Obama am Abend seines historischen Wahlsiegs? Weit gefehlt! Es war George W. Bush, der nach seiner Wiederwahl 2004 mit diesen Worten klar machte, dass er seine Agenda „ohne wenn und aber" durchsetzen würde. Obama dagegen klang vorsichtig und versöhnlich, als er am Abend des 4. November vor den Massen in Chicago stand. Nicht wenige seiner Unterstützer hätten sich sicher gewünscht, dass er ebenso entschieden aufgetreten wäre, wie Bush es nach seinem Wahlsieg getan hatte. Doch obwohl Obama die Wahlen klar gewonnen hat, ist das Verhältnis zu seiner Wählerbasis kompliziert, die politischen Kräfte, die ihn ins Weiße Haus gebracht haben, sind widersprüchlich, und er tritt sein Amt inmitten einer schweren Wirtschaftskrise an. Wir wollen im Folgenden die Wahlen noch einmal Revue passieren lassen und dabei vor allem nach Obamas Verhältnis zur US-amerikanischen Linken fragen, hat diese doch große Hoffnungen in seine Wahl gesetzt.
And the Winner is...
Wenn es in diesen Wahlen einen besonderen Wendepunkt gegeben hat, dann war es wohl am Montag der 15. September. Nur wenige Stunden vor dem größten Börsenkrach seit der Großen Depression, hatte John McCain öffentlich sein Vertrauen in eine „starke" US-Wirtschaft verkündet. Ein Schnitzer von derart historischer Größe lässt sich kaum ausbügeln. Den ganzen Sommer über hatten Obama und McCain Kopf an Kopf gelegen, doch ab Mitte September zeigten die Umfragen einen stetigen Vorteil für Obama. Je deutlicher die Wirtschaftskrise zum zentralen Wahlthema wurde, desto mehr verlor McCain an Boden. Zwar verhielt sich Obama vorsichtig und zurückhaltend. Auch ließ er keine Zweifel daran, dass er das 700 Mrd. Dollar Rettungspaket für Wall Street unterschreiben würde. Aber im Vergleich zu McCain machte er in seinen Wahlkampfreden ebenso wie in seinem Vorschlag für eine Steuerreform zumindest einen Unterschied zwischen der „Mittelklasse" und den Großverdienern und bewies Sinn für die gesellschaftlichen Spaltungsprozesse. Kein Wunder, dass der Kandidat der Demokraten im Monat vor den Wahlen die Umfragen mit 4% bis 11% anführte.
Nichts desto trotz waren die Medien-Kommentare von Vorsicht geprägt. Niemand schien einen überraschenden Sieg von McCain ausschließen zu wollen und viele Journalisten erinnerten an den Wahlbetrug von 2000, mittels dessen sich George W. Bush ins Weiße Haus gemogelt hatte. Obwohl Obama die Wahlen am 4. November mit einem klaren Vorteil antrat, ließ sich kaum jemand zu einer deutlichen Prognose hinreißen. Von einem eindeutigen Sieg, wie ihn Obama schlussendlich davontrug, war schon gar nicht die Rede. Am Ende gewann Obama die Wahlen mit 349 zu 162 „Wahlmännerstimmen".1 Knapp 63 Millionen Amerikaner entschieden sich für „Change" und immerhin 56 Millionen wählten den „Kriegshelden" McCain und seine unbeholfene Vizekandidatin Sara Palin.
