Probleme und Chancen einer Revitaliserung der Gewerkschaften
Für die Gewerkschaften ist die Fähigkeit einer hinreichenden Mobilisierung von Machtressourcen die Voraussetzung dafür, sich als Mitspieler in den Konfliktarenen etablieren und behaupten zu können
Die Nutzung von Freiräumen für strategische Entscheidungen der Gewerkschaften setzt die Berücksichtigung einer zentralen Erkenntnis voraus: Der Erkenntnis nämlich, dass sich der Übergang zum Finanzmarkt-Kapitalismus über machtbasierte Verteilungs- und Aushandlungskonflikte vollzieht. Daher ist auch für die Gewerkschaften die Fähigkeit einer hinreichenden Mobilisierung von Machtressourcen die Voraussetzung dafür, sich als Mitspieler in den Konfliktarenen etablieren und behaupten zu können. Insofern kommt der Frage, wie die Gewerkschaften wieder zu ausreichender Verhandlungs- und Verteilungsmacht gelangen, eine Schlüsselrolle zu. In einer Gesellschaft, in der über den Ausweg aus einer gesellschaftlichen Strukturkrise in beinharten Macht- und Verteilungskämpfen entschieden wird, stößt auch die Kraft attraktiver Zukunftsvisionen schnell an Grenzen. Hier geht es letztlich um Machtfragen. Ob dem in die Krise geratenen Wohlfahrtsstaats-Kapitalismus dauerhaft der neoliberale Finanzmarkt-Kapitalismus folgt, oder ob ein neues Modell eines re-regulierten, neo-sozialen Entwicklungsmodells möglich ist, wird letztlich über soziale Kämpfe und politische Aushandlungsprozesse entschieden.
1. Erneuerung des politischen Mandats im neuen Kapitalismus
Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung wäre eine umfassende Debatte, wie die Gewerkschaften sich strategisch auf die Höhe der Zeit hinaufarbeiten können. Dies liefe nicht zuletzt auf eine Erneuerung des politischen Mandats hinaus. Doch was ist damit gemeint? Erneuerung des politischen Mandats heißt nicht, aufgrund der Probleme in der Betriebs- und Tarifpolitik diese Handlungsfelder abzuwerten und sich statt dessen stärker den sogenannten politischen Fragen etwa der Wirtschafts-, Sozial und Gesellschaftspolitik zuzuwenden. Das wäre fatal. Eine Gewerkschaftsbewegung, die ihre betriebliche Verankerung und die Fähigkeit einbüßt, in der Betriebs- und Tarifpolitik mit und für die Lohnabhängigen interessenpolitische Erfolge zu erkämpfen, wird früher oder später insgesamt an Politikfähigkeit verlieren. Sie wird letztlich auch in der Gesellschaft und gegenüber den Vertretern des Staates zum "zahnlosen Tiger". Denn trotz aller Veränderungen in der Gestalt des Kapitalismus: Die zentrale Machtressource der Gewerkschaften ist und bleibt ihre Fähigkeit, im Bedarfsfall durch kollektive Gegenwehr in Form der Verweigerung von Arbeitskraft den gesellschaftlichen Kapitalverwertungsprozess zu unterbrechen - also zu streiken! Und eine Organisation, die den Kontakt zur betrieblichen Basis und zur Vertretung der Lohnarbeitsinteressen in den betrieblichen und tariflichen Verteilungskämpfen verliert, verliert schnell auch diese Machtressource. Natürlich brauchen die Gewerkschaften in der modernen Arbeitswelt und Gesellschaft auch andere Kompetenzen, die etwa in konkreten Sachkonflikten konstruktive gewerkschaftliche Gestaltungsmacht begründen. Natürlich brauchen sie Repräsentanten, die über fachliche und soziale Kompetenzen verfügen und diese in die Lösung konkreter Konflikte einbringen. Doch ohne politische Durchsetzungsmacht, die niemals nur auf der Kraft guter Argumente und Gestaltungskonzepte beruhen kann, bleiben die Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt.
Integrierter Strategieansatz
Die Kraft der Gewerkschaften muss also auf der Verankerung unter den Lohnabhängigen in den Betrieben aufbauen und dort ihren Ausgang nehmen. Aber aufbauen und beginnen heißt auch: sie darf dort auch nicht verharren! Die Gewerkschaften hätten ebenfalls schnell erhebliche Einbußen an gewerkschaftlicher Interessenvertretungskraft hinzunehmen, würden sie sich auf die gewerkschaftlichen Kernfelder der Betriebs- und Tarifpolitik konzentrieren und sich aus der Gesellschafts-, Wirtschafts-, Beschäftigungs-, Sozial- und Bildungspolitik zurückziehen.
