Mythos Informationsgesellschaft

Kaum eine Technologie hat wohl im Zuge ihrer Entwicklung zu so vielen Mythen und Mystifizierungen, aber auch Moden und Maschen Anlaß gegeben wie die EDV bzw. die modernen Informations- und Kommunikat

Elektronengehirn, Management-Informations-System, verteilte Intelligenz, künstliche Intelligenz, Telearbeit, intelligente Bildschirmarbeitsplätze, die fraktale Fabrik, Cyberspace, Cybersex, Multimedia sind nur einige der umwälzenden Begriffe aus der Welt dieser Technologie. Früher wie heute geben solche Begriffe zu Vorstellungen Anlaß, die weit über die konkreten technischen Systeme oder Konzepte, die damit jeweils bezeichnet oder angerissen wurden, hinausweisen. Gemeinsam war ihnen und anderen vergleichbaren Begriffen, dass sie aus ihrem Bezugs- und Bedeutungsrahmen herausgenommen und auf komplexe Gebilde - z.B. Betriebe, Schulen, die Arbeit überhaupt und ganze Gesellschaften - übertragen wurden, in einem allerdings sehr locker assoziativen Übertragungsprozeß. Heraus kamen dabei technischorganisatorische Veränderungen, die in der Zukunft strukturprägend und deshalb grundlegend verändernd sein würden.

Die Informatik bringt Momente mit sich, die zu "Theorie"bildungen führen, welche offensichtlich in besonders starker Weise faszinieren, die aber reduktionistisch und zugleich übertragungs- und verallgemeinerungsmächtig sind. Sie führen offensichtlich insbesondere dazu, dass die Vielfalt der Elemente, Beziehungen und Eigenschaften, die Dynamik und Eigendynamik der jeweiligen organisationellen und auch sozialen Realität ausgeblendet werden. An ihre Stelle tritt die unreflektierte, gesetzte Dominanz eines Strukturmerkmals, und dieses wird mit seinen Implikationen auf das gesamte Gebilde übertragen. Das Ergebnis muß ein Zerrbild der Realität sein, das von dieser, wie so oft in der Vergangenheit, früher oder später ins Reich der überholten, falschen Mythen verwiesen wird. Aber diese Mythen verschwinden nicht, wenn sie als solche erkannt worden sind. Vielmehr wirken sie im Untergrund der Informatik offensichtlich weiter. Der Himmelsstürmende Optimismus der CAI-Debatte feiert heute in der Schulen-ans-Intemet-Bewegung fröhliche Urstände. Die vor zwei Jahrzehnten geäußerte Hoffnung auf mehr Demokratie durch die Nutzung des Bildschirmtextsystems lebt wieder auf in der Debatte über mehr Demokratie über das Internet.

Selbst wenn es um Fragen der betrieblichen Anwendungen geht, dort also, wo absolute Nüchternheit geboten ist, wird häufig die selbst in kleineren Unternehmen komplexe betriebliche Bedingungskonstellation, die übrigens weit über betriebswirtschaftliche Faktoren hinausgeht, z.T. sträflich vernachlässigt. Am Rande angemerkt: auch gegenwärtig findet wieder eine solche Debatte um die "Teleheimarbeit" statt. Unter dem Druck der Beschäftigungskatastrophe werden in dieser Arbeitsform erhebliche zusätzliche Beschäftigungsvolunina vermutet. Die EU-Kommission - das oberste politische Organ der EU -hat auf ihrem Gipfel in Korfu ihre Absicht erklärt, bis zum Jahre 2000 zehn Millionen derartiger Arbeitsplätze zu schaffen. Die Bundesregierung wollte noch vor zwei Jahren bis zum selben Jahre 800.000 Teleheimarbeitsplätze schaffen (wohlgemerkt: von keiner anderen einzelnen Entwicklung wurde ein derartiger Zuwachs an Beschäftigung erwartet!).

Diese Zahlen sind inzwischen aus der Debatte verschwunden, vor allem wohl, weil die bisherige Entwicklung belegt hat, wie illusorisch die damit bezifferten Hoffnungen waren. Die Debatte zeigt aber auch, wie schnell angesichts der politischen Hilflosigkeit gegenüber der Beschäftigungsentwicklung auf solche unfundierte Theoriebildungen zurückgegriffen wird und wie groß die Verantwortung der zu diesen Fragen forschenden Wissenschaftler ist.

1. Die Informationsgesellschaft - die alles überlagernde Konzeption der zukünftigen Gesellschaft?

Der Begriff "Informationsgesellschaft" hat gegenwärtig wie kaum ein anderer Begriff eine Ausstrahlung in alle Bereiche der Gesellschaft hinein. Er ist dabei, die Köpfe gebührend zu verwüsten. Technische Artefakte und Infrastrukturen werden zum gesellschaftsbestimmenden Faktor hochdiskutiert. Die Begriffsbildung suggeriert, dass jetzt dank der vielen informations- und kommunikations- (iuk)-technischen Systeme das goldene Informationszeitalter ausbrechen wird. Es wird uns eine von allseitiger Rationalität - dank der vielen Informationen - durchdrungene und geprägte Gesellschaft verheißen. Das Wissen wird herrschen in der wissensbasierten Gesellschaft. Interessen- und Machtkämpfe werden der Vergangenheit angehören: Probleme finden dank der im Überfluß zur Verfügung stehenden computer-produzierten Informationen eine sachliche und, so wird umstandslos verheißen, die optimale Lösung. Wie kommt aber nun eine solche zugleich einseitige, einfache und dennoch offensichtlich faszinierende Theoriebildung zustande?

