Politik mit dem Herzen

Nigeria nach dem Doppelinfarkt

in (23.04.2001)

Wenn es irgendetwas gibt, was derzeit sicher ist in Nigeria, dann das: Daß der derzeitige Machthaber, General Abdulsalar Abubakar, nicht an einem Herzinfarkt sterben wird.

Wenn Abubakar zufällig wirklich von seinem Herz im Stich gelassen werden sollte, würde man ihn vermutlich nachträglich erschießen. Drei strategische Herzinfarkte in Folge - nach denen des Diktators General Abacha und des inhaftierten Präsidenten Abiola - wären einfach zu viel.

Aber fangen wir nochmal vorn an. Am 12.Juni 1993 machte Moshood Abiola, Kandidat der Sozialdemokratischen Partei Nigerias für die Präsidentschaftswahlen, einen schwerwiegenden Fehler: er gewann zu deutlich. Bereits weit vor Ende der Auszählungen stand fest, daß sein Wahlsieg über seinen Konkurrenten Bahir Tofa von der Nationalrepublikanischen Partei erdrutschartig sein würde, so erdrutschartig, daß die rivalisierenden Machteliten, allen voran das Militär, das seit 1985 das Land regierte, um ihren Einfluß besorgt sein mußten. Vielleicht ließe sich da ja noch was korrigieren, dachte sich die Wahlkommission und untersagte die Bekanntgabe der Ergebnisse, aber das Ergebnis ließ sich nicht verheimlichen. Gut, dann annullieren wir eben die Wahl und bilden wieder mal eine Übergangsregierung, dachte sich der Militärchef und bisherige Präsident Ibrahim Babangida, und die beiden großen Parteien, die unter der Gnade des Militärs gegründet worden waren, signalisierten schon ihre Bereitschaft.

Aber das Problem waren, wie immer in der Politik, die Leute. Sofort nach der Annullierung der Wahl setzten im ganzen Land Demonstrationen ein. Sämtliche Oppositionsgruppen forderten die Bestätigung der gewählten zivilen Regierung. Das Militär tat, was es am besten kann: es schoß. Es traf binnen weniger Tage 120mal tödlich. Als das auch nicht half und Abiola, getragen von den Protesten, sich in Lagos öffentlich zum Präsidenten erklärte, tat das Militär das, was es am zweitbesten kann: es suchte sich einen Bluthund. Der hieß General Sani Abacha, war bisher Verteidigungsminister, übernahm im November 1993 die Macht und räumte auf. Die Parteien wurden verboten, die Opposition inhaftiert, Abiola verhaftet und wegen Landesverrats angeklagt, seine Zeitungen geschlossen, das Parlament, die Regionalregierungen und die Wahlkommission aufgelöst. In 18 Monaten könne man vielleicht wieder neu wählen.

Abacha ließ nicht wählen. Abacha blieb. Es gab ja viel zu tun. Die Opposition mußte ins Exil getrieben oder umgebracht werden; der Widerstand der Ogoni gegen die Ausplünderung ihrer Region durch Shell mußte zerschlagen, der prominente Bühnenautor, Medienmogul und Ogoni-Aktivist, Ken Saro-Wiwa, hingerichtet werden; und es galt so viele Posten im Land umzubesetzen, daß die eigene Familie und Gefolgschaft schier nicht dafür auszureichen schien. Um sich den Ärger mit einer neuen Zivilregierung zu sparen, plante Abacha, nach Pinochets Vorbild einfach ab August 1998 als ziviler Präsident weiterzumachen, und damit es keine falschen Wahlergebnisse geben könnte, zwang er die fünf zugelassenen Parteien, ihn als einzigen Kandidaten zu nominieren.

Wie wird man einen Bluthund wieder los?

Das machte dann doch einen schlechten Eindruck. Vor allem im Ausland, was viel Geld kostet. Aber wie wird man einen Bluthund wieder los? Abacha zeigte sich störrisch. Im Dezember 1997 verhaftete er den nach ihm ranghöchsten Militär, General Diya, und fünf andere hohe Offiziere, weil sie einen Putsch gegen ihn geplant hätten - seine Macht reichte noch, sie zum Tode verurteilen, aber nicht mehr, sie hinrichten lassen. Eine ganze Reihe Vertreter des politischen Establishments, darunter viele Ex-Minister und auch frühere Gefolgsleute Abachas, schlossen sich zu Gruppen zusammen (der "G-18" und der "G-34", nach der Anzahl ihrer Mitglieder) und veröffentlichten "Memoranden", in denen sie die Kandidatur Abachas als verfassungswidrig ablehnten. Schließlich ließ auch General Babangida, mit dem alles angefangen hatte und der nach wie vor die große grauen Eminenz im Hintergrund ist, öffentlich verlautbaren, auf der internationalen Bühne hätte eine nigerianische Militärregierung keinen Platz mehr.

Das alles muß Abacha zu Herzen gegangen sein. Nachdem er sich bis zuletzt unbeeindruckt zeigte und noch am Tag vor seinem Tod quicklebendig ein Treffen mit Arafat absolvierte, ging er heim in seine Villa und starb. Oder wurde er gestorben? Jedenfalls konnte es dem Militär gar nicht schnell genug gehen, ihn unter die Erde zu bringen, gleich am nächsten Tag, ohne Staatsakt. Offenbar auf Babangidas Betreiben wurde Abubakar neuer Militär- und Staatschef - ein Kompromißkandidat ohne gefährliche eigene Hausmacht im Militär; jemand, auf den man sich wohl schon seit einer Weile geeinigt hatte.

