Stichworte zur konjunkturellen Lage
Tischvorlage zur Pressekonferenz am 26.04.2001 in Berlin
Stichworte zur konjunkturellen Lage:
Mit expansiver Finanz- und Geldpolitik die Konjunktur stärken, Arbeitsplätze schaffen und die öffentlichen Haushalte konsolidieren
1. Das (reale) Wirtschaftswachstum verliert nach einem einjährigen Zwischenhoch bereits in diesem Jahr wieder an Dynamik. Ob der prognostizierte Rückgang gegenüber 3% im Jahr 2000 in Richtung 2% in diesem Jahr eintritt, oder aber die augenblickliche Wachstumsschwäche in einen sich selbst verstärkenden Abschwung mündet, hängt maßgeblich von der Ausrichtung der Finanz- und Geldpolitik ab.
2. Auf die strategische Rolle der Finanz- und Geldpolitik verweisen die Ursachen des Konjunkturrückgangs. So wie der Konjunkturmotor im letzten Jahr durch den zuvor nicht erwarteten Anstieg der Exporte angetrieben wurde, verursacht der deutliche Rückgang der Auslandsnachfrage in diesem und im nächsten Jahr die Verluste beim Wirtschaftswachstum.
3. Über die Richtung des Wirtschaftswachstums und damit die Entwicklung der Beschäftigung und der Steuereinnahmen bei den öffentlichen Haushalten entscheidet die binnenwirtschaftliche Nachfrage. Sie kann einzig und allein die Zuwachsverluste beim Export kompensieren, muss also die Führungsrolle der Konjunktur übernehmen.
4. Durch die in diesem Jahr bereits wirksamen Entlastungen der Arbeitseinkommen in Folge der Senkung des Einkommensteuertarifs hat die Finanzpolitik einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Massenkaufkraft geleistet. Wie das erwartete Wachstum des privaten Konsums mit prognostiziert etwas mehr als 2% zeigt, diese Vorsorge reicht jedoch nicht aus. Darüber hinaus wird deutlich, dass die massiven Steuerentlastungen für die Unternehmen nicht mit der versprochenen Ausweitung der Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen belohnt worden sind, während der Staat wegen der Steuerausfälle an Handlungsmöglichkeiten eingebüßt hat.
5. Die künftige Richtung des Wirtschaftswachstums wird maßgeblich durch die öffentliche Ausgabenpolitik bestimmt. Erwartete Verluste an Steuereinnahmen wegen des konjunkturellen Rückgangs, aber auch in Folge der Steuersenkungen, die allein beim Bund mit bis zu 5 Mrd. DM geschätzt werden, dürfen nicht mit einer Haushaltsperre, oder gar Ausgabenkürzungen aufgefangen werden. Verzicht auf staatliche Ausgaben führt zu Erlöseinbußen bei den Unternehmen, die sich über die Gesamtwirtschaft vervielfachen.
6. Erfolg hat nur die Politik der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, die den Mut aufbringt, unmittelbar die binnenwirtschaftliche Nachfrage und damit das Wirtschaftswachstum zu stärken. Konjunkturbedingte Defizite müssen jetzt hingenommen werden. Darüber hinaus müssen die in den letzten Jahren dramatisch gesunkenen, öffentlichen Investitionen mittelfristig forciert werden. Dringliche Bedarfe an Projekten für die öffentliche und ökologische Infrastruktur gibt es. Ein Schwerpunkt ließe sich in Ostdeutschland setzen.
Wenn sich jetzt der Bundesfinanzminister als eiserner Sparkommissar profiliert, mag er kurzweilig an Popularität gewinnen. Die angestrebte Konsolidierung jedoch wird scheitern, weil durch diese prozyklisch wirkenden Finanzpolitik die Konjunktur kaputt gespart werden würde. Jetzt kommt es darauf an, die neoliberale Verwechselung der Gesamtswirtschaft mit den Finanzierungsregeln privater Haushalte zu überwinden. Die Fähigkeit zum gesamtwirtschaftlichen Denken und Handeln, also zur Kurskorrektur, ist jetzt gefordert. Den sparbesessenen Hardlinern vor allem beim Koalitionspartner ,,Bündnis 90/Die Grünen" in Berlin ist dringend ein Bildungsurlaub mit dem Thema ,,Finanzpolitik und Gesamtwirtschaft" anzuraten.
7. Diese expansive Finanzpolitik zur Rettung der Konjunktur, zum Abbau der Arbeitslosigkeit und schließlich zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte muss durch eine gleichgerichtete Geldpolitik unterstützt werden. Die Europäische Zentralbank hat sich im Konflikt zwischen Geldwertstabilisierung einerseits gegenüber einer Stärkung der wirtschaftlichen Wachstumsbedingungen andererseits seit Ende 1999 für die Inflationsbekämpfung entschieden. Diese Politik ist jedoch das Produkt einer Inflationshysterie. Denn die durch die EZB selbst gesetzte Zielinflationsrate mit 2% wird schon in diesem Jahr erreicht werden. Die Versorgung mit Liquidität ist gemessen am faktischen Geldmengenwachstum viel zu knapp. Durch die vergleichsweise hohen Refinanzierungszinsen, die die EZB verlangt, fallen die Kosten der Fremdfinanzierung der Wirtschaft zu hoch aus. Den Preis dieser restriktiven Geldpolitik zahlt die Wirtschaft. Deshalb müssen die Zinssätze für die Liquiditätsbesorgung in einem deutlichen Schritt gesenkt werden. Dafür hat auch die US-Notenbank mit ihren vier mutigen und zugleich spektakulären Zinssatzsenkungen seit Beginn dieses Jahres Spielraum geschaffen. Eine expansive Geldpolitik ist auch geboten, um die wegen der Kursverluste an den Börsen zustande gekommene Liquiditätsvernichtung nicht auf die Produktionswirtschaft und die privaten Haushalte durchschlagen zu lassen.
In der ohnehin Unsicherheit erzeugenden und Ängste verbreitenden Phase des Euro-Umtauschs, der endgültig dessen Zahlungsmittelfunktion herstellt, versagt die Europäische Zentralbank. Offensichtlich begründen auch interne Profilierungen mit Blick auf den anstehenden personellen Wechsel bei der Präsidentschaft der EZB diese sture Politik des zu knappen und teueren Geldmantels.
Es ist höchste Zeit, dass der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister ihre vornehme Zurückhaltung gegenüber der EZB aufgeben und zusammen mit den Repräsentanten der anderen Mitgliedsländer eine Koordinierung der Finanz- und Geldpolitik zur Stärkung des Wirtschaftswachstums und dem Zugewinn an Arbeitsplätzen im Euroland einfordern.