In der Tat gelang es Obama, praktisch alle umkämpften Bundesstaaten für sich zu gewinnen: In Ohio, Indiana und Pennsylvania hatte sich Obama seit Monaten um die Sympathien der weißen „blue-collar" Arbeiter bemüht. Während der Vorwahlen hatten diese überwiegend für Hillary Clinton gestimmt und in den Medien kursierte über Wochen hinweg der Begriff der „Reagan Democrats", die McCain einem schwarzen Präsidenten vorziehen würden. Die Einschätzung war nicht völlig aus der Luft gegriffen. „Viele unserer Mitglieder werden sich mit der Entscheidung schwer tun," sagte James Williams, Präsident der Painters Union, gegenüber der Zeitschrift The Nation. „Aber wenn es am Ende um den Gehaltscheck und die Rente geht, denke ich, dass sie die richtige Wahl treffen werden." (The Nation, 13. Oktober 2008: 23). Wie schon in den Jahren zuvor, machten die Gewerkschaften auch dieses mal wieder für die Demokraten mobil. Insgesamt 300 Mill. Dollar gaben sie in der aktuellen Wahlperiode für Obama und seine Partei aus (ebd.). Mit Erfolg: In Ohio gewann Obama mit 51,2% und in Pennsylvania mit 54,6%, und auch in New Hampshire, einem weiteren Nordstaat der ganz oben auf McCains Wunschliste stand, punktete Obama mit 54,6%.
Auch in Colorado, New Mexico und Nevada gewann Obama mit deutlichen Mehrheiten - 2004 hatte Bush noch in all diesen Bundesstaaten den Sieg davongetragen. Im Südwesten der USA, ebenso wie in Florida, wo Obama mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,8% gewann, hat der wachsende Wähleranteil an Latinos das Kräfteverhältnis deutlich zu Gunsten der Demokraten verschoben. Die Latinos sind überwiegend im Niedriglohnbereich beschäftigt und wählen meist auch mit diesem Klassenbewusstsein, wenn auch tendenziell sozial konservativ. Zwar hatte George W. Bush 2004 kurzzeitig 44% der Latinostimmen gewinnen können, doch mittlerweile sind die Republikaner für Bürger mit einem Migrationshintergrund praktisch unwählbar geworden. In Teilen der Partei hat sich der ausländerfeindliche Diskurs noch einmal massiv verschärft. Razzien und Abschiebungen haben bundesweit erheblich zugenommen. Vor diesem Hintergrund haben Bush und McCain doppelt verloren: Sie stehen für eine „liberale" Einwanderungspolitik, die das Land mit billigen Gastarbeitern versorgen soll. Mit dieser Position haben sie die Stimmen der Ultrarechten verloren, während der Rassismus an der eigenen Basis ihnen die Latinos abtrünnig gemacht hat.2
Die hohe Wahlbeteiligung der Latinos war ohne Zweifel einer der wichtigsten Faktoren in diesen Wahlen. Im Vergleich zu 2004 hat die Anzahl der demokratischen Stimmen in dieser Wählergruppe um 14% zugenommen - in keiner anderen Wählergruppe ist eine derartige Stärkung der Demokraten zu beobachten (New York Times, 7. November 2008).
Sogar im Süden erzielte Obama beachtliche Ergebnisse. Er gewann North Carolina und Virginia, das seit 40 Jahren stramm republikanisch wählt. Hier verdankt Obama seine 51,8% vor allem den afro-amerikanischen Wählern, sowie dem zunehmend demokratischen Norden des Staates und den Vororten von Washington. Angesichts der Tatsache, dass Obama auch die demokratischen Schwergewichte wie Kalifornien (55 Wahlmänner) und New York (31 Wahlmänner) sicher für sich verbuchen konnte, verhalfen ihm die Erfolge in den umkämpften Bundesstaaten zu einem sicheren Sieg.