Der erste Schritt besteht darin, dass die Probleme der Gesellschaft als durch fehlende Information verursacht angesehen werden. Interessen, Leidenschaften, Kulturen, Traditionen, Religionen, politische Überzeugungen, Lebensverständnis und vieles andere mehr spielen keine Rolle mehr. Es wird also im Grunde als erstes eine extrem reduzierte gesellschaftliche Problemstruktur zugrunde gelegt.

Im zweiten Schritt wird entsprechend "konstruktiv" angesetzt: der Computer stellt die fehlenden Informationen zur Verfügung, denn das ist ja bekanntlich seine Aufgabe. Über Inhalt, Bedeutung, Sinn, Zweck, Kontext, Motivations- und Entstehungszusammenhang der Informationen wird nichts gesagt. Auf eine extrem reduzierte Problemstruktur wird eine mindestens ebenso reduzierte Lösungsstruktur aufgesetzt.

Geradezu umwerfend ist aber der dritte Schritt, der nun aber auch nicht mehr verwundert: Aus der Tatsache, dass eines Tages wohl unbestreitbar informationsverarbeitende und -weiterleitende Systeme in allen Lebensbereichen mehr oder weniger überall präsent sein werden, weil Informationen schlicht ein untrennbares Element eines jeden Lebens- und Arbeitsprozesses sind, wird messerscharf geschlossen, dass diese Techniken dann auch die Gesellschaft in ihrer Substanz bestimmen und grundlegend verändern werden.

Das Ergebnis ist die dünnste und lebensfernste "Vision", die je für die Gesellschaft entwickelt worden ist. Das Ergebnis ist entsprechend armselig: Im Grunde setzt sich damit eine extrem formale, inhaltsferne Betrachtungsweise -naiv-unreflektiert - durch.

Schon die Erfahrung mit der Telefonie, die heute zumindest in unseren Breiten fast omnipräsent ist, wie es übermorgen iuk-technische Systeme sein werden, wird dabei elegant übergangen.

Immerhin haben sich mit dem gleichen Telefon, um einen Augenblick bei dieser Parallele zu bleiben, sehr unterschiedliche gesellschaftliche und politische Realitäten entwickeln können, die sich gegenseitig bis aufs Messer bekämpft haben, wie das mit der liberalen amerikanischen Gesellschaft einerseits und dem brutalen deutschen Faschismus andererseits in der ersten Hälfte diese Jahrhunderts der Fall war. Infrastrukturen bestimmen eben nicht über die wesentlichen Aspekte der Gesellschaft, ihre Triebkräfte und ihre zukünftige Entwicklung. Die Gesellschaft - und gerade die moderne Gesellschaft - ist zu komplex, die Freiheitsgerade im menschlichen Verhalten - individuell wie kollektiv - sind zu zahlreich und zu groß, als dass sie sich von einer solchen simplen Infrastrukturentwicklung einfangen ließen.

Ein anderes Erfahrungsbeispiel sind die modernen Verkehrstechniken - Eisenbahn, Automobil, Flugzeug. Sie und ihre Infrastrukturen haben sicherlich größere zivilisatorische Auswirkungen gehabt, als sie je die luK-Techniken haben werden. Die USA, Hitlerdeutschland und auch die implodierte Sowjetunion haben sie - oder Teile von ihnen - gefördert, genutzt, ausgebaut.

Die die gesellschaftliche Entwicklung, ihre Qualitäten, Widersprüche, Bewegungen, Rückfälle, Spaltungen, Grausamkeiten bestimmenden Faktoren sind jedoch nicht in diesen und anderen Infrastrukturen verkörpert - trotz Wittfogels früher interessanter Studie über die hydraulische Gesellschaft des imperialen China. Die Gesellschaften, insbesondere die "zivilen Gesellschaften", haben sich der Techniken und Infrastrukturen bemächtigt, haben sie integriert, haben ihnen ihren Stempel aufgedrückt und nicht umgekehrt. Infrastrukturen -seien sie noch so leistungsfähig - prägen nicht die Gesellschaft, allen Annahmen der Theoriebildung um die "Informationsgesellschaft" und allen "virtuellen" Entdeckungen zum Trotze. Informationen sind ein untrennbarer Aspekt jeder Produktivkraft und jeden Lebensaktes und nicht eine eigenständige Produktivkraft oder Lebenskraft, deren beliebige Vermehrung an sich bereits Fortschritt verkörpert.

