Probleme selbsttragender Wirtschaftsentwicklung und der weiteren Niveauangleichung der neuen Bundesländer

Die Perspektive der ostdeutschen Region innerhalb Deutschlands und der EU ist eng verknüpft mit der Problematik ihrer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung im Zusammenhang mit der Erhöhung ih

1. Stand und Probleme der Erhöhung der ökonomischen Leistungsfähigkeit der neuen Bundesländer 1)
Im "Herbstgutachten 1999" der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute wird ein ernüchterndes Fazit des deutschen Vereinigungsprozesses gezogen. "Die ostdeutsche Wirtschaft befindet sich im zehnten Jahr nach der Einführung der Marktwirtschaft in einer hartnäckigen Schwächephase. Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, verharrt die nominale Wertschöpfung seit 1996 bei 57 vH des westdeutschen Niveaus... An diesem Gesamtbild wird sich auch im Prog-nosezeitraum nicht viel ändern." 2)
Die Resultate der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den neuen Bundesländern seit der Währungsunion und der Vereinigung sind sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite stehen wichtige Ergebnisse bei der Erneuerung und Modernisierung des Anlagevermögens, der Erhöhung der Leistungsfähigkeit der technischen Infrastruktur, der Sanierung und Modernisierung der Bausubstanz der Städte, insbesondere der Wohnungen, sowie auch Fortschritte im Umweltschutz. Von 1990 bis 1999 wurden in die ostdeutsche Wirtschaft insgesamt Anlageinvestitionen in Höhe von 1,4 Billionen DM getätigt, hiervon rund 20 vH durch die öffentliche Hand vor allem für die Bereiche Verkehr und Post/Telekom. Die Investitionen stiegen von 91 Mrd. DM 1991 auf fast 200 Mrd. DM 1995. Die Kapitalausstattung der geschrumpften Arbeitsplätze im Unternehmenssektor hat sich seit 1991 verdoppelt und liegt bei 200.000 DM je Arbeitsplatz (1997)3). Nach Angaben des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung wird im produzierenden Gewerbe Ost eine Kapitalintensität von 85 vH des Weststandes erreicht (1997).4) Die realen Arbeitseinkommen und Renten sind beträchtlich gestiegen. Die Versorgung mit Waren und Dienstleistungen und die Reisemöglichkeiten haben sich grundlegend verbessert und angeglichen.
Auf der anderen Seite vollzog sich in Ostdeutschland vor allem infolge der verfehlten Transformationsstrategie ein historisch einmaliger Vorgang der Liquidierung wirtschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Potentiale sowie der Beseitigung von Arbeitsplätzen. Gegenüber 1989 gingen bis zum jeweiligen Tiefpunkt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um fast 40 vH, die Industrieproduktion um zwei Drittel und das Forschungspotential um mehr als 80 vH, auf weniger als ein Fünftel, zurück. Von 1989 bis 1998 verringerte sich die Anzahl der Arbeitsplätze um mehr als ein Drittel, in einigen Regionen sogar um fast 50 vH. 1989 gab es in der DDR 9,86 Millionen Erwerbstätige. Fünf Jahre später waren in den neuen Bundesländern nur noch 6,33 Millionen Menschen erwerbstätig (Erwerbstätige im Inland) 1998 waren es 6,06 Millionen.5) "Die Beschäftigungslücke in Ostdeutschland übersteigt alle Erwartungen - es fehlen rund 2,7 Millionen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze", wird von den Autoren einer Studie (1998) hervorgehoben.6) Es gibt kaum noch industrielle Großbetriebe. Der Anteil der Beschäftigten, die in Betrieben der Industrie mit über 1000 Beschäftigten arbeiteten lag 1989 in der DDR bei über 60 vH, 1998 in den neuen Bundesländern bei 10 vH (alte Bundesländer 32 vH).7) Das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1989 (in Preisen von 1991) wurde bis 1999 gerade wieder erreicht, der Produktionsausstoß der Industrie liegt noch weit unter dem Stand des letzten DDR Jahres. Der bisherige Saldo der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland ist insgesamt noch immer negativ.
Die ostdeutsche Wirtschaft weist Ende der neunziger Jahre grundlegende Mängel und strukturelle Defizite auf, die die Chancen der weiteren wirtschaftlichen Annäherung an das Westniveau von Produktivität und Einkommen und des Übergangs zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung entscheidend schmälern: Die tiefen Disproportionen der ostdeutschen Wirtschaft werden deutlich, wenn ihre Anteile an wichtigen Indikatoren der gesamten Bundesrepublik betrachtet werden (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Anteile der neuen Bundesländer an Deutschland insgesamt 1997/98
(in vH)

Bevölkerung 19
Erwerbstätige 18
Arbeitslose - registrierte 31
Arbeitslose - registrierte und verdeckte 36
BIP, in jeweiligen Preisen 11
Industrie (Umsatz) 7
Maschinenbau (Umsatz) 5
Elektrotechnik (Umsatz) 5
Export 4
F&E-Aufwand Wirtschaft 5
Quelle: Jahresgutachten 1998/99, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Wirtschaftsdaten Neue Länder, BMWi; Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1997; eigene Berechnungen

