Rezension zu - Erik Borg: Projekt Globalisierung: Soziale Kräfte im Konflikt um Hegemonie, Verlag Offizin Hannover 2001, 146 S. (9,40 EUR)
Das Anliegen des Buches ist, kritische Analysen der Globalisierung und hieraus entwickelte Perspektiven widerständiger Politik ihrerseits einer Kritik zu unterziehen. Dafür werden in sorgfältiger Textanalyse und Begriffsarbeit häufig gelesene theoretische Ansätze daraufhin problematisiert, ob in ihnen von einem einfachen dichotomen Verhältnis von (Welt)markt und (National)staat ausgegangen wird, beziehungsweise ob die Veränderung hegemonialer politischer Regulierung bloß funktional aus den Veränderungen ökonomischer Verhältnisse abgeleitet wird. Borg betont, daß eine solche Herangehensweise einen "erheblichen theoretischen Reduktionismus darstellt, welcher ein tiefgreifendes Verständnis der Globalisierungsprozesse erschwert " (S. 13).
Zunächst werden drei Hauptaspekte zusammengefaßt, die in gängiger globalisierungskritischer Literatur für den Kompetenzverlust nationalstaatlich verfaßter Politik verantwortlich gemacht werden (Macht transnationaler Konzerne; Integration zu einem Weltmarkt; Verselbständigung der Finanzmärkte). Diese Zusammenhänge werden als sachlich richtig vorgeführt. Zugleich arbeitet der Autor einen verengten Politikbegriff heraus, auf dessen Basis solche Analysen als ein Niedergang der Politik und ihre Verdrängung durch den Markt gedeutet werden. Hinsichtlich des fordistischen Staates stellt Borg fest, daß die Mär vom vergangenen "Primat der Politik" insofern korrigiert werden müßte, als der Staat auch hier nur auf der Basis historisch spezifisch günstiger Bedingungen erfolgreich intervenieren konnte (S. 25). Ebenso betont er, daß "Politik im Sinne bewußten, gesellschaftlich orientierten Handelns sozialer Kräfte" (S. 26) auch in den gegenwärtigen Verhältnissen stattfindet, teilweise jedoch außerhalb verfassungsmäßiger Institutionen. Ein solch erweiterter Politikbegriff wird fortgeführt in der Unterscheidung der Termini "Regulierung" (für staatlich-institutionelles Handeln) und "Regulation" (Gesamtheit institutioneller Formen, Netze und Normen) (S. 52). Erst, wenn man von solch einem Politikbegriff ausgehe, könne man den "Prozeß der ›Vermarktwirtschaftlichung‹ sozialer Beziehungen und politischer Zusammenhänge " begreifen (S. 27). Borg erläutert und vertieft dies am Beispiel der Globalisierungskritik von Altvater/Mahnkopf. Deren Benutzung der Begriffe der unterschiedlichen "Funktionsräume", in welche die Gesellschaft aufgeteilt sei (S. 31 ff.), und der "Entbettung" der Ökonomie führe dazu, daß Gesellschaft und Politik einerseits und die Sphäre des Ökonomischen andererseits als deutlich zu unterscheidende Räume betrachtet werden. Während erstere als "territorital umgrenzte Horte sozialen Handelns" begriffen würden, tauchen letztere als eine hierzu gegensätzliche "anonyme, objektiv wirksame Sphäre" (S. 39) auf. Weshalb Borg die Zurückweisung einer solchen Denkweise für dringend notwendig hält, verdeutlicht er an IWF und Weltbank: Diese würden bei Altvater/Mahnkopf einfach "der Wirtschaft" zugerechnet, ihr Wirken als Bedrohung von Politik gefaßt. Für kritisches Denken und Handeln aber sei die Frage notwendig, welche gesellschaftlich-politischen Verhältnisse es ermöglichen, daß die supranationalen Organisationen weitgehend unbehelligt von demokratischen Legitimationsnöten handeln. Eine solche allgemeine Akzeptanz des Marktes als Regulationsmechanismus