Mit anderen Worten: Informationen haben den gleichen Charakter und Stellenwert wie Materie und Energie. Die Theoriebildung um die "Informationsgesellschaft" vernachlässigt zudem, dass Informationen und deren Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Weiterleitung notwendig aber nicht hinreichend sind. Um z.B. umweltrelevante Verbesserungen zu erreichen, benötigt man zunächst entsprechende Informationen. Es ändert sich aber wenig, wenn man nicht zumindest zugleich bessere Filter oder Verbrennungsanlagen entwickelt, und dazu braucht man mehr als Informationen. Und selbst wenn man mittels eines Tourenplanungsprogramms z.B. den Brennstoffverbrauch eines betrieblichen Fahrzeugparks minimieren kann, so braucht man doch über die Informationen, die einem die Informationstechnik liefert, hinaus noch entsprechende Modelle und Verfahren etwa des Operations Research und vor allem auch entsprechende Veränderungen im entsprechenden Fahrzeugpark, seinem Management, seinen Betriebsanlagen usw. Zu deren Veränderung ist aber weitaus mehr notwendig, als im besten Tourenplanungsprogramen enthalten sein kann.

Die Informatik ist also auf die Zulieferungen aus anderen Wissenschaften angewiesen. Sie ist eher eine Hilfswissenschaft - zugegebenermaßen eine mächtige und herausfordernde - aber eben doch eine Hilfswissenschaft (so wie für Einstein im übrigen die Mathematik Hilfswissenschaft der Physik war). Die Musik, an die sich dann auch die Leidenschaften im Kampf um richtige und falsche wissenschaftliche Positionen - in der Ökonomie z. B. die Auseinandersetzung, ob zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angebots- oder nachfrageorientiert (oder mit beiden Ansätzen) verfahren werden sollte - knüpfen können, wird in den verschiedenen "materiellen" Wissenschaften, und mehr noch in der lebendigen politischen Auseinandersetzung gemacht.

Die bunte Vielfalt der iuk-technischen Gerätewelt liefert die Infrastrukturen, Verarbeitungs- . Weiterleitungs- und Darstellungssysteme wie Multimedia, Intranets und das Internet, aber nicht die Inhalte. Entsprechend der formalen Denkweise der Informatik wird allerdings vom Gehalt, von Inhalt, Wert, Nutzen usw. - also von jeder inhaltlichen Betrachtung der Kategorie ..Information" - abgesehen: in der formalen Betrachtung - z.B. bei der Frage der Gestaltung der graphischen Benutzungsoberfläche, d.h. der Art der Darstellung auf dem Bildschirm - können triviale, gelegentlich geradezu lästige Werbe- und Vermarktungsinfonationen kurzerhand mit demselben Wert gehandelt werden wie z.B. die Informationen über eine bevorstehende Untemehmensschließung oder die Entwicklung eines neuen ressourcenschonenden und im emissionsmindernden Verbrennungsverfahrens.

Ergänzend dazu wird die Kontextabhängigkeit der Informationen fast vollständig ausgeblendet. Der Kontext kann aber nicht nur für den Wert und die Bedeutung einer Information entscheidend sein, sondern er ist insbesondere auch ausschlaggebend für das, was sich daran an Praxis anschließt. Und die bisherige Kontexterfahrung belegt eigentlich etwas, was der naiven These von der heraufdämmernden "Informationsgesellschaft" diametral entgegensteht:

Informationen, sofern sie wirklich Wissen verkörpern, waren an und für sich noch nie Macht, wie es eine der Lebenszwecklügen eines Teils der Arbeiterbewegung ("Wissen ist Macht") besagt: Wir haben z.B. heute in Deutschland vergleichsweise "wissende" Mitbestimmungsträger in den großen Unternehmen - an der Entstehung, Verstetigung und Eskalation von Überkapazitäten und Massenarbeitslosigkeit in den letzten zwanzig Jahren hat sich dadurch nichts geändert. Im Gegenteil: es hat stets sehr wissende und informierte Menschen gegeben, die machtlos waren. Gerade die Geschichte der real existierenden Wissenschaft und Forschung kennt dafür zahlreiche Beispiele. Und vielleicht ist es geradezu ein Vorzug wirklicher Macht, sich gelegentlich auch einmal des Wissens und der Information oder ihrer Zurkenntnisnahme begeben zu können.

Warum soll das in der "Informationsgesellschaft" plötzlich anders sein? Warum sollte ausgerechnet die luk-Technik die jahrtausendealten Machtspiele, die mit oder ohne Informationen oder gelegentlich auch um Informationen stattfanden, überflüssig machen? Die Theoriebildung um die "Informationsgesellschaft" übersieht die vielfältigen Bedingungen und Beschränkungen, die im Umfeld der Erzeugung und Verwendung von Informationen stets eine Rolle, gelegentlich sogar, wie das Beispiel der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bei der Telearbeit andeutet, eine dominierende Rolle gespielt haben und auch weiterhin spielen werden. Der mit dem Internet gelegentlich geträumte Traum vom Wissen der ganzen Menschheit, das überall und jederzeit per Knopfdruck verfügbar gemacht wird, wird wohl ein Traum bleiben. Aber selbst wenn der Traum Realität würde, er würde einfach nicht die umwälzenden Auswirkungen haben, die ihm im Lichte der Theoriebildung um die "Informationsgesellschaft" zugeschrieben werden.