Wesentliche Merkmale der ostdeutschen Wirtschaft sind:
1. Ihre Wettbewerbsfähigkeit ist noch zu schwach bzw. mangelhaft, vor allem auf den überregionalen und äußeren Märkten. Bei einem Anteil der neuen Länder am BIP Deutschlands von 11 vH und am Umsatz des verarbeitenden Gewerbes von 7 vH beträgt der Anteil am Export Deutschlands nur 4 vH. Die Probleme der Erweiterung des Absatzes der Erzeugnisse und Dienstleistungen sind neben der defizitären Größenstruktur der ostdeutschen Unternehmen insbesondere auf die unzureichende Entwicklung der Innovationspotentiale vor allem der Industrie, auf Schwächen im Marketing und auf teilweise überhöhte Kosten zurückzuführen. In den neuen Ländern sind je 1000 Erwerbstätige nur ein Drittel so viele in FuE tätig wie in den alten Ländern. Im Osten sind etwa 70 vH des FuE-Personals in kleinen und mittleren Betrieben (KMU) - Betriebe die weniger als 500 Beschäftigte haben - konzentriert und nur 30 vH in Großbetrieben. In Westdeutschland sind diese Relationen umgekehrt - 15 vH in KMU, 85 vH in Großbetrieben. 90 vH aller FuE betreibenden Betriebe der neuen Bundesländer sind von öffentlichen Fördermitteln abhängig. Der Anteil der Fördermittel an den Gesamteinnahmen wirtschaftsnaher Forschungseinrichtungen ist zwar in den letzten Jahren zurückgegangen, beträgt aber immer noch durchschnittlich 50 vH. Der Anteil der forschungsintensiven Zweige an der Industrieproduktion liegt mit 30 vH beträchtlich unter dem entsprechenden Anteil in den alten Bundesländern mit 50 vH. Der Anteil FuE-intensiver Industrien der neuen Länder am entsprechenden Export Deutschlands liegt noch um einen Prozentpunkt unter dem sehr niedrigen Anteil der neuen Länder am Gesamtexport Deutschlands.8)
2. Die Akkumulationsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft ist unzureichend und in hohem Maße von äußeren Investitionsquellen abhängig. Nach vorliegenden Untersuchungen kamen in den neunziger Jahren zwei Drittel bis drei Viertel aller Investitionen aus den alten Ländern (Unternehmen und öffentliche Hand) oder aus dem Ausland. Daran hat sich bisher kaum etwas geändert.
3. Es besteht eine große Kluft zwischen dem hergestellten und dem verwendeten BIP der ostdeutschen Länder. Darin äußert sich eine hohe Abhängigkeit von öffentlichen Finanztransfers, vor allem für Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Renten u.a.), für Arbeitsmarktpolitik und Investitionsförderung sowie zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verwaltungen in den Ländern und Kommunen. Während das originär in den neuen Bundesländern erzeugte BIP je Einwohner ebenso wie das darauf beruhende erwirtschaftete pro Kopf Einkommen unter 60 vH des westdeutschen liegen, erreichen das verteilte und das verwendete Einkommen jeweils ca. 85 vH des westdeutschen Niveaus. Der Anteil des eigenen Aufkommens an der Endverwendung ist zwar seit 1992 gestiegen. Er betrug im letzten erfaßten Jahr (1996) jedoch nur 67 vH. Die letzte inländische Verwendung lag somit noch immer um 50 vH über dem produzierten BIP. 1992 war sie noch 77 vH höher. Infolge dieser beständig hohen Abhängigkeit von äußeren Zuflüssen trägt die ostdeutsche Wirtschaft wesentliche Züge einer Transferökonomie. Im Ergebnis der Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt zugunsten des westdeutschen Kapitals vollzog sich Anfang der neunziger Jahre ein beispielloser Vermögens-transfer von Ost nach West. Er begründet eine dauerhafte Abhängigkeit großer Teile der ostdeutschen Wirtschaft von den westdeutschen Stammunternehmen und Konzernen. Daraus ergeben sich zugleich Charakteristika der Wirtschaft der neuen Länder als einer "Filialökonomie" mit Funktionen einer "verlängerten Werkbank".
4. Die Produktionsstrukturen der neuen Länder knüpfen unzureichend an Traditionen und Stärken der vorangegangenen ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung an und sind zu wenig zukunftsorientiert. Die Anteile dynamischer Branchen und Produktionskomplexe, vor allem solcher mit einer hohen Wertschöpfung und Forschungsintensität, sind unterrepräsentiert. Obgleich Produktionen mit vorwiegend regionalem Absatz im Vergleich zu Westdeutschland weit höhere Anteile aufweisen, sind die regionalen Verflechtungen unterentwickelt. Makroökonomische Disproportionen zeigen sich vor allem in der Deindustrialisierung - der Anteil der in der Industrie Beschäftigten liegt mit weniger als 40 je 1000 Einwohner unter der Hälfte des westdeutschen Niveaus - und in einem überdimensionierten, von öffentlichen Aufträgen und Finanzhilfen stark abhängigen Bauwesen - der Anteil des Baugewerbes an den Beschäftigten insgesamt betrug 1996 etwa das Dreifache des westdeutschen Anteils.
5. Die Kluft zwischen dem Erwerbspersonenpotential und der Anzahl der Erwerbstätigen hat in Ostdeutschland dramatische Ausmaße angenommen. Trotz einer weit stärkeren Anwendung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen liegt die Quote der registrierten Arbeitslosen in den neuen Ländern mit 18 vH (1999) doppelt so hoch wie in den alten. Seit 1998 ist diese Kluft zwischen Ost und West weiter angestiegen. Im Januar 1999 lag die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern bei 20,6 vH, in den alten bei 10,1 vH.
Seit 1996 ist der "Aufholprozeß" der neuen Länder nicht nur ins Stocken geraten, wie es häufig beschönigend in offiziellen Berichten heißt. Nach dem wirtschaftlichen Absturz in den Jahren 1990-1991/92, der kurzen Periode hoher Wachstumsraten und Verringerung des gesamtwirtschaftlichen Rückstands im BIP pro Einwohner in den Jahren 1992/93-1995, ist der notwendige wirtschaftliche "Aufholprozeß" der neuen Länder seit 1996 abgebrochen. Die Wachstumsraten sind auf zwei vH zurückgegangen und lagen in den letzten Jahren unter denen der alten Länder, die Investitionen der gesamten Wirtschaft ebenso wie die der Industrie sind absolut geschrumpft, die Anzahl der Erwerbstätigen ist noch geringer geworden und die Arbeitslosigkeit steigt wieder an. Die Prognosen für 2000 zeigen keine Änderungen dieser Abwärtstrends. All das macht deutlich, daß mit der bisherigen Wirtschaftspolitik die volkswirtschaftliche Leistungsangleichung an das Westniveau in weite Ferne gerückt ist.
Ohne eine andere Wirtschaftspolitik würde sich folgendes wahrscheinliche Szenarium für die neuen Bundesländer ergeben: Langfristige Perspektive als territorial größte ökonomisch rückständige Region Deutschlands und der EU mit stark unterdurchschnittlicher Industriedichte und Innovationskraft, weit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, geringerem Steueraufkommen je Einwohner sowie weiterer Verschlechterung der Qualifikations- und Altersstruktur der Bevölkerung infolge Abwanderung. Daraus folgt auch die Konsequenz fortgesetzt hoher West-Ost Finanztransfers.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute stellten in ihrem Herbstgutachten 1999 fest: "Eine Fortsetzung des Aufholprozesses ist nur möglich, wenn die Bedingungen erhalten bleiben, unter denen sich in der Industrie ein kräftiger Aufschwung entfalten konnte."9) Zu diesen Bedingungen zählt zweifellos eine hinreichend hohe Zuführung von externen Investitionen in die neuen Bundesländer, speziell in das verarbeitenden Gewerbe. Folgerichtig wurde auch die Forderung nach einer staatlich induzierten bzw. organisierten "zweiten Welle" neuer Investitionen erhoben, die aber bisher von der Politik mißachtet wird. "Das endogene Entwicklungspotential reicht auf absehbare Zeit nicht aus. Ostdeutschland braucht einen Schub von Direktinvestitionen", heißt es in einer Studie der "Friedrich-Ebert-Stiftung" (1998).10) Ohne die Auslösung einer neuen Welle von Industrieinvestitionen zur Stärkung des Innova-tionspotentials und zur Beschleunigung zukunftsorientierter Innovationen als Voraussetzung für progressive Strukturveränderungen, zur Erweiterung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen und zur Schaffung existenz-sichernder Arbeitsplätze, werden die neuen Bundesländer eine ökonomische und soziale Niveauangleichung in absehbarer Zeit nicht erreichen. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen beschleunigten Investitionsentwicklung ist jedoch sehr gering. Damit würden auch die realen Voraussetzungen schwinden, um die Finanztransfers zurückzuführen. Die Konsequenzen daraus sind deprimierend für die Menschen in Ost und West. Für die Menschen in den neuen Bundesländern erhalten sie eine weitere Verschärfung durch die in den nächsten Jahrzehnten im Vergleich zu den alten Bundesländern noch stärker sinkende Bevölkerung und ihre weit raschere Überalterung. Dadurch wird der Prozeß der sozialen und mentalen Vereinigung zusätzlich erschwert.
Da die westdeutschen und ausländischen Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen natürlich nach marktwirtschaftlichen Kriterien treffen, ist mit einer spontanen Welle privater Industrieinvestitionen in die neuen Bundesländer nicht zu rechnen. Dem wirken auch Expansionsinteressen des Kapitals ins Ausland und die vorhandenen Kapazitätsreserven in hoch produktiven westdeutschen Produktionsstandorten entgegen. Nur mit außerordentlichen Subventionen und Präferenzen sind bislang einige Erfolge bei der Ansiedlung größerer Investoren erzielt worden. Die erste Welle dieser externen Investitionen, die im Zusammenhang mit der Treuhand-Privatisierung erfolgte, ist jedoch ausgelaufen.
Vorhandene eigene "Entwicklungspotenzen Ost" kommen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen vordergründig in der Renditehöhe der hier ansässigen Unternehmen zum Ausdruck. Demzufolge ist das erreichte Niveau der Rendite im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Leistungskraft, wie sie nur bedingt im BIP und im Umsatz zum Ausdruck kommen, der kritische Ausgangspunkt für die eigenständige erweiterte Reproduktionsfähigkeit der ostdeutschen Region, die auch auf expansiven Absatzchancen basieren müßte. Es erscheint jedoch ausgeschlossen, daß in einem mittelfristigen Zeitraum von ca. 10 Jahren eine eigene hohe Gewinnakkumulation der ostdeutschen Unternehmen im Produktionssektor die Finanzierung dieser Investitionswelle (auch mit Kreditbeteiligung) selbst tragen könnte. Dem stehen sowohl die unterdurchschnittliche Rendite als auch die zu niedrige absolute Gewinn-masse entgegen. Wie die Bundesbank 1999 berichtete, betrug 1997 die durchschnittliche Umsatzrendite (vor Gewinnsteuern) der ostdeutschen Unternehmen +0,7 vH und hatte damit zum ersten Mal den positiven Bereich erreicht. Wesentlicher Gründe für die ungünstige Gewinnsituation der meisten ostdeutschen Unternehmen sind weniger technologische Rückstände oder hohe Lohnkosten (der Anteil der Personalkosten an der Gesamtleistung liegt in den ostdeutschen Unternehmen im Durchschnitt um 0,8 Prozentpunkte unter dem entsprechenden Anteil westdeutscher Unternehmen), als zu hohe Vorleistungs- und Energiepreise, hohe Zinskosten sowie meist niedrigere Erlöse beim Absatz der Erzeugnisse. Es kann zudem auch angenommen werden, daß die westdeutschen oder ausländischen Konzernzentralen über interne Verrechnungspreise einen Teil der originär im Osten erzeugten Gewinne abschöpfen. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Kreditaufnahme: das (west-)deutsche Bankensystem bevorzugt nach risikofeindlichen Grundsätzen immer die kapitalstarke Klientel der Marktbeherrscher. Ein "selbsttragende Aufschwung Ost" kann auf der Unternehmensebene erst dann kräftig beginnen, wenn im Durchschnitt der Unternehmen die Umsatzrendite deutlich steigt, und sich dem westdeutschen Niveau von drei vH weiter annähert. 1997 lagen noch 32 vH aller Unternehmen in der Verlustzone. Insgesamt ist "die ostdeutsche Wirtschaft noch weit von auskömmlichen Ertragsverhältnissen entfernt", resümierte die Bundesbank.11) Der vorhandene Nachhol- bzw. Angleichungsbedarf in der Ausstattung mit Sachkapital, insbesondere mit Ausrüstungen, übersteigt beträchtlich das derzeitige Potential an Eigenmitteln der ostdeutschen Unternehmen. "Im Durchschnitt betrachtet, sind die Gewinne jedenfalls bei weitem noch zu gering, als daß sie Investitionen, Forschungsaufwendungen oder auch nur die Bildung finanzieller Rücklagen in ausreichendem Umfang erlauben würden." 12)
Zu den ökonomischen Vorbedingungen eigener Reproduktionsfähigkeit gehören auch die weitere Stärkung des Forschungs- und Innovationspotentials und - darauf beruhend - ein größeres Gewicht von Produktions- und Dienstleistungskomplexen mit einem hohen Anteil qualifizierter, wertschöpfungintensiver Arbeit und mit dynamischen, ökologisch und sozial verträg-lichen Wachstumspotentialen.

