Gegen die Korporatisierung des Feminismus

Empowerment und Ausbeutung für den Mode-Konzern Nike

Mitte der 1990er deckten Journalist_innen, Feminist_innen und Anti-Sweatshop-Aktivist_innen schwere Arbeitsrechtsverletzungen bei Nike-Lieferanten in Indonesien und Vietnam auf und ließen das Unternehmen zum „Synonym für Sklavenarbeit“ werden, wie der damalige CEO von Nike, Phil Knight, es formulierte. Der Ruf des Unternehmens litt erheblich, besonders da Nike sich immer als sozial verantwortlich vermarktet hatte. Frauen, die von ihren Vorgesetzten geschlagen und belästigt wurden und für einen Hungerlohn 70-Stunden-Wochen arbeiteten, passten da nicht ins Bild.

Um das Image zu aufzupolieren, begann Nike in den frühen 2000ern, Gelder für Mädchen-Empowerment bereitzustellen. Diese ‚Girl Effect’-Projekte änderten für Frauen und Mädchen in den Zulieferungsländern nichts. Stattdessen richteten sie sich an Mädchen in Ländern wie Äthiopien, Uganda und Brasilien. Was sie anboten, waren etwa Selbstwert- und Unternehmensgründungs-Workshops, getragen von der Idee, dass Frauen, sobald sie den Markt erobern dürfen, zur Aufwertung ihres sozialen Umfeldes beitragen und letztlich die ganze Welt aus der Armut befreien.
Das war ein kluger Schachzug: Nike konnte sich seinen Kund_innen, Angestellten und Investor_innen gegenüber als feministischer Vorreiter verkaufen. Es half ihnen auch, gute Beziehungen zu NGOs und Frauenrechtsgruppen zu knüpfen und feministische Agenden zu beeinflussen. Indem sie diesen Gruppen Geld gaben, um ‚Girl Effect’-Programme einzuführen, schaffte es Nike, einige der glaubwürdigsten Label und einflussreichsten Entwicklungsinstitutionen der humanitären Welt mit ihrer Marke zu verbinden: vom International Center for Research on Women und der Weltbank bis hin zur UN, die ‚Girl Effect’-Doktrinen von Nike fanden überall Anerkennung. Bei Geschlechtergerechtigkeit ging es nun um ‚Selbsthilfe’-Fähigkeiten und Marktzugang – praktische Ideale für die Geschäftswelt –, statt um soziale und wirtschaftliche Rechte, so wie das Recht, sich zu organisieren und die Einführung eines Mindestlohns.

Im Januar 2016 entschloss ich mich herauszufinden, inwiefern Nikes ‚Girl Effect’-Prinzipien sich bei den Mädchen und Frauen wiederfanden, die ihre Kleider und Sneaker in Vietnam herstellten, dem Land, aus dem Nike zu der Zeit den Großteil seiner Kleidung bezog. Ich führte Interviews[1] mit fast zwei Dutzend Nike-Arbeiterinnen um herauszufinden, wie befreiend ihre Jobs waren und ob sie ihren Familien aus der Armut helfen konnten. Weit entfernt davon, beschrieben die Frauen ihre Arbeit als repressiv und ausbeuterisch: Sie waren zu extrem langen Schichten gezwungen und wurden oft nicht für ihre Überstunden bezahlt. Die Mütter, mit denen ich sprach, sagten, dass die Gehälter zu niedrig waren, um ihre Kinder aufzuziehen, weswegen die meisten von ihnen ihre Töchter und Söhne zu ihren weit weg lebenden Familien geschickt hatten. Sie sahen sie höchstens zweimal im Jahr. Für all diese Frauen waren die niedrigen Gehälter die größte Sorge und alle sagten, dass die Löhne, um den Lebensunterhalt zu decken, um das Dreifache steigen müssten.

Das zeigte die dunkle und zynische Seite des corporate feminism: In dieser Ideologie sind Frauenrechte und Sicherheit nur dann ‚gut’, wenn sie in Einklang mit Geschäftszuwachs stehen. Wenn sie Profite beeinträchtigen – so wie es für den Lebensunterhalt ausreichende Löhne tun würden oder der Bezug aus Ländern, in denen es Frauen erlaubt ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren ohne im Gefängnis zu landen, so wie in Vietnam –, sind sie nicht der Erwähnung wert.
Es überrascht nicht, dass ein Konzern wie Nike solche Visionen hat und feministische Ideale so selektiv kooptiert. Branding ist schließlich genau das, worum es in ihrem Geschäft geht. Überraschender ist, dass Nikes feministische Partner – diejenigen, die für die Umsetzung der ‚Girl Effect’-Projekte Förderungen erhalten hatten – diese Widersprüche übernahmen. Von den acht Frauenrechtsorganisationen, die ich bat, zu meinen Beobachtungen in Vietnam Stellung zu beziehen und sich dazu zu äußern, inwiefern sie die Einführung eines Mindestlohns für wichtig hielten, wenn es um die Stärkung von Mädchen ging, war keine dazu bereit, das Offensichtliche zu sagen: dass Nike sowohl die Macht als auch das Kapital hatte dafür zu sorgen, dass Frauen in ihrer Lieferkette ausreichend Geld für ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie gaben bestenfalls zu, dass sie Nike nicht kritisieren konnten, ‚weil sie das in Schwierigkeiten mit ihren Managern bringen würde’. Schlimmstenfalls unterbrachen sie mich und meinten, sie hätten dazu nichts zu sagen.

Das zeigte, wie effektiv Nike darin gewesen war, feministische Ideale und Organisationen dahingehend zu vereinnahmen, dass sie das Unternehmen in seinen Vermarktungsbemühungen unterstützten und vor Kritik abschirmten. Seitdem sind Unternehmen wie Walmart, Goldman Sachs und Coca Cola Nike gefolgt und stellen sich als feministische Helden dar, die sie zufriedenstellen müssen: Angestellten, Konsument_innen, NGOs, Investor_innen ...
Um gegen diese Korporatisierung des Feminismus anzukämpfen und dagegen, dass die von diesen Konzernriesen ausgebeuteten Frauen nicht länger zum Schweigen gebracht werden, ist es wichtiger denn je, dass tatsächlich solidarisches Bestreben deren Kämpfe und Stimmen ins Zentrum rückt und falsche Lösungen als das benennt, was sie sind.


Aus dem Englischen übersetzt von Sophie Schasiepen.

Die Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 55, Herbst 2020, „Modethema“.


Maria Hengeveld ist Doktorandin an der Universität Cambridge und investigative Journalistin mit Fokus auf Unternehmensverantwortung und Arbeitsrecht.

 

[1] https://slate.com/business/2016/08/nikes-supply-chain-doesnt-live-up-to-the-ideals-of-its-girl-effect-campaign.html.