Die Klimabewegung vergisst die Arbeiter*innen
Die kapitalistische Produktionsweise beutet in ihrem rastlosen Selbstzweck nicht nur die Natur, sondern auch die Lebenskraft der Arbeiter*innen aus. Die gegenwärtige Klimabewegung blendet diesen Umstand weitgehend aus. Entsprechend hat sie den Arbeiter*innen wenig anzubieten.
Wie halten wir es mit (Lohn-)Arbeit und Klassenkampf in der sozialökologischen Transformation? Diese Frage ist in der aktuellen Klimaschutzdebatte alles andere als hip. Arbeiter*innen und Gewerkschaften werden vielmehr verdächtigt, sich mit ihren Lohnforderungen eine Logik des Wirtschaftswachstums zu eigen zu machen und sich an Arbeitsplätze zu klammern. In der (radikaleren) ökologischen Linken wiederum dominiert ein Verständnis von Kapitalismus als Enteignung, Vertreibung und Repression von Indigenen und Bäuer*innen des Globalen Südens, die dann auch eher als revolutionäre Subjekte imaginiert werden als die Arbeiterklasse. Eine Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen Arbeits- und Produktionsprozess erscheint nachrangig, gerade die vermeintlich ‚privilegierten weißen‘ Arbeiter*innen des Globalen Nordens werden gemeinhin als integrierte Langweiler*innen, wenn nicht Reaktionär*innen angesehen, die lediglich ihr Häuschen, Familie und Urlaubsreisen im Sinn haben und oft auch noch rechts wählen. Und umgekehrt scheint von Arbeiter*innen-Seite die Ökologie-Frage eher abgewehrt zu werden: Die Grünen gelten vielen Arbeiter*innen als Hauptfeind, erklärte der Soziologe Klaus Dörre in der Wochenzeitschrift Freitag 25/2023.
Wer sich in dieser Gemengelage seitens der Öko-Linken überhaupt auf weiße Arbeiter*innen bezieht, bemüht meist den offiziellen Gewerkschaftsdiskurs: Der ökologische Umbau müsse sozial ausgewogen stattfinden und die Arbeiter*innen mitnehmen. Dafür bräuchte es Alternativarbeitsplätze sowie entsprechende Umschulungen für die Beschäftigten der Kohle- und Stahl-, Chemie- und Autoindustrie. Diese wohlmeinende Versorgungserzählung ist allerdings nicht nur eigentümlich paternalistisch, sondern greift vor allem viel zu kurz.
Ausgeblendet wird dabei, dass man in dem Kampf für eine andere (Re-)Produktionsweise immer auch die Frage nach der Arbeit und damit auch nach den Arbeitssubjekten und ihrer gesellschaftlichen Rolle mitdenken muss. Wie und durch wen soll denn eine neue, nicht-warenförmige Art von gesellschaftlichem Reichtum erarbeitet werden? Selbstverwaltete Kommunen, autonome Landgemeinden und Öko-Genossenschaften sind als »Halbinseln«, wie es Friederike Habermann nennt, gegen den Strom kapitalistischer Zurichtung enorm wichtig. Aber wir sollten nicht der Illusion erliegen, dass sich mit ihnen der Kapitalismus allmählich einhegen und austrocknen lässt. Die Geschichte zeigt eindrücklich, dass er sich das aufgrund seiner expansiven Logiken nicht gefallen lässt. Entsprechend braucht es eine Auseinandersetzung mit der – übrigens auch im Globalen Süden zentralen – (Lohn-)Arbeit und eine Kapitalismuskritik, die Klassenauseinandersetzungen als Überwindung dieser lohnförmigen Arbeit im Sinne von neuen Formen der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums denkt.
Klassenkampf ist mehr als Umverteilung
Für eine antikapitalistische Perspektive braucht es ein sozialökologisches und damit ein qualitatives Verständnis des Klassenwiderspruchs. Es reicht nicht aus, das Kapital-Arbeit-Verhältnis in der klassischen, traditionsmarxistischen Form als das Abpressen von Mehrarbeit für den Profit des Kapitals zu beschreiben. Solche Darstellungen verfangen sich in quantitativen Betrachtungen von steigenden oder fallenden Profitraten, längeren oder kürzeren Arbeitszeiten, höheren oder niedrigeren Löhnen oder etwa den Ausgaben für Arbeitsschutz. Bei aller Wichtigkeit dieser Fragen verfehlen sie das Wesentliche: Dass die Profitmaximierung auf eine an sich komplett nutzlose, tote Form von Reichtum ausgerichtet ist – das Geld, beziehungsweise dessen Vermehrung – während die Menschen das gesellschaftliche Leben durch ihre lebendige Arbeit hervorbringen.
Jeder Arbeitsprozess, auch der kapitalistische, ist eine Auseinandersetzung mit und ein Sich-Einschreiben in die Natur, ihre Stoffe, Kräfte und Reproduktionszyklen, und zwar durch die Menschen als gesellschaftliche Naturwesen selbst: Menschliche Arbeit ist an die Leiblichkeit der Arbeiter*innen gebunden, also an ihre Kraft und Ausdauer, an menschlichen Willen und Kreativität, aber auch an Verletzlichkeit und Vergänglichkeit. Die arbeitenden Menschen sind in diesem Sinne selbst Naturkraft und setzen sich sowohl in arbeitsteilig-kooperativer Weise in Beziehung zu anderen Menschen wie auch zur äußeren Natur, die ihrerseits dann als vielfach umgeformte Natur von Arbeitsmaterialien, Fabrikhallen oder Luftverschmutzungen auftritt. Jeder Arbeitsprozess ist (sozialer) Stoffwechsel mit der Natur, egal, ob es um Stahlschmelze, Palmölgewinnung oder Bildschirmarbeit geht.
