Was hat der Genozid in Ruanda vor deutschen Gerichten zu suchen?

Ein kritischer Kommentar aus postkolonialer Perspektive

in (21.12.2012)

Seit Januar 2011 muss sich Onesphore Rwabukombe vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt wegen dem Verdacht der Beteiligung am Völkermord in Ruanda verantworten.

Nachdem die Familie Rwabukombe 2007 Asyl in Deutschland bekam, holte(n) Onesphore Rwabukombe die Vergangenheit oder wie die TAZ titelte „die Toten“ wieder ein.¹ Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wirft dem gebürtig aus Ruanda stammenden ehemaligen Bürgermeister vor, sich 1994 am Genozid an den Tutsi einflussreich beteiligt zu haben. Auffällig ist hierbei, dass dies die erste Gerichtsverhandlung vor einem deutschen Gericht zum Genozid in Ruanda ist. Vor dem Hintergrund der deutschen kolonialen Herrschaft von 1884 bis 1916, stellt sich die Frage, wie dieses Verfahren aus postkolonialer Perspektive beurteilt werden kann.

Die Erfindung der Ethnie

1893 „entdeckte“ der deutsche Geograph von Götzen Ruanda auf seiner Reise von Ost- nach Westafrika, welche er in Begleitung des Geographen Oscar Baumann durchführte. Im Expeditionsbericht schreibt Baumann über die ruandische Bevölkerung, dass man drei voneinander getrennte „Rassen“ unterscheiden kann: die Tutsi, die überlegende und herrschende, die Hutu, die eher einen unterwürfigen Charakter haben sollen und als dritte die Twa, welche die minderwertigste „Rasse“ darstelle. Diese rassistische Einteilung wurde in der kolonialen Herrschaft der Deutschen übernommen und strategisch eingesetzt. Die Tutsi wurden als eine Elite etabliert und mit Privilegien gegenüber den Hutus ausgestattet, wodurch sich soziale Spannungen zwischen den Gruppen entwickelten. So wurde die Tutsi-Minderheit zunehmend in Machtpositionen, als sogenannte Chefs, eingesetzt. Hutus wurden demgegenüber deprivilegiert und mussten sich der Macht der Chefs, der kolonialen Elite, unterwerfen.

Der Etablierung einer Elite im kolonialen Herrschaftssystem kam generell eine zentrale Rolle zu. Jene wurden zum Zweck der Machtausübung und Machtverstetigung häufig von Kolonialregimen eingesetzt. 1919 musste Deutschland nach dem Versailler Friedensvertrag seine Kolonien abtreten und Ruanda wurde nun offiziell der belgischen Kolonialmacht unterstellt. Die bereits etablierte Rassifizierung wurde nahtlos von Belgien übernommen und fand seine endgültige Institutionalisierung 1933 mit der Ausstellung von Ausweispapieren durch die belgische Kolonialmacht. In jedem Pass wurde die „Rassenzugehörigkeit“ eingetragen und so unwiderruflich zu einem Identitätsmerkmal.

"Unrecht richten“

Das Rwabukombe sich heute in Frankfurt für seine Beteiligung am Genozid verantworten muss, macht einmal mehr die Machtasymmetrie zwischen Globalem Norden und Globalem Süden deutlich. Was die postkoloniale Theoretikerin Gayatri C. Spivak als „Unrecht richten“ in der globalen Menschenrechtspolitik nennt, trifft im Fall Rwabukombe ebenfalls zu. Die deutschen Behörden sprechen den Gerichten in Ruanda bzw. dem International Criminal Tribunal for Rwanda (Sitz in Arusha, Tansania) die Kompetenz ab, selbst ein Verfahren gegen den ehemaligen Bürgermeister aus Ruanda zu führen. 2010 wurde Rwabukombe bereits in Abwesenheit von einem ruandischen Gericht wegen Völkermord verurteilt – eine Auslieferung wurde von der BRD jedoch abgelehnt. Stattdessen führt man nun selbst ein Verfahren seit Anfang 2011 um die Schuld oder Unschuld Rwabukombe’s zu klären. Die BRD erhebt sich in diesem Verfahren dazu, ein Unrecht am Menschengeschlecht durch die deutschen Gerichte zu richten, wobei das Unrecht in Ruanda geschehen ist. In dem sie das Unrecht markieren und gleichzeitig den überlebenden Tutsi das Recht auf Aufklärung des Genozids zuweisen, wird die Machtasymmetrie verfestigt. Die ruandische Bevölkerung bzw. die Gerichte werden dabei selbst zu abhängigen, nicht-souveränen Subjekten, denen man die Rechtsprechung selbst nicht überlassen will bzw. jene nicht anerkennt. Dies setzt die Logik der Zivilisierungsmission und die Zentrierung Europas als rechtschaffenes aufgeklärtes Subjekt weiter fort.

 

¹ Weitere Informationen zu der Berichterstattung der TAZ sind hier zu finden.

 

21.12.2012