Dies lässt sich beispielhaft an dem Zusammenhang zwischen tariflicher Einkommenspolitik und Fragen der Steuer- und Sozialpolitik illustrieren. In den letzten Jahren ist die reale Einkommensposition der abhängig Beschäftigten in erheblichem Maße durch steuerpolitische Umverteilung und die Privatisierung von Leistungen in der Renten- und Krankenversicherung im Rahmen des Bruchs der paritätischen Finanzierung beeinträchtigt worden. Insbesondere die Zusatzbelastungen durch steigende Sozialversicherungsbeiträge sowie Zuzahlungen für Gesundheitsleistungen und private Zusatzversicherungen für die Altersvorsorge haben die Nettoergiebigkeit der arbeitnehmerischen Bruttoeinkommen erheblich belastet. Angesichts der für die Gewerkschaften im Finanzmarkt-Kapitalismus schwierigen machtpolitischen Kräfteverhältnisse wäre die tarifliche Einkommenspolitik der Gewerkschaften heillos mit dem Anspruch überfordert, diese Belastungen auszugleichen und darüber hinaus ein Minimum an Reallohnzuwächsen zu sichern. Der Verzicht auf die Einflussnahme steuer- und sozialpolitischer Entscheidungen wird also mit einer potenziellen Entwertung gewerkschaftlicher Tarifpolitik erkauft.
Kein Rückzug auf das "Kerngeschäft"
Zugleich liefen die Gewerkschaften bei einem Rückzug auf ihr "Kerngeschäft" Gefahr, zu dem zu degenerieren, was ihnen von interessierter Seite immer wieder vorgeworfen wird: Zu einer Lobby relativ privilegierter Beschäftigtengruppen, die ihren historisch erkämpften Anspruch auf eine klassenübergreifende Interessenvertretung sowie eine aktive Beteiligung an der Gesellschaftsgestaltung preisgibt und sich an der Vertretung von Arbeitslosen, Familien und Ausgegrenzten wenig interessiert zeigt. Damit verlören sie die Fähigkeit, die umfassenden politischen Reproduktionsinteressen der Lohnabhängigen zu vertreten und letztlich auch die Berechtigung zu einem gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsanspruch.
Ein auf der Höhe der kapitalistischen Gesellschaft stehendes Verständnis der Erneuerung des politischen Mandats muss also auf einen integrierten Strategieansatz setzen. Er muss berücksichtigen, dass die Gewerkschaften ihre Durchsetzungsmacht in den gewerkschaftlichen Kernfeldern generieren müssen, dass sie diese Macht aber in die Arenen der Gesellschaft und der Politik hinein verlängern müssen, wollen sie auf der Grundlage eines umfassenden Politikkonzeptes agieren und auch die Interessen derjenigen Bevölkerungsgruppen vertreten, die über die Betriebe nicht (mehr) zu erreichen sind.
2. Handlungsfelder und Strategien gewerkschaftlicher Revitalisierung
Wie ließe sich ein solcher integrierter Ansatz einer gewerkschaftlichen Revitalisierungsstrategie konkretisieren?
Neuausrichtung der gewerkschaftlichen Betriebspolitik
Zunächst geht es um die machtpolitische Neufundierung im gewerkschaftlichen Kernfeld der Betriebspolitik unter den Bedingungen des Shareholder-Regimes und der Exit-Option des Kapitals. Die evidenten Tendenzen zur Verbetrieblichung von tarif- und beschäftigungspolitischen Anforderungen stellt die Gewerkschaften vor die Aufgabe, über ihre betriebliche Re-präsentanz und betriebspolitische Verankerung neu nachzudenken. Dabei dürften die immer sichtbarer werdenden Probleme des betrieblichen Co-Managements Ansatzpunkte einer neu orientierten Betriebspolitik darstellen. So mehren sich die Anzeichen für Legitimationsverluste und Repräsentationskrisen der betrieblichen Interessenvertretungen, die auf materielle Zugeständnisse im Rahmen betrieblicher Co-Management-Strategien setzen.
