Die "Persönlichkeitsrechte" der Bank

Mein kleines Buch "Der Bankier" über Alfred von Oppenheim geriet bereits ins Fadenkreuz der Bank Oppenheim, als es im Januar 2006 im Prospekt des kleinen Frankfurter

Nomen-Verlags angekündigt wurde. Die Bank verlangte, das Buch nicht zu veröffentlichen, da es erkennbar falsche Tatsachen enthalte. Aufgrund einer Äußerung während einer öffentlichen Veranstaltung in Köln erhielt ich Unterlassungsforderungen der Bank, ebenso kündigte die von der Bank beauftragte Berliner Anwaltskanzlei eine Verleumdungsklage an. Die Bank verfügt offensichtlich über ein hochsensibles Meldesystem.

Sofort nach Erscheinen des Buches im Mai 2006 erwirkte die Bank zwei wortgleiche Einstweilige Verfügungen, gegen den Verlag und gegen mich. In den 22 verbotenen Passagen des Buches geht es meist um Nebensächlichkeiten: Gibt es in keiner der Bankfilialen Bankschalter oder doch in einigen? Wurde der ehemalige Kölner Oberstadtdirektor Geschäftsführer in der Bank oder in einer Tochtergesellschaft? War die verstorbene Hauptfigur Alfred von Oppenheim Vorstandssprecher oder Sprecher des Aufsichtsrats und Aktionärsausschusses?

Daß solche Nebensächlichkeiten zum Gegenstand aufwendiger Gerichtsverfahren werden können, hat mit einer medienrechtlichen Entwicklung zu tun: Nicht nur Prominente, sondern auch Unternehmen können heute "Persönlichkeitsrechte" reklamieren, die sich auf harmlose Aussagen beziehen. Spezialisierte Medienanwälte beuten dieses neue Gebiet aus. Die von der Bank beauftragte Berliner Kanzlei Schertz Bergmann vertritt unter anderen Sabine Christiansen, Thomas Gottschalk, Joseph Fischer, Jürgen Schrempp (DaimlerChrysler), Thomas Middelhoff (Quelle), Heiner Lauterbach.

Das Verbot wichtigerer Passagen hat das Landgericht Berlin nach zwei Verhandlungen aufgehoben, zum Beispiel daß die Gesamtmiete für die Kölner Messehallen, errichtet von Oppenheim-Esch, die Stadt Köln circa 800 Millionen Euro kostet und nicht unter 700 Millionen, wie die Bank behauptet; oder daß ein früheres Familienmitglied, der Archäologe Max von Oppenheim, im Namen des Deutschen Reiches die Araber zum "Heiligen Krieg" aufhetzte. Auch darf es nun weiter heißen, daß es in den Filialen der Bank in Genf, Luxemburg, München, Berlin, Salzburg, Wien, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt und so weiter keine Bankschalter gibt.

Das Gericht gab acht der 22 verbotenen Passagen frei. Aus Kostengründen bin ich nur wegen vier der 14 weiterhin verbotenen Passagen in Berufung gegangen.

In der ersten Verfügung hatte das Gericht erlaubt, daß die gebundenen und vertriebenen Exemplare der Erstausgabe weiter verkauft werden dürfen, da die beanstandeten Stellen "von geringem Gewicht" seien. Die Bank teilte dies aber den Buchhändlern und Grossisten nicht mit, sondern drohte rechtliche Schritte für den Fall an, daß sie das Buch verkaufen. Sie stellte sogar einzelnen Buchhändlern die 22 Unterlassungsforderungen zu und forderte Unterschriften. Der Buchhandel verzichtete deshalb fast vollständig auf den Verkauf. Der Verlag stellte eine geschwärzte Fassung her. Aber auch das nützt nicht viel.

Wie die Einschüchterung der Buchhändler zeigt, bleibt es nicht beim herkömmlichen Vorgehen gegen den veröffentlichten Text. Die Bank und ihre Anwälte haben inzwischen zwei Dutzend juristische Verfahren gegen Verlag, Autor, Vorwortverfasser, die online-Zeitung neue rheinische zeitung (nrhz.de) und gegen zwei Prozeßbeobachter vor der Pressekammer des Landgerichts Berlin in Gang gesetzt. Dazu gehört die Schmerzensgeldklage über 15.000 Euro des Oppenheim-Anwalts, der sich durch einen Bericht beleidigt fühlt. Dazu gehört ein Antrag auf ein "empfindliches Ordnungsgeld", weil ich eine der verbotenen Passagen wiederholt haben soll. Die Schmerzensgeldklage und der Antrag auf Ordnungsgeld wurden vom Gericht abgewiesen; aber die Kanzlei und die Bank gingen in Berufung. Die 2. Instanz hat inzwischen ein Ordnungsgeld von 1.000 Euro verhängt.

