Post-kapitalistische Landwirtschaft

Potentiale, Probleme und Perspektiven

Nicht-kommerzielle Landwirtschaft, Community Supported Agricul­ture (CSA), Solidarische Landwirtschaft, Wirtschaftsgemeinschaften... In den letzten Jahren hören wir vermehrt von Modellen landwirtschaftlicher Produktion, die scheinbar versuchen, die Bedürfnisse der Menschen statt ihrer Verwertung in den Mittelpunkt zu stellen.

 

Von kurzweiligen Experimenten bis zu großen Höfen, die bereits seit Jahrzehnten gut funktionieren, reicht die Vielfalt. Auch was die weltanschaulichen Hintergründe der Menschen betrifft, spannt sich ein Bogen von der Anthroposophie bis zur Wertkritik. Entsprechend wichtig ist ein Dialog. Dieser Artikel ist ein Versuch aus persönlicher Perspektive, jene Potentiale aus diesen Projekten herauszuschälen und zu stärken, die mit der kapitalistischen Logik brechen und Perspektiven aufzeigen.

 

Ernährungsautonomie

Alle Projekte versuchen, eine mehr oder weniger nicht-wa­renförmige und verbindliche Versorgung von Menschen sicher zu stellen. Denn diese formulieren ihr Bedürfnis nach be­stimmten Lebensmitteln und tragen je nach ihren Möglichkeiten entweder Geld, Ressourcen und / oder Fähigkeiten bei und werden versorgt.

Wie stark oder ob diese Koppelung von Geben und Nehmen überhaupt existiert variiert zwischen den Projekten.

Aber erst durch die Freiwilligkeit der Gabe und die unbedingte Bedürfnisbefriedigung werden wirkliche Brüche mit der kapitalistischen Logik produziert. Das politische Potential läge nämlich dann darin, dass konkret gezeigt wird, dass jenseits des Tauschverhältnisses im Kapitalismus eine Befriedigung menschlicher Bedürfnisse möglich ist, die womöglich besser als selbige funktioniert. Ganz ohne Ausschluss, Überschuss und Verschwendung.

 

Bedürfnisbefriedigung der Produzierenden

Jene, die viel Zeit in die landwirtschaftliche Produktion stecken (z.B. BäuerInnen), äußern ebenfalls ihre durch das Projekt geweckten Bedürfnisse (auch die finanziellen d.h. den „Lohn“).

Deren Befriedigung wird dann innerhalb des Projektes durch die eben erwähnten Beiträge im Vorhinein, oft auf ein Jahr, zugesagt. Dies schafft die Möglichkeit in Sicherheit und Freiheit landwirtschaftlich tätig zu sein, jenseits kapitalistischer Formen von Selbständigkeit und Lohnarbeit.

Die Verteilung erfolgt mit Unterstützung durch das Netzwerk und die Aufbereitung der Lebensmittel pragmatisch und nicht nach industriellen Normen (Stichwort: „krumme Gurken“). Die Verantwortung und (klimatischen) Risiken der Landwirtschaft werden geteilt und lasten nicht mehr auf den Schultern der Produzierenden allein.

 

Kapitalismus kollektiv verlernen

In den Projekten treten Menschen in ein mehr oder weniger nicht-kapitalistisches Verhältnis zueinander. Eine neue Vergesellschaftung entsteht.

Mit dem Wegfallen von Geld- und Tauschwert kann mit neu­en Formen von Wertschätzung experimentiert werden. Der „Lohn“ kann von der „Arbeitszeit“ entkoppelt und nach Bedürfnissen ausgerichtet werden.

Durch die Absicherung im Voraus können Anbauweise und Arbeitsabläufe frei bestimmt werden. Arbeitszeit muss nicht mehr normiert werden. Konflikte und Probleme brauchen nicht mehr individualisiert und „auskonkurriert“ werden, sondern können, wenn gewollt, kollektiv reflektiert werden.

 

Selbstermächtigung von „DilettantInnen“ im Produktions- und Verteilungsprozess

Jenen, die bisher in einem entfremdeten Verhältnis zur landwirtschaftlichen Produktion gelebt haben, wird in unterschiedlichen Ausprägungen die Chance gegeben sich selbst im Produktionsprozess zu ermächtigen. Sei dies nun „nur“ durch die Mitbestimmung da­ran, was, wie und in welcher Menge produziert wird, durch „bloße“ Mithilfe unter Anleitung eines Anbauteams; oder durch volle Verantwortungsübernahme in einer Produktion, die durch kooperierende Ar­beitsgruppen organisiert wird.

In jedem Fall kann mit der Entfremdung zu Produkt und Produzierenden gebrochen und an der Aufhebung der Konsu­mentInnen-Rolle gearbeitet werden.

