Eine flexible Frau, ein Film über einen prekären Alltag zwischen Callcenter, Architekturbüro und Hartz IV, ist auf DVD erschienen
Eine Frau wankt durch ein Stoppelfeld, ihre Stöckelschuhe hat sie ausgezogen, im Hintergrund Neubauten: Townhouses für den saturierten Mittelstand. Sie hat getrunken, es ist ihr vierzigster Geburtstag. Das Feld liegt am Stadtrand von Berlin, wo der Film Eine flexible Frau spielt. Die Protagonistin muss viel wegstecken.
Greta M. (Mira Partecke) ist seit Jahren arbeitslos. Zuvor hat sie in einem großen Büro gearbeitet. Seit dort alle freien MitarbeiterInnen entlassen wurden, hat sie keine neue Arbeit als Architektin bekommen. Auf einer Party trifft sie Studien- und ArbeitskollegInnen von früher. Die Stimmung ist ausgelassen, Smalltalk über die neuesten Projekte, das Eigenheim, die Kinder. „Das ist doch schön, wenn du nicht arbeitest und Zeit für Lukas hast“, bekommt Greta zu hören, als sie von ihrer Situation erzählt. „Aber ich habe niemanden, der für mich den Part des Versorgers übernimmt“, erwidert Greta. Sie hat sich vom Vater ihres 12-jährigen Sohnes getrennt. „Wir sollten uns unbedingt mal wieder verabreden“, bekommt sie darauf als unverbindliche Floskel zu hören. Ihr Gegenüber Marlene (Michaela Benn) hat sich vorher über ihr Glück als teilzeitarbeitende vierfache Mutter an der Seite eines erfolgreichen Architekten ausgelassen. Greta wird mit Umarmung begrüßt und bleibt mit ihren Problemen außen vor. Sie stört mit ihrer Erfolglosigkeit. Bitter und treffend in Szene gesetzt, fällt sie als alleinstehende Arbeitslose aus dem Feiern heraus.
Die Regisseurin Tatjana Turanskyj schafft es in ihrem absolut sehenswerten Film, Bilder und Abläufe zu zeigen über das Gefühl des Scheiterns als vom Arbeitsmarkt Ausgestoßene, über das Unverständnis und die subtilen Mechanismen der Distanzierung seitens der sich als erfolgreich im Arbeitsleben verstehenden Bekannten. Das geht bis zu einem Tiefpunkt, vor dem arbeitslose Eltern einen Horror haben: Ihr Sohn Lukas (Mattis Hausig) sagt ihr ins Gesicht, er wolle nichts „mit Losern“ zu tun haben und deshalb lieber zu einem Freund als zu ihr. Lukas lebt die meiste Zeit bei seinem Vater, aber die gemeinsame Zeit mit ihm ist Greta wichtig. Sprachlos, vor den Kopf gestoßen bleibt sie zurück, während Lukas mit seinem Fußballfreund abzieht. Greta gibt ihrem Ex Paul (Horst Markgraf) die Schuld, schreit ihn später verzweifelt angetrunken vor Lukas an: „Loser! Das hat er von Dir!“.
Die oft in dem Film erscheint es verständlich, aber auch deplatziert, wie Greta agiert. Viele Szenen wirken wie Theater. Die AkteurInnen agieren kammerspielartig, die Körpersprache ist zurückgenommen, das Publikum schaut aus der Distanz auf das Geschehen, das dabei eigentlich so dicht am Alltag spielt. Tatjana Turanskyj zeigt auf beklemmende Weise, wie nah in der zunehmend weniger sozial abgesicherten Arbeitswelt die Rolltreppe abwärts dem freiberuflichen Erfolg ist. Beinahe gespenstisch, dass es keine Regularien gibt, die hier für Ausgleich sorgen. Der Kapitalismus in Turanskyjs Film hat eine glänzende Fassade und ist unbarmherzig. Der Absturz aus der gesellschaftlichen Mitte ist auch ein Absturz in Berlin-Mitte. Die Regisseurin schafft es, Empathie für Greta hervorzurufen, die nicht von oben herab als Sozialfall inszeniert wird, sondern als eine eigenständige Singlefrau, die sich der Marktmechanismen bewusst ist, bei denen sie unter die Räder kommt. Der einzige greifbare Job für sie ist Outbound: Im Callcenter Unbekannte anrufen, um zu versuchen, ihnen etwas aufzuschwatzen, in ihrem Fall sinnigerweise: Fertighäuser.
Und immer von innen heraus lächeln … Turanskyj schafft es in ihrem Film nicht nur, den Absturz aus der Mitte zu bebildern. Sie zeigt die Entsolidarisierung in der Mittelschicht, die Konkurrenz bis zum Offenbarungseid: Ihre FreundInnen feiern und plaudern gerne mal mit Greta, aber als sie fragt, ob sie nicht mit ihnen arbeiten kann, bekommt sie auch nur Bekanntes: Absagen. Plötzlich ist Mann geschäftstüchtig, selbst in der Kneipe. Alles ist Projekt, alles potentiell verwertbar, nur Greta nicht. Sie ist draußen. Obwohl sie in ihrer autonom durchgeführten Architekturrecherche durch das protzige modernisierte Berlin der Macht – Bundesfinanzministerium – und des besserverdienenden Mittelstandes – Townhouses und Privatstraßen – zeigt, wie viele gute Ideen für eine nicht auf Gewinn- sondern auf Lebensqualitätsmaximierung ausgerichtete Architektur sie hat.
Es ist kein Zufall, dass der Film dort endet, wo er angefangen hat: auf dem Stoppelfeld. Nur hier, auf dem temporären Brachland, ist noch Raum für Greta jenseits der Verwertungsinteressen der Besitzenden. Durch die Figur eines Stadtführers, der die moderne Dienstleistungsgesellschaft mit den prekären Arbeitsverhältnissen besonders für Frauen einer antipatriarchalen Kritik unterzieht, wird verdeutlicht, dass die feministischen Forderungen nach einem Ende der ökonomischen Diskriminierung von Frauen und für eine Entlohnung der Reproduktionsarbeit bisher gescheitert sind.
Eine flexible Frau, Deutschland 2010; Regie & Buch: Tatjana Turanskyj; mit Mira Partecke u.a.; 97 Min. Die DVD kostet 16,90 Euro und ist erschienen bei der Filmgalerie 451.
Dieser Rezension erschien zuerst in der Direkten Aktion 219 - September / Oktober 2013