Inzwischen tanzten die Leute in Lagos auf den Straßen, ein vorsichtiges Aufatmen machte die Runde, und die Opposition tat das, was sie seit fünf Jahren am besten konnte: sie forderte die Freilassung und Wiedereinsetzung des gewählten, legitimen Präsidenten Abiola, der 1993 von Babangida gestoppt und von Abacha eingeknastet worden war. Abiola hatte man nicht umgebracht, sondern aufgehoben; die Welt ist ja voll von inhaftierten politischen Gegnern, von denen man nie genau weiß, ob man sie nicht nochmal brauchen kann. Aber Abiola war genauso störrisch wie Abacha. Er wäre der ideale Kandidat für - na was wohl? eine Übergangsregierung! gewesen, die dem Militär Zeit gegeben hätte, seine Karten neu zu ordnen, und er hätte als Preis für erneute zivile Wahlen nur erklären müssen, daß die Wahlen von 1993 ein für allemal annulliert seien. Nichts hätte dem Militär so viel Ruhe und Legitimität verschafft, wie ein lebendiger Abiola, der öffentlich auf seine Wiedereinsetzung verzichtet hätte.

Wollte der aber nicht. Selbst als Kofi Annan, UN-Generalsekretär, nach einem Besuch bei Abiola der Wahrheit etwas nachhalf und der Presse erklärte, Abiola habe kein Interesse, wieder ein öffentliches Amt zu bekleiden und werde bald freigelassen, schickte Abiola Kassiber aus der Haft nach draußen, in denen er bekundete, daß er nach wie vor an der Legitimität der Wahl von 1993 festhalte.

Abiola stellte ein Problem dar, und es löste sich in gleicher Weise wie das Problem Abacha: durch Herzinfarkt. In Gegenwart einer us-amerikanischen Delegation brach Abiola zusammen, wurde ins Krankenhaus gefahren und starb dort. Gift soll keines gefunden worden sein.

Mit Abiola stirbt eine Illusion

Kann stimmen. Kann auch nicht stimmen. Fakt ist jedenfalls zweierlei: a) Der Doppelinfarkt von Abacha und Abiola ist für das Militär strategisch ideal - weil das Militär nicht gegen das Militär kämpfen mußte, um den Bluthund Abacha loszuwerden, und weil der Schatten Abiolas lastend über jeder neuen Regierungsbildung gelegen hätte. b) Abiola nimmt die einzige Forderung mit sich ins Grab, die die nigerianische Opposition in den Jahren des Abacha-Faschismus zusammengehalten und auf die sie alles gesetzt hatte: die Forderung, den gewählten zivilen Präsidenten einfach wieder einzusetzen.

Damit offenbart sich mit einem Schlag die entscheidende Schwäche der nigerianischen Oppositionsbewegung. Formale Forderungen reichen nicht aus - die Rückkehr zu 1993 scheidet aus, auch Kriterien für die Abhaltung von Wahlen und für die Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung sind unzureichend. Was fehlt, ist ein Plan, wie die Macht des Militärs entscheidend begrenzt und seine Rolle grundlegend verändert werden kann. Dazu gehört eine Dezentralisierung der Macht; eine Öffnung der Akten und Aufklärung der Verbrechen von Militärregierung, Armee, Polizei und Geheimdienst; eine Alternative zur Öl-Ökonomie, auf die sich die Macht des Militärstaats gründet. Dazu gehört auch der Bruch mit einer besonders unseligen nigerianischen Tradition: der "entpolitisierten" Armee, deren Mitglieder keiner Partei angehören und keine zivilen politischen Ämter bekleiden dürfen. (Genau so hatte sich die Reichswehr in der Weimarer Republik ja auch begriffen.) Dazu gehört auch, einen anderen Politikbegriff populär zu machen als den herrschenden, wonach Politik darin besteht, gegen die "Korruption" die richtige Ordnung mit den Männern herstellen zu wollen. Auf diese Vorstellung beruft sich das Militär jedesmal, wenn es putscht oder die Übergabe an eine Zivilregierung hinausschiebt; diese Vorstellung wird aber auch von der Opposition bedient, die sich jahrelang darauf konzentrierte, die "richtige" Ordnung von 1993 mit dem "integren" Abiola herzustellen. Es geht aber nicht darum, irgendeine Ordnung herzustellen, sondern darum, die Spielräume für die Menschen zu erweitern und dafür Stimmung und Bewegung zu fördern.

Moshood Abiola war ein Mann mit vielen Gesichtern. Er war Multimillionär, ehemaliger ITT-Manager, Finanzkapitalist, Zeitungszar, Vater von angeblich 65 Kindern. Seine Millionen unterstützten Yoweri Museveni dabei, mit seiner Befreiungsarmee 1986 die Diktatur in Uganda zu beenden. Er war lange Zeit ein enger Freund von General Babangida, bevor die Wahl von 1993 den Machtkampf hervorrief. Ob Abiola die Herrschaft des Militärs im Hintergrund beendet hätte, weiß niemand. Es gibt auch keine Einzelperson, die das könnte. Dies könnte nur eine Bewegung, die den überwältigen Wunsch nach Normalität und Sicherheit mit der Aufklärung darüber verbindet, daß eine solche Normalität ohne zielgerichtete, hartnäckige Umgestaltung von unten nicht zu haben ist.