 

Ökologische Landnutzung

Während sich verwertende Betriebe durch Preisdruck ihre ökologischen Anbaumethoden schrittweise „konventionali­siert“ haben, können post-kapitalistische Kollektive eine kli­magerechte und humusaufbau­ende Landnutzung weiterentwickeln. Da es nicht mehr aus jedem Stückchen Land möglichst viel Profit rauszuquetschen gilt, können extensivere und schonendere Methoden angewandt, eine vielfältigere Produktpalette erzeugt werden.

Je nach Interessen der Beteiligten kann auch bedürfnisorien­tierte Technik entwickelt oder arbeitsintensive aber sinnvolle Anbaumethoden mit Hilfe von UnterstützerInnen umgesetzt werden. Gleiches gilt etwa für die Verteilung der Produkte, die bei einigen wenigen Projekten mit Lastenfahrrädern erfolgt, was unter einem ökonomischen Primat nicht umsetzbar wäre.

 

Politische Überfrachtung

Viele Menschen wollen einen Bezug zu Ihrem Essen, eine regionale, ökologische Landwirtschaft unterstützen und Kontakt zu den Produzierende.

Auf das hier erwähnte politische Geplänkel habe sie keine Lust.

Das ist legitim. Denn am Aspekt der faktischen Ernäh­rungsau­tonomie, die sie mit ermöglichen, ändert dies ja nichts.

 

Transparenz der Beiträge

Sollte es für alle am Projekt Beteiligten transparent sein, was die anderen monetär und auch an Fähigkeiten und Ressourcen zum Projekt beigetragen haben? Oder sollten diese Informationen anonym bleiben?

Welche Rolle spielt hier sozialer Druck und unterschiedliche Privilegien der Beteiligten? Wer wird damit sichtbar gemacht? Diejenigen, die wenig gegeben haben? Wer bleibt unsichtbar Diejenigen, die mehr hätten geben können?

 

Verinnerlichter Kapitalismus

Auch wenn die äußeren Zwänge zur Verwertung wegfallen, betreiben wir sie zwischen uns weiter. Wie im Hamsterrad.

Wir brauchen Räume im Projekt um aus dem Rad auszusteigen. Um ideologiedurchtränkte Ge­rechtigkeitsbegriffe („alle kriegen und arbeiten das Gleiche“), normierte Arbeit und Arbeitszeit („ein Arbeitstag hat 8 Stunden“) und Selbstaufopferung fur das Projekt, zu reflektieren.

 

Geschlechterverhältnisse

Ähnlich steht es um patriarchalische Verhaltensmuster. Wir müssen immer wieder bewusst die Gender-Brille aufsetzen: Wer macht die Reproduktionsarbeit für die auf dem Acker Tä­tigen? Wer verrichtet welche Arbeiten auf dem Acker? Gibt es Räume für geschlechtsspe­zifische Ermächtigung oder gehen diese im stressigen Land­wirtschaftsalltag unter?

 

Lustprinzip und Verantwortung

Das Ziel der Ernährungsauto­nomie bringt auch das Laster der Verantwortung mit sich.

Menschen wollen essen. Und das kann bedeuten bei -20 Grad Grünkohl ernten statt Tee schlürfen oder bei 35 Grad bewässern statt in den See hüpfen. Aber irgendwann ist auch Schluss. Das gilt es zu respektieren. Seine Grenzen zu kennen und für sich eine Balance zu schlagen zwischen Lustprinzip und Verantwortung ist keine einfache Herausforderung.

 

Aneignung von Produktionsmitteln

Wie gelangen wir an Hof, Land und Produktionsmittel?

Besetzungen sind möglich, aber oft zu prekär für auf Dauer angelegte Projekte. Allgemein kann mangelnde Infrastruktur die landwirtschaftliche Arbeit unattraktiv machen. Hier gilt es ehrlich mit sich zu sein und Netzwerke zu nutzen, Infrastruktur kollektiv Instand zu setzen und eventuell auch das notwendige Kapital zu mobilisieren um die Arbeitsbedingun­gen zu verbessern.

Anschließend gilt es, diese Ressourcen auch formal zu entprivatisieren und für den Zweck der Nicht-Kommerzialität langfristig zu sichern.

 

Grenzen der Entmonetarisierung

Mittelfristig können Projekte zwar versuchen, weitgehend autonom zu produzieren (eigene Verarbeitung, Treibstoffe etc.). Aber solange die Projekte auf finanzielle Beiträge von au­ßen angewiesen sind, basieren sie in zweifacher Hinsicht auf kapitalistischer Verwertung: Nämlich auf Geld aus verwerteter Arbeitskraft der Unterstüt­zerInnen, dass dann wiederum ausgegeben wird für den Einkauf kapitalistischer Erzeugnisse (Diesel, Saatgut etc.).

 

Fehlende Selbstorganisation

Leisten Leute im Projekt ehrenamtliche Arbeit, dann konkurriert diese mit ihrer Lohnarbeits- oder Freizeit. Deshalb mangelt es oft an Selbstorganisation bei den UnterstützerInnen. Hier gilt es, transparent zu machen, was Menschen brauchen, um sich aktiv einbringen zu können und diese Grundlage zu schaffen, um Partizipation zu ermöglichen.