sei nicht einfach eine überhistorische Konstante, sondern Ergebnis einer herrschenden "diskursiven Formation" (S. 41). Erst durch seine hegemoniale Verankerung in die Gesellschaft entstehe der Weltmarkt als Sachzwang. Die konkrete Erläuterung einer solchen Herangehensweise bleibt im weiteren Hauptanliegen des Buches. Ausgangspunkt für Borgs Auseinandersetzung mit der Regulationstheorie sind Ambivalenzen in den theoretischen Analysen von Joachim Hirsch als einem ihrer wesentlichen Vertreter. Borg argumentiert mit Hirsch gegen Hirsch, um ein Verständnis von Globalisierung zurückzuweisen, in dem diese als politische Strategie bestimmter Subjekte begriffen wird beziehungsweise als ein "Mittel", womit der spezifische "Zweck" verfolgt wird, eine neue politische Formation herzustellen (S. 61 f.). Bei einer solchen Lesart der Globalisierung würden Deregulierungs- und Liberalisierungspolitiken als ihr Ursprung begriffen. Nicht wahrzunehmen wäre so die Verwurzelung dieser Politiken in den erodierenden fordistischen Kräfteverhältnissen, die eine Einbeziehung von Teilen der Lohnabhängigen in den neoliberalen Umbau aber erst ermöglichen. Borg arbeitet mit Bezug auf andere Vertreter der Regulationstheorie und teilweise auf Hirschs eigene hegemonietheoretische Ausführungen heraus, daß die politischen Dimensionen der Globalisierung besser zu begreifen sind, wenn anstelle des Begriffs "Strategie" "Artikulation" gesetzt (S. 72) und Globalisierung als "hegemoniales Projekt" (S. 70) gefaßt werde. Bei einer solchen Herangehensweise könne Globalisierung als eine "Pluralität von zum Teil widersprüchlichen Strategien" analysiert werden, wobei konkurrierende und gegensätzliche Zielsetzungen auch innerhalb einzelner sozialer Klassen existieren. Mit Rückgriff auf Gramsci und Stuart Hall wird in diesem Sinne der Begriff "Hegemonie" erläutert. Borg zeigt, daß die Herausbildung einer neuen Hegemonie nur dann nachvollzogen werden kann, wenn auch danach gefragt wird, wie sie in den gesellschaftlich dominanten Bewußtseinsformen, Alltagspraxen und -gewohnheiten verankert ist beziehungsweise in diesen arbeitet und hier alte Selbstverständlichkeiten mit neuen Deutungsmustern verbindet. Er wendet sich zudem gegen einen in der Regulationstheorie vorherrschenden Hegemoniebegriff, bei dem dieser weitgehend vom Standpunkt stabiler sozialer Verhältnisse konzeptualisiert wird (S. 88 ff.). Auf diese Weise würde Hegemonie bloß als stabilitätsgarantierender "Kitt" gefaßt, der nach einer gesellschaftlich krisenhaften Phase relevant wird. Borg besteht stattdessen darauf, daß Hegemonie immer zugleich Ort und Gegenstand sozialer Kämpfe sei. Er schlägt vor, die Frage, ob Hegemonie bestehe oder nicht, daran festzumachen, "ob sich ein dominanter Praxis- Wissen-Komplex identifizieren läßt, der die Prozesse des konfliktuellen Wandels in eine bestimmte Richtung zu lenken vermag, welche bestimmte Akkumulations- und Regulationspraktiken gegenüber anderen begünstigt" (S. 90). Für die Analyse der Globalisierung ist dies insofern von Bedeutung, als davon auszugehen ist, daß es hier kaum zu einer Stabilisierung im fordistischen Sinne kommen werde. Leitvorstellungen von Flexibilisierung und Mobilität deuten vielmehr auf einen dynamischeren Vergesellschaftungszusammenhang hin. Borgs Eingriff gegen die Stabilitätsfixierung ist hier nützlich, um innerhalb solch dauerhaft dynamischer Verhältnisse deren herrschaftlichen Charakter zu verdeutlichen.