Damit hat Obama die politische Landkarte der USA praktisch neu gezeichnet. Die berühmte Trennlinie zwischen „roten" und „blauen" Staaten, die für US-Wahlen in den vergangenen Jahren so charakteristisch gewesen ist, verschiebt sich nun zu Gunsten der Demokraten. Wenn es den Republikanern nicht gelingen sollte, diesen Trend aufzuhalten, könnten sie schon bald in den tiefen Süden, den „Bible Belt" im Mittleren Westen und den „Mountain West" zurückgedrängt werden. Zugleich scheint es den Demokraten zu gelingen, ihre Stärke in Staaten wie New England zu konsolidieren, wo 2008 der letzte republikanische Kongressabgeordnete sein Mandat verlor.3
Wenn Obama am 20. Januar seinen Amtseid ablegt, werden die Demokraten nicht nur das Weiße Haus mit großem Rückhalt zurückgewinnen, sondern auch ihre Mehrheiten im Kongress ausgebaut haben. Im Abgeordnetenhaus gewannen sie am 4. November 19 neue Sitze und sind dort zukünftig mit 254 Stimmen vertreten (gegenüber 173 Republikanern). Im Senat (in dem auch einige Unabhängige vertreten sind) gewannen sie voraussichtlich fünf Sitze und konnten ihre knappe Mehrheit zu einem bequemen 54:40 Verhältnis ausbauen. Sie verpassten allerdings deutlich die 60-Stimmen Grenze, die es ihnen erlaubt hätte, eine Sperrminorität der Republikaner zu überstimmen.
Vom Underdog zur Ikone
Die Präsidentschaftswahl endete nicht nur mit einem überraschend deutlichen Sieg für Obama, man verzeichnete auch die höchste Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten. Die geschätzten 64,1% Wahlbeteiligung von 2008 übertreffen den 63,8% Rekord, den bislang die Wahl Kennedy gegen Nixon von 1960 gehalten hatte. Wichtiger noch: Die Rekordbeteiligung und Obamas Sieg gingen Hand in Hand! Die Wahl-Bewegung4, die sich um Obama herum entwickelt hatte, registrierte wahre Heerscharen von Neuwählern im ganzen Land. Allein die Graswurzelorganisation ACORN5 brachte bundesweit über eine Million neue Wähler auf die Wahllisten - und wurde dafür prompt mit einer republikanischen Schmierenkampagne abgestraft. Kampagnenmitarbeiter, Aktivisten und Community Organizer brachten vor allem junge und sozial benachteiligte Wählerschichten sowie ethnische Minderheiten an die Urnen. Sie alle wählen überwiegend demokratisch.
Wie aber ist Obama, der zu Beginn der Vorwahlen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit noch praktisch unbekannt war, dieser Durchbruch gelungen? Kein anderer Kandidat konnte es mit seiner Popularität aufnehmen, dabei waren seine Kontrahenten allesamt politische Veteranen mit vielen Jahren Kampagnenerfahrung und einer soliden Wählerklientel. Sein Erfolg muss besonders überraschen, wenn man bedenkt, dass sich Obamas politische Agenda nur im Detail von dem seiner größten Rivalin, Hillary Clinton, unterschieden hat, und er in vielen Fragen gar mit seinem „Erzfeind" John McCain überein zu stimmen schien.
Es gibt eine Reihe von komplexen Antworten auf diese Frage, aber einer der wichtigsten Gründe ist relativ einfach: Obama ist schwarz! Die symbolische Bedeutung dessen, dass Obama der erste afro-amerikanische Präsident der USA sein wird, ist kaum zu überschätzen. „Wir müssen all unsere Energie aufwenden, um Obama an die Macht zu bringen und McCain zu besiegen", schrieb Eric Mann, ein Blogger auf „Progressives for Obama" zwei Wochen vor den Wahlen, „denn Barack Obama (...) kann der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten werden." (http://www.progressivesforobama.blogspot.com am 24. Oktober 2008) Dieser Appell ist symptomatisch für die Stimmung vor den Wahlen. Am Tag nach den Wahlen titelte die New York Times „Racial Barrier Falls in Heavy Voter Turnout" und die Washington Post schrieb „U.S. Decisively Elects First Black President."
