Viele Bauernregeln zur Vorhersage des Wetters haben inzwischen ausgedient. In den 140 Jahren seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hat sich Deutschland bereits um 1,5 Grad erwärmt, die Zahl der Hitzetage hat sich verdoppelt. Neben einer weiteren Zunahme solcher Tage mit hohen und sehr hohen Temperaturen werden größere saisonale Schwankungen der Landwirtschaft immer mehr zu schaffen machen, insbesondere Niederschläge und lang-anhaltende Trockenphasen, wie sie bereits die Jahre 2018 und 2019 prägten. Niederschläge, die erst ausbleiben und dann in großer Menge über knochentrockenen Böden niedergehen, bedeuten niedrigere Erträge und vermindern die Erntequalität. Damit brechen den landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland, von denen ohnehin schon viele ums Überleben kämpfen, die Einnahmen weg.
In anderen Teilen der Welt sieht es nicht besser aus. In seinem neuesten Sachstandsbericht warnt der Weltklimarat IPCC davor, dass 2050 allein durch die Folgen des Klimawandels zusätzlich bis zu 183 Millionen Menschen unter Unterernährung leiden könnten. Die Ursachen hierfür liegen vor allem in den Extremwetterereignissen. Ihre Zunahme verläuft nicht parallel zum Temperaturanstieg, sondern beschleunigt sich schon bei unerheblich klingenden Erwärmungen im Zehntelgradbereich sprunghaft. Jenseits der Grenze von 1,5 Grad – deren Einhaltung allen Beteuerungen zum Trotz gerade alles andere als sicher ist – sind ihre Effekte kaum mehr zu kalkulieren.
Nur ein Vorgeschmack
In anderen Teilen der Welt ist die Landwirtschaft bereits massiv von den sich rapide verändernden Umweltbedingungen betroffen und bewährte Anbausysteme drohen vielerorts dauerhaft zu kollabieren. In Mitteleuropa ließ sich das Ausmaß der heraufziehenden Probleme recht lang beiseiteschieben. In den letzten Jahren wurde dies immer schwieriger. Zur Sommerhitze und zu einem insgesamt chaotischeren Wettergeschehen gesellen sich zusätzliche Herausforderungen wie neue und altbekannte Schädlinge, die in einem milderen Winter keinen Gegner mehr finden. Die Ernteausfälle setzen sich als Futtermittelknappheit fort, wodurch die Preise für die Tierhaltung steigen. So wird hierzulande regelmäßig über Finanzhilfen für in Not geratene Erzeuger*innen diskutiert – und immer öfter auch über die spürbar angezogenen Verbraucherpreise.
Nach allem, was wir wissen, ist das alles nur ein Vorgeschmack auf die Verhältnisse, die uns Mitte des Jahrhunderts bevorstehen. Der sich abzeichnende Wassermangel wird vielerorts zu einem ernsthaften Problem werden und ganze Landschaften spürbar verändern. In einigen Regionen Deutschlands droht die Erosion von Böden bis hin zur Unnutzbarkeit und Versteppung. Zwar bieten höhere Temperaturen und eine verlängerte Vegetationsperiode für den Anbau einzelner Kulturen durchaus Vorteile oder machen ihn erst möglich. Das gilt etwa für Wein und verschiedene Obstsorten bzw. für Soja und Kichererbsen. Die Perspektive ist insgesamt dennoch eher düster, denn ebenso wie Weizen und Co. gehören die meisten Kulturpflanzen nicht zu den Gewinnern des Klimawandels. Für viele Getreidesorten werden die Ackerflächen dort, wo sie sich unter den neuen Bedingungen sinnvoll anbauen lassen, in den kommenden Jahrzehnten unweigerlich schrumpfen. Was bedeutet es nun, sich auf diese veränderten Bedingungen einzustellen?
Anpassung im Krisenmodus
In der Fachwelt und immer öfter auch in der Öffentlichkeit werden unterschiedliche Maßnahmen der Anpassung diskutiert. Sie reichen von diversifizierten Fruchtfolgen über standortspezifische Sortenwahl bis hin zum Einsatz besser angepasster Nutzpflanzen aus anderen Weltregionen. Die Züchtung heißzeitkompatibler Sorten hat bereits begonnen – Wunder bewirken kann sie allerdings nicht. Mit innovativen Kühlsystemen in Ställen und Lagerhallen sowie mit neuen Systemen der ressourcen- und bodenschonenden Bearbeitung wird zudem stark auf technische Lösungen gesetzt. Die im europäischen Agrarsektor ohnehin weit fortgeschrittene Digitalisierung gilt dabei als Hoffnungsträger. Sie verspricht eine hoch technisierte Präzisionslandwirtschaft, in der Ressourcen punktgenau und damit sparsamer eingesetzt werden können. Nicht nur im Hinblick auf die für Ernteroboter und Drohnen benötigten Rohstoffe oder die zentralisierte Datensammlung bei den Maschinenherstellern ist allerdings zweifelhaft, ob die Versprechungen zum Wohle aller tatsächlich eingelöst werden können. Fest steht: Die verschiedenen Anpassungslösungen für den Agrarbereich werden enorme Kosten verursachen – und nicht alle Landwirt*innen werden sich an diesem kapitalintensiven Wettlauf gegen die Klimakrise beteiligen können oder ihre Nische finden. Schon heute sind die hohen Kosten für Investitionen in neue Technologien ein maßgeblicher Grund für die Aufgabe von landwirtschaftlichen Betrieben und damit für die anhaltende Konzentration im Agrar- und Ernährungssektor.