Mehr noch: Zunehmende Mitgliederbindungen und Ansätze einer wieder erfolgreicheren Interessenpolitik scheinen eher mit offensiven, konfliktbereiten und auf Mitgliedermobilisierung setzende Strategien einherzugehen. Hier stehen die Gewerkschaften offenbar vor der Notwendigkeit eines grundlegenden Wechsels. Wenn auf betrieblicher Ebene "die Dekade des Co-Management ihrem Ende entgegensieht" (Britta Rehder), dann sollten auch die Gewerkschaften nach neuen, betriebspolitischen Strategieempfehlungen fahnden. Der Versuch einer schlichten Reaktivierung der traditionellen gewerkschaftlichen Vertrauensleutearbeit dürfte ebenso unzureichend sein wie moralische Appelle an das gewerkschaftliches Selbstverständnis der Betriebsräte. Gefragt sind vielmehr neue Formen unmittelbarer gewerkschaftlicher Repräsentanz in den Betrieben und neue Modelle der Kooperation zwischen Gewerkschaften, betrieblichen Interessenvertretungen und Belegschaften.
Mit Blick auf die Stärkung der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht in den Unternehmen bedarf es zugleich einer Einflussnahme auf die Kontextbedingungen. Heute existiert eine mikroökonomische Anreizkulisse, die Standortverlagerungen aus Dumping-Gründen für die Unternehmen äußerst attraktiv macht. Notwendig wäre hier ein verstärkter politischer Druck auf die politischen Entscheidungsträger, vor allem auf europäischer Ebene, Tarif-, Sozial- und Steuerstandards dergestalt einander anzugleichen, dass von ihnen keine kontraproduktiven Dumping-Anreize ausgehen. Das muss keineswegs in einem perspektivlosen Standort-Nationalismus enden. Die unterschiedlichen Produktivitätsniveaus der einzelnen Länder und berechtigte Aufholinteressen der Lohnabhängigen in diesen Ländern können durchaus Berücksichtigung finden. Das würde z.B. auf eine europäische Unternehmens-Steuerpolitik hinauslaufen, die einheitliche Regeln mit Blick auf die Definition der Bemessungsgrundlage, der Mindestsätze und sachgerechte Unternehmenssteuertarife anvisiert.
Stärkung der transnationalen Gewerkschaftsstrukturen
Hinzukommen muss die Korrektur des vertretungspolitischen Machtgefälles zwischen den einzelnen Standorten und Regionen. Hier geht es um den Ausbau der inner- wie außerbetrieblichen Kommunikations- und Interessenvertretungsstrukturen. Wichtige Ansatzpunkte bieten die europäischen und Weltbetriebsräte, aber auch die Stärkung der transnationalen Gewerkschaftsstrukturen und Dachverbände. So könnten Kämpfe gegen Dumping-Verlagerungen - wo sinnvoll - auch mit der Forderung geführt werden, Verlagerungen nicht gänzlich zu verhindern, eine Zustimmung aber an Zusagen für gewerkschaftliche und Arbeitnehmerrechte zu koppeln. In konzernweiten Verlagerungsvereinbarungen wäre dann der freie Zugang von Gewerkschaften in den neuen Standorten, die Verpflichtung der Arbeitgeber auf Tarifbindungen und die Anerkennung betrieblicher Einflussrechte zu kodifizieren. Ein solcher "Union-and-Regulations-Transfer" müsste allerdings um konzernweite Strategien der Aufteilung von Entscheidungsbefugnissen sowie der fairen Zuteilung von Vor- und Nachteilen zwischen allen Beteiligten ("Gain-and-Pain-Sharing") ergänzt werden. Dabei handelt es sich um konzerninterne "Solidaritäts-Pakte", die einen Solidarausgleich zwischen allen beteiligten Akteuren organisieren, der aus den realisierten Arbitrage-Gewinnen des Unternehmens gespeist werden kann.
Politisierung der betrieblichen Konflikte um Tarifstandards
Auch mit Blick auf den unverzichtbaren Ausbau tarifpolitischer Konfliktfähigkeit gewinnt die Betriebsebene an Bedeutung. Durch die zunehmende Öffnung kollektiver Tarifregelungen für betriebsspezifische Abweichungen stellt sich die Frage nach einem neuen Verhältnis überbetrieblicher Standards und betrieblicher Diversifizierungen. Dabei dürfte der einfache Ausweg einer forcierten Verbetrieblichung tarifvertraglicher Regelungen schnell in die Irre führen. Denn oftmals erweisen sich Interessenvertretungen und Belegschaften in krisengeschüttelten Betrieben in der Regel als zu schwach, die notwenige Verhandlungsmacht zu mobilisieren.