Angesichts der katastrophalen sozialen Bedingungen, mit denen vor allem Schwarze (aber auch andere Minderheiten) konfrontiert sind, Drogen- und Alkoholmissbrauch und Gewalt auf der Straße und in den Familien, darf es kaum verwundern, dass Obama für diese Gruppen zu einem persönlichen Vorbild und zu einer Leitfigur von hohem Wert geworden ist. Viele hoffen, dass Obama vor allem die jüngere Generation inspirieren und ein Gegengewicht zur dominanten Straßen- und Populärkultur von Sport, Musik und Gangsterstyle bilden wird. Aber auch für viele weiße Wähler ist Obamas Hautfarbe ein „Plus". Liberale und Linke begeistern sich gleichermaßen für seinen Aufstieg an die Macht. Nicht zuletzt kann auch der weiße Mainstream sich der Attraktivität eines Kandidaten kaum entziehen, der schwarz ist und doch „keine Bedrohung" für sie darzustellen scheint. Der sogenannte „Bradley-Effekt" (weiße Wähler „verheimlichen" ihren Rassismus in den Umfragen und entscheiden sich dann an der Urne anders als erwartet) hat sich möglicher Weise verkehrt: Obama war ein außerordentlicher Kandidat, weil alle Amerikaner - gleich welcher Herkunft - in ihm eine Figur der Versöhnung sehen konnten.
Obama selbst hat sich übrigens nie als schwarzer Kandidat präsentiert. Wie kein anderer versteht er die Spielregeln parlamentarischer Demokratie: Schaffe dein eigenes Markenzeichen, aber wende dich stets an „die allgemeine Öffentlichkeit!" Brillant fing er die Stimmung gegen Bush ein und bot zugleich eine Alternative an zum demokratischen Establishment. Während der Vorwahlen gelang es Obama, sich als linker Kandidat zu präsentieren, obwohl es ursprünglich der Demokrat John Edwards und (ironischer Weise) der konservativ-christliche Republikaner Mike Huckabee gewesen waren, die die Probleme der „Working Class" auf die politische Agenda gesetzt hatten.6 Doch Obamas größter Streich war sein Sieg über die Wahlkampfmaschine der Clintons. Hier kam seine haushoch überlegende Graswurzelstrategie zum Zuge, getragen von enthusiastischen jungen Unterstützern, die ihre sozialen Netzwerke für die Obama-Kampagne voll ausschöpften.7
Nachdem Hillary Clinton aus dem Weg war, rückte Obama weit in die politische Mitte. Um die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, musste er Clintons konservative Klientel bedienen und den Republikanern ihre progressiven Wählergruppen streitig machen. Dies konnte er tun, ohne dabei Gefahr zu laufen seine linke Basis zu verlieren, weil das US-amerikanische Zweiparteien-System keine relevante Alternative links der Demokraten anzubieten hat. Kandidaten wie Ralph Nader und Ron Paul waren 2008 sogar noch stärker marginalisiert als in der Vergangenheit, durften sie doch nicht einmal mehr an den großen öffentlichen Debatten teilnehmen.
Während die radikaleren Linken Obama durchaus mit Skepsis begegneten, waren große Teile der Linken wie verzaubert. Sicher, Obama stieß viele seiner Anhänger immer wieder vor den Kopf: Er sprach sich für mehr Atomenergie und „saubere Kohle" aus, forderte Aufrüstung statt Deeskalation in Afghanistan, er stimmte für das FISA-Gesetz, das die Immunität für illegale Abhörprogramme unter Bush garantiert und er lehnte die gleichgeschlechtliche Ehe ab. Die Liste ließe sich verlängern. Am 18. August schrieb die Zeitschrift The Nation, ein wichtiges Sprachrohr der linken Demokraten, in einem offenen Brief an Obama: „Seit deinem historischen Sieg in den Vorwahlen haben wir mit Sorge beobachtet, dass du von den Werten und Versprechen abrückst, die so viele, die dich während deiner Kampagne unterstützt haben, mit dir teilen." Gleichzeitig schien es jedoch auch im linken Lager seiner Basis einen Konsens darüber zu geben, dass seine „Strategie der Mitte" notwendig war, um das größere Übel zu besiegen. So blieben die „Progressives" Obama trotz allem treu und arbeiteten hart, um seine Kampagne zu einer Erfolgsstory zu machen.