Infrastrukturen - des Verkehrs, der Telefonie, der Datenkommunikation - bestimmen überhaupt nicht darüber, welche Inhalte übertragen werden. Sie bestimmen nicht, mit welchen Zielen und Absichten und zur Bewegung welcher politischer, militärischer, industrieller usw. Mittel, Informationen über diese Infrastrukturen transportiert werden. Ebenso wenig wie die Autobahnen darüber bestimmt haben, ob über sie Panzer oder Ausflugsbusse fahren, werden die Datenautobahnen darüber bestimmen, welche Informationen für welche Zwecke, in welchen Zusammenhängen, mit welchen Ergebnissen übertragen werden. Das Medium ist eben doch nicht die Botschaft. Daran krankt die "Theorie"bildung in und um die "Informationsgesellschaft". Sie erliegt so einer Art von Informations-Illusion, vergleichbar der Geld-Illusion in der Ökonomie: Information wird vom begleitenden, omnipräsenten vermittelnden Element zum bestimmenden, prägenden, dominierenden Element gemacht.

2. Die Verheißungen der "Informationsgesellschaft"

Die Attraktivität der "Informationsgesellschaft" erklärt sich sicherlich auch aus dieser etwas naiven Art von "Theorie"bildung. Darin erschöpft sich jedoch nicht das Anziehende in der "Theorie" vom Aulbruch in das "Informationszeitalter" und in die "Informationsgesellschaft". Die heraufdämmernde iuk-technisch durchdrungene Gesellschaft wird vielmehr mit ganz unterschiedlichen Verheißungen.

Verheißung allseitige Rationalität

Da ist die allseitige Rationalität, die Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit als ein grundlegendes Motiv. Die bisherige Erfahrung zeigt allerdings, dass die Prognostizierbarkeit im Zeitalter der Informatisierung insgesamt eher abgenommen hat. In der westdeutschen Stahlindustrie z.B. konnte man in den sechziger Jahren noch einen Zeitraum von etwa vier Jahren überblicken und für Planungen zugrunde legen - heute ist es kaum mehr ein Jahr Der entscheidende Faktor für die Verringerung des Planungshorizonts ist hierbei wohl die Existenz riesiger weltweiter Überkapazitäten seit Anfang der siebziger Jahre. Das ist allerdings ein Beispiel für die wirklich entscheidenden Faktoren bezüglich grundlegender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie haben nichts oder nur am Rande mit den luK-Techniken zu tun.

Verheißung Arbeitsplätze

Eine andere Verheißung bezieht sich auf die neuen Arbeitsplätze. Unbestritten sind nun in luk-technischen Entwicklungs-, Produktions- und Anwendungsbetrieben viele Arbeitsplätze entstanden. Das ist kein Wunder: schließlich handelt es sich um eine neue technische Entwicklung. Ihre Erzeugnisse haben zum Teil bereits bestehende Aufgaben der Informationsverarbeitung übernommen, zum Teil haben sie aber auch neue Informationen und andere Prozesse ihrer Verarbeitung ermöglicht.

Und dennoch: Die Jahre der unaufhaltsamen Expansion der luK-Märkte im Zeichen immer neuer modischer Vermarktungsbegriffe und -konzepte, die oft auch mit Arbeitsplatzverheißungen verbunden waren, sind zugleich Jahre der Entwicklung in eine offensichtlich immer perspektivlosere Beschäftigungskatastrophe gewesen.

"Es ist die Aufgabe der Informatik schlechthin, Arbeitsplätze zu zerstören". Dieser Schlüsselsatz des französischen Telematik-Spezialisten Simon Nora aus dem Jahre 1978 ( so zitiert in "Le Monde") wird durch die Erfahrungen in den Betrieben und in der Folge am Arbeitsmarkt untermauert.

Die "Maschinisierung der Kopfarbeit" (F. Nake) durch Entwicklung und Anwendung der luK-Technik ist das vielleicht mächtigste Mittel, das je entwickelt wurde, um das Volumen an gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die von menschlicher Arbeitskraft ausgeführt wird, zu verringern. Hierin liegt mit großer Wahrscheinlichkeit die am weitesten ausgreifende Veränderung eines wesentlichen Grundelements moderner Gesellschaften durch die Informatisierung, nämlich der Beitrag zur Erschütterung des Beschäftigungssystems.

Diese Auswirkungen sind konkret, und das heißt vor allem betrieblich, abzuschätzen und in ihrer Gesamtwirkung politisch-konzeptionell zu beantworten. Sie sind aber weder einzigartige noch isolierte Entwicklungen. Vielmehr sind sie eingebettet in andere, weitaus bedeutsamere Vorgänge wie die Globalisierung, die Ausbreitung marktwirtschaftlicher Verhältnisse, die Schaffung riesiger, moderner Überkapazitäten, das Versagen und den Autoritätsverlust der Sozialparteien und des Staates in der Arbeitsmarktpolitik u.a.

