Hartz IV und Familie

Wie politisch ist das Private?

in (30.04.2006)

Hartz IV verschiebt den sozialstaatlichen Auftrag, der darin bestand, dass der Staat bei individuellen Notlagen den Einzelnen unterstützt, hin zu einer "familialen Solidarität"..

... Betroffen sind vor allem Frauen, die in Abhängigkeit von Partnern geraten.

"Das Private ist politisch", war einmal der Slogan der bundesdeutschen Frauenbewegung der 1970er Jahre. Damit sollte der politische Gehalt scheinbar privater Beziehungsstrukturen hervorgehoben werden.
Es wurden Kinderläden und Wohngemeinschaften als Alternativen zur Kleinfamilie gegründet. Die neu entstandenen Projekte hatten eine starke gesellschaftliche Ausstrahlung. Schließlich schufen sie die Möglichkeit für die Veränderung der Geschlechterrollen in den Zusammenlebensformen und für die Aufhebung der geschlechterdiskriminierenden Arbeitsteilung, also für eine freie Gesellschaft.

Das scheint heute vergessen. Frauenpolitik ist in der Familienpolitik aufgegangen und Familienpolitik wird hauptsächlich als Bevölkerungspolitik diskutiert. "Wir wollen mehr Kinder in den Familien und mehr Familie in der Gesellschaft. (Â…) Denn Deutschland braucht mehr Kinder", heißt es im Koalitionsvertrag zwischen schwarz/rot. Familienpolitik geht aber an den tatsächlich gelebten Zusammenlebensformen und an den Bedürfnissen der Individuen, die diese leben, mehr denn je vorbei und begünstigt nach wie vor die Hausfrauen- oder Zuverdienerinnenehe. Nicht nur das Ehegattensplitting, auch die gegenwärtige "Reformierung" unserer sozialen Sicherungssysteme geht von diesem Modell aus und versucht sie durch Gesetze zu verfestigen. Das Bild der heil(ig)en (Mittelschichts)Familie wird (wieder) an die Litfasssäulen geklebt. Die geplante Entlastung von Familien durch Steuervergünstigungen für die Kinderbetreuung soll "qualifizierten Frauen" zukommen. Benachteiligt werden "arme Familien", die gar keine Steuern zahlen (können). Frauen aus solchen Familien müssen (nach Hartz IV) einen "Mini-Job" bei einer besser situierten Familie annehmen und ‚dienen lernenÂ’.. Das schafft neue/alte Unterschichtungen auch unter Frauen und Verhältnisse, die von der bürgerlichen Frauenbewegung bereits um die Jahrhundertwende als frauenverachtend angeprangert worden sind.

Durch das "Hartz-Gesetz IV" nimmt die Familien- und Kinderarmut bereits in erschreckendem Maße zu. Menschen, die in einer "Bedarfsgemeinschaft" leben, haben keinen unabhängigen Anspruch auf Leistungen. Wenn der Partner bzw. Partnerin genug verdient, bekommen sie nach einem Jahr Erwerbslosigkeit kein eigenes Geld mehr. Betroffen sind vor allem Frauen, die in Abhängigkeit von Partnern geraten, egal, ob sie verheiratet sind, oder nicht. Einer Schätzung des Sozialverbandes Deutschlands zufolge sind 60 % aller erwerbslosen Frauen bereits ohne Leistungsbezug. Auch hier wird der "Familienernährer" rekonstruiert und die frauenpolitische Forderung nach eigenständiger Existenzsicherung missachtet. Erst wenn das gemeinsame Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft (ca. 700 EUR für zwei Personen) nicht ausreicht, wird staatlich mitfinanziert. So lange ein Einkommen vorhanden ist, gilt die Versorgerehe. Wenn beide Personen erwerbslos sind, besteht auch für die bisher "versorgte" Frau wieder Arbeitspflicht. Ob der Partner seinen Verpflichtungen nachkommt, wird nicht kontrolliert. Stattdessen erhalten Alleinerziehende, die zwei Kopfkissen und zwei Zudecken in ihrem Bett haben, kein Geld.

Das könnte anders sein, wenn jedes Mitglied der Gesellschaft als eigenständiges Individuum angesehen würde, das ein Recht auf eigene Existenzsicherung aus eigener Arbeit und selbstgewählte Lebensformen hat und wenn Geld für die Finanzierung von kostenlosen Kindergärten, Lernmitteln und Ganztagsschulen für die vorhandenen Kinder zur Verfügung gestellt würde.

Gisela Notz ist Vorsitzende des Bundesverbandes pro familia