Um dem Trend zunehmender Abweichungen vom Flächenvertrag entgegenzuwirken, wäre zum Einen eine höhere Verbindlichkeit bei Verfahren und inhaltlichen Kriterien der tarifpolitischen Koordinierung sinnvoll. Es geht um gemeinsame Richtlinien der Auslegung geltender Tarifregelungen und damit auch der Zulässigkeit von abweichenden Regelungen - letztlich mit dem Ziel ihrer Minimierung. Zugleich geht es um Ansätze einer betriebspolitischen Stabilisierung des Flächentarifvertrags. Hier liegen ambivalente betriebliche Praxiserfahrungen vor, die kritisch reflektiert und zu strategischen Konzepten weiterentwickelt werden müssen. Nicht zuletzt geht es um die systematischere Einbeziehung der Belegschaften in die Verteidigung des Flächentarifvertrags und die Vereinbarung abweichender Regelungen. Sollten sich aufgrund manifester betrieblicher Krisen abweichende Regelungen nicht verhindern lassen, wäre Maßnahmen einer mobilisierungs- und beteiligungsorientierten Betriebspolitik Priorität einzuräumen (Gründung betrieblicher Tarifkommissionen, mobilisierungsorientierte Einbeziehungen der Belegschaften in Aktionen, Aktivierung der regionalen Öffentlichkeit usw.). Dass auch bei der Verteidigung tariflicher Standards die Transnationalisierung der gewerkschaftlichen Kommunikations- und Koordinierungsstrukturen unverzichtbar ist, bedarf keiner intensiveren Begründung. Dies gilt innerhalb wie außerhalb der transnationalen Konzerne.
3. Rückgewinnung des gewerkschaftlichen Einflusses in den politischen Arenen
Für gewerkschaftliche Interessenvertretung ist Einfluss auf das Regierungshandeln unverzichtbar, weil die Vertretung der Reproduktionsinteressen der Arbeitskraft auf die Durchsetzung außerbetrieblicher allgemeingesetzlicher Regelungen angewiesen ist. Der Einflussverlust der Gewerkschaften in den politischen Arenen hat vielfältige Ursachen. Hingewiesen wurde bereits auf den grundlegenden Wandel im Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Im Selbstverständnis der Neuen Sozialdemokratie sind die Gewerkschaften historisch aus dem Rang eines Partners im Rahmen einer privilegierten Partnerschaft in den Status einer x-beliebigen Lobby abgerutscht. Dadurch entsteht auch für die deutschen Gewerkschaften eine schwierige Konstellation. Da in den staatlichen Entscheidungsarenen keine gewerkschaftsorientierte und mehrheitsfähige Kraft vorhanden ist, fehlt den Gewerkschaften gegenwärtig ein durchsetzungsstarker politischer Adressat ihrer gesellschaftlichen Mobilisierungen.
Strategische Allianzen mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft
Dabei ist ohnehin davon auszugehen, dass in der gegenwärtigen Phase neoliberaler wie neusozialdemokratischer Hegemonie ein allgemeinpolitischer Interessenvertretungsanspruch der Gewerkschaften keineswegs umstandslos anerkannt ist und gesellschaftlich erneut erstritten werden muss. Die Gewerkschaften sind gefordert, sich erneut um gesellschaftliche Anerkennung und Legitimationsressourcen zu bemühen. Eine solche Re-Formulierung eines gesellschaftspolitischen Mandates im Sinne einer Selbstmandatierung drängt zu einem gewerkschaftspolitischen Strategieverständnis als Teil einer umfassenderen sozialen Bewegung und damit zu dem, was im angelsächsischen Sprachraum als Social-Movement-Unionism beschrieben wurde. Damit rücken Bemühungen um die Formierung "strategischer Allianzen" mit anderen Bewegungen, Organisationen und Akteuren der Zivilgesellschaft in den Fokus der gewerkschaftlichen Strategie ("coalition-building"). Auf der Agenda stehen "Mobilisierungs-Allianzen" zur Stärkung von Durchsetzungsmacht in zugespitzten Konfliktsituationen, aber auch "Konzept-Allianzen", in denen Akteure mit unterschiedlichen Interessenlagen an gemeinsamen Konzepten einer neo-sozialen Modernisierung der Gesellschaft arbeiten.