Verheißung qualifizierte Arbeit

Eine weitere große Klasse von Verheißungen bezieht sich auf die Veränderung der Arbeitsbedingungen und -ablaufe. Dabei ist unbestreitbar, dass im Zuge der iuk-technischen Entwicklung die Gestaltungs- und Manipulationsmöglicheiten am "Objekt" und die damit verbundenen Kommunikationsmöglichkeiten in der Arbeit zugenommen haben - insgesamt, jedoch nicht durchweg an allen betroffenen Arbeitsplätzen. Zug um Zug sind damit neue Qualifikationsanforderungen entstanden. Aber kann man angesichts der gerade gegenwärtig zutage tretenden Ausbildungsdefizite und Verfallssymptome - in Schulen, Hochschulen und Berufsausbildung - wirklich behaupten, die moderne Entwicklung habe generell zur Vermittlung höherer Qualifikationen geführt? Und sind iuk-technisch relevante Qualifikationen wirklich die Antwort auf diese Defizite und den Verfall des Bildungssystems, oder tragen sie nicht vielmehr zu noch größeren Verwerfungen, z.B. Einseitigkeiten und in der Folge Abhängigkeiten, im Bildungssystem und in der Arbeit bei? Kann die "virtuelle Universität" eine Antwort auf die Dekomposition der Institution, auf den sich ausbreitenden Egoismus der "Gruppen", auf die immer wieder erneut auferlegten Sparmaßnahmen an den Hochschulen sein?

Auch hier muß man wieder feststellen, dass die systemischen Veränderungen, die Zug um Zug mit der Informatisierung weiter gegangen sind, also z.B. der laufende wirtschaftliche Strukturwandel, der Abbau von Beschäftigung und der sich daraus ergebende Schwund bei den Staatsfinanzen u.a.m. für die Ausbildungsmisere weitaus bedeutsamer sind als eine unterlassene Informatisierung. Die Unsicherheit, die Angst um den Arbeitsplatz, der Druck, auch sich zu qualifizieren, bestimmen heute stärker als je zuvor die Situation in den Betrieben. Die Informatisierung ist dabei ein, aber auch nur ein Faktor.
Und die mit der Informatisierung unbestreitbar verbundenen Anstöße zur Heranbildung neuer, anderer als traditioneller Qualifikationen werden womöglich durch die qualifikationszerstörenden Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit, die mehrere komplex miteinander verbundene Ursachen hat, gesellschaftlich konterkariert. Dem mit Mitteln der iuk-technisch bedingten Qualifizierung entgegenwirken zu wollen, ist illusorisch, denn es setzt nicht an den wirklichen Ursachen an, die das gesellschaftliche Qualifikationspotential prägen.

"Bildungsarbeit ist streng akzessorisch", so der frühere Gewerkschaftsvorsitzende Lorenz Schwegler. Gemeint ist: Wenn sich in der Gesellschaft etwas bewegt, haben Bildungsarbeit und Qualifizierung einen bedeutenden Stellenwert. Selbst können sie aber nicht die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse herbeibringen.

Die idyllischen Vorstellungen, wie sie heute in der Vorstellung von der Informationsgesellschaft mitschwingen, nach denen es nur darauf ankommt, sich entsprechend zu qualifizieren, sind jedenfalls bislang nicht Wirklichkeit geworden.

Verheißung gesunde Umwelt

Ähnliches gilt für die Umweltauswirkungen der luK-Techniken. Verheißen worden sind saubere Fabriken, glänzende, umweltfreundliche Bürogebäude, der Ersatz von umweltverschmutzendem Verkehr durch Datenkommunikation, "intelligente" Häuser, die den Energieverbrauch minimieren, Telearbeit mit weniger Pendlerverkehr u.a.m.

Entstanden ist ein Produktions- und Verwaltungskomplex, der alles andere als ökologisch günstig ist. Die Produktionsbereiche der luK-Techniken sind ökologisch hochriskant: zur Manipulation der Eigenschaften der toten Materie, müssen in deren feinsten Strukturen im sogenannten "Nano-Bereich" giftige und hochgiftige Substanzen eingesetzt werden. Die Fabrikationsgebäude müssen entsprechend aufwendig gebaut und ausgestattet werden. Klimatisierte Werkshallen und Fabrikgebäude sind vielfach wegen der iuk-technischen Systeme notwendig (sie werden nicht wegen der Arbeitskräfte klimatisiert, sondern wegen der computergesteuerten Hochpräzisionsmaschinerie, die dabei zum Einsatz kommt). Der sich mit der luK-Technik entwickelnde Typ von Finanz- und Verwaltungsmetropolen - vom Typ La Defense in Paris, Manhattan oder Hong Kong - belegt augenscheinlich, welche Umweltprobleme mit der modernen, und das heißt eben auch: informatisierten Finanz- und Verwaltungswelt verbunden sind.

Und dennoch: Eine nüchterne, unglamouröse Entwicklung und Anwendung von luK-Techniken zur Verbesserung des Umweltschutzes in den Betrieben -zur Gewährleistung eines möglichst hohen Grades an "produktionsintegriertem Umweltschutz" (und auch "verwaltungsintegriertem Umweltschutz") - ist eine der wirklichen großen Perspektiven der iuk-technischen Entwicklung überhaupt, die durch die Folklore um die "Informationsgesellschaft" etwas verdeckt wird. Dieser Stellenwert wächst ihr allerdings deshalb zu, weil die diversen Ausstiegs- und Wendeszenarien, die in der Umweltbewegung immer noch verbal gepflegt werden, in einer sich immer weiter globalisierenden und dynamisierenden Marktwirtschaft Wunschträume bleiben werden.

