Außerordentlicher Betrieb

In Deutschland haben GebäudereinigerInnen zum ersten Mal gestreikt. Mit der Forderung nach einem existenzsichernden Mindestlohn thematisieren sie die Arbeitsbedingungen einer Branche, die keine Spuren hinterlässt.

Neun Minuten hat sie für ein Zimmer. Das heißt für Betten, Bad und Böden. Egal wie viel Dreck die Gäste an ihrem Arbeitsplatz, einer Berliner Bildungsstätte, hinterlassen. Ihr Chef verstehe nicht, was daran Stress sei, erzählt die Frau mit der weißen „Tüte" über der Winterjacke. Rot steht darauf geschrieben: „Wir streiken." „Gestern hat er zum ersten Mal selbst sauber gemacht. Ich habe ihn gefragt, ob er sich dafür 8,15 Euro gezahlt hat oder seinen normalen Lohn." Es ist noch vor Morgengrauen, als sie sich mit rund fünfzig anderen aus ihrer Branche vor der Messe Berlin positioniert. Tag Drei des ersten unbefristeten Streiks von rund 2.200 Reinigungskräften, die mit ihrer Arbeit einen ordentlichen Betrieb in Geschäftsgebäuden, Krankenhäusern, Schulen, in Verkehrsmitteln und Industrieanlagen möglich machen. Die Uni Hamburg blieb ungereinigt, das Rathaus in Berlin-Schöneberg genauso wie die Gewerkschaftszentrale von ver.di. Insgesamt 134 Gebäude waren bislang vom Streik betroffen, immer abwechselnd und unangekündigt, damit keine Ersatzkräfte organisiert werden können.


Mehr Netto vom Brutto? 
Mit Anfang Oktober ist der Tarifvertrag für die 860.000 Beschäftigten in den rund 30.000 Reinigungsbetrieben ausgelaufen. Zwei Drittel der Beschäftigten in der Branche sind Frauen, viele Migrantinnen. Eine Branche, die in ganz Deutschland pro Jahr über zwölf Milliarden Euro umsetzt, auch wenn sonst von „schwacher Konjunktur" die Rede ist. Deren Nettorendite für 2008 auf durchschnittlich über fünf Prozent geschätzt wird. Und in der 75 Prozent der Angestellten für den Mindestlohn putzen. Bisher waren das 8,15 Euro im Westen und 6,58 Euro im Osten. Die zuständige Gewerkschaft IG BAU (Bauen-Agrar-Umwelt) forderte nun eine Anhebung um 70 Cent und dass zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer die Lücke zwischen West- und Osttarifen geschlossen wird. Die ArbeitgeberInnen vom Bundesinnungsverband Gebäudereinigung boten in den Verhandlungen, die seit Jahresbeginn liefen, maximal 24 Cent. Nun ist der Tarifvertrag mit Anfang Oktober ausgelaufen, und es herrscht Arbeitskampf. Letztlich steht die Drohung im Raum, dass ohne neuen Tarifvertrag in Zukunft auch für weniger als fünf, sechs Euro neu eingestellt werden kann. Das wäre ganz legal möglich, da es in Deutschland keinen einheitlichen Mindestlohn per Gesetz gibt. Die neue CDU/CSU/FDP-Koalition will auch jene staatlichen Regelungen bis 2011 überprüfen und gegebenenfalls streichen, die auf bestimmte Branchen wie die Post begrenzt gelten. Allgemein soll lediglich ein Verbot „sittenwidriger Löhne" gesetzlich festgeschrieben werden. Schon jetzt bleibt vielen GebäudereinigerInnen von einer Stunde Arbeit lediglich ein Fünf-Euro-Schein.
„Ich will mehr für meine Arbeit", sagt die Frau im türkisfarbenen Kapuzenpullover, die seit 16 Monaten offiziell vier Stunden pro Tag putzt. Sie ist gemeinsam mit fünf Kolleginnen gekommen. Sie tröten und unterhalten sich zwischendurch auf Polnisch. Für alle ist es der erste Streik. „Das Putzen ist Akkordarbeit", sagt die Frau neben ihr. „Es heißt vier Stunden pro Tag, aber mit Überstunden wird kalkuliert." Viele arbeiten zwei Schichten, in zwei verschiedenen Gebäuden, und müssen trotzdem zum Amt, um Sozialhilfe zu beantragen. Mehr als die Hälfte der GebäudereinigerInnen ist Teilzeit-, geringfügig oder im „Minijob" beschäftigt. „Und am Ende haben wir keine Rente, von der man leben kann." Auch, um eine betriebliche Altersvorsorge zu fordern, ist sie an diesem Morgen gekommen.


