Eine tragische Ost-West-Beziehung (1962-1965)
Wer trotz des abschreckend kitschigen Buchumschlags zu lesen beginnt, entdeckt einen Text wider die schrecklichen Vereinfacher: Liebesgeschichte und kein Happyend, Provinzmief und Weltgeschichte, unangepaßtes Leben und Stasi-Verpflichtungserklärung, namenlose Studentin und renommierter Übersetzer.
Als jüngst die Korrespondenz einer Siebzehnjährigen mit Uwe Johnson im Jahre 1961 bekannt wurde, erfuhr man nur noch einige Details über den Schriftsteller. Ganz anders diese Briefwechsel: Nicht Traugott König, der berühmte Sartre-Übersetzer und -Herausgeber, sondern die Anfang der sechziger Jahre in Jena studierende Ingeborg König ist die faszinierende Entdeckung, die wir Traugott Königs späterer Frau Karin verdanken. Aus der DDR, die damals gerade mal so alt war wie Hitlers Reich währte, ein Dokument von Aufbruch und Verzweiflung, von noch bestehenden Spielräumen und katastrophalen Engstirnigkeiten. Traugott, der Cousin von Ingeborg, bekam im Theologiestudium Zweifel, die DDR versagte ihm den Fachwechsel, er ging nach Westberlin. Ingeborg, die nicht Afrikanistik studieren durfte, verschlägt es ein Jahr nach dem Mauerbau zum Studium nach Jena. Alle paar Tage schreibt sie Briefe an ihren Liebsten in den Westen, die dieser sammelte. Seine Briefe sind nur ausnahmsweise – durch Duplikate in Stasiakten – erhalten geblieben. Bei seinen Tagesbesuchen in Ostberlin treffen sie sich. Schwanger und verzweifelt bringt ein Fluchthilfeunternehmen sie 1965 in den Westen, wo sie wenige Wochen später bei einer illegalen Abtreibung 22jährig stirbt.
Aus „Jena, diesem Drecknest“ berichtet sie über die faszinierenden Antipoden der Germanistik, Joachim Müller und Hans Kaufmann, über Wolf-Biermann-Besuche (nicht erst zu Jürgen-Fuchs-Zeiten!), über stupide Arbeitseinsätze und begeisternde Lektüreerlebnisse, über ihre Schauspielerei bei der Studiobühne, die sogar zum Vorsprechen bei der „Distel“ in Berlin führt, über Enzensbergers und Grass’ Weimarbesuch und Huchels letztes „Sinn und Form“-Heft. Es geht um die hochinteressante, aufregende Zeit vor dem „Kahlschlagplenum“, dem elften Plenum der SED 1965. Von der Freien Universität in Westberlin kommt Traugott König extra in den Ost Sektor, um an der Humboldt-Universität die berühmten Vorlesungen Robert Havemann zu hören, die dann wiederum nur im Westen unter dem Titel „Dialektik ohne Dogma“ gedruckt werden können.
Diese außergewöhnliche Frau (wie Kommilitonen bei der Buchvorstellung im alten Jenaer Hörsaal bestätigten) unterzeichnete ihre MfS-Verpflichtungserklärung mit dem Decknamen „Brecht“, sich darin ausbedingend, „das ich erstens vorerst nur gewillt bin, mit dem Gen. Wagner zusammenzuarbeiten und zweitens über die Annahme eines Auftrags selbst entscheiden kann“. Irgendwann „dekonspiriert“ sie, aber unmittelbar vor der Flucht bittet sie brieflich Wagner um Verständnis.
Zuerst in: PALMBAUM - Literarisches Journal aus Thüringen; Nr. 1/2012