Anschließend setzt sich Borg mit der neogramscianischen Schule der "International Political Economy" (IPE) auseinander. Als deren wesentliches Erkenntnisobjekt bezeichnet er die Strukturen internationaler Akteursnetzwerke und deren Bedeutung für die Universalisierung bestimmter Diskurse und Politikmuster. Hierbei werde der "Übertragungsprozeß von der Globalisierung der Akkumulationsprozesse auf die Parameter politischen Denkens und Handelns" als ein Ergebnis der Artikulation strukturell-materieller und ideologisch-strategischer Aspekte analysiert (S. 104). Von der Herangehensweise her entspricht dies Borgs Anliegen der Analyse der Globalisierung als hegemonialem Projekt. Borg zeigt, daß die von den Autoren der IPE als Akteure eines transnationalen historischen Blocks, der sich um die Hegemonie neoliberaler Denkmuster bemüht, die "transnationale Managerklasse " mit ihren Knotenpunkten wie internationale Foren, Think Tanks und supranationalen Organisationen wie die Weltbank analysiert werden. Durch deren Aktivitäten werden nationale Wohlfahrtskompromisse ausgehebelt und in den Nationalstaaten jene Institutionen gestärkt, die wesentlich sind für die Anpassung der nationalen an die internationale Wirtschaftspolitik. Durch solche Erkenntnisse der IPE werde zwar verdeutlicht, daß neoliberale Globalisierung nicht funktionalistisch aus der Veränderung weltökonomischer Bedingungen abzuleiten sei. Letztere bilden vielmehr eine Grundlage, auf welcher diejenigen sozialen Kräfte, die an neoliberalen Politiken interessiert sind, in Diskursen darum ringen, ihre Perspektiven als plausibel und selbstverständlich durchzusetzen. Die Defizite dieses Ansatzes sieht Borg aber darin, daß nahezu ausschließlich die Stellung der transnationalen Managerklasse thematisiert wird. Eine solche Herangehensweise vermittelt den Eindruck, als würde es sich bei der Durchsetzung neoliberaler Globalisierung vor allem um ein von oben durchgesetztes Projekt handeln. Zwar läßt sich eine solche "analytische Einseitigkeit " (S. 117), wie Borg klarstellt, teilweise als sachlich angemessen begründen, da durch postfordistische Produktionskonzepte die Lohnabhängigen in eine Vielzahl von Gruppen mit unterschiedlichen Interessenlagen und Handlungsmöglichkeiten gespalten werden. Borg weist jedoch Analysen zurück, die diesen Prozeß einfach als einen rein ökonomischen verstehen, auf dessen Basis sich die Grundlage für Kämpfe um Hegemonie verändert hat. Wenn heute "zivilgesellschaftliche Nahzusammenhänge " (S. 120) wie etwa die betrieblichen Strukturen zu Arenen der Kämpfe um Hegemonie geworden seien, so müßte diese Verschiebung des Gefüges politischer Auseinandersetzung an sich als hegemoniebildender Prozeß analysiert werden und nicht als dessen (neue) Voraussetzung. Zuletzt widmet sich Borg der Frage, welche Konsequenzen daraus für eine linke Politik folgen. Er faßt zusammen, daß der Staat als "Kreuzungspunkt von Kräfteverhältnissen" zu begreifen sei, dessen Handlungsfähigkeit immer auch abhängt von der ihn tragenden sozialen und hegemonialen Basis. Insofern könne es nicht um ein Wachrütteln des Staates gehen und ebensowenig um die bloße Forderung danach, daß die Weltökonomie überhaupt wieder politisch reguliert werden solle. Vielmehr müsse nach den notwendigen sozialen Kräfteverhältnissen gefragt werden, die es ermöglichen, bestimmte Qualitäten und Inhalte von Politik umzusetzen. Dabei muß auch linke Politik auf dem Feld von Alltagsbewußtsein und Selbstverständlichkeiten arbeiten in dem Sinne, daß hier Anknüpfungspunkte gesucht werden für gegenhegemoniale Diskurse.
Das Buch zeichnet sich dadurch aus, daß der Autor seine Hauptthese und die daraus folgende notwendige Kritik an den vorgeführten theoretischen Ansätzen überaus verständlich vermittelt. Klar herausgearbeitet werden die Bedeutungen einzelner Begriffe, um auf diese Weise einen Analyserahmen für Globalisierungsprozesse zu schaffen, der die Voraussetzung für kritisches Eingreifen sein kann. Bisweilen mag es bei den Lesern Unruhe erzeugen, daß es der Autor bei einer Kritik der zur Analyse benutzten Begriffe beläßt und nicht selber mit seinem erweiterten Politik- und Hegemoniebegriff zur Tat schreitet. Gleichwohl stellt das Buch gerade durch diese ausführliche Arbeit am analytischen Werkzeugkasten einen wertvollen Beitrag zur (Weiter)Entwicklung eingreifender Denk- und Handlungsweisen in aktuelle globale Umwälzungen dar.
in: UTOPIE kreativ, H. 146 (Dezember 2002), S. 1141-1143