2. Selbsttragender Aufschwung Ost, seine Bedingungen und Kriterien
Die Bedingungen und Kriterien eines "selbsttragenden Aufschwungs" sollten nach mindestens drei verschiedene Ebenen analysiert werden: betriebswirtschaftliche, regional-haushaltsbezogene und regional-gesamtwirtschaftliche. Diese Ebenen sind eng untereinander verflochten und beeinflussen sich gegenseitig, sowohl in positiver als auch in negativer Beziehung. Sie weisen jeweils bestimmte Spezifika auf, die in der praktischen Wirtschaftspolitik beachtet werden müssen.
Auf der Unternehmensebene könnte gelten: Das Erreichen einer echten erweiterten Reproduktion der Anlagen mittels eigener Nettoinvestitionen auf der Grundlage einer mittleren (marktüblichen) Kapitalrendite bildet das Schwellenkriterium, das den selbsttragenden Aufschwung ermöglicht und wettbewerbsfähig symbolisiert. Dieses Stadium hat inzwischen eine Minderheit ostdeutscher Unternehmen (differenziert nach Branchen und Umsatzgrößenklassen) erreicht.13) Für die Gesamtheit der Unternehmen ist dies aber bei weitem nicht der Fall. Auf dieser Ebene der Unternehmen werden jedoch die Bedingungen eigener Reproduktionsfähigkeit am ehesten entstehen.
Aus der Sicht der regionalen Haushalte ist eine selbsttragende Entwicklung im Prinzip dann erreicht, wenn die originären Steuereinnahmen Investitionen insbesondere auch für die Infrastruktur ermöglichen, die über die Werterhaltung der Anlagen hinausgehen, bei Deckung der laufenden Personal- und Sachausgaben. Für ostdeutsche Gebietskörperschaften bildet die hierfür notwendige Eigensteuerquote noch ein fernes Ziel: das Steueraufkommen je Einwohner der ostdeutschen Länder und Kommunen liegt im Durchschnitt bei etwa einem Drittel des westdeutschen Standes. Eine Analyse dieser Problematik für Länder und Kommunen müßte den horizontalen Länderfinanzausgleich, vertikale Sonderzuweisungen des Bundes sowie Zuweisungen der Länder an die Kommunen in die Betrachtung einbeziehen.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht - die uns hier vor allem interessiert - ist eine ausgeglichene Bilanz von selbst produzierten und von endverwendeten Einkommen in der Region das Kriterium für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung. Davon ist die ostdeutsche Region insgesamt weit entfernt. Die hier verfügbaren Einkommen sind - wie bereits gezeigt wurde - wesentlich höher als die selbst erzeugten Einkommen. Diese höhere Verwendung korrespondiert mit den öffentlichen West/Ost- (Netto-) Finanztransfers, setzt diese voraus. Eine Verringerung der Differenz darf nicht dadurch erfolgen, daß die verfügbaren Einkommen reduziert werden oder langsamer wachsen als in den alten Bundesländern. Dies würde zur Vertiefung der sozialen Unterschiede zwischen Ost und West führen und gegen den Angleichungsprozeß in den Lebensbedingungen gerichtet sein. Der einzige zukunftsfähige Weg besteht darin, daß die Wertschöpfung und die darauf beruhenden selbst erzeugten Einkommen in den neuen Ländern rascher wachsen als in den alten.
Dieses gesamtwirtschaftliche Kriterium könnte mit dem Argument relativiert werden, daß nicht alle regionalen Untereinheiten einer Volkswirtschaft zwingend selbsttragend sein müssen. Für Ostdeutschland mit einem Fünftel der Bevölkerung und einem Drittel der Fläche Deutschlands und auch unter Berücksichtigung der Größe der Differenz, dürfte dieser Einwand jedoch nicht zutreffen. Ostdeutschland insgesamt ist die größte territorial zusammenhängende "Unterentwicklungsregion" (Zielregion 1) der EU.
Dies wirft die Frage auf, wie groß eine Streubreite regionaler Differenziertheit in einer föderalen Volkswirtschaft sein darf, ohne den regionalen Finanzausgleich zu überfordern. Damit stehen wir mitten in der aktuellen Auseinandersetzung um den föderalen Finanzausgleichs. Hier ist eine Lösung notwendig, die erstens den haushaltspolitischen Erfordernissen in den neuen Bundesländern unter Berücksichtigung ihrer niedrigeren eigenen Finanzkraft auch künftig hinreichend gerecht wird, die zweitens dazu beiträgt, die wirtschaftlichen Leistungsunterschiede zwischen Ost und West zu verringern und die drittens die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnissen gemäß Grundgesetz ermöglicht.