Verheißung mehr bürgerliche Freiheit

Dafür taucht mit den iuk-technischen Infrastrukturen eine andere gesellschaftlich möglicherweise relevante Gefahr auf: Wer sich in den Netzen der luK-Techniken bewegt, der hinterläßt Spuren. Diese Spuren entstehen, weil sie für das Betreiben der Netze unerläßlich sind. Wenn ich wie beim ISDN völlig unterschiedliche Informationen - Wort, Fest- und Bewegtbild, Ton, Daten - übertrage, muß ich identifizierbar machen (für die Rechner, die die Netze steuern und die Kommunikation organisieren), um welche Art von Informationen es sich handelt, welche Information von wem an wen und über welchen Weg geht usw. usf. Das Ergebnis: Verhalten, Benutzungsweise und - im Betrieb besonders wichtig - Leistung können dank dieser unerläßlichen Metadaten erfaßt, mit Mengen- und Zeitgrößen verbunden und transparent gemacht werden.

Hinzu kommt die Datenflut, die gezielt oder weniger planmäßig über Menschen, ihre Eigenschaften, ihre Bewegung im Raum oder in der Gesellschaft erfaßt und verfügbar gemacht wird, also die Grundlage für Verbraucherprofile, den gläsernen Patienten, Studenten, Bürger usw.

Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass hinter dieser Gefahr nicht böse Köpfe stecken, sondern dass ihre Grundlagen die technischen Organisationszwänge der modernen, netzwerkförmig organisierten Informationsverarbeitung und -weiterleitung mit iuk-technischen Mitteln sind. Die Einsicht in die vielfältigen damit verbundenen Probleme muß dazu fuhren, dem Persönlichkeitsschutz sowohl im Arbeitsverhältnis wie auch allgemein in den Zusammenhängen der bürgerlichen Gesellschaft und des Verhältnisses des Einzelnen zum Staat einen sehr hohen Stellenwert zu geben. Verschwörungstheorien z.B. vom Überwachungsstaat helfen dagegen nicht weiter. Die moderne, hochentwickelte individualisierte zivile Gesellschan, das bürgerlich- parlamentarische Gemeinwesen, eine kritische Wissenschaft, eine wache Öffentlichkeit können ausreichende Schutzvorkehrungen zur Vertagung stellen.

Verheißung mehr Demokratie

Ganz anders gefährlich werden könnte aber u.U. die Zerstörung des Politischen, die sich mit "Internet & Politik" abzeichnen kann: An die Stelle der lebendigen politischen Diskussion tritt die anonyme Bemächtigung des politischen Prozesses durch kleine Experten- und/oder Machtgruppen. Die durch das Parteiensystem vermittelten Mehrheitsentscheidungen entfallen. Der Traum, übers ,,Internet" eine neue Art von Basisdemokratie zu ermöglichen, bleibt ein Traum. Basisdemokratische Experimente in der Grünen-Bewegung haben zu geradezu oligarchischen Verhältnissen gerührt.

Was allerdings die politischen Grundverhältnisse in der modernen Staatswelt grundlegend beeinflussen kann, ist die "anarchische Dimension" des Internet. Darin liegt vielleicht ein ganz großer Wert der ganz modernen luK-Techniken. Sie erlauben es, die eingefahrenen, in der Regel bürokratisierten Herrschaftsverhältnisse in der Aktion, wenn es diese gibt, womöglich zu unterlaufen und zu konterkarieren. Darin, und nicht in der Ermöglichung eines ordentlichen, ruhigen Wahlverhaltens und der "Entparlamentarisierung", liegt ihr Wert. Das gleiche gilt, wie die Auseinandersetzung um die freie Software vom Typ Linux zeigt, auch für die Monopolverhältnisse in der Software-Produktion.

Verheißung Medienvielfalt

Die am ehesten die moderne hochentwickelte Gesellschaft materiell mitbestimmenden Einflüsse im Rahmen der iuk-technischen Entwicklung kommen wohl, außer über die Umwälzung des Beschäftigungssystems, über die Veränderungen der Medienlandschaft zustande. Hier werden Inhalte, an denen sich Bewußtsein und Verhalten orientieren, nachhaltig verändert.

Aber auch hierbei muß man sich vor vereinseitigenden Deutungen hüten.

Viele inhaltliche Veränderungen gehen zwar auf die Digitalisierung und ihre Folgeprozesse zurück. Sie sind insofern abhängig von der "Computerisierung" der Medien. Ebenso bedeutsam sind aber andere Prozesse, wie die Privatisierung und die mögliche Infragestellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie die Konzentration bei den Medien und natürlich der Wandel der Bedürfnisse in der "zivilen" Gesellschaft. Entscheidend sind auch hierbei die Inhalte, die Programme, die sozialen Strukturen und Prozesse, die damit gefördert oder beeinträchtigt werden.

Die Digitalisierung ist eher Anlaß, nicht so sehr Bestimmungsfaktor für die Medienlandschaft von morgen und übermorgen. Diese allerdings wird - über die Programme und Inhalte, die ausgestrahlt werden - nachhaltig auf die Gesellschaft der Zukunft einwirken.

