Das Geschäft mit Nabelschnurblut
Die Einlagerung von Nabelschnurblut für künftig vielleicht mögliche Behandlungen des Neugeborenen boomt. Das Geschäftsmodell funktioniert auch deshalb, weil Medizin und Politik sich damit arrangieren.
Von Carolin Worstbrock
zum aktuellen Schwerpunkt des GID: Gentechnik im Essen siehe www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/226
<--break->Als im November 1998 erstmals menschliche embryonale Stammzellen im Labor kultiviert wurden, war die Aufregung groß.(1) Als „Durchbruch“ gefeiert, lieferte die technologische Neuerung den Stoff für vielfältige Versprechen und Hoffnungen. Schnell zirkulierte in der Öffentlichkeit die Idee einer künftigen Medizin, die mühelos Organschäden heilt, indem sie embryonale Stammzellen so „programmiert“, dass daraus die jeweils gewünschte Gewebeart entsteht.(2)
Die Realität der Stammzellforschung gut 15 Jahre später hat mit diesen Versprechen wenig gemein. Dennoch arbeitet ein ganzes Geschäftsmodell mit der Hoffnung auf künftige Heilungsmöglichkeiten: Die Einlagerung von Nabelschnurblut für das neugeborene Kind. „Körpereigene Stammzellen könnten zukünftig auf unterschiedliche Aufgaben ‚programmiert‘ werden, um ausgefallene oder geschwächte Funktionen oder Gewebe des Körpers zu unterstützen beziehungsweise zu ersetzen“, heißt es beispielsweise auf der Internetseite der Nabelschnurblutbank Seracell. „Viele Mediziner gehen davon aus, dass in einigen Jahren Krankheiten wie Diabetes, (...) Herzinfarkt, (...) Parkinson, Alzheimer, Hirnschlag, Knorpelschäden oder Rückenmarksverletzungen behandelt werden können.“(3)
Konkurrenz an der Nabelschnur
Diese Rhethorik des Potenzials bildet die Geschäftsgrundlage für die nach wie vor boomende Einlagerung von Nabelschnurblut. Allein der deutsche Markt wird derzeit von sieben verschiedenen Unternehmen bedient (siehe Tabelle auf Seite 30). Die 1997 gegründete und damit am längsten existierende Nabelschnurblutbank Vita34 beispielsweise gibt die Zahl ihrer eingelagerten Nabelschnurblut-Präparate mit „über 100.000“ an und das europaweit agierende Unternehmen CryoSave hat seit seiner Gründung im Jahr 2001 nach eigenen Angaben bereits „mehr als 250.000 Präparate eingelagert“.(4)
Während das Angebot der Unternehmen - die Entnahme des Nabelschnurblutes, ein Kurierdienst, die Separation der Zellen und die Einlagerung - in der Regel ähnlich ist, variieren die Preise: Derzeit liegen sie zwischen 1.500 und 3.500 Euro. Um diese Preisunterschiede zu rechtfertigen, lassen sich die Unternehmen Einiges einfallen. So bietet die Rostocker Nabelschnurblutbank Seracell eine „Staffelmiete“ an, und das Aachener Unternehmen CryoSave versucht ebenso wie Viviocell (Stammsitz Graz/ Österreich), mit einem „Zwillingsrabatt“ Kundschaft zu gewinnen.(5)
Gemeinsam ist allen privaten Nabelschnurblutbanken, dass sie ihre Werbung auf Ängste und das Verantwortungsgefühl werdender Eltern abstellen und sie damit subtil zur Einlagerung nötigen. Dabei arbeiten sie mit der Ungewissheit der Zukunft und mit der Hoffnung auf Fortschritt. „Sorgen Sie schon heute für die Gesundheit Ihres Kindes vor“, so die Devise - gerade weil ungewiss ist, ob Krankheiten in 20 Jahren mit Nabelschnurblut-Stammzellen behandelt werden können, so die gängige Darstellung, sollte das Blut doch besser eingelagert werden, damit es gegebenenfalls zur Verfügung steht.(6)
Zwischen realer Bedeutung und Potenzial
Welches werdende Elternpaar aber lässt eine Gelegenheit aus, seinen Nachwuchs vor Krankheit zu schützen? Und diese Gelegenheit - darauf verweisen die Unternehmen gern - ist unwiederbringlich: „Unmittelbar nach der Geburt besteht nur wenige Minuten lang eine nie wiederkehrende Möglichkeit für die vielleicht weitreichendste Gesundheitsvorsorge für das Kind“, heißt es beispielsweise bei eticur.(7) Überdies, so die Argumentation, stünden Stammzellen aus eingelagertem Nabelschnurblut im Krankheitsfall auch für Verwandte zur Verfügung. „Vom Spezialisten eingelagert“, so die Werbung der Leipziger Nabelschnurblutbank Vita34, „könnten sie der ganzen Familie helfen.“(8)
Angesichts der Unwiederbringlichkeit des Moments, der zudem so viel verspricht, fällt der Konjunktiv, in dem diese Versprechen gehalten sind, kaum auf. Nabelschnurblut-Präparate beziehungsweise die darin enthaltenen Stammzellen kommen heute nur in bestimmten Fällen zum Einsatz: Gelegentlich wurden in Therapieversuchen bei sehr seltenen, so genannten monogenetisch bedingten Erkrankungen Erfolge erzielt, und eine Chance auf Heilung durch Stammzellen aus Nabelschnurblut besteht bei Blutkrebs (Leukämie).