Ein weiteres Feld von Auseinandersetzungen dürfte sich künftig bei der landwirtschaftlichen Wasserentnahme auftun. Das Umweltbundesamt rechnet damit, dass der Beregnungsbedarf deutschlandweit zunimmt und »mehr Nutzer*innengruppen als heute um eine knapper werdende Ressource konkurrieren« werden. Bei der Priorisierung und Verteilung werden auch die Bedürfnisse angrenzender Ökosysteme eine Rolle spielen. Der Schutz der biologischen Vielfalt und intakter Umweltbeziehungen wird mittlerweile auch vom Weltklimarat als zentrale Anforderung an eine zukunftsfähige Landwirtschaft betont. Die Stärkung agrarökologischer Ansätze, für die auch bäuerliche Bewegungen wie La Via Campesina eintreten, wird vom IPCC nicht nur als Mittel im Kampf gegen die Ursachen der Klimakrise gesehen, sondern auch als eine Möglichkeit, ihren Folgen besser zu begegnen. Durch die Schonung von Böden und Gewässern, durch mehr Strukturvielfalt in Form von Hecken oder Agroforstsystemen, mit der Förderung der Artenvielfalt und einer stärkeren Ausrichtung auf lokale Kreisläufe werden Ernährungssysteme nachweisbar robuster und widerstandsfähiger gegenüber Störungen.
Zielkonflikte und Sackgassen
Die Landwirtschaft in Deutschland muss innerhalb weniger Jahrzehnte enorme Herausforderungen bewältigen. Sie muss nicht nur umfassende Anpassungen an die Folgen des Klimawandels leisten, sondern auch einen Totalumbau meistern: weg von einem emissionsintensiven hin zu einem klimaneutralen Wirtschaftssektor. Zusätzlich muss sie den wachsenden Anforderungen an Umwelt- und Artenschutz Rechnung tragen. Das ruft etliche Zielkonflikte hervor. So setzen aktuell sämtliche Strategien im Kampf gegen die Erderwärmung auf die Erzeugung von Energiepflanzen und die Speicherung von Kohlenstoff im Boden. Für Letzteres ist die großflächige Wiedervernassung von Mooren eine ökologisch wie klimapolitisch sinnvolle Maßnahme. Gleichzeitig werden dadurch die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen unweigerlich verringert, was die Konkurrenz um Anbauflächen weiter erhöht. Fragen nach Flächenbedarfen und Flächenverbrauch kommt nicht nur hier eine Schlüsselrolle zu. Eine weniger intensiv betriebene Landwirtschaft, die mit deutlich weniger oder gänzlich ohne Kunstdünger und Pestizide auskommt, erwirtschaftet pro Hektar niedrigere Erträge, benötigt für dieselbe Menge an Nahrungsmitteln also mehr Ackerfläche. Ausgerechnet mit diesem Argument rechtfertigen Vertreter*innen einer intensiven Landwirtschaft ihre Produktionsmethoden. Sie nehmen für sich in Anspruch, die konsequentesten Klimaschützer*innen zu sein, und weisen damit die Forderung nach Ökologisierung, die inzwischen von einer Mehrheit der Gesellschaft getragen wird, zurück. Die enorme Abhängigkeit des agrarindustriellen Modells von einer anhaltenden Zufuhr fossiler Rohstoffe lassen sie dabei gern außer Acht. Eine deutliche Reduzierung des Fleischverbrauchs wäre – ebenso wie die Verringerung der Lebensmittelverschwendung – eine weitere offensichtliche Stellschraube zur Reduzierung des für unsere Ernährung erforderlichen Flächenbedarfs. Doch hier kann von gesellschaftlicher Einigkeit keine Rede sein.
Veränderungsdruck als Chance für echten Wandel
Ob und welche der Maßnahmen zur Anpassung der Landwirtschaft an neue klimatische Bedingungen Erfolg haben werden, hängt erheblich vom Tempo der Veränderungen ab. Die Lage wird in den kommenden Jahren schwieriger und unberechenbarer werden. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Lebensmittelerzeugung in stärker vom Klimawandel betroffenen Regionen der Erde durch Ernteausfälle und -rückgänge stark unter Druck geraten wird. Dies könnte zur Folge haben, dass Lebensmittelexporte hierzulande eher zunehmen müssen, als dass sie abgebaut werden könnten, wie es der Vision einer weitestgehend regionalisierten Landwirtschaft entspräche. Die Einbrüche bei der Weizenproduktion in Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine (Russland und die Ukraine produzieren etwa ein Drittel des weltweiten Weizens) zeigen eindrücklich, wie schnell sich die Versorgungslage verändern kann.
Dieser Ausblick klingt erst einmal wenig hoffnungsvoll. In dem immensen Veränderungsdruck hin zu einer postfossilen und klimaresilienten Landwirtschaft liegt dennoch eine große Chance. Der Zwang zur Anpassung zieht dringend notwendige Debatten über die Zukunft unseres Ernährungssystems nach sich, für die es von linker Seite überzeugende Vorschläge und Visionen braucht. Die Verfügungsgewalt über Boden und Wasser ist darin eine zentrale Frage. Mit Vergesellschaftung dürften gerade im Kontext der Landwirtschaft viele immer noch Vorstellungen von Zwangskollektivierung verbinden. In einer Zeit, in der die Scholle von immer weniger Höfen bewirtschaftet wird, die immer öfter landwirtschaftsfremden Investoren gehören und die konzentrierte Konzernmacht eine gesellschaftliche Steuerung der Nahrungsmittelversorgung spürbar einschränkt, könnte sich das aber ändern. Das Ringen um eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik und eine echte Demokratisierung des Ernährungssystems wird durch die Umwälzungen einen neuen Schub erhalten. Alles andere wäre der Situation nicht angemessen.
Erschienen in: "Unangepasst" - Luxemburg2/2022.