Wenn man die Bedeutung der Inhalte und der Programme richtig einschätzt, dann muß vor der völligen Privatisierung des Rundfunkwesens gewarnt werden: sie öffnet, das belegt die Erfahrung, dem wettbewerbsgesteuerten Flachsinn und dem sensationslüsternen Voyeurstum Tür und Tor. Die Multimediaentwicklung ändert an dieser Problematik wenig: Ob man brutale Videos, deren Einfluß auf die zunehmende Gewaltbereitschaft an den Schulen und allgemein in der Gesellschaft noch genauer abzuschätzen ist, am Computer ansieht oder auf einem separaten Fernsehgerät, ist eher zweitrangig. Insofern führt die derzeitige Multimediadebatte in die falsche Richtung.

Sie wird allerdings vor allem Auswirkungen in der Arbeitswelt haben, doch dazu ist zuvor einiges gesagt worden.

3. Die Gewerkschaften - Verlierer der Informatisierung

Die "Informationsgesellschaft" im behaupteten Sinne ist ein Mythos, eine wenig wirklichkeitstüchtige Phantasie darüber, wie die Gesellschaft einmal beschaffen sein wird.

Das heißt jedoch nicht, dass der Prozeß der "Informatisierung" folgenlos ist und bleibt. Im Gegenteil: Er hat nachhaltige Auswirkungen auf etliche Subsysteme der Gesellschaft: die Betriebe, die Beschäftigung und den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, einige andere - bei diesen allerdings schon weitaus weniger ausgreifend. Im System der Justiz z.B. macht die organisierte Kriminalität sicherlich umfangreichere Anpassungs- und Veränderungsleistungen notwendig als die Ausbreitung der luK-Techniken. Im politischen System sind die Auswirkungen der Informatisierung um einen Faktor Zehn weniger bedeutsam als die des Rechtsradikalismus.

Am nachhaltigsten betroffen scheint wohl das Beschäftigungssystem zu sein. Aber auch hier ist vor einer Verabsolutierung zu warnen: die "Informatisierung" ist hauptsächlich Bestandteil von anderen umfassenden Prozessen wie dem der Rationalisierung, der Konzentration, des wirtschaftlichen Strukturwandels allgemein. Diese wiederum werden wesentlich von anderen Kräften und Bedingungen geprägt als denen der Informatisierung, und vor allem: Sie sind konkret, Fall für Fall, auf betrieblicher Ebene aufzugreifen.

Mit den Veränderungen im Beschäftigungssystem sind die Gewerkschaften gefordert und herausgefordert worden. Die gewerkschaftliche Politik war noch in den achtziger Jahren in wesentlichen Fragen - Arbeitsmarktentwicklung, Qualifikationspolitik, Abwehr von grundrechtseinschränkenden Praktiken - ein eher gegensteuernder Faktor. Heute ist daraus eine fast ausnahmslos blanke Mitgestaltungs- und Förderungspolitik geworden. Diese Mitgestaltungspolitik ist allerdings fast ausnahmslos Politik über den Diskurs geblieben. Die wirklichen Hebel, über die die Gewerkschaften zur Entwicklung konstruktiver Alternativen hätten aktiv werden können, ihre Präsenz in den Betrieben, ihre Nähe zu den unternehmerischen Entscheidungen, sind weitgehend ungenutzt geblieben.

Die Gewerkschaften haben nicht gesehen oder nicht sehen wollen, dass der Prozeß der Informatisierung eine anderen Prozessen - wirtschaftlicher Strukturwandel, Konzentration und Internationalisierung, allseitige Rationalisierung u.a. - untergeordnete Entwicklung ist. Sie haben sich diesen Prozessen und ihren Triebkräften im betrieblichen Rahmen nicht aktiv und Druck machend zugewandt. Sie haben vielmehr ihre Positionen bezüglich der luk-Techniken einfach so z.T. diametral geändert, vor allem wohl, weil der Modernisierungsdiskurs besser in die politische Landschaft paßte.

In keinem Land Europas, vielleicht der Welt, sind die Gewerkschaften so nahe an den Entscheidungen der Untemehmensspitzen wie in Deutschland - über die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten, das Gewicht der Betriebsräte, die Informationsrechte der Wirtschaftsausschüsse, die Benennung von Arbeitsdirektoren u.a.m. Die Beschäftigungskatastrophe hat sich dennoch quer durch eine funktionierende Mitbestimmungslandschaft hindurch entwickelt: Alle wesentlichen, die Beschäftigung auf verschiedenen Wegen beeinträchtigenden Maßnahmen und die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Entscheidungen sind (fast) wiederstandslos, und schlimmer noch: alternativenlos, vor allem von den "Arbeitnehmerbänken" in den Aufsichtsräten, auf denen die Gewerkschaften zumeist in der Mehrheit sind, mitgetragen worden. Und die Informatisierung hat am Ausdünnen der Arbeitsplätze erheblichen Anteil gehabt, wie jeder Betriebskundige weiß.