Obama und die Linke
Ein weiterer Schlüsselfaktor für Obamas Sieg war die große Unzufriedenheit mit der Regierung Bush. Wenige Wochen vor der Wahl waren nur noch 21% der US-Amerikaner der Meinung, ihr Präsident erledige „a good job"; 71% gaben dagegen an, dass sie mit seiner Politik unzufrieden seien. Wie kein anderer Kandidat vermochte Obama dies in politisches Kapital zu verwandeln. Im Gegensatz zu Hillary Clinton hatte er nie für Bush gestimmt - der Irak-Krieg und der Patriot Act wurden zum Vorzeigebeispiel - und so konnte er sich als klaren Bruch mit der Politik der letzten acht Jahre verkaufen. McCain dagegen versuchte zwar immer wieder, sich von seinem Parteigenossen zu distanzieren, konnte aber in der Öffentlichkeit nie genügend Abstand zwischen sich und Bush bringen - und dafür musste er zahlen.
Die Ablehnung gegenüber Bush und seiner Politik betrifft den gesamten Stil und Ton der vergangenen acht Jahre: Sie waren extrem repressiv, polarisierend und von Angst geprägt. Bush und Cheney und ihre Verbündeten in den Talkshows und Fox Nachrichten bauten ihre Popularität und Legitimität vor allem auf eine Atmosphäre der Angst auf. In der Tat waren Bushs Umfragewerte kurz vor den Angriffen auf das World Trade Center auf ein Rekordtief gesunken. Doch nach 9/11 gelang es den Republikanern, die Demokraten und die liberale Opposition mundtot zu machen. Wer im „Kampf gegen den Terrorismus" nicht mitzog, galt als Verräter und Feigling.
Rudi Giuliani, der ehemalige Bürgermeister von New York, verkörperte den Diskurs der Angst und Einschüchterung wie kein anderer in den diesjährigen Wahlen. Seine Kampagne baute ausschließlich auf dem „Krieg gegen den Terrorismus" auf und sein frühes Ausscheiden aus den Vorwahlen - viele mögen es bereits vergessen haben - war daher einer der bedeutsamsten Momente. Es signalisiert, dass die Angst vor dem Terrorismus als gesamtübergreifendes Thema US-amerikanischer Politik sich möglicher Weise erschöpft hat. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise, der katastrophalen Lage im Irak und in Afghanistan, des skandalösen Missmanagements der Katrina-Katastrophe in New Orleans und im achten Jahr seit 2001 ohne terroristische Anschläge auf US-amerikanischem Boden scheint der Bush Diskurs zu kollabieren. Viele Linke unterstützten Obama, weil sein Stil und seine Rhetorik das genaue Gegenteil bilden zu dem prahlerischen Gehabe von George W. Bush, zum finsteren Dick Cheney und zu Charakteren wie dem cholerischen Fox-Moderator Bill O'Reilly. Selbst die radikale Linke in den USA, die mit Obamas Agenda nicht viel anfangen kann, stimmt zu, dass es gewisser Grundrechte und einem Mindestmaß an ziviler Atmosphäre bedarf, um politische Organisationsprozesse überhaupt (legal) anschieben zu können. Von 2001 bis etwa 2005 schienen die USA dagegen in dunkle McCarthy Zeiten und die Kommunistenhetze von 1919 zurückzusinken.