 

Zugang zu den begrenzten nicht-warenförmigen Gütern

Die Menge an Gütern, die an Menschen abgegeben werden kann, ist durch die Kombination von zur Verfügung stehendem Land und Anbaumetho­den begrenzt. Hier drängt sich die Frage auf, wer dann Zugang zu diesen begrenzten Gütern bekommt. Klar liegt es auf der Hand bei entsprechender Nachfrage neue Projekte zu starten. Allerdings mag dies nicht immer möglich sein. Dann braucht es einen horizontalen Aushandlungsprozess.

 

Projektinterne Strukturen und Kommunikation

Um eine funktionierende Produktion aufzubauen braucht es anpassungsfähige und auf jeden Fall transparente Strukturen. Seien dies eine feste Hofgruppe und ihre UnterstützerIn­nen oder ein Netzwerk bestehend aus AGs, die die gesamte Produktion horizontal selbst or­ganisieren.

Die Aufgabenverteilung und Verantwortungen müssen klar sein. Ebenso braucht es regelmäßige direkte, funktionierende Kommunikation und Koordination am besten durch physische Treffen.

 

Prozess- und/oder Zielorientierung

Es kann zu Situationen kommen, in denen das Ziel (Ernäh­rungsautonomie) mit einem zweifelhaften Prozess erreicht wird (Selbstaufopferung).

Oder umgekehrt, dass bei zu viel Prozess nix mehr hinten rauskommt. Da hier die persönlichen Wahrnehmungen und Prioritäten bei den Beteiligten unterschiedlich sind, gilt es da­rauf acht zu geben, auf welcher Stelle sich das Projekt auf diesen beiden Skalen (Prozess- und Zielorientierung) bewegt.

Kommen wir mit unserer jetzigen Organisationsform der Verantwortung nach, die wir dem Boden und nachfolgenden Generationen gegenüber tragen? Woran messen wir den Erfolg unseres Projektes?

Wann scheitern wir? Welche Rolle spielt „Professionalität“ in unserem Projekt? Wie fühlen sich fachfremde Kollektiv-Mitglieder in einem von Profis dominierten Produktionsprozess?

Wie fühlen sich die Fachmen­schen, also LandwirtInnen und GärtnerInnen, in einem Haufen tatenhungriger Landwirtschafts-DilettantInnen, die gleichberechtigt mitbestimmen wollen? Wie kann bei hoher Fluktuation das so wichtige Er­fahrungswissen gesammelt werden? Wie wird hier vermieden, dass das Rad immer neu erfunden werden muss?

Ist die langfristige Verantwortung, die nötig ist für eine landwirtschaftliche Produktion, in einem losen Netzwerk organi­sierbar? Wer behält den Überblick über das Gesamtsystem der Fruchtfolge?

Wer will überhaupt wie stark involviert sein? Was für Motivationen haben die Einzelnen?

 

Subkulturalisierung

Oft reichen die Projekte nicht über eine bestimmte Szene, ein bestimmtes Milieu hinaus. Dominant sind oft Menschen mit bildungsbürgerlichem Hintergrund.

Formal gibt es zwar oft wenige oder gar keine Zugangsbeschränkungen. Aber wer erfährt von dem Projekt? Welche Informationen gelangen wohin? Und wie offen und einladend sind unsere Räume wirklich für Menschen aus anderen Milieus? Wie können wir unsere Projekte attraktiv und relevant machen für Menschen, die „eigentlich andere Probleme ha­ben“? Wie kann eine Zusammenarbeit mit zum Beispiel Erwerbslosen- und Flüchtlingsinitiativen und MigrantInnen-Selbstorganisation aussehen?

„Preguntando caminamos – Fragend schreiten wir voran“

 

Jan-Hendrik Cropp


Netzwerke:

Netzwerk Solidarische Landwirtschaft: www.solidarische-landwirtschaft.org

Reclaim the Fields: www.reclaimthefields.org/

 

Gruppen / Projekte:

Übersicht über verschiedene CSAs:

www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2012/vanElsen_Kraiss.pdf

Buschberghof – Ältester CSA-Betrieb Deutschlands: http://buschberghof.de/

GartenCoop – CSA-Projekt in Freiburg mit explizit politischem Anspruch: www.gartencoop.org/freiburg/

Stadt Land Garten – Nicht-kommerzielle Landwirtschaft bei Greifswald: https://we.riseup.net/stadt_land_garten

 

Zum Weiterlesen:

www.streifzuege.org/2011/die-post-revolutionaere-moehre-hier-und-jetzt/

www.streifzuege.org/2012/landnutzung-ein-stueck-weit-demonetarisieren-eine-arbeitsvorlage

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 370, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 41. Jahrgang, Sommer 2012, www.graswurzel.net