Das Ende der privilegierten Partnerschaft mit der Sozialdemokratie
Mit Blick auf die spezifischen Bedingungen des deutschen Parteienparlamentarismus stehen die Gewerkschaften vor zwei Anforderungen. Da sich die Periode der privilegierten Partnerschaft zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie dem Ende zuneigt, stehen die Gewerkschaften vor der Aufgabe, ihr Verhältnis zu den wichtigsten Entscheidern in den politischen Arenen neu zu konzipieren. An die Stelle der besonderen Beziehung zu einer Partei sollte ein Konzept einer strategischen Flexibilität gegenüber allen in den Parlamenten vertretenen Parteien treten. Eine solche "neue Beweglichkeit" gegenüber den Parteien wäre strategisch auf thematisch gebundene und zeitlich befristete "Von-Fall-zu-Fall-Bündnisse" orientiert, die in den Fällen und mit den Parteien zu schließen wären, die sich als Unterstützerinnen bei der Realisierung der gewerkschaftlichen Politikziele anbieten. Darüber hinaus könnte die Forderung nach einer Ergänzung des parlamentarischen Systems durch Elemente direkter Partizipation und Einflussnahme im Zentrum eines mobilisierungsfähigen Projektes stehen. Die Ausweitung plebiszitärer Elemente könnte der zunehmenden Abschottung des politischen Systems gegenüber der Gesellschaft und ihren Protesten entgegenwirken und zugleich eine sich neu konstituierende Linke als Kraft einer Erneuerung der gesellschaftlichen und politischen Einfluss- und Teilhabestrukturen profilieren.
4. Organisationspolitische Stabilisierung durch Öffnung für neue Beschäftigtengruppen
Gegenwärtig leiden alle Gewerkschaften an Mitgliederrückgängen, die ihre Durchsetzungskraft verringern und ihre Finanzprobleme erhöhen. In Verbindung mit den Schwierigkeiten, Lohnabhängigengruppen jenseits der klassischen Sektoren der Industrie und des öffentlichen Sektors zu erschließen, erweitern sich diese Rekrutierungs- und Finanzprobleme zu einer "Krise der gewerkschaftlichen Repräsentation" (Klaus Dörre/Bernd Röttger). Unverzichtbare Gegenstrategien liegen auf der Hand. Notwenig ist die Verbesserung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades in den Branchen und Sektoren, in denen die Gewerkschaften traditionell gut vertreten sind. Das bezieht sich im Organisationsbereich der IG Metall vor allem auf die Automobilindustrie, den Maschinenbau sowie die Elektroindustrie. Zugleich müssen Anstrengungen verstärkt werden, die Kluft zwischen dem sozialen Profil der Mitgliedschaft und der gesellschaftlichen Sozialstruktur zu überbrücken. Es geht um die Einbeziehung von Lohnabhängigengruppen "oberhalb" wie "unterhalb" der traditionellen Facharbeit. Wollen die Gewerkschaften nicht wirklich zu "Traditionsverbänden der Modernisierungsverlierer" (Ralf Dahrendorf) degenerieren, erfordert dies organisationspolitische Bemühungen vor allem in den neuen ökonomischen Leitsektoren des produktions-, informations- und finanzorientierten Dienstleistungssektors. Zugleich müssen aber auch die Lohnabhängigen in der expandierenden "Zone der Prekarität" (Robert Castel) als strategische Schlüsselgruppen (an)erkannt werden, die zunehmend auch in die Sektoren der industriellen Massenproduktion Einzug halten.
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Gekürzte Fassung des Beitrags von Hans-Jürgen Urban beim 15. isw-forum. Dr. Hans-Jürgen Urban ist Abteilungsleiter Gesellschaftspolitik und Grundsatzfragen beim Vorstand der IG Metall.
Der gesamte Beitrag von Hans-Jürgen Urban sowie Beiträge von Frank Deppe, Hubert Thiermeyer/Tatjana Fuchs und Juri Hälker/Claudius Vellay in: isw-report 71 "Zukunft braucht Gegenmacht - Erneuerung der Gewerkschaften und Aufbau eines gesellschaftlichen Bündnisses gegen den Neoliberalismus". Für 4 Euro zzgl. Versand zu beziehen bei: isw e.V., Johann-von-Werth-Str. 3, 80630 München, fon: 089/130041, fax: 089/1689415, email: isw_muenchen@t-online.de. Siehe auch: www.isw-muenchen.de