Die geschwärzte Fassung des Buches enthält ein Vorwort von Professor Hans See (Ossietzky-Lesern durch gelegentliche Beiträge bekannt). Dagegen wurden drei Einstweilige Verfügungen erwirkt, jeweils wortgleich gegen See, gegen den Verlag und gegen nrhz.de. Gegen eine Bildunterschrift in der nrhz.de wurden ebenfalls zwei einstweilige Verfügungen erwirkt, mit der Begründung, darin sei aus einer e-mail der Kanzlei zitiert worden. Hier wird offensichtlich die "Methode Maschinengewehr" eingesetzt: Man ballert in die Gegend; die Beklagten werden eingeschüchtert, genervt, zeitlich und finanziell belastet.

Gerichte erlassen Einstweilige Verfügungen, ohne die Beklagten anzuhören. Als Entscheidungsgrundlage dient allein eine Eidesstattliche Versicherung, hier des Bankchefs Matthias Graf von Krockow. Selbst wenn das Gericht später einzelne Verfügungen aufhebt, wird bisher keine Konsequenz daraus gezogen, daß eine falsche eidesstattliche Versicherung unter schwerer Strafe steht.

Das Berliner Landgericht gibt zu, daß seine Geschäftsstelle unterbesetzt ist. Schriftstücke werden falsch und zu spät zugestellt, Fristen werden versäumt, Mahngebühren fallen an. Von Rechtssicherheit im Verfahren kann unter solchen Umständen nicht die Rede sein. Dennoch erläßt das Gericht Verfügungen wie am Fließband. Trotz Überlastung läßt es sich darauf ein, die Verfahren zu vervielfachen. Es setzt zum Beispiel am selben Tag zwei Verhandlungen an: 11.00 Uhr gegen den Verlag, 11.15 gegen den Autor. Das Gericht zieht dann zwar diese beiden Termine zu einem einzigen zusammen, da es um dieselben Textstellen geht; aber die Kosten für das Gericht und die Anwälte beider Seiten werden zweifach berechnet. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die "Terminsgebühr" eines Kölner Anwalts für einen Termin in Berlin wegen der langen Anreise ungefähr 900 Euro beträgt und dann zweimal berechnet wird!

Diese Methode hat absurde Folgen. So führten die drei wortgleichen Verfügungen gegen das Vorwort von See zu drei verschiedenen Gerichtsverfahren. Dabei kam es zu drei verschiedenen Urteilen - vom selben Gericht!

Wer ist die Bank Oppenheim, die bei Gericht "Persönlichkeitsrechte" geltend macht? Die öffentlich wenig bekannte Bank ist die größte Privatbank Europas. Sie gehört zum Herrschaftssystem der Bundesrepublik. Adenauers Finanzberater Pferdmenges, Teilhaber der Bank, organisierte seit den 1950er Jahren mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie die heimliche Finanzierung von CDU, CSU und FDP. Zu den gegenwärtig etwa 7.000 Bankkunden - Mindesteinlage: fünf Millionen Euro - gehört ein großer Teil der reichsten deutschen Familien; auch das Kölner Erzbistum und Harald Schmidt lassen hier ihr Vermögen verwalten. Die größte Spende für den Wahlkampf von Frau Merkels CDU kam von Oppenheim. Diese und andere wesentliche Aussagen des Buches bleiben unbestritten: die aktive Rolle der Bank bei Arisierungen; nach 1945 Unterschlupf für hochrangige Finanznazis; Aufnahme eines in den USA verfolgten Geldwäschers als persönlich haftender Gesellschafter; Vermögensdepot für den zeitweiligen Verteidigungsminister Scharping; Übernahme des ehemaligen Kölner Oberstadtdirektors als Geschäftsführer in ein Tochterunternehmen, mit dem er vorher langfristige Mietverträge ausgehandelt hatte; führende Rolle bei der unsozialen Privatisierung von Stadtwerken und öffentlichen Wohnungen. 2007 verlegte die Bank übrigens ihren juristischen Sitz in die Finanzoase Luxemburg.

Für zwei Verfahren gewährt ver.di bisher Rechtshilfe. Insgesamt sind bereits rund 50.000 Euro an Gerichts- und Anwaltskosten angefallen. Es wurde ein Solidaritätskonto eingerichtet: Pro Veritate, Kontonummer 530 024 73, Sparkasse Hanau, BLZ 506 500 23, Stichwort "Rügemer".
Werner Rügemer: "Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred von Oppenheim" mit Vorwort von Hans See und einer Chronologie der juristischen Auseinandersetzung, 3. überarbeitete geschwärzte Auflage, Nomen Verlag, Frankfurt/Main 2006, 134 Seiten, 14 Euro. ISBN 978-3-939816-00-3