3. Zum Angleichungsprozeß
Der Angleichungsprozeß hat ebenfalls mehrere Seiten, die miteinander eng verbunden sind: die volkswirtschaftliche Leistungsangleichung der Gesamt-region Ost, die regionale Angleichung (Infrastruktur, Finanzkraft) zwischen den Ländern bzw. innerhalb der Länder und die Angleichung der Lebensverhältnisse, insbesondere der Masseneinkommen (Arbeitseinkommen und Sozialleistungen) Ost an West.
Volkswirtschaftliche Angleichung
Die historische Herausforderung besteht darin, den Angleichungsprozeß hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit einer zukunftsorientierten Wirtschaftsstruktur, d.h. mit einem sozial-ökologischen Umbau, mit den Erfordernissen einer nachhaltigen Entwicklung zu verbinden. Die großen Probleme und Schwierigkeiten des "Aufholprozesses" sowie seine insgesamt recht düsteren Perspektiven dürfen jedoch nicht dazu führen, auf das Ziel einer Angleichung zu verzichten, und sich langfristig mit de facto zwei Teilgesellschaften in einem Staat zufrieden zu geben.
In einer neueren Untersuchung des IWH wird konstatiert, daß es den erhofften "selbsttragenden Aufschwung Ost" als Garantie für eine Angleichung des Leistungsniveaus Ost an West nicht geben kann: "Generell kann der Schluß gezogen werden, daß selbst dann, wenn Ostdeutschland das Niveau der Lohnstückkosten Westdeutschlands erreicht haben wird, ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, das jenes in Westdeutschland übersteigt, nicht eintreten kann. Die Gewinnerwartungen der Unternehmen werden dann nämlich nur das Niveau der westdeutschen erreichen, aber keineswegs übersteigen." Die gesamte volkswirtschaftliche Niveauannäherung müsse also mittel externer Investitionen "von außen alimentiert werden".14) Solange die überwiegende Masse der ostdeutschen Kleinunternehmen nicht deutlich über die westdeutschen Renditen kommt, gibt es - so die Schlußfolgerung dieser Studie - keine Voraussetzung für eine ausreichende eigene Kapitalakkumulation für eine forcierte Investitionswelle. Die Chancen, eine externe "zweite Welle" forcierter Investitionen in Ostdeutschland staatlich zu initiieren, sind jedoch infolge der politischen Bedingungen in der Bundesrepublik und der Dominanz neoliberaler Ideologie recht gering. Auch die Wettbewerbsregelungen der EU sind hierfür ein schwer zu überwindendes Hindernis, da Präferenzen oft EU-widrig oder genehmigungspflichtig sind. Würde es bei der bisherigen im weitgehend spontanen Entwicklung - bei maßvollen "üblichen" Investi-tionsanreizen - bleiben, wäre nach allen Erfahrungen in einem absehbaren Zeitraum keine reale Angleichung der wirtschaftlichen Leistungskraft Ost an West zu erreichen.
Diese Skepsis wird auch von der Absatzseite her ergänzt: "Heute ist davon auszugehen, daß es der ostdeutschen Wirtschaft nicht gelingen wird, so viele Marktanteile zurückzugewinnen, daß sich in überschaubarer Zeit eine deut-liche Verringerung der Transfers ergibt."15) Eine Absatzerweiterung ist jedoch für die wirtschaftliche Angleichung unverzichtbar. Dabei sollte es nicht um eine Alternative zwischen innerregionalem Absatz, Absatz in andere Regionen und Export gehen. Es gilt vielmehr alle Chancen und Möglichkeiten für eine Absatzerweiterung zielstrebig zu nutzen.
Angleichung zwischen und in den neuen Bundesländern
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) gibt hierzu folgende Empfehlung: "Dabei sollte die Politik nicht auf regionalen Ausgleich setzen, sie sollte vielmehr auf Regionen konzentriert sein, in denen bereits Potential vorhanden ist, so daß dieses besser genutzt werden kann."16) Eine solche Politik muß dazu führen, daß sich kurz- und auch mittelfristig die innerregionale Differenzierung Ost noch verstärkt. Um den Preis, Kernregionen rascher voranzubringen, würden regionale Interessenkonflikte zunehmen. Hier ist nicht der Platz, um ausführlicher auf diese Problematik einzugehen. Daher nur soviel: Es sollte u.E. angestrebt werden, einerseits die Förderung in den Kernregionen so durchzuführen, daß sich da-raus mehr positive Effekte für angrenzende, schwächer entwickelte Gebiete ergeben. Andererseits müßten größere Disproportionen beim Mitteleinsatz für stärker bzw. für weniger entwickelte Regionen verhindert werden. Vorhandene gute Regionalkonzepte, die Gebiete außerhalb der Kernregionen betreffen, dürfen nicht wie bisher auf der Strecke bleiben. Perspektivisch gilt es zu verhindern, daß die innerregionale Differenzierung zunimmt.
Angleichung der Lebensverhältnisse, insbesondere der Masseneinkommen
Trotz der sozialen Nettotransfers West/Ost wird die weitere Annäherung durch die hohe Arbeitslosigkeit und den Rückstand in der volkswirtschaft-lichen Leistung (BIP) je Einwohner und je Erwerbstätigen gebremst. Die Situation ist jedoch in den verschiedenen Bereichen und Zweigen Ostdeutschlands recht differenziert, speziell im Hinblick auf die Ost-West-Rückstände in der Produktivität und bei den Löhnen und die Relationen zwischen beiden Größen. Die Lohn-Produktivitäts-Lücke ist im produzierenden Gewerbe nur noch gering17) und dürfte kaum noch eine Rolle für Investitionsentscheidungen spielen. Die IG Metall rechnet im Jahr 2000 für die Metallindustrie mit Ost/West Relationen in der Produktivität von 80:100, bei den effektiven Löhnen und Gehältern je Beschäftigtenstunde jedoch von nur 64:100. Folglich besteht ein beträchtlicher Verteilungsspielraum für eine deutliche Lohnanhebung. Im Gegensatz hierzu wird von den Unternehmerverbänden und dem SVR eine Lohnanhebung unterhalb der Produktivitätssteigerung gefordert. Lohnzurückhaltung soll offensichtlich die Verluste ostdeutscher Unternehmen infolge zu hoher Kosten auf anderen Gebieten und zu geringer Preise beim Absatz ausgleichen. Branchenbezogene Widersprüche zwischen Produktivitäts- und Lohnhöhe müßten jedoch u.E. vorrangig durch eine beschleunigte Produktivitätssteigerung gelöst werden. Die Erhöhung der Rentabilitätsraten der ostdeutscher Unternehmen könnte in Verbindung mit einer Produktivitäts- und Umsatzsteigerung die Bedingungen für den Durchbruch zur selbsttragenden Entwicklung erleichtern. Damit könnte die weitere generelle Angleichung der Masseneinkommen mit der Steigerung der volkswirtschaftlichen Leistung Ost positiv gekoppelt werden, soweit sie nicht aus anderen Gründen partiell rascher zu vollziehen wäre, wie z.B. Arbeitseinkommen im öffentlichen Dienst oder bei den Renten.