Doch es gab mehr Gründe für die Linke, Obama zu unterstützten, als „nur" die Protestwahl gegen den republikanischen Bush-Nachfolger McCain. Vor allem hat sich die Begeisterung über die durchaus reale Wahl-Bewegung, die sich um Obama herum gegründet hat, wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Trotz aller Skepsis gegenüber Obama fällt es vielen Linken schwer, nicht mit dem Enthusiasmus der Millionen von Menschen zu sympathisieren, die niemals mit einer radikalen politischen Kultur in Kontakt gekommen sind oder sich in einer sozialen Bewegung engagiert haben, und nun plötzlich all ihre Zeit, Energie und Hoffnung in die Obama-Kampagne stecken. Vor allem trifft dies auf Afro-Amerikaner und andere Minderheiten zu, die in den 1960er Jahren in den ersten Reihen der Bürgerrechtsbewegung gekämpft haben. Tom Hayden, eine wichtige Persönlichkeit der Studentenbewegung, spricht wohl vielen Linken aus dem Herzen, wenn er zur Unterstützung des Movement that Obama Leads aufruft: „Barack Obama verleiht einem kollektiven Erwachen eine Stimme und einen Raum. Die sozialen Kräfte, die entfesselt wurden, übertreffen seine wildesten Erwartungen und könnten ihn weit über seine eigene moderate Agenda hinausdrängen."8
Damit einher geht bei vielen Linken die Annahme, dass Obama empfänglicher als alle anderen Präsidenten vor ihm für den politischen Druck der Graswurzelbewegungen sein wird. In dieser Lesart könnte Obama die Antikriegs-Demonstrationen Hunderttausender nicht einfach als Sonderinteresse von „focus groups" abtun bzw. ignorieren, so wie Bush es 2003 bei den Mobilisierungen gegen die Invasion des Iraks getan hatte. Bush wusste, dass keiner der Demonstranten je seine Stimme für ihn abgeben würde - was sich im Falle Obamas durchaus anders darstellen würde. Viele Linke argumentieren darüber hinaus, dass Obama einen ansehnlichen Teil seiner Kampagnenspenden in Form kleiner Beträge aus den Taschen seiner Wählerbasis erhalten hat. Er fühlt sich ihnen verpflichtet und es würde ihm im Falle einer Konfrontation mit Unternehmerinteressen den Rücken stärken. Folgt man diesem Argument, dann könnte sich Obama zu einer vergleichbaren Figur wie Franklin D. Roosevelt entwickeln. Zwar wird Obama von großen Teilen den wirtschaftlichen Eliten des Landes gestützt, doch zugleich könnte er sich ausreichend Unabhängigkeit und politische Visionen bewahren, um „progressive" Entscheidungen in Richtung eines neuen New Deals zu treffen - was freilich voraussetzt, dass die Linke ausreichend Druck auf ihn ausübt. Vor allem Obamas biographischer Hintergrund als Community Organizer und nicht zuletzt auch der progressive Ruf seiner Frau Michelle bestärken viele Linke in der Überzeugung, dass er empfänglich wäre für außerparlamentarischen Druck9
Widersprüche an der Basis
Obwohl Obama seinen Sieg einer außerordentlichen Wahl-Bewegung verdankt, ist er beileibe nicht aus dieser Bewegung hervorgegangen. Genau wie die Republikaner sind auch die Demokraten vor allem eine Partei des „big business". Barack Obama allein brachte es auf 640 Mill. Dollar Kampagnenspenden und ein erheblicher Teil kam, wie man sich bei dieser Größenordnung leicht vorstellen kann, von großen Unternehmen und mächtigen Einzelpersonen. Um auf die enormen Privatspenden zugreifen zu können, lehnte Obama gar die öffentliche Wahlkampffinanzierung und die damit verbundene Ausgabenbegrenzung ab.10 Finanzielle Unterstützung im großen Stil bekam Obama unter anderem von Anwalts- und Investmentfirmen, aus dem Bereich Real Estate und von der Computer- und Internet Industrie. Die Pharmaindustrie teilte ihre Parteispenden dieses Jahr einfach zu gleichen Teilen zwischen Republikanern und Demokraten auf - beide bekamen je 11 Mill. Dollar.