Insofern ist der gewerkschaftliche Paradigmenwechsel auf dem Gebiet der luk-Techniken, mit seiner Kombination von Diskurslastigkeit und Inkonsequenz in der betrieblichen Praxis der Gewerkschaften, nicht Symptom der Einsicht, sondern wohl eher der Schwäche. Und diese Schwäche hat ihren Preis: Seit Anfang der neunziger Jahre verlieren die deutschen Gewerkschaften in großem Umfang Mitglieder. Insbesondere die Jungen und die in den modernen Produktions- und Dienstleistungsbranchen Beschäftigten sehen wenig Sinn darin, sich gewerkschaftlich zu organisieren -ein bemerkenswertes Ergebnis, wenn man sieht, wie sehr die Gewerkschaften sich auf den Modernisierungskurs und -diskurs umorientiert haben. Sind die Gewerkschaften nicht mehr glaubhaft? Oder sind sie in diesem neuen modernen Gewand schlicht überflüssig?

Vor allem sind es aber arbeitslose Mitglieder, die austreten. Dahinter steht wohl die Auffassung, dass die Gewerkschaften entweder nicht willens oder nicht fähig sind, an der verhängnisvollen Arbeitsmarktentwicklung etwas zu ändern. Es gelingt ihnen offensichtlich immer weniger, den Beschäftigten und Arbeitslosen, deren soziale Schutzbedürftigkeit eindeutig zugenommen hat, klarzumachen, dass sie Kräfte zur Gegenwehr wirksam bündeln und freimachen können. Hier hat sich die Vernachlässigung der konkreten betrieblichen Entwicklungen - und in diesem Rahmen auch der Informatisierung - verhängnisvoll ausgewirkt und wird das auch in der Zukunft tun.

Gewerkschaften, die ständig nur den Anpassungsdiskurs führen und bei denen die Kluft zwischen dem, was sie tun könnten, und dem was sie tun, größer wird, sind eben nicht hinreichend anziehend. Hinzu kommen die uralten Verkrustungsprobleme. Die Verkrustung scheint unter dem Druck des notwendigen apparativen Rückzugs sogar eher noch zuzunehmen, ebenso die Neigung, strukturkonservative Politikpraktiken zu pflegen. Im Zusammenhang mit der Informatisierung (bzw. der "Informationsgesellschaft", auf die sich auch sehr viele in den Gewerkschaften positiv beziehen) muß man daher sagen, dass vermittelt über die Veränderungen des Beschäftigungssystems die Gewerkschaften zu den hauptsächlichen "Verlierern" der Informatisierung und der Moderne zählen - und das sicherlich nicht ganz ohne eigene Schuld.

4. Ausblick

Die Informatisierung als die Gesellschaft breit erfassender Prozeß ist Tatsache, ist unbestreitbar. Was bestritten wird, sind die umwälzenden Auswirkungen, die ihr mit der Theoriebildung um die "Informationsgesellschaft" zugeschrieben werden. Die Gesellschaft wird diese Entwicklung "weg stecken", wie sie das Telefon und die modernen Verkehrstechniken weggesteckt hat.

Die Folgen der Informatisierung sind analysierbar, abschätzbar. Was entwickelt werden muß, sind vor allem die Schutzvorkehrungen wie z. B. die Datenschutzregelungen bei personenbezogenen oder -beziehbaren Daten oder die entsprechende Regulierung der Medien zur Erhaltung einer ausreichend vielfältigen, qualitativ hochwertigen, nicht allein von der zahlungsfähigen Marktnachfrage bestimmten Informationsgrundversorgung. Die sonstigen Auswirkungen - insbesondere die auf das Beschäftigungssystem - bedürfen umfassenderer Antworten z.B. auf den Gebieten der Wirtschafts- und Ar-beitsmarktpohtik, der Bildungspolitik und ihrer Voraussetzungen, also vor allem der staatlichen Finanz-und Haushaltspolitik. Sie sind durchaus innerhalb einer liberal-bürgerlichen, aufgeklärten Gesellschaft realisierbar.

Das Gleichsetzen von "Informationen", die übers Internet kommen, mit den Informationen, die die Menschen und die Gesellschaft in der Zukunft brauchen, ist willkürlich, unbegründet, unberechtigt. Die Anmutung, die mit der Begrifflichkeit der "Informationsgesellschaft" verbunden ist, ist es ebenso. Was an komplexen Schutzvorkehrungen notwendig ist, kommt aber nicht als Selbstläuferprozeß, sondern muß erkämpft werden.

Das kann eine Herausforderung zu umfassenden Veränderungen sein. Sie haben allerdings kaum etwas mit der "elektronischen Revolution" zu tun. Und ob Entwicklungen wie die verschiedenen Cyberwelten, das Internet und die allseitige und allgegenwärtige Verdatung den notwendigen Geist der Kritik und des Wiederstandes in der Gesellschaft fördern, ist eher fraglich. Internet ist keine Revolution, es macht auch keine. Es wird, sollte es einmal eine wirkliche Revolution geben, nach ihr wohl so weiterfunktionieren wie vor ihr.

Was wäre aber 1789 gewesen, hätte es bereits die luK-Techniken gegeben? Wären die Einwohner der Pariser Faubourgs auch dann herabgestiegen ins Zentrum, um das Gefängnis in der Bastille zu stürmen, oder hätten sie sich das Ganze eher als Multimediaspektakel angesehen? Niemand weiß die Antwort.

Literatur

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