Klassen & Kämpfe

Editorial

"Es herrscht Klassenkampf in Deutschland: Kapital gegen Arbeit." Der Satz stand vergangenen Sommer in der Welt zu lesen - als Springer-Blatt eigentlich seit jeher ärgster Feind sozialistischer Ideen.

"Es herrscht Klassenkampf in Deutschland: Kapital gegen Arbeit." Diese These leitet keinen Aufruf zur Anti-Hartz-IV-Demonstration und auch keinen Beitrag für das Neue Deutschland ein. Nein, der Satz stand vergangenen Sommer in der Welt zu lesen - als Springer-Blatt eigentlich seit jeher ärgster Feind sozialistischer Ideen. "Allerorten", so die fachkundige Analyse, "versuchen die Wirtschaftslenker, das Machtgefüge zu Lasten der Gewerkschaften zu verschieben, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die Gewinne nach oben zu schrauben."

Auch an anderen dafür eher ungewöhnlichen Orten wird neuerdings wieder über den Klassenkampf diskutiert: Die Financial Times Deutschland nahm den Einwurf der Welt auf und stellte ihm Argumente entgegen, während der Rheinische Merkur besorgt fragte: "Steht uns gar ein neuer Klassenkampf ins Haus?" Einig sind sich die Kommentatoren von links bis rechts jedenfalls darin, dass ein "Klassenkampf von oben" angezettelt werde. Trotz steigender Gewinne und Exporterlöse sparten die Unternehmen an der Zahl ihrer MitarbeiterInnen, an Löhnen, Lohnnebenkosten und Sonderleistungen. Dies alles gehe zu Lasten der Armen und fülle die Taschen der Manager und Anleger.
Also zurück zu alten Analysen und Forderungen? Auf zum Klassenkampf? Hoch die internationale Solidarität? Dass davon in Deutschland nicht viel zu hören und zu sehen ist, hat damit zu tun, dass die Verlierer der gegenwärtigen Entwicklung kaum zu einer Klasse zu homogenisieren sind: RentnerInnen, denen die Medikamentenzuzahlung zu teuer wird, und Jugendliche ohne Ausbildungsstelle, illegalisierte MigrantInnen und Daimler-Angestellte, deren Weihnachtsgeld gestrichen wurde, Ich-AGs ohne ausreichende soziale Absicherung und Hartz-IV-Arbeitslose haben ganz unterschiedliche Problemlagen.
Die zunehmende soziale Schieflage in Deutschland ist unumstritten - und auch, dass Widerstand dagegen berechtigt ist. Aber wer beispielsweise bei den Montagsdemos wieder vom Klassenkampf träumt, der ignoriert damit auch jahrzehntelange Debatten um Haupt- und Nebenwidersprüche. Die Einteilung der Gesellschaft in "die da oben" und "wir hier unten", das sollte inzwischen klar geworden sein, verkennt, dass es nicht nur um Kämpfe und Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit, sondern ebenso sehr um Trennungslinien geht, die auf rassistischen, sexistischen oder nationalstaatlichen Kategorien beruhen. Wie immer man zu den Alternativen zum Klassenbegriff wie automatisches Subjekt, triple oppression, soziale Schichten, Subalterne oder Multitude steht: Ein Zurück hinter die damit verbundenen Diskussionen ist wenig sinnvoll.

Die neu-alte Rede vom Klassenkampf verkennt zudem - wieder einmal - die internationale, ja sogar universale Dimension des Kapitalismus. "Die Globalisierung", so wird häufig zusammengefasst, sei verantwortlich für das Ende der Sozialen Marktwirtschaft, für Arbeitslosigkeit und Billiglöhne auch hierzulande. Wie wahr! Nur arbeiten Menschen in Mexiko, Thailand oder Marokko schon seit jeher für extrem niedrige Löhne. Gegen die in erster Linie damit zu erklärenden Billigwaren - von Textilien über Nahrungsmittel bis hin zu Elektrogeräten - hielt sich der Protest jedoch meist in sehr engen Grenzen. Doch nun halten gemäß der Weltmarktlogik nach den Billigwaren auch die Billiglöhne in Mitteleuropa Einzug.
Um diesem "race to the bottom", den sich gegenseitig unterbietenden Lohnstandards, Einhalt zu gebieten, bleibt wie schon in früheren Zeiten nur organisierte Gegenwehr. Ob dies inner- oder außerhalb der etablierten Gewerkschaften geschieht, ist dabei zweitrangig - Hauptsache, die sozialen Kämpfe gegen Lohndrückerei und Sozialabbau sind international(istisch). Andernfalls wird die Kapitalseite auch künftig die nationalstaatliche Organisierung des sozialen Widerstandes nutzen, um die Lohnabhängigen der einzelnen Länder weltweit gegeneinander auszuspielen.

Wie hart die Konkurrenz zwischen den Billiglohn-Ländern inzwischen geworden ist, bekommen momentan besonders die ArbeiterInnen in China zu spüren. Vor dem Hintergrund der Auflösung oder Umstrukturierung ehemals staatlicher Betriebe, der hohen Arbeitslosigkeit und der verbreiteten Armut hatten die dort aktiven Unternehmen leichtes Spiel, die Lohnniveaus von Korea, Indien oder Indonesien noch zu unterbieten und Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden am Tag einzuführen. Inzwischen aber wehren sich die ArbeiterInnen. Allein im Jahr 2003 zählte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua 58.000 Massenproteste (!) gegen die soziale Spaltung in China. Es ist schon eine sehr bittere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet in einem der letzten nominell kommunistischen und damit angeblich klassenlosen Staaten die heftigsten Auseinandersetzungen um soziale Gerechtigkeit toben.

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