4. Einige Besonderheiten der ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung
Für die Problematik eines selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuen Bundesländern spielen folgende Besonderheiten der ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung eine wichtige Rolle.
Erstens: Ostdeutschland wurde mit einer wesentlich niedrigeren gesamtwirtschaftlichen Produktivität, einem geringeren Konsumtionsniveau sowie großen Rückständen bei der Modernisierung der Produktionsanlagen und der Infrastruktur zum Bestandteil der ökonomisch stärkeren Bundesrepublik. Das Grundgesetz und die Wirtschafts- und Sozialordnung des ehemaligen Bundesgebiets wurden sofort für die neuen Bundesländer gültig. Dies ermöglichte, insbesondere in den ersten Jahren nach dem Beitritt der DDR, einen großen konsumtiven und investiven Nachfrageschub, und damit eine Gesamtnachfrage, die weit über der früheren realen DDR-Eigenleistung (bis 1989) und den seit der Vereinigung extrem veränderten eigenen Wachstumsmöglichkeiten der ostdeutschen Wirtschaft lag.
Zweitens: Die marktwirtschaftliche Transformation der DDR-Wirtschaft erfolgte bei gleichzeitiger Eliminierung großer Teile ihres Wirtschafts- und Forschungspotentials. Die Einführung der DM führte zu einem Aufwertungsschock und zur offenen Konkurrenz mit ökonomisch überlegenen westdeutschen und ausländischen Unternehmen, der die meisten ostdeutschen Unternehmen nicht gewachsen waren. Dazu trug auch das Fehlen von Übergangs-/ Schutzmaßnahmen bei. Die große Kluft zwischen der inneren (auch transfergestützten) Nachfrage und den eigenen wirtschaftlicher Leistungen der neuen Länder wird auch bei einem Vergleich mit den ost- und mitteleuropäischen ehemals staatssozialistischen Ländern deutlich. Dies bedingte eine starke, nachhaltige Abhängigkeit der ökonomischen und sozialen Entwicklung in den neuen Ländern von hohen öffentlichen finanziellen West-/Ost-Transfers sowie von Investitionen westdeutscher und ausländischer Unternehmen.
Drittens: Die ökonomische Macht, die dominierenden Interessen und die überlegene Wettbewerbsfähigkeit des westdeutschen Kapitals bewirkten, daß die in Ostdeutschland schon längere Zeit existierenden Unternehmen größere Teile des ostdeutschen Markts verloren. Dies wurde noch dadurch verstärkt, daß die durch Finanztransfers möglichen beträchtlichen öffentlichen Aufträge zu einem großen Teil direkt oder indirekt - über ein verzweigtes System von Subauftragnehmern - an westdeutsche Unternehmen gingen. Ein großer Teil der westdeutschen Lieferüberschüsse beruht nicht auf fehlenden Produk-tionsmöglichkeiten, sondern auf zu geringen Marktanteilen der originär ostdeutschen Unternehmen. Dies wird auch daran deutlich, daß die Auslastung der Produktionskapazitäten der Unternehmen in Ostdeutschland in den neunziger Jahren stets niedriger war als in Westdeutschland. Die Wettbewerbsnachteile der ostdeutschen Unternehmen werden noch durch das Fehlen leistungsfähiger Großbetriebe, die oft hemmende Eigenkapitalschwäche insbesondere bei den innovativen Existenzgründern und unterdurchschnittliche Umsatzrenditen verstärkt.
Viertens: Die neuen Bundesländer weisen gegenüber anderen EU-Ländern und Regionen, die von äußeren Akkumulationsquellen stark abhängig sind und ein im Vergleich zur EU unterdurchschnittliches BIP je Einwohner haben, eine wesentliche Spezifik auf. Sie haben in der Zeit der DDR schon über eine längere Periode hinweg eine eigenständige, selbsttragende Wirtschaftsentwicklung realisiert. Entscheidende Faktoren für den wirtschaftlichen Aufschwung sind noch aus dieser Zeit vorhanden, vor allem gut ausgebildete, qualifizierte und motivierte Menschen sowie leistungsfähige Forschungsgruppen. Hinzu kommen aus der Entwicklung nach 1990 insbesondere hochgradig erneuerte moderne Ausrüstungen und eine verbesserte und erweiterte Infrastruktur. Im Unterschied zu jenen Ländern, die sich noch in der eigent-lichen Industrialisierungsetappe befinden oder diese noch vor sich haben, geht es in Ostdeutschland nicht primär um die Entwicklung der Wachstumsfaktoren. Vielmehr besteht hier das Grundproblem darin, daß die Wirtschaftspolitik wirksamer dazu beitragen muß, diese endogenen Faktoren effektiver zu nutzen und miteinander zu verbinden sowie die zusätzlichen exogenen Mittel der Wirtschaftsförderung wirksamer einzusetzen, um Fortschritte bei einer sich selbst tragenden Entwicklung und ökonomischen Angleichung zu erreichen. Allerdings zeigt sich schon jetzt die Tendenz, daß ein hohes Qualifikationsniveau und kreative Forschungspotentiale durch Unterforderung geschwächt und schließlich verloren gehen.