Die Tatsache, dass Obama und die Demokraten von wichtigen Kapitalfraktionen umworben und zugleich von großen Teilen der Linken unterstützt werden, führt zu einer merkwürdigen Situation. Vor allem, wenn man die Demokraten mit den Republikanern vergleicht. Das Wählerklientel der Republikaner sind konservative Christen, Rassisten, Abtreibungsgegner und Homophobe, Waffennarren und „Small Government" Libertäre. Sie repräsentieren eine numerische Minderheit in der US-amerikanischen Bevölkerung und daher muss die republikanische Partei sich aktiv um ihre Mobilisierung bemühen. Dies ist ihr möglich, weil die politischen Ansichten ihrer Klientel in keiner Weise eine Bedrohung für die mit den Republikanern verbundenen Kapitalinteressen darstellen, auch wenn sie von den wirtschaftlichen Eliten nicht unbedingt geteilt werden. Die soziale Basis der Demokraten dagegen ist deutlich größer und könnte potentiell durchaus sozialrevolutionäre Forderungen auf die Agenda setzen. Gewerkschaftsmitglieder, Schwarze, Latinos, Immigranten, Feministen, Schwule und Lesben, Umweltaktivisten, Bürgerrechtler, Sozialliberale, Friedensaktivisten und andere Linke sammeln sich mangels parteipolitisch relevanter Alternativen an den Wahlurnen der Demokraten. Das US-amerikanische Zweiparteien-System lässt ihnen einfach keine andere Wahl. Nicht ohne Grund haben die Demokraten daher Angst vor Teilen ihrer eigenen Wählerbasis.
Noch sind diese Gruppen jedoch weit davon entfernt, ein übergreifendes politisches Projekt zu formulieren. Zwar haben die Antikriegs-Proteste von 2003 und die Immigration Rights Demonstrationen von 2005 gezeigt, dass spezifische „issues" ein starkes Mobilisierungspotential entfalten - von einer linken sozialen Bewegung kann jedoch kaum die Rede sein. Weder sind die Proteste der vergangenen Jahre beständig, noch gibt es einen Konsens über eine gemeinsame politische Agenda. Ein gutes Beispiel dafür ist die gleichgeschlechtliche Ehe, die am 4. November in Kalifornien auf dem Wahlzettel stand. Obwohl Obama in Kalifornien mit 60% der Stimmen einen großen Erfolg erzielte, wurde die gleichgeschlechtliche Ehe hier mit knapper Mehrheit abgelehnt. Vor allem die überwiegend katholischen Latinos, die in den schwarzen Kirchen engagierten Afro-Amerikaner, aber auch andere Minderheiten stimmten zwar entlang ihrer Klasseninteressen, d.h. für die Demokraten und für Obama, zeigten sich aber zugleich sozial konservativ und torpedierten die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben.
Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass die Linke nur einen Teil der Obama Wähler darstellt. Auch konservative Demokraten, progressive Republikaner und andere Gruppen, die sich selbst nicht „der Linken" zurechnen würden, stimmten für Obama, bzw. gegen McCain. Ein Konfliktszenario, das davon ausgeht, dass Barack Obama zwischen Kapitalinteressen auf der einen Seite und den Interessen seiner Wähler auf der anderen entscheiden muss, sieht über die Widersprüche in der demokratischen Wählerschaft selbst hinweg. Mit einer starken linken Agenda würde der neue Präsident nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Eliten im Land vor den Kopf stoßen, sondern auch die konservativen Teile seiner eigenen Basis verärgern, die er doch für den Einzug ins Weiße Haus dringend benötigt hat.
Nicht zuletzt ist Obamas nationaler Diskurs - „We Are All United" - in hohem Maße problematisch. Mit seinem Nationalismus ebnet er genau diejenigen Klassenwidersprüche ein, die in der aktuellen Wirtschaftskrise aufbrechen und aus linker Perspektive aufgegriffen und thematisiert werden müssten. Obama hat ein offenes Ohr für die Probleme „der Mittelklasse", doch der im Englischen durchaus geläufige Begriff „Working Class" will ihm nicht über die Lippen kommen. Seine Rhetorik ist integrativ und vermeidet die Konfrontation entlang von Klassenidentitäten. Auch außenpolitisch hat das Folgen: Obama gibt den Amerikanern den nationalen Stolz wieder, der ihnen unter Bush abhanden gekommen ist. Dabei war der kollektive Scham über Guantánamo und Abu-Ghraib vielleicht gar nicht so schlecht. Doch anstatt die Anti-Bush Stimmung in einen Friedensdiskurs zu überführen, öffnet Obama nun Tür und Tor für einen „weichen US-Imperialismus" a la Clinton.
