John Bolton, Jahrgang 1948 und Sohn einer Hausfrau sowie eines Feuerwehrmannes, studierte an der Yale University, wo er 1974 den Juris Doktor mit summa cum laude erwarb. Wie sein Kommilitone Bill Clinton umging auch Bolton mit einem Sidestep die Einberufung nach Vietnam – er meldete sich zur Maryland Army National Guard. Später bekannte er freimütig, „keine Lust“ gehabt zu haben, „in einem südostasiatischen Reisfeld zu sterben“.
Boltons berufliche Karriere weist einige Volten auf, von denen jede einzelne bei anderen womöglich das unwiderrufliche Ende bedeutet hätte. 2001 wurde er in der ersten Administration von Bush junior zum Staatssekretär für Rüstungskontrolle und Internationale Sicherheit berufen und war als solcher ab 2003 US-Delegationsmitglied bei den damaligen Sechsparteiengesprächen zum nordkoreanischen Atomprogramm. Auf eine Demarche der Nordkoreaner hin musste Bolton jedoch zurückgezogen werden. Er hatte Pjöngjangs Herrscher, seinerzeit noch Kim Jong-il, zwar durchaus zutreffend, doch völlig entgegen diplomatischer Gepflogenheit als „tyrannischen Diktator“ bezeichnet. Und als Bush Bolton im Jahre 2005 zum UN-Botschafter machen wollte, verweigerten dem Präsidenten selbst republikanische Gefolgsleute im Kongress die Zustimmung; die Nominierung scheiterte. Sein Credo bezüglich der Vereinten Nationen hatte Bolton übrigens im Jahre 2000 folgendermaßen formuliert: „Wenn ich den Sicherheitsrat heute neu zusammenstellen müsste, dann hätte dieser genau ein ständiges Mitglied, weil das den tatsächlichen Machtverhältnissen in der Welt entspricht.“
Seit 9. April 2018 ist John Bolton, berufen durch Präsident Trump, National Security Advisor, der Nationale Sicherheitsberater der USA, und nächst dem Präsidenten wichtigster Mann im National Security Council (NSC), dem Nationalen Sicherheitsrat. Eine Zustimmung des US-Kongresses musste für diese Personalie nicht eingeholt werden, weil Bolton kein aktiver Militär ist.
Die Nationalen Sicherheitsberater der USA waren in der Vergangenheit nicht selten Funktionsträger mit erheblichem bis entscheidendem Gestaltungseinfluss auf die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik. Man denke nur an Namen wie Henry Kissinger, Zbigniew Brzeziński oder John Poindexter.
Der Name des letzteren etwa, er diente unter Präsident Ronald Reagan, steht für Irangate, die sogenannte Iran-Contra-Affäre, und damit für einen der größten politischen Skandale, die Washington je erschüttert haben. Für die jüngeren unter den Lesern: Seinerzeit organisierten Untergebene von Poindexter, allen voran der Marine Corps-Colonel Oliver North, illegale Lieferungen tausender von Panzer- und Luftabwehrraketen an den Iran, mit dem man offiziell bis aufs Messer verfeindet war und gegen den auch ein amerikanisches Waffenembargo bestand, und verwendete die Verkaufserlöse zur Finanzierung reaktionärer Mörderbanden in Nicaragua, der sogenannten Contras. Pekuniäre Unterstützung dieser Formationen war damals allerdings durch den US-Kongress gesetzlich untersagt …
Über vergleichbaren Gestaltungseinfluss wie etliche seiner Vorgänger scheint nun John Bolton zu verfügen. Mutmaßlich sein jüngster Coup: die Torpedierung eines der letzten noch bestehenden Abrüstungsverträge zwischen den USA und Russland, des INF-Vertrages von 1987. Präsident Trump hat bekanntlich gerade verkündet, dass Washington den Vertrag verlassen will.
Der INF-Vertrag war die entscheidende Weichenstellung im Verhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion für die Beendigung des Kalten Krieges, die seit 1945 herrschende Ost-West-Konfrontation. Der Vertrag verbot landgestützte nukleare Mittelstreckenwaffen beider Seiten (ballistische Raketen und sogenannte Marschflugkörper, Cruise Missiles,) mit Reichweiten von 500 bis 5500 Kilometern und führte zur Vernichtung der betreffenden Bestände der USA und der Sowjetunion. Im Gefolge dieser Epochenwende wurde 1990 die deutsche Einheit möglich und die Charta von Paris vereinbart, es kam zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Zentral- und Osteuropa sowie zum Rückzug tausender taktischer Atomwaffensysteme der USA und der UdSSR und, mit dem KSE-Vertrag von 1999, schließlich auch zur umfangreichsten je vertraglich vereinbarten konventionellen Abrüstung in Europa.
Seit einigen Jahren werfen sich die INF-Vertragspartner gegenseitig Verletzungen der Übereinkunft vor. (Diese Probleme sind im Detail auch im Blättchen bereits vor längerem, 2014 und 2015, von Otfried Nassauer beleuchtet worden.) Dass „Vertragsverletzungen“, wie jetzt von Trump und seinem Adlatus Bolton geltend gemacht, der tatsächliche Grund für einen Ausstieg der USA sein könnten, wird denn auch von Experten bezweifelt. Was die USA den Russen konkret vorwerfen, tangierte, sollte es zutreffend sein, die Sicherheit der USA und ihrer westeuropäischen Verbündeten bisher praktisch nicht. (Das gilt für die russischen Vorwürfe an die USA und die russische Sicherheit übrigens spiegelbildlich ebenso.)