Sozialökologisch ist das Klassenverhältnis die herrschaftlich durchgesetzte, einzig auf Geldmehrung ausgerichtete Form kapitalistischer Reichtumsproduktion, die allerdings auf den Ressourcen von Mensch und Natur beruht, sich diese aneignet, und – gibt es keinen Widerstand – in der »rastlosen Bewegung des Gewinnens« (Karl Marx) strukturell sorglos zurichtet, vernutzt, verstümmelt und im Zweifel abtötet. »Kapital gegen Leben« lautet auf eine Kurzformel gebracht die Analyseperspektive einer qualitativen Betrachtung des Klassenwiderspruchs.
Gegen die Abspaltung des Sozialen
Mit diesem qualitativen, sozialökologischen Begriff von Klassenwiderspruch und Ausbeutung wird klar, warum sich Arbeiter*innen bislang für Kämpfe um ökologische Transformation nicht gerade massenhaft begeistern: Ihre lebendige Arbeit kommt darin nicht vor. Wenn überhaupt, dann sind sie als Arbeitsplatzbesitzer*innen adressiert, die versorgt werden müssen. Dass ihre lebendige Arbeit Teil der Ökologie-Frage ist, hat sich in den meisten ‚Umwelt‘-Bewegungen als Problematik verflüchtigt. Stattdessen findet, was etwa Nancy Fraser als liberales Herrschaftsprojekt attackiert, eine Abspaltung der Umwelt-Problematik von der sozialen statt. Seitens der Ausgebeuteten, Unterdrückten und Enteigneten, so Fraser, lassen sich die Widerstände und Kämpfe für den Schutz von Natur nicht von anderen Kämpfen abtrennen: um soziale Reproduktion, Arbeit und politische Autonomie. Gleichzeitig entsteht in der liberal-kolonialen Ära das Herrschaftsprojekt einer ‚Verteidigung der Natur‘, verstanden als ‚Schutz der Wildnis‘, was losgelöst von den sozialökologischen und politischen Abgründen des realexistierenden Kapitalismus betrachtet wird.
Es geht hier nicht darum, die offensichtliche Verstrickung etablierter Gewerkschaften und selbstredend auch der Arbeiter*innen in Profitmaxime und fortgesetzte Vernutzung fossiler Energien zu verteidigen. Aber eine Umwelt(!)-Bewegung, die die sozialleibliche Umwelt, also die Unterdrückung und das damit verbundene Leiden in der (Lohn-)Arbeit nicht betrachtet, wird von Arbeiter*innen völlig zu Recht als äußere, sie negierende Zumutung verstanden und in Teilen entsprechend angefeindet.
Bis zur Erschöpfung
Diese Engführung ist umso fataler, als viele Öko-Bewegte kaum einen Begriff davon haben, wie sich die (Lohn-)Arbeitswelt auch in ‚reichen Ländern‘ wie Deutschland in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Nicht nur im Bereich Pflege oder Schule arbeiten Beschäftigte bis zur Erschöpfung, um angesichts knapper Mittel, extremer Personaleinsparung und immer neuer Reformen den Betrieb noch halbwegs sinnvoll aufrecht zu erhalten.
Im Globalen Süden ebenso wie im Norden herrscht der permanente Ausnahmezustand. Denn in einer schlanken Fabrik, die ohne Puffer – und damit auch ohne personelle Reserven – funktionieren und sich permanent dem Markt anpassen soll, wird die Lebendigkeit der Arbeiter*innen selbst zur Knautschzone des ständigen, ‚optimierenden‘ Umbaus gemacht. Neben massiver Prekarisierung und Fragmentierung der Arbeiter*innen entstehen daraus extrem flexibilisierte Arbeitsbedingungen und eine weitreichende Erschöpfung der Arbeiter*innen. Wer meint, der nun groß angekündigte ökologische Umbau vieler Unternehmen hätte ein menschlicheres Gesicht, hat die Logik kapitalistischer Ausbeutung nicht verstanden. Völlig zu Recht nehmen die Beschäftigten die nun angekündigte ökologische Wende als eine weitere Runde noch maßloserer Profitsteigerung auf ihrem Rücken wahr. Die Welt spricht von der Erschöpfung der Naturressourcen – während die Erschöpfung ihrer sozialen Lebenskraft schlichtweg kein Thema ist, sie vielmehr als ‚Privilegierte‘ und ‚Überkonsumierende‘, wenn nicht gleich direkt als fleisch(fr)essende Unterklassen adressiert werden.
Dagegen gilt: Wenn wir den sozial-ökologischen Umbau demokratisch denken wollen, dann ist das ohne die Arbeiter*innen nicht zu machen. Denn sie sind es, die als gesellschaftliche Arbeitssubjekte mit ihrer lebendigen, kreativen Leiblichkeit eine sozial und ökologisch verantwortungsvolle Arbeit leisten und eine andere Produktionsweise hervorbringen können.
Stefanie Hürtgen ist Permanent Fellow am Frankfurter Institut für Sozialforschung und assoziierte Professorin an der Universität Salzburg. Sie arbeitet unter anderem zu Globalisierung und Fragmentierung von Arbeit und zur Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse.