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Themenschwerpunktseditorial

Nicht nur das Wetter spielt heutzutage verrückt. Auch bei der Diskursanordnung im Bereich Umwelt und Ökologie ist nicht mehr viel von den klaren Fronten übrig, die noch vor 20 Jahren bestimmend war

Nicht nur das Wetter spielt heutzutage verrückt. Auch bei der Diskursanordnung im Bereich Umwelt und Ökologie ist nicht mehr viel von den klaren Fronten übrig, die noch vor zwanzig Jahren bestimmend waren. Beim jüngsten Weltwirtschaftsforum in Davos waren es Großkonzerne wie Coca Cola und Nestlé, die im Stile einer Umweltorganisation vor einer "globalen Wasserkatastrophe" warnten. Als einer der Hauptgründe für den drohenden Mangel nannten sie den bewässerungsintensiven Anbau von Pflanzen, aus denen Diesel und Benzin hergestellt wird. Selbst entwicklungspolitische Aspekte hatten die Konzerne im Blick. "Die Regierungen versuchen, das Energieproblem zu lösen, indem sie das Nahrungsmittelproblem verschlimmern", kritisierte der Nestlé-Vorstandsvorsitzende Peter Brabeck in Davos die Klimapolitik der Industriestaaten, die derzeit den Anbau von Treibstoffpflanzen massiv fördert.

Ganz wie ein Industrielobbyist argumentiert hingegen der frühere grüne Umweltminister Jürgen Trittin, der seine politische Karriere einst bei der Anti-Atom-Bewegung begonnen hatte. Er versucht in der umweltbewegten Zeitschrift politische ökologie die Bedenken gegen die "Biotreibstoffproduktion" in Ländern des Südens klein zu reden: sie könne "neue Einkommensmöglichkeiten schaffen" und so "volle Tanks und volle Mägen" ermöglichen. Mit stärkerer Mechanisierung des Anbaus lasse sich die "Energieausbeute noch weiter steigern", Ziel ist schließlich, die "individuelle Mobilität der Weltbevölkerung" weiter zu gewährleisten. Mögliche ökologische und soziale Probleme ließen sich durch den "Königsweg Zertifizierung" in den Griff bekommen.

Die rasant wachsende Produktion von Pflanzentreibstoff (siehe S. 28 in diesem Themenschwerpunkt) ist nicht das einzige Beispiel dafür, wie Industrie und Politik sich in den vergangenen zwei Dekaden des Umweltproblems bemächtigt haben. Der Handel mit Emissionszertifikaten (siehe S. 32), die Solartechnik, die Windkraftparks, die Feinstaubfilter und vieles mehr zeugen ebenfalls davon, dass regenerative Energien und umweltfreundliche Maßnahmen längst die alternative Nische verlassen haben und den nächsten "big emerging market" generieren. Und auch die KonsumentInnen ziehen mit beim Öko-Wettbewerb (siehe S. 23).
Man könnte sich darüber freuen, dass Umweltverträglichkeit zum Mainstream geworden ist. Doch diese Freude will partout nicht einkehren. Im Gegenteil, die Grundthese dieses Themenschwerpunktes lautet: Umweltpolitik und die als "umweltfreundlich" angepriesenen Technologien sind selbst zum großen Problem geworden. Sie erfordern Kritik und sogar Gegenwehr. Warum? Weil die gängigen Maßnahmen und Technologien bestenfalls nichts bringen, weil sie meist neue Umweltschäden verursachen, vor allem aber, weil sie so gut wie keine Rücksicht nehmen auf die soziale Lage der Mehrheit der Weltbevölkerung. Die gegenwärtige technologiefixierte "Umweltfreundlichkeit" kann sich nur leisten, wer zahlungskräftig ist. Das ist bei der Zweitakt-Mopedfahrerin im indischen Pune nicht grundsätzlich anders als bei der gering verdienenden Kölner Familie, die ihr altes Auto nun wegen der "Umweltzone" verschrotten muss.
Die hegemonialen Formen des Umwelt- und Klimaschutzes sind voll und ganz marktkonform - und da zählen betriebswirtschaftliche Werte, ökologische hingegen nur, wenn sie sich monetarisieren lassen. Deswegen wird die Agrartreibstoffbranche auch weiterhin expandieren, trotz aller Kritik, die inzwischen von sehr vielen Seiten vorgetragen wird. Denn inzwischen gibt es einen - großteils politisch geschaffenen - Markt für Pflanzentreibstoffe, und kaum etwas ist beständiger als ein lukrativer Markt. Die Ökobewegung muss sich zum Vorwurf machen, die Gefahren der marktförmigen industriellen Adaption ihrer Forderungen nach alternativen Energien unterschätzt und lediglich die Potenziale betont zu haben. Die rührigen Öko-Pioniere der 1980er Jahre haben nicht an Gentech-Monokulturen gedacht, als sie von nachwachsenden Rohstoffen schwärmten. Dass sie nicht damit rechneten, rächt sich nun bitter.

Ganz so ver-rückt ist die Diskursanordnung in der Umweltdebatte übrigens doch nicht, dass man jetzt schon Konzerne loben muss. Wenn ein Nahrungsmittelgigant wie Nestlé die Agrartreibstoffbranche kritisiert, hat das mit der Konkurrenz um Ressourcen und Flächen zu tun. Und wenn wie jüngst in Davos die ManagerInnen laut darüber nachdenken, ob die Bauern und Bäuerinnen vielleicht einen Preis für den Regen zahlen sollten, der auf ihre Felder fällt, und ob nicht börsengehandelte Wasserzertifikate eingeführt werden sollten, dann hat sich nichts Grundlegendes an der Verwertung der Welt geändert.

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