Die Behauptung der Unternehmen, mit Nabelschnurblut-Präparaten könnten „schon heute“ Krankheiten behandelt werden, ist also nicht völlig falsch. Falsch ist aber die Suggestion, es handele sich dabei um mögliche zukünftige Krankheiten desjenigen Kindes, von dem das Präparat stammt. Denn Stammzellen aus eigenem Nabelschnurblut sind für die derzeit möglichen Behandlungen ungeeignet: Handelt es sich um eine Krankheit, deren Ursache auf eine genetische Veränderung zurückgeführt wird, bestand diese Veränderung bereits zum Zeitpunkt der Geburt und ist demzufolge auch in den Zellen des Nabelschnurblutes zu finden. Bei der Behandlung von Leukämie ist „eigenes“ Nabelschnurblut deshalb ungeeignet, weil darin sehr wahrscheinlich Krebszellen enthalten sind, die sich schon vor der Geburt gebildet haben; erkrankt ein Mensch an Leukämie, würde eine Behandlung mit Stammzellen aus dem eigenen Nabelschnurblut ein hohes Risiko mit sich bringen, die Krankheit zu verstärken.
Arrangements auf dem Nabelschnurblutmarkt
Stammzellen aus dem Nabelschnurblut fremder SpenderInnen dagegen werden zunehmend für die Behandlung leukämiekranker Kinder eingesetzt.(9) Deshalb gibt es schon seit Jahren eine wachsende Zahl von vorwiegend universitären Instituten, bei denen Nabelschnurblut gespendet werden kann, das dann - getestet und aufbereitet - für PatientInnen verwendet wird, bei denen es aus ärztlicher Sicht Sinn macht. Für die Spende von Nabelschnurblut wird folglich nicht mit der Gesundheitsvorsorge für das eigene Kind argumentiert, sondern vielmehr an Altruismus und Solidarität appelliert: „Schon heute können Sie mit dem Nabelschnurblut Ihres Kindes Leben retten“, heißt es beispielsweise auf den Internetseiten der gemeinnützigen Stammzellbank Bayern. „Machen Sie mit - ein tolles Gefühl, einmal etwas so Wichtiges für andere getan zu haben!“(10)
Einen Kommentar zur Nutzlosigkeit der individuellen Einlagerung von Nabelschnurblut für das eigene Kind sucht man allerdings sowohl hier wie auch bei anderen gemeinnützigen Nabelschnurblutbanken vergeblich. Ganz im Gegenteil kooperieren einige dieser Einrichtungen mit den privaten: So bewahrt beispielsweise das Universitätsklinikum Erlangen die Nabelschnurblut-Präparate auf, deren Einlagerung Eltern für ihr Kind bei dem Unternehmen eticur in Aufrag gegeben haben und garantiert darüber hinaus „unabhängig von der Existenz von eticur“ die Aufbewahrung - eine Garantie, mit der eticur für die Einlagerung wirbt.(11) Auch das Unternehmen Stellacure weiß seine Zusammenarbeit mit der vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) getragenen, gemeinnützigen Nabelschnurblutbank Mannheim werbewirksam zu nutzen: Weil das Unternehmen den Ausbau der gemeinnützigen Sammlung unterstütze, käme die Einlagerung von Nabelschnurblut für das eigene Kind bei Stellacure „indirekt“ auch der Behandlung Kranker zugute. „Das Nabelschnurblut Ihres Kindes wird dabei nicht an fremde Personen abgegeben“, beeilt sich das Unternehmen zu versichern. Aber mit der Einlagerungsgebühr werde mittelbar auch „die öffentliche Nabelschnurblutbank unterstützt“.(12)
Zeitgemäße Geschäftsmodelle
Nicht nur gemeinnützige Nabelschnurblutbanken haben sich offensichtlich mit dem Geschäftsmodell der privaten arrangiert. Auch staatlicherseits wird es - zumindest indirekt - immer wieder unterstützt: So wurde Vita34 im Jahr 2008 vom Freistaat Sachsen mit zwei Millionen Euro Forschungsförderung bedacht, im Jahr 2010 folgten weitere 769.000 Euro aus dem Landesetat und aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.