5. West-Ost Finanztransfers
Folgt man den Angaben des Wirtschaftsministeriums betrug das kumulative Volumen des Nettotransfers im Zeitraum 1991-1999 rund 1.200 Mrd. DM. In dieser Summe sind einerseits spezielle "Begünstigungen" der neuen Länder im Vergleich zum früheren Bundesgebiet enthalten und andererseits Leistungen, "die sich aus der Ausdehnung der Finanzverfassung und der allgemeinen Staatstätigkeit auf die neuen Länder ergeben."18) Zu den letzteren gehören die Leistungen auf Grundlage der Leistungsgesetze (vor allem Sozialleistungen), des Länderfinanzausgleichs sowie reine Bundesaufgaben. Die speziellen Leistungen für die neuen Bundesländer belaufen sich nach den Berechnungen der Bundesbank, die im wesentlichen auch mit Einschätzungen der ostdeutscher Länderfinanzminister und des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle übereinstimmen, auf knapp 50 Mrd. DM jährlich. Das sind bis 1999 kumulativ rund 450 Mrd. DM oder rund ein Drittel der allgemein als Nettotransfers genannten Größe. Im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit vom Oktober 1999 werden die spezifischen Leistungen für den "Aufbau Ost" mit jährlich 40 Mrd. Mark angegeben.
Beide Berechnungen haben u. E. ihre Berechtigung. Wenn es um die spezifische Unterstützung für Ostdeutschland geht, die auch den eigentlich zu beeinflussenden Teil der Transfers darstellt, so muß von der niedrigeren Größe von 40-50 Mrd. ausgegangen werden. Zu den speziellen Regelungen für Ostdeutschland, die sich auf die Höhe der Finanztransfers auswirken, gehören insbesondere Maßnahmen zur Unternehmensförderung, darunter die verschiedenen Regelungen der Investitionsförderung, und Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik. Wenn es jedoch um die Gesamtgröße der Belastungen der öffentlichen Haushalte, einschließlich der Sozialversicherungshaushalte geht, so müßten mit einigen Ausnahmen die gesamten Nettoleistungen berücksichtigt werden. Soweit es um zusätzliche Belastungen geht, müßte diese Größe jedoch noch um die Steuermehreinnahmen in den alten Bundesländern, die sich aus der Erweiterung der Absatzmärkte beim Anschluß der DDR ergeben, korrigiert werden. Nach groben Berechnungen über die Wachstumsimpulse für die Wirtschaft Westdeutschlands, die sich aus dem Lieferüberschuß der alten in die neuen Bundesländer von jährlich über 200 Mrd. Mark ergeben, würden die hieraus resultierenden Mehreinnahmen der öffentlichen Haushalte (Bund, Haushalte der westdeutschen Länder und Kommunen, Haushalte der Sozialversicherung) jährlich mehr als 50 Mrd. Mark betragen.
Ein Vergleich der Finanztransfers mit den finanziellen Belastungen der öffentlichen Haushalte durch die Massenarbeitslosigkeit ist recht aufschlußreich. Von 1992 bis 1998 sind die Nettotransfers West-Ost von 114 Mrd. DM auf 142 Mrd. DM (um 25 vH) gestiegen, seit 1995 (140 Mrd. DM) sind sie unverändert geblieben.19) Die fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit betrugen 1998 rund 170 Mrd. DM, mehr als das Doppelte von 1990/91. D.h. die Haushalte wurden in ihrer absoluten Höhe und vor allem in ihrer Dynamik in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre stärker durch die fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit als durch den Finanztransfers West-Ost belastet. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Vernichtung von 3,5 Millionen Arbeitsplätzen in Ostdeutschland auch der Hauptfaktor der notwendigen Finanztransfers ist.
Der Hauptteil der Finanztransfers (knapp die Hälfte) wird für Sozialleistungen, d.h. konsumtiv, eingesetzt, etwas weniger als ein Drittel für allgemeine, nicht aufteilbare Finanzzuweisungen für die Länder und Kommunen sowie knapp ein Viertel für Wirtschaftsförderung/Investitionen.20)
Die Finanztransfers spielten und spielen auch weiterhin zweifellos eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den neuen Bundesländern. Ohne diese finanziellen Leistungen wären die bisher erzielten Ergebnisse in der Investitionsentwicklung (höhere Investitionen je Einwohner als in den alten Bundesländern), speziell bei der Erneuerung des Anlagekapitals von Unternehmen und der Entwicklung der Infrastruktur, nicht möglich gewesen, wäre die Tätigkeit vieler Kommunen lahmgelegt, könnten die Zahlungen für Arbeitslosengeld, Altersübergangsgeld u.ä. sowie für die Renten nicht durchgeführt werden. Die Erhöhung der Realeinkommen und des materiellen Lebensniveaus für die meisten in Ostdeutschland lebenden Menschen seit 1990 hat in den Finanztransfers eine wichtige Grundlage.
Die Finanztransfers haben aber nicht verhindert, daß der wirtschaftliche Aufholprozeß und die Angleichung der Lebensverhältnisse seit nunmehr vier Jahren abgebrochen sind. Sie werden für sich genommen, ohne eine grundlegende Änderung der Politik, auch in den kommenden Jahren die Stagnation im ökonomischen und sozialen Angleichungsprozeß Ost- an Westdeutschland nicht überwinden. Darin zeigt sich, daß Finanztransfers wirtschaftliche Aufhol- und Revitalisierungsprozesse initiieren und fördern, aus sich heraus jedoch kaum hervorbringen können. Entscheidend bleibt, inwieweit es gelingt, die Mittel so einzusetzen, daß die Wirtschaftskraft nachhaltig verbessert wird, vor allem auch eigenständige regionale Wirtschaftskreisläufe herausgebildet und gestärkt werden.
Eine Bewertung der laufenden Finanztransfers von West nach Ost verlangt, auch die Vermögenstransfers, die in umgekehrter Richtung, von Ost nach West verlaufen sind, in die Analyse einzubeziehen. Die westdeutschen Unternehmen erzielten im Ergebnis der Privatisierungstätigkeit der Treuhandanstalt einen mehrfachen Profit: Viele Betriebe wurden zu einem sehr niedrigen, oft nur symbolischen Preis von einer DM verkauft, oder die Privatisierung wurde mit entsprechenden Finanzhilfen noch versüßt. Die übernommenen Betriebe wurden in die bestehenden westdeutschen Konzern- und Unternehmensstrukturen eingebunden, woraus sich zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Zulieferungen und Investitionsgüter eröffneten. Das Ziel des Unternehmenskaufs war oft gar nicht die Fortführung der Produktion, sondern der Erwerb einer Immobilie mit günstigen Verwertungschancen. Häufig ging es auch einfach um die Beseitigung eines Konkurrenten und die Übernahme seiner Marktanteile, offensichtlich z.B. bei der Stillegung des Kaliwerkes in Bischofferode und mehrerer leistungsfähiger, international renommierter Maschinenbaubetriebe.
Der Vermögenstransfer von Ost nach West in einer dreistelligen Milliardengröße - nach vorliegenden Schätzungen kann von mindestens 400 Mrd. DM21) ausgegangen werden - begründet eine dauerhafte Abhängigkeit der in den neuen Bundesländern liegenden Unternehmen von den westdeutschen Konzernen und Stammunternehmen. Der Anteil der Ostdeutschen am gesamten deutschen Produktivvermögen liegt infolge dieses Eigentumstransfers und der nach wie vor niedrigeren Kapitalausstattung ostdeutscher Unternehmen nur bei etwa drei vH. Die Anteile am Immobilien- und Geldvermögen betragen zwar auch nur etwa ein Drittel des Bevölkerungsanteils, sind jedoch mit 7,7 vH und 6,6 vH mehr als doppelt so groß.22)
Im Unterschied zu den jährlichen Finanztransfers handelt es sich bei dem Vermögenstransfer nicht um Umverteilungsvorgänge in den Einkommen, die durch gesetzliche Regelungen geändert werden können, sondern um langfristig wirkende, nachhaltige Veränderungen in den Vermögens- und Eigentumsstrukturen zu Gunsten westdeutscher Kapitaleigentümer und zum Nachteil der ostdeutschen Bevölkerung. Sie determinieren in hohem Maße die gegenwärtigen und zukünftigen Verteilungsstrukturen der Einkommen. So ergibt sich hieraus ein anhaltender Gewinntransfer von Ost nach West sowie die Realisierung von Wertschöpfung und Steuern in den alten Bundesländern, die in den neuen erwirtschaftet wurden.

6. Alternative wirtschaftspolitische Vorstellungen für die neuen Bundesländer
Bisher hat die rot-grüne Bundesregierung nicht erkennen lassen, daß sie eine wirklich neue "Wirtschaftsstrategie Ost" verfolgen würde. Von einigen graduellen Fortschritten, Konzentration der Förderprogramme und -mittel, Umgestaltung der Innovationsförderung, u.a. durch neue Programme zur Unterstützung innovativer KMU und Förderung regionaler Netzwerke zwischen Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Verwaltungen (InnoRegio, InnoNet, PRO INNO), abgesehen, hat die rot-grüne Bundesregierung kein tragfähiges Konzept für eine zielgerichtete und realistische wirtschaftlich und soziale Angleichung Ostdeutschlands vorgelegt. Der Sachverständigenrat stellte in seinem letzten Gutachten fest: "Die Bundesregierung führte im Jahre 1999 die bislang betriebene Förderpolitik mit einigen Änderungen fort." 23) Das mit dem "Jahresbericht 1999 der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit" vorgelegte Konzept bedeutet im Kern: Verzicht auf eine aktive regionale Struktur- und Beschäftigungspolitik, Verzicht auf einen erhöhten Investitionseinsatz mittels eines zukunftsorientierten Investitionsprogramms und Zurückweichen vor den Problemen der Stimulierung einer zweiten exogenen Investitionswelle, Verlassen auf die spontanen Marktkräfte und den Marktwettbewerb.
Die Wirtschaftspolitik für und in Ostdeutschland müßte auf die strategischen Aufgaben gerichtet werden, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, das Wirtschafts- und Innovationspotential und die innovative Exportbasis im Industriesektor zu stärken, die Niveauunterschiede Ost/West rascher zu verringern. Diese Aufgaben gilt es mit den Erfordernissen einer nachhaltigen, umweltfreundlichen Gestaltung der wirtschaftlichen Strukturen und Verflechtungen zu verbinden.
In einem Konzept für die langfristige Wirtschaftsentwicklung Ostdeutschlands kommt regionaler Strukturpolitik eine Schlüsselrolle zu. Sie muß aktiv koordinierend private und öffentliche Interessen und Potenzen zielgerichtet verknüpfen, deren Kooperation stimulieren und dies durch marktwirtschaft-liche Instrumente befördern. Dafür müßten dezentrale Ansätze der Struktur- und Standortpolitik ein größeres Gewicht gewinnen, wie z.B. die Aufgabe, "auf originäre Art und Weise Kompetenzen der eher traditionellen, formellen Regionalplanung mit Kompetenzen einer innovationsorientierten, auf regionale Netzwerke ausgerichteten informellen Regionalplanung organisch zu verbinden".24)
Ein Wiederherstellen früherer industrieller Strukturen oder ein bloßes Nachholen westdeutscher Industrialisierung führt in die Sackgasse. Eine zukunftsorientierte Wirtschaftsentwicklung Ostdeutschlands erfordert, das technologische und Produktivitätsniveau der ostdeutschen Wirtschaft und ihre Innovationskraft, Wettbewerbs- und Absatzfähigkeit weiter zu erhöhen sowie die Branchen- und Erzeugnisstrukturen in Übereinstimmung mit sozial-ökologischen Zukunftserfordernissen zu erneuern. Nur dann können gleichzeitig die für eine selbsttragende Wirtschaftsentwicklung notwendigen "normalen" Renditen erreicht, die darauf beruhende eigene Innovations- und Investi-tionsfähigkeit der Unternehmen in Ostdeutschland erhöht, die Marktanteile auf dem westdeutschen Markt und im Export erweitert und eine sozial-ökologische Zukunftsfähigkeit gesichert werden.
Ein alternatives Konzept für die Wirtschaft Ostdeutschlands müßte somit darauf gerichtet sein, eine doppelte Aufgabe zu erfüllen: Einerseits durch ein im Vergleich zu Westdeutschland rascheres Wirtschafts- und Produktivitätswachstum die Kluft zwischen Eigenleistung und Endverbrauch schrittweise zu verringern. Andererseits dies mit einem zukunftsfähigen sozial-ökologischen Umbau in der Wirtschaft und dem Abbau der Massen-arbeitslosigkeit zu koppeln.
Für eine solche selbsttragende und gleichzeitig nachhaltige Wirtschaftsentwicklung kommt der Förderung der Forschung und der Markterweiterung für die ostdeutschen KMU eine entscheidende Rolle zu. Gesamtwirtschaftlich ist auf eine ökologisch orientierte Reindustrialisierung, umweltgerechte Revitalisierung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume sowie Stärkung der Humandienstleistungen zu orientieren. Hochwertige, qualifizierte Produk-tionsdienstleistungen müssen ihren Anteil am BIP erhöhen.
Auch in zeitlicher Priorität muß einer doppelten Aufgabe entsprochen werden. Strategisch: Übergang zu einer zukunftsfähigen, sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung bei Schaffung zukunftsorientierter Arbeitsplätze für eine neue Art Vollbeschäftigung. Kurzfristig: Sofortprogramm zur Verringerung der auch für die nächsten Jahre prognostizierten hohen Arbeitslosigkeit, gegen die Ausbildungsmisere der Jugend und hohe Jugend-arbeitslosigkeit, gegen die Tendenz vermeidbarer Konkurse im gewerblichen Mittelstand.
Ein solches Wirtschaftskonzept für Ostdeutschland könnte ein innovativer Beitrag für ein zukunftsfähiges Deutschland werden. Dafür ist eine qualitativ neue Synthese von gesellschaftlicher und marktwirtschaftlicher Regulierung notwendig, die sich vom Scheitern einer zentralistischen Planung ebenso wie von den Mißerfolgen einer dogmatischer Marktradikalität und Deregulierung löst. Ohne eine wirksame Wirtschaftssteuerung neuer Qualität wird es in absehbarer Zeit keinen selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwung Ost geben.
Elemente einer solchen stärkeren staatlichen Regulierung zur Unterstützung der ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung sollten u.a. sein:
- Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit regionaler, dezentraler Fertigungen und Wirtschaftsverflechtungen gegenüber zentralen Großfertigungen mit Zuliefer- und Absatzbeziehungen über große Entfernungen durch Verteuerung der Transporte (Schwerlastabgabe, Ökosteuer u.a.) und Begünstigung regionaler Wirtschaftskreisläufe;

- Stärkung regionalpolitischer Raumplanung, industriepolitischer Koordinierung und Ansiedlungsförderung sowie einer Vernetzungspolitik, insbesondere auf der Länder- und innerregionalen Ebene;
- Unterstützung der Entstehung und raschen Erweiterung "neuer" Märkte durch ökonomische Maßnahmen und Anwendung des Ordnungsrechts, insbesondere für umweltgerechte Produktionen, u.a. erneuerbare Energien, Wärme-Kraft-Kopplung, Recyclingtechnologien (z.B. durch Festlegung von Mindestquoten);
- Erhöhung der konsumtiven und investiven Nachfrage, durch weitere Stärkung der Masseneinkommen in Übereinstimmung mit der Produktivitäts-erhöhung und Einführung einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung sowie Weiterführung der Investitions- und Forschungsförderung.
Hierdurch müssen die Voraussetzungen verbessert werden, um eine höhere Innovationsfähigkeit auch in steigende Investitionen, höheres Wirtschaftswachstum, Absatzerweiterung und in eine Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen umzusetzen.
Schwerpunkte eines solchen wirtschaftspolitischen Konzepts sind folgende vorwiegend langfristige Aufgaben, die aber so weit möglich mit kurzfristig wirksamen Realisierungsschritten verbunden werden müssen:
Erstens: Es gilt die bisherige Isolierung von Struktur-, Technologie-, Beschäftigungs- und Ausbildungspolitik voneinander sowie von der noch immer zersplitterten Förderpolitik zu überwinden. Eine wichtige Grundlage hierfür könnten Zukunftsinvestitionsprogramme der ostdeutschen Länder sein, die den infrastrukturellen Ausbau mit dem ökologischen Umbau und einer innovativen Reindustrialisierung koppeln. Dies erfordert auch die Integration und das Bündeln sowie die zielgerichtete Nutzung der verschiedenen Förderprogramme und -instrumente sowie der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik.
Zweitens: Ostdeutschland müßte mit seiner im Verhältnis zu Westdeutschland doppelt so hohen Arbeitslosenquote eine Pionierrolle für innovative Wege zur Erhaltung vorhandener und zur Schaffung neuer perspektivischer Arbeitsplätze spielen. Dies gilt für die Förderung der Ansiedlung von Unternehmen mit hoher Multiplikatorwirkung, die umweltfreundliche Reindustrialisierung, die Unterstützung regionaler Wirtschaftskreisläufe, die Revitalisierung ländlicher Räume und für die Herausbildung eines Bereich öffentlich geförderter gemeinnütziger Arbeiten (ÖBS) - sozio-kulturelle Aufgaben, Altlasten- und Städtesanierung, Aufgaben zur Durchsetzung der "Lokalen Agenden 21".
Die Herausbildung eines ÖBS verlangt, ihn mit den Arbeiten im öffentlichen Dienst und mit der Entwicklung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) so zu verbinden, daß möglichst geringe Reibungen entstehen. Der ÖBS knüpft an Erfahrungen der bisherigen Arbeitsmarktpolitik an und führt sie weiter. Er unterscheidet sich von den traditionellen ABM u.a. darin, daß er auf Projektförderung beruht, eine langfristige Beschäftigung sichern soll und zu tariflichen Bedingungen erfolgt. Seine Grundfinanzierung durch Bund, Länder, Kommunen und die Bundesanstalt für Arbeit erfordert, die bisherigen Ressortschranken zu überwinden. Die Maßnahmen der traditionellen aktiven Arbeitsmarktpolitik behalten in Ostdeutschland für eine längere Zeit ihre Bedeutung. Die Arbeitsmarktprognose der Wirtschaftsforschung verheißen für Ostdeutschland schlechte Aussichten. Die Reduzierung der in ABM-Maßnahmen einbezogenen Menschen, wie sie in der letzten Zeit eingetreten ist, muß rückgängig gemacht werden.
Drittens: Die Neugestaltung von Wirtschaftsstrukturen und -verflechtungen eröffnet neue Möglichkeiten für den ökologischen Umbau, die es zielgerichtet zu nutzen gilt. Dies verlangt, die Erhöhung von Produktivität und Effi-zienz mit der Gestaltung neuer, ökologisch nachhaltiger Strukturen und Wertschöpfungsketten zu verbinden:
- Ausbau der Potentiale für Forschung und Technologieentwicklung und deren verstärkte Einsatz für Aufgaben des ökologischen Umbaus;
- Forcierte Entwicklung von Technologien zur Energieeinsparung und zur Nutzung regenerativer Energieträger und Erhöhung ihres Anteils am Energieaufkommen;
- Veränderung in der Verkehrspolitik, u.a. durch Verkehrsvermeidung mit Hilfe einer besseren Nutzung regionaler Potentiale und Verflechtungen sowie die - Förderung umweltfreundlicher Verkehrssysteme;
- Ressourceneinsparung durch vorrangige Entwicklung und Nutzung effektiver Recyclingtechnologien und integrierter, vorsorgender Umwelttechnolo-gien;
- Ausbau vorhandener und Aufbau neuer umweltgerechter Kapazitäten der Investitionsgüterindustrie für den Einsatz in der Wirtschaft und den Export.
Viertens: Die stärkere Regionalisierung der Wirtschaftsentwicklung, speziell die Entwicklung innerregionaler Verflechtungen und Wirtschaftskreisläufe, erhält in Ostdeutschland eine besondere Bedeutung. Sie übt eine Schlüsselfunktion aus, um die inneren Potentiale der Ostregion zielgerichtet zu erschließen. In regionalen Entwicklungskonzepten müßten differenzierte Zielvorgaben und Leitbilder für Produktionen und Dienstleistungen angeboten werden, die einerseits vorwiegend den regionalen Markt betreffen und hierzu starke Verflechtungen über Vorleistungen aufweisen, und andererseits spezialisierte und meist technologieintensive Komplexe betreffen, die vorwiegend auf überregionalen Absatz zielen oder/und eine überregionale bzw. internationale Arbeitsteilung einschließen. Bei diesen letzteren, speziell bei der Entwicklung regionaler Innovations- und Kompetenzzentren, bestehen beträchtliche Möglichkeiten, um regionale Vernetzungseffekte zu nutzen und damit sowohl die Wertschöpfung zu erhöhen und den Absatz zu erweitern, als auch zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Durch eine engere Verflechtung technologieintensiver Produktions- und Dienstleistungskomplexen mit den vorgelagerten Stufen bzw. Zulieferern, auch mit leistungsfähigen Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen in der Region, und mit den Anwendern können beträchtliche regionale Synergieeffekte realisiert werden. Eine aktive Wirtschaftspolitik zur Herausbildung solcher Zentren und zur stärkeren innerregionalen Vernetzung mit anderen Bereichen ist für die Zukunftsfähigkeit der ostdeutschen Region entscheidend. Bisher wird die Herausbildung solcher regionaler Kompetenzzentren u.a. dadurch gehemmt, daß größere Unternehmen den Hauptteil ihrer Vorleistungen - vor allem hochwertige Erzeugnisse und Dienstleistungen, Ausrüstungsgüter, FuE-Leistungen, Vorprodukte, qualifizierte Dienstleistungen in den Bereichen Logistik, Absatz und Vertrieb, Informationsverarbeitung und Beratung - außerhalb der Region beziehen, häufig von einer westdeutschen oder ausländischen Muttergesellschaft. Zulieferungen aus der näheren Umgebung beschränken sich vorwiegend auf transportkostenintensive Rohstoffe, Bauleistungen und einfache Dienstleistungen.
In der Überwindung solcher Defizite bestehen bisher nicht genügend ausgeschöpfte Möglichkeiten ostdeutscher Regionen. Diese Aufgabe kann nicht auf Forschung und Technologie begrenzt werden, sondern muß andere wesentliche Elemente des Reproduktionsprozesse - rasche Produktionseinführung, Investitionen, Markterschließung und Absatz - einschließen. Sie sollte unter Nutzung auch internationaler Arbeitsteilung als Mittel zur Förderung regionaler Wirtschaftsverflechtungen eingesetzt werden.25) Eine intensive und langfristige Innovationsförderung ist auch deshalb unverzichtbar, weil noch immer die FuE-intensiven Zweige der Industrie, verglichen mit dem gesamten verarbeiten Gewerbe in Ostdeutschland besonders schwach entwickelt sind, wie die Tabelle 2 zeigt.
Fünftens: Es ist notwendig, die Wirtschaftsförderung Ost effektiver zu gestalten und langfristig auf einem Niveau fortzuführen, das eine Fortsetzung des Angleichungsprozesses ermöglicht und begünstigt. Die vom Wirtschaftsminister vorgesehene Konzentration der technologieorientierten Programme auf drei "Förderlinien" (Innovation, Forschungskooperation und technologische Beratung) wird als eine notwendige Maßnahme gegen Zersplitterung der Förderinstrumente auf diesem Gebiet unterstützt. Darüber hinaus müßte die Wirtschaftsförderung in folgenden Richtungen verbessert werden: engere Verflechtung der Wirtschafts- und Forschungsförderung mit regionaler Wirtschafts-, Struktur-, Beschäftigungs- und Umweltpolitik sowie mit den regionalen Entwicklungskonzepten; größere Einflußmöglichkeiten der Länder und Kommunen sowie der in den Regionen tätigen Organisationen und Verbände auf den Einsatz der Fördermittel; Veränderung der Verwendungsstruktur der Fördermittel von Steuersubventionen zu direkten Wirtschafts- und Investitionshilfen, ein größerer Teil der Investitionshilfen sollte als Beteiligung der öffentlichen Hand am Kapital der Unternehmen, zur Unterstützung innovativer Existenzgründer und speziell von Exportproduktionen eingesetzt werden. Die im Haushaltsplan 2000 vorgesehene wei-tere Reduzierung der Mittel für die Wirtschaftsförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" und für einige Forschungsprogramme, die für Ostdeutschland bedeutsam sind, widerspricht den Angleichungserfordernissen.

Tabelle 2
Gewicht ostdeutscher FuE-intensiver Zweige in der gesamtdeutschen Industrie, 1998, vH

Ostdeutschland

Betriebe1)

Beschäftigte

Umsatz

Export

Investitionen2)

 

Anteil an der jeweiligen deutschen Gesamtheit, vH

FuE-intensive Zweige

13,71

7,10

5,20

3,31

11,23

Verarbeitendes Gewerbe

15,19

9,05

6,80

3,73

13,29

1) Nur Betriebe mit 20 u. mehr Beschäftigten; auch die anderen Daten beziehen sich auf diese Abgrenzung;
2) Investitionsvolumen zu Preisen von 1995
Quellen: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie, Reihe 4.1.1, 1998; DIW, Vergleichende Branchendaten für das Verarbeitende Gewerbe in Ost- und Westdeutschland, Berlin, 1999

Von den sechs führenden wirtschaftswissenschaftlichen Instituten und dem SVR wird gefordert, die spezielle "Sonderförderung Ost" des Bundes ("Sonder- und Ergänzungszuweisungen") ab Ende 2004 einzustellen. Begründet wird dies vor allem mit der schädlichen Wirkung von Dauersubventionen sowie damit, daß die vorhandenen Standortdefizite und die nicht gefestigte Unternehmenslandschaft als Nachteile der neuen Bundesländer zunehmend an Gewicht verlieren, und daß Ostdeutschland immer weniger als einheitliche unterentwickelte Wirtschaftsregion angesehen werden kann.26)
Im Gegensatz zu dieser Auffassung ergibt sich aus der Analyse der bisherigen Entwicklung und der noch ungelösten Probleme: Die Einstellung der "Sonderförderung Ost" mit ihrer voraussehbaren Konsequenz reduzierter Transfers von Bundesmitteln für die Wirtschaftsförderung, würde den Erfordernissen der weiteren Leistungsangleichung widersprechen und den Übergang zu einer selbsttragenden Entwicklung in den neuen Bundesländern nicht nur noch mehr verzögern, sondern wahrscheinlich unmöglich machen bzw. in eine völlig ungewisse, ferne Zukunft verschieben. Die