Streik und Vereinzelung. 
Bei der Messe Berlin ist die Firma Gegenbauer für Sauberkeit zuständig. Zu den von ihr betreuten Objekten zählt auch das Olympiastadion und die TU Berlin, sie betreibt einen eigenen Sicherheitsdienst und gehört zu den größten Arbeitgebern Deutschlands. Dennoch ist ihr Name genauso unbekannt wie jener der AGG Allgemeine Gebäudereinigung Großrächen GmbH oder die Firma WISAG Gebäudereinigung GmbH. Für die Arbeitsbedingungen der Frauen und Männer, die über diese Dienstleister sowohl private als auch öffentliche Einrichtungen „beliefern", gab es bislang recht wenig Öffentlichkeit. 
Über den Parkplatz zieht die Gruppe mit ihren Transparenten „Sauberkeit hat ihren Preis!" und „Ich putze Deutschland!" weiter Richtung RBB (öffentlicher Rundfunk Berlin-Brandenburg) und versammelt sich im Foyer. Ein Angestellter der hier tätigen Reinigungsfirma Stoll lässt ausrichten, dass der Protest im Haus nicht erwünscht sei. „Sie können gerne nach Feierabend, um 8 Uhr früh mit den Leuten sprechen." Er selbst sei kein Fan von Streik, außerdem sei Wirtschaftskrise. Irgendwo müsse das Geld ja herkommen. Auf dem Weg aus dem Gebäude erzählt die Aktivistin Katharina Bergmann, die nach abgebrochenen Gender Studien und Gärtnerinnen-Ausbildung die Gewerkschaft seit eineinhalb Monaten unterstützt, dass es wichtig sei, gerade die leitenden Beschäftigten des Reinigungspersonal, die ObjektleiterInnen, zu erreichen. Oft ergäbe sich deren Loyalität zu den Vorgesetzten aus einem kleinen Lohnunterschied von 1,50 Euro und massivem Druck. Ohne die Unterstützung der ObjektleiterInnen aber, wenn die Belegschaft also nicht kollektiv streikt, hätten die Einzelnen Angst, sich zu beteiligen. Einer 42-jährigen Berlinerin wurde immerhin fristlos gekündigt, weil ihr Chef sie bei Fernsehaufnahmen eines Warnstreiks in der ersten Reihe gesehen hatte. Die Kündigung wurde mittlerweile, nach massiven Protesten beim Arbeitgeber, wieder rückgängig gemacht, aber die Sorge der Reinigungskräfte bleibt, berechtigt.


Das Geschäft Sauberkeit.
 Zurück im Streikbüro in der Keithstraße, nahe dem KaDeWe. Seit 6 Uhr morgens hatten sich die Streikenden hier zu ihrer regulären Arbeitszeit gemeldet, vom Azubi bis zur Arbeiterin kurz vor dem gesetzlichen Ruhestand. Siebzig bis achtzig Prozent ihres Lohnes werden von der Gewerkschaft erstattet. Die, die in zwei Objekten pro Tag putzen, kommen nachmittags noch einmal. Im Zimmer rechts von den Streiklisten, neben einer Runde Glasreiniger, sitzen fünf Frauen um einen Tisch. Sie kennen sich, weil sie alle im selben Gebäude tätig sind, der Gewerkschaftszentrale von ver.di - auch diese beschäftigt einen privaten Reinigungsdienst. Eine arbeitet seit sieben, eine seit zwölf, eine seit 14 Jahren in der Branche. Sie waren bei der Commerzbank tätig, in Anwaltskanzleien, Kindertagesstätten und im Bundestag. Sie haben, seit sie Bosnien-Herzegowina, Russland und ihre früheren Ausbildungen und Berufe hinter sich ließen, viel gesehen. „Jetzt rechnen wir das einmal aus", sagt die älteste von ihnen, nimmt einen Stift und die leere Rückseite eines bedruckten Papiers. „Wir haben zwei Stunden für eine Etage mit 60 Zimmern und zwei Toiletten." Immer falle noch zusätzlich etwas an, was innerhalb dieser Zeit zu erledigen sei. Die Treppe noch und der Lift, und wenn eine Frau ausfällt, komme statt einer Vertretung eben noch die halbe Etage ober- oder unterhalb dazu. „Immer noch ein Tropfen im Wasserglas."
Als Begründung oder Erklärung hören sie, dass das der Wunsch des Kunden sei. Und dass dessen Wünschen entsprochen wird, wird auch kontrolliert. Täglich geht der Hauswart die Putzroute nach, auf der Suche nach Spuren von Staub, erzählen sie, und monatlich gebe es eine große Inspektion. Sich über das rücksichtslose Verhalten der KundInnen zu beschweren, sei hingegen undenkbar. Als eine der Reinigerinnen ihrer Vorgesetzten sagte, es sei zu viel, habe sie noch mehr Arbeit bekommen. Und selbst als eine andere Vorgesetzte einmal zustimmte, dass die Verschmutzung eines bestimmten Büros das Zumutbare überstieg, war die Diskussion beendet, als sich herausstellte, dass es das Büro der Abteilungsleiterin war. In vielen Gebäuden hätten selbst Räume gefehlt, in denen sich die Frauen umziehen können. Alle kämpfen von der täglichen körperlichen Anstrengung mit schmerzenden Armen und Beinen und Rheuma. Aufgrund des ständigen Umgangs mit ätzenden Chemikalien sind viele mittlerweile Expertinnen im Umgang mit Hautausschlag. 
Die Gewerkschaften haben Mühe, ihre Verhandlungsposition zu stärken, denn ExpertInnen schätzen, dass gerade mal zehn Prozent der GebäudereinigerInnen gewerkschaftlich vertreten sind. „Wir haben keine Zeit zum Reden. Wir sind nur am Rennen, Rennen, Rennen", beschreibt eine Frau, die täglich zwei Schichten macht, die Rahmenbedingungen sich zu organisieren. Dass die Belegschaft in ihrem Fall jetzt in Streikende und solche, die weiterarbeiten, getrennt ist, sei schlecht. „Jetzt schimpfen sie mit uns, dass wir streiken", ergänzt eine Frau mit Brille und lacht. „Und wenn wir nichts erreichen, dann schimpfen sie erst recht."


Die Namen der Gesprächspartnerinnen werden auf deren Wunsch hin nicht genannt.

Nach einer Woche Streik haben sich die IG BAU und der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks Ende Oktober auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt: Innerhalb von zwei Jahren soll sich der Mindestlohn im Westen auf 8,55 Euro, im Osten auf 7 Euro erhöhen. Ein Einstieg in eine betriebliche Altersvorsorge wurde verankert.

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at