Schuld und Schulden

Als vor nunmehr 15 Jahren eine breite Kampagne zur Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Berlin organisiert wurde, war man sich im Organisationskomitee ...

... über deren Zielsetzung nicht einig: Sollte der Kongress zu einem "Angriff auf die Akteure/Profiteure der Weltwirtschaft" genutzt werden? Oder sollte man sich auf die Forderung nach Schuldenstreichung konzentrieren, um "breiter mobilisieren" zu können? Die taz plante gar ein "Hearing mit Vertretern der Weltbank und ihren Kritikern", das heftig umstritten war - wegen der "grundsätzlichen Ablehnung, mit den ‚Verantwortlichen für Hunger und Elend der Dritten WeltÂ’ zu diskutieren."
In den folgenden Jahren diskutierte man dennoch und ausführlich mit Vertretern von IWF und Weltbank, von Regierungen und auch von privaten Banken. Nach der IWF-Weltbank-Kampagne 1988 schossen die Nichtregierungsorganisationen, die sich als Lobbyisten für die Schuldenstreichung der ärmsten, zuweilen auch der armen Länder dieser Welt einsetzten, nur so aus dem Boden. Von der breiten linken Bewegung blieb lediglich die "Bewegung für eine gerechte Lösung der Schuldenfrage", wie es im aktuellen Schuldenreport 2003 von weed heißt. Und die ist jetzt offenbar dort wieder angekommen, wo sie 1988 gestartet ist - bei der Erkenntnis, dass "eine Streichung der Schulden allein (...) Augenwischerei wäre" (Kampagnenaufruf, August 1988) bzw. dass "die Überschuldungskrise des Südens, (...) weder als isoliertes Phänomen betrachtet noch als solches gelöst werden kann" (Schuldenreport 2003).

Weed, erlassjahr.de und andere NGOs der Entschuldungskampagne stellen nun fest, dass alle Ansätze, selbst die anfangs hoffnungsvoll begrüßte Entschuldungsinitiative der Weltbank für die Gruppe der hochverschuldeten armen Länder (HIPC) gescheitert seien. Liegt das daran, dass man sich mit "den Schuldigen" an einen Tisch gesetzt hat? Dass man auf good will gesetzt hat, statt bei der (utopischen) Forderung nach bedingunsloser und umfassender Schuldenstreichung zu bleiben? Tatsächlich verzichtet der Lobbyismus der Nichtregierungsorganisationen in der Regel auf grundsätzliche Kritik, weil man ja von den Verhandlungspartnern konkretes Entgegenkommen erwartet. Und wer die Abschaffung des Internationalen Währungsfonds fordert, kann kaum mit IWF-Vertretern über eine Teilentschuldung Ugandas verhandeln.

Die radikale Linke kam nicht in dieses Dilemma. Sie stieß allerdings auf andere Grenzen. Zu einfach waren bislang die Analysen - vor allem bezüglich der "Schuldfrage". Das antiimperialistische Weltbild geriet ins Wanken; noch im Jahr der IWF/Weltbank-Kampagne titelte die iz3w "Dependenztheorie am Ende?" Die ganze Misere der "Dritten Welt" mit der Abhängigkeit von der Ersten zu erklären, war nicht mehr haltbar. Und damit stand auch die "Schuldfrage" in der Schuldenfrage zur Disposition.
Dass wir diese Frage heute wieder stellen, hat tatsächlich mit den Erfahrungen der letzten 15 Jahren zu tun. Folgte doch nach der Dependenztheorie vielerorts eine 180-Grad-Wende. Die Schuld wurde nun der "Misswirtschaft", der Korruption, den Machtkämpfen oder demokratischen Defiziten in den Ländern des Südens zugeschrieben. Und umgekehrt wandelte sich auch die Vorstellung davon, was unter "Verantwortung des Nordens" zu verstehen sei. In der "einen Welt" der 90er Jahre schien es keine Akteure mehr zu geben, alle saßen in einem Boot. Es ging nicht mehr um die Schuld der Gläubiger, die kritisiert oder angeklagt wurden, sondern allenfalls um einen Rest davon, der sich im "schlechten Gewissen" äußerte. Die Gläubiger wurden zu "Geberländern", die Hilfslieferungen oder Entwicklungshilfeprojekte zahlten. Von "historischer Schuld" war kaum mehr die Rede.

Seit Rechtsanwälte im Auftrag von Opfern der südafrikanischen Apartheid und Nachkommen der afrikanischen Sklaven vor US-Gerichten Klagen auf Entschädigungszahlungen eingereicht haben (vgl. S. 29), hat sich der Fokus jedoch wieder verändert. Und auch die Debatte um die Legitimität vieler Schulden, vor allem der "odious debts", der "verabscheuungswürdigen Schulden" (vgl. S. 25), die durch Kredite an Diktatoren entstanden sind, trägt dazu bei, dass die "Schuldfrage" neu gestellt wird. So berechtigt die Forderungen nach Erlass dieser "unrechtmäßigen" Schulden auch sind, so folgerichtig ist auch die Kritik daran. Denn wenn es unrechtmäßige Schulden gibt, definiert man auch rechtmäßige. Und wenn man Schuld mit Geld begleicht, dann führt dies möglicherweise zu einem Wiederaufleben des mittelalterlichen Ablass-Gedankens. Daher muss die Diskussion um den Schuldenerlass um eine Debatte über Schuld und Verantwortung ergänzt werden. Für uns Anlass genug, sich des Themas in einem Schwerpunkt zu widmen.

die redaktion

aus: IZ3W 270