Sind solche Zahlungen an Biotech-Unternehmen aus dem Steueraufkommen auch längst als „Wachstumsförderung“ normal geworden - angesichts der realen Möglichkeiten der Nutzung von Nabelschnurblut irritiert es, dass auch gesetzliche Krankenkassen wie die AOK über Rabattverträge und Kooperationen das Geschäft mit dem Nabelschnurblut und der Angst werdender Eltern unterstützen.(13) Scheinbar gehört diese Spekulation auf medizinischen Fortschritt heute nicht nur für immer mehr Paare zu einer „zeitgemäßen Gesundheitsvorsorge“.(14)
Carolin Worstbrock hat sich im Rahmen ihres Freiwilligen Ökologischen Jahres im Gen-ethischen Netzwerk mit Nabelschnurblutbanken beschäftigt.
Fußnoten:
(1) Stammzellen sind für den Aufbau und die Regeneration von Gewebe verantwortlich und in allen Organen, in der Haut und im Blut vorhanden. Im Gegensatz zu diesen gewebespezifischen, so genannten adulten Stammzellen können sich embryonale Stammzellen noch in alle Gewebetypen differenzieren, ihre Funktion für den Organismus ist nicht festgelegt. Embryonale Stammzellen existieren nur in befruchteten Eizellen beziehungsweise Embryonen und im Blut der Nabelschnur.
(2) In Aussicht gestellt wurde dabei auch, in der Zukunft ES-Zellen per Zellkerntransfer zu gewinnen, sodass sie genetisch mit den jeweiligen EmpfängerInnen identisch wären und damit die bei herkömmlichen Organ- und Gewebetransplantationen üblichen Abstoßungsreaktionen vermieden würden. Diese Vorstellung speiste sich im Wesentlichen daraus, dass zwei Jahre zuvor erstmals ein Säugetier, das Schaf Dolly, mittels Zellkerntransfer erfolgreich geklont worden war.
(3) Vgl. www.seracell.de.
(4) Vgl. www.vita34.de (Stand Mai 2014) und http:// de.cryo-save.com.
(5) Bei Seracell fallen für die ersten zehn Jahre der Einlagerung sechs Euro pro Monat an, dann noch vier, und nach 20 Jahren müssen nur noch zwei Euro pro Monat für die Einlagerung gezahlt werden. Vgl. www.seracell.de. Beim „Zwillingsrabatt“ wird die Gebühr um die Hälfte reduziert. Vgl. http://de.cryo-save.com und http://vivocell.org.
(6) Zitat siehe www.stellacure.com.
(7) https://www.eticur.de.
(8) Vgl. www.vita34.de.
(9) Weil die Erfolgsaussichten bei der Behandlung von Blutkrebs unmittelbar von der Anzahl der transplantierten Zellen abhängen, die Nabelschnur aber nur wenig Blut - also auch nur wenige Stammzellen - enthält, werden sie für Erwachsene nur selten genutzt.
(10) Vgl. www.akb-germany.de/nabelschnurblut.html.
(11) Zugleich bietet die Stammzellbank des Universitätsklinikums sowohl die Möglichkeit der gemeinnützigen Spende wie auch der privaten Einlagerung an; letztere erfolgt dann über eticur. Vgl. https://www.eticur.de.
(12) Vgl. www.stellacure.com. Auch Vita34 weiß das potenzielle Entscheidungsdilemma zwischen einer Spende von Nabelschnurblut und einer Einlagerung für das eigene Kind für sich zu nutzen. Seit 2007 bietet das Unternehmen an, bei der Einlagerung eine Spendenoption zu vereinbaren. Wenn sich das eingelagerte Nabelschnurblut für Transplantationen eignet und angefragt wird, können die Eltern es für die Spende freigeben und erhalten dann das bis dahin gezahlte Geld zurück. Vgl. www.vita34.de.
(13) Vgl. ebda. Siehe auch Tabelle auf Seite 30.
(14) Zitat siehe www.vita34.de.