Die Weichen werden gestellt
Bereits zwei Tage nach seinem Wahlsieg ernannte Obama den ehemaligen Clinton Berater und konservativen Demokraten Rahm Emanuel zu seinem „Chief of Staff". Die Botschaft richtete sich vor allem an die Eliten im Land: Obama ist eine sichere Option - der Status quo ist nicht gefährdet. Und für den Fall, dass die linken Teile der demokratischen Basis es nicht verstanden hatten, interpretierte der Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Senat, Harry Reid, den Wahlsieg noch einmal für alle: „Obamas Sieg ist kein Mandat für eine bestimmte Partei oder für eine Weltanschauung, sondern ein Mandat, die Dinge, die uns trennen, zu überwinden, und uns darauf zu konzentrieren, die Arbeit anzupacken." (San Francisco Chronicle, 6. November 2008). Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin im Abgeordnetenhaus, beeilte sich hinzuzufügen: „Das Land muss aus der Mitte heraus regiert werden!" (ebd.). Kurz nach dem Wahlsieg haben die Demokraten damit begonnen, diesen politisch auszugestalten. Obama selbst hält sich weiterhin bedeckt. Und unter seinen Kampagnenaktivisten macht sich der erste Unmut breit, dass er seinen Beraterstab nun aus den Reihen ehemaliger Clinton-Mitarbeiter rekrutiert. In den nächsten Wochen werden die Weichen neu gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob die US-amerikanische Linke in diesen Prozess zu intervenieren vermag.
Endoten:
1 Alle Angaben in diesem Abschnitt nach New York Times vom 5. November 2008. Da die endgültigen Wahlergebnisse erst zwei bis drei Wochen nach den Wahlen vorliegen, ist noch mit kleineren Änderungen zu rechnen.
2 Eine weitere Wählergruppe, die verlässlich republikanisch gewählt hat, und der Partei abhanden gekommen ist, sind die US-amerikanischen Araber.
3 New England war bis in die 1970er Jahre hinein eine Hochburg der Republikaner.
4 Wir werden hier im Folgenden von einer „Wahl-Bewegung" in Abgrenzung zu einer sozialen Bewegung sprechen.
5 Association of Community Organizations for Reform Now (ACORN): http://www.acorn.org
6 Im offiziellen Sprachgebrauch: „Wirtschaftspopulismus"
7 Rückblickend war Obamas Erfolg in den Vorwahlen vielleicht sogar überraschender als sein Wahlsieg am 4. November. Zentral war dabei der Unterschied zwischen den Kampagnenstrategien der verschiedenen Kandidaten: Obamas Kampagne war nicht nur jung, zeitgemäß und technisch voll auf der Höhe, sie basierte auch auf den jahrzehntelangen Erfahrungen des Community Organizing. Der Slogan „yes, we can" nimmt explizit Bezug auf das berühmte „si, se puede" von César Chávez und auf die Kämpfe der United Farmworker der 1960er Jahre. Clintons Kampagne dagegen war strikt nach dem top-down Modell organisiert und hielt Anhänger von einer selbstständigen Beteiligung aktiv ab. Vgl. zu Obamas Organizing-Modell: http://www.inthesetimes.com/article/4024/cesar_chavez_and_the_roots_of_obamas_field_ campaign/ und http://www.huffingtonpost.com/zack-exley/the-new-organizers-part-1_b_132782.html
8 Tom Hayden: An Endorsement of the Movement Barack Obama Leads, 27. Januar 2008, http://www.huffingtonpost.com/tom-hayden/an-endorsement-of-the-mov_b_83478.html
9 Historiker haben argumentiert, dass Eleanor Roosevelt die treibende Kraft hinter vielen der progressiven Impulse war, die aus der Roosevelt Administration hervorgingen.
10 Alle Zahlen und Daten zu Partei- und Kampagnenspenden lassen sich auf der Website http://www.opensecrets.org nachlesen.
----------
Dieser Artikel erschien zuerst in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 153, 38. Jg., 2008, Nr. 4