Gut bekannt ist demgegenüber aber Boltons geradezu pathologische Ablehnung jeglicher Rüstungskontrollvereinbarungen, weil die den USA die Hände bänden. Speziell durch den INF-Vertrag würden die USA, so wird er zitiert, gegenüber Ländern wie China, Indien, Pakistan und Iran ins Hintertreffen geraten.
Diese Denke offenbart eine so schlichte sicherheitspolitische Arithmetik, dass einem übel davon wird. Gegen die Triade der land-, luft- und seegestützten strategischen US-Offensivwaffen haben die drei nuklearen Zwerge China, Indien und Pakistan sowie der Iran doch gar nichts ins Feld zu führen. Wozu um Himmels Willen sollten da (durch den INF-Vertrag noch verbotene) landgestützte Mittelstreckenwaffen dienen? Zur Regionalisierung atomarer Kriegführung vielleicht, um deren Folgen von den USA fernzuhalten? Selbst diese irre Vorstellung ist aber bereits durch die Ausstattung der US-Streitkräfte mit luft- und seegestützten Cruise Missiles mehr als hinreichend materialisiert!
Demgegenüber liegen keine Indizien dafür vor, dass Bolton intellektuell je ernsthaft bis zu der Frage vorgedrungen wäre, ob vertraglich geregelte Rüstungskontrolle und Abrüstung gegebenenfalls auch für die USA sicherheitspolitische Vorteile haben könnten …
Boltons erster Coup im neuen Amt dürfte ein anderer Tabula-rasa-Auftritt Trumps gewesen sein. Der hatte bekanntlich Anfang Mai den Ausstieg aus dem Iran-Deal und die Wiederaufnahme der Sanktionen gegen Teheran verkündet, um damit den Joint Comprehensive Plan of Action zu torpedieren, jenen diplomatischen Erfolg, der nach langwierigen Verhandlungen zwischen den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland als Vertreter der EU und dem Iran am 14. Juli 2015 in Wien erreicht worden war. Dieser Deal stellt sicher, dass die iranische Uran-Anreicherung, eine grundlegende Voraussetzung für den Bau von Atomwaffen, für 15 Jahre soweit zurückgefahren wird und bereits angereicherte Uran-Bestände beseitigt werden, dass der vom Westen befürchteten „Bombe der Mullahs“ während der Laufzeit des Deals der Boden entzogen und Zeit für weitergehende Vereinbarungen gewonnen wird.
Trump hatte seit Oktober 2017 wiederholt angekündigt, den Deal platzen zu lassen. Nur vier Wochen nach Boltons Start als National Security Advisor hat er den Schritt tatsächlich vollzogen.
Was kommt als Nächstes? Bolton hat mal geschrieben: „Unser Ziel sollte ein Machtwechsel im Iran sein.“ Und: „Um Irans Bombe zu stoppen, müssen wir Iran bombardieren.“ Israel steht dafür bekanntlich Gewehr bei Fuß … Die Lunte an diesem Pulverfass glimmt. Und der Feststellung eines Nachrichtenmagazins, dass Boltons Antwort auf außen- und sicherheitspolitische Probleme häufig Krieg zu sein scheine, widersprach der frühere NSA- und CIA-Direktor Michael Hayden nicht, auch wenn er sich diplomatisch gab: „Ich sage mal vorsichtig: Er ist bereit, die Konfrontation zu suchen.“
Ex-Außenminister Joschka Fischer (Bolton „kenne ich sehr gut“.) erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass Bolton schon „einer der Mitverantwortlichen des Irak-Desasters“ gewesen sei – also mithaftbar zu machen für die Folgen jenes völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der USA und ihrer „Koalition der Willigen“ (Großbritannien, Polen, Rumänien, Ukraine und 39 weitere Staaten), der am 20. März 2003 vom Zaun gebrochen wurde, um Saddam Hussein jene Massenvernichtungswaffen zu nehmen, von denen sich nachfolgend keine Spur fand. Dafür wurde das Land als funktionierender Staat vernichtet und dauerhaft so destabilisiert, dass sich aus den Trümmern später die Terrororganisation Islamischer Staat erheben konnte.
Derzeit kursieren Presseberichte in den USA, wonach Bolton und seine Spezis, die er dem Vernehmen nach im NSC platziert hat, versuchen, Verteidigungsminister James Mattis aus dem Amt zu drängen. Der ist zwar, wie Bolton, ein Hardliner und Falke reinsten Wassers – allerdings im Unterschied zum Sicherheitsberater einer mit erfahrungsbasiertem militärischen Sachverstand, der weiß, wohin ein kriegerisches Vorgehen gegen den Iran führen könnte und der etwa auch die aggressive Rhetorik gegenüber den NATO-Verbündeten, wie sie Trump und seine unmittelbare Entourage pflegen, für kontraproduktiv hält. Trump gab den Spekulationen um einen Rücktritt seines Pentagon-Chefs Mitte Oktober Nahrung, als er auf CBS äußerte: „Ich meine, irgendwann geht jeder.“
Mit Bolton, so viel scheint festzustehen, hat Trump einen notorischen Zündler zum Chef der Feuerwehr gemacht. Wenn nicht einen reinrassigen Pyromanen.