Geistiges Eigentum im Digitalen Zeitalter. Staatliche Regulierung und Alltägliche Kämpfe in der Spielfilmindustrie
by
Lars Bretthauer
Publisher:
Westfälisches Dampfboot
Published 2009 in
Münster
230
pagesPrice:
27,90
Im Februar 2009 begann der medienwirksame Gerichtsprozess gegen „The
Pirate Bay“ in Schweden. „The Pirate Bay“ ist eine Suchmaschine für das
kollaborative Filesharing-Protokoll BitTorrent. Als einer der 100
weltweit meist besuchten Webseiten bearbeitet sie gemeinsam mit zwei
anderen BitTorrent Seiten über 500 Millionen Suchanfragen pro Monat,
was in etwa der Hälfte der Suchanfragen bei Microsofts Suchmaschine MSN
entspricht. Die Tendenz ist stark steigend. Gesucht und gefunden wird
hier vor allem urheberrechtlich geschütztes Material, d.h. überwiegend
aktuelle Kinofilme und Fernsehserien. „The Pirate Bay“ wird von der
schwedischen Staatsanwaltschaft Beihilfe zur Verletzung des
Urheberrechts vorgeworfen. Die Anklagebank erfreut sich dabei
prominenter Unterstützung der Unterhaltungsindustrie. Sony BGM,
Universal Music, EMI, Warner Bros., MGM, Columbia Pictures, 20th
Century Fox und viele mehr sind mit dem Ziel angetreten, diese
Suchmaschine zu schließen. Ein jahrelanger Gerichtskampf zeichnet sich
ab, den „The Pirate Bay“ bis zum Europäischen Gerichtshof ausfechten
will.
Dieser konkrete Fall ist nur einer von vielen Kämpfen, die gegenwärtig rund um das Themenfeld geistiges Eigentum geführt werden. Im vorliegenden Buch von Lars Bretthauer werden Aspekte dieser Kämpfe aus der Perspektive marxistischer Staatstheorien dargestellt. Der Autor richtet seinen inhaltlichen Fokus dabei auf die für den deutschen Kinomarkt produzierende Spielfilmindustrie. Spielfilme sind nicht nur ein omnipräsenter Teil von „Popkultur“, sondern haben sich zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Das Internet und die Digitalisierung des Mediums Film änderten die Spielregeln hier allerdings grundsätzlich. Die Möglichkeit der Erstellung einer verlustfreien Kopie sowie die Verbreitung derselben über das Internet brachten die Filmindustrie ins Schwitzen. Die traditionellen Vertriebskanäle mit ihren vorgegebenen Distributionsabläufen (Ersterscheinung im Kino – öffentlicher Verleih – DVD/Video Verkauf – TV-Ausstrahlung) wurden empfindlich gestört. In dieser Auseinandersetzung strebt vor allem die Filmindustrie nach einer stärkeren Absicherung ihrer Investitionen – sowohl gegenüber den KonsumentInnen als auch den Filmschaffenden.
Bretthauers Studie beobachtet die Re-Regulierung der deutschen Filmpolitik von 2000 bis 2005. Ein besonderes Augenmerk legt der Autor – wie der Titel verrät – auf das Konzept des geistigen Eigentums und dessen staatliche Konstitution. Das erste Kapitel zeigt, dass eine marxistische staatstheoretische Perspektive es verlangt, über die Analyse des Privat- und öffentlichen Rechts hinauszugehen. Um die Vorstrukturiertheit der staatlichen Apparate, die Bedeutung institutioneller Strukturen für politisches Handeln, das Verhältnis der Akteure zu politischen Normen und die Akzeptanz des Rechts als sinnstiftendem Handlungshorizont zu erklären, orientiert sich das theoretische Gerüst der Arbeit an den Überlegungen von Nicos Poulantzas, Bob Jessop und Antonio Gramsci. Spätestens an dieser Stelle wird den marxistisch interessierten LeserInnen das Buch schmackhaft gemacht, stößt der/die LeserIn hier doch auf aktuellere Debatten zur marxistischen Staatstheorie. Auf den insgesamt sechs Seiten, auf denen die drei Theorieansätze erläutert werden, bietet das Buch aber höchstens Anschluss an deren Begrifflichkeit, nicht jedoch eine tiefer gehende Auseinandersetzung.
Im zweiten Kapitel bietet das Buch einen historischen Überblick über die Entwicklung der deutschen Filmindustrie. Die Darstellung wird durch die Veränderungen in der US-amerikanischen Filmindustrie kontrastiert. Der mit vielen Details gespickte Bericht eröffnet einen Blick in die konkrete kapitalistische Form der deutschen Filmproduktionsverhältnisse und zeigt die relevanten Ansatzpunkte in der Regulierung des deutschen Kinomarktes auf.
Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit der Analyse dreier Gesetzgebungsverfahren zur Re-Regulierung der deutschen Spielfilmproduktion. Zuerst werden mit Nicos Poulantzas anhand der Durchsetzungsprozesse des Gesetzes „zur Stärkung der Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“ von 2002 die strukturellen Selektivitäten und materiellen Verdichtungen der Kräfteverhältnisse zwischen Spielfilmunternehmen und Filmschaffenden herausgearbeitet. Bob Jessops Begrifflichkeit hilft dann die sich verändernden strategischen Selektivitäten anhand des Filmförderungsgesetzes 2003 zu analysieren. Im dritten Fall wird die Re-Regulierung der Konsumverhältnisse anhand des Entwurfs des ersten Korbes zum „Urhebergesetz in der Informationsgesellschaft“ von 2003 dargestellt. Der politische Versuch der Spielfilmindustrie, hinsichtlich der Nutzung digitaler Reproduktionstechnologien einen Konsens zu schaff en, schreit förmlich nach einer Betrachtung mit Antonio Gramscis Hegemonietheorie.
Ohne an dieser Stelle allzu detailliert auf die jeweils sehr lesenswerten Fallbeispiele einzugehen (wer etwa immer schon mal wissen wollte, was man in Los Angeles unter „Stupid German Money“ versteht, dem sei eine genaue Lektüre der Entwicklung des Filmförderungsgesetzes ans Herz gelegt), sei darauf verwiesen, dass vor allem das dritte Fallbeispiel besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn die Analyse der Novellierung des Urheberrechtgesetzes bietet eine spannende Basis für weitere Studien zu digitalen Technologien und deren Auswirkung auf die Gesellschaft. Während die Filmindustrie durch Lobbyarbeit und offensive Kampagnen („Raubkopierer sind Verbrecher“) die klassischen Orte der Hegemoniebildung wie die mediale Öffentlichkeit und das Parlament besetzt und damit die Gestaltung des Urhebergesetzes maßgebend beeinflussen konnte, hatte dies kaum Einfluss auf die weiter bestehende Praxis des Filesharings. Die Frage nach der Funktion des Internets als informelle Teilöffentlichkeit, die teilweise quer zu der von Massenmedien und staatlicher Gesetzgebung beeinflussten Öffentlichkeit liegt, bleibt im Buch unbeantwortet.
Hier triff t die Darstellung auf eine im Rahmen dieser Studie leider unerschlossene Goldmine. So beschreibt das sehr lesbar geschriebene Buch zwar in vielen Details, wie die Kämpfe zwischen der Filmindustrie, Filmschaff enden und KonsumentInnen ausgetragen werden und wie sich diese Verhältnisse staatlich konstituieren, es erklärt aber beispielsweise nicht die nur zaghafte politische Organisierung der massenhaft kriminalisierten KonsumentInnen, die sich der Alltagspraxis des Filesharing bedienen. Die technologischen Entwicklungen haben das Machtverhältnis zu Ungunsten der Filmindustrie verschoben und die Filesharing-Netzwerke bleiben trotz aller Bemühungen der Filmindustrie bestehen. Das Buch stellt am Beispiel der deutschen Filmpolitik fest, dass trotz dieser Verschiebung weder die Filmschaffenden noch die KonsumentInnen von dieser Entwicklung profitieren konnten. Die enorme weltweite Popularität von Filesharing und Webseiten wie „The Pirate Bay“ spiegelt sich demnach gerade nicht in politischen Erfolgen alternativer Vorstellungen zur staatlichen Konstitution von geistigem Eigentum wieder. Dieses Buch bietet dem/der LeserIn den nötigen Hintergrund und die Basis, um solche offen gebliebenen Fragen zu bearbeiten und Kämpfe um geistiges Eigentum besser einordnen zu können.
Dieser konkrete Fall ist nur einer von vielen Kämpfen, die gegenwärtig rund um das Themenfeld geistiges Eigentum geführt werden. Im vorliegenden Buch von Lars Bretthauer werden Aspekte dieser Kämpfe aus der Perspektive marxistischer Staatstheorien dargestellt. Der Autor richtet seinen inhaltlichen Fokus dabei auf die für den deutschen Kinomarkt produzierende Spielfilmindustrie. Spielfilme sind nicht nur ein omnipräsenter Teil von „Popkultur“, sondern haben sich zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Das Internet und die Digitalisierung des Mediums Film änderten die Spielregeln hier allerdings grundsätzlich. Die Möglichkeit der Erstellung einer verlustfreien Kopie sowie die Verbreitung derselben über das Internet brachten die Filmindustrie ins Schwitzen. Die traditionellen Vertriebskanäle mit ihren vorgegebenen Distributionsabläufen (Ersterscheinung im Kino – öffentlicher Verleih – DVD/Video Verkauf – TV-Ausstrahlung) wurden empfindlich gestört. In dieser Auseinandersetzung strebt vor allem die Filmindustrie nach einer stärkeren Absicherung ihrer Investitionen – sowohl gegenüber den KonsumentInnen als auch den Filmschaffenden.
Bretthauers Studie beobachtet die Re-Regulierung der deutschen Filmpolitik von 2000 bis 2005. Ein besonderes Augenmerk legt der Autor – wie der Titel verrät – auf das Konzept des geistigen Eigentums und dessen staatliche Konstitution. Das erste Kapitel zeigt, dass eine marxistische staatstheoretische Perspektive es verlangt, über die Analyse des Privat- und öffentlichen Rechts hinauszugehen. Um die Vorstrukturiertheit der staatlichen Apparate, die Bedeutung institutioneller Strukturen für politisches Handeln, das Verhältnis der Akteure zu politischen Normen und die Akzeptanz des Rechts als sinnstiftendem Handlungshorizont zu erklären, orientiert sich das theoretische Gerüst der Arbeit an den Überlegungen von Nicos Poulantzas, Bob Jessop und Antonio Gramsci. Spätestens an dieser Stelle wird den marxistisch interessierten LeserInnen das Buch schmackhaft gemacht, stößt der/die LeserIn hier doch auf aktuellere Debatten zur marxistischen Staatstheorie. Auf den insgesamt sechs Seiten, auf denen die drei Theorieansätze erläutert werden, bietet das Buch aber höchstens Anschluss an deren Begrifflichkeit, nicht jedoch eine tiefer gehende Auseinandersetzung.
Im zweiten Kapitel bietet das Buch einen historischen Überblick über die Entwicklung der deutschen Filmindustrie. Die Darstellung wird durch die Veränderungen in der US-amerikanischen Filmindustrie kontrastiert. Der mit vielen Details gespickte Bericht eröffnet einen Blick in die konkrete kapitalistische Form der deutschen Filmproduktionsverhältnisse und zeigt die relevanten Ansatzpunkte in der Regulierung des deutschen Kinomarktes auf.
Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit der Analyse dreier Gesetzgebungsverfahren zur Re-Regulierung der deutschen Spielfilmproduktion. Zuerst werden mit Nicos Poulantzas anhand der Durchsetzungsprozesse des Gesetzes „zur Stärkung der Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“ von 2002 die strukturellen Selektivitäten und materiellen Verdichtungen der Kräfteverhältnisse zwischen Spielfilmunternehmen und Filmschaffenden herausgearbeitet. Bob Jessops Begrifflichkeit hilft dann die sich verändernden strategischen Selektivitäten anhand des Filmförderungsgesetzes 2003 zu analysieren. Im dritten Fall wird die Re-Regulierung der Konsumverhältnisse anhand des Entwurfs des ersten Korbes zum „Urhebergesetz in der Informationsgesellschaft“ von 2003 dargestellt. Der politische Versuch der Spielfilmindustrie, hinsichtlich der Nutzung digitaler Reproduktionstechnologien einen Konsens zu schaff en, schreit förmlich nach einer Betrachtung mit Antonio Gramscis Hegemonietheorie.
Ohne an dieser Stelle allzu detailliert auf die jeweils sehr lesenswerten Fallbeispiele einzugehen (wer etwa immer schon mal wissen wollte, was man in Los Angeles unter „Stupid German Money“ versteht, dem sei eine genaue Lektüre der Entwicklung des Filmförderungsgesetzes ans Herz gelegt), sei darauf verwiesen, dass vor allem das dritte Fallbeispiel besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn die Analyse der Novellierung des Urheberrechtgesetzes bietet eine spannende Basis für weitere Studien zu digitalen Technologien und deren Auswirkung auf die Gesellschaft. Während die Filmindustrie durch Lobbyarbeit und offensive Kampagnen („Raubkopierer sind Verbrecher“) die klassischen Orte der Hegemoniebildung wie die mediale Öffentlichkeit und das Parlament besetzt und damit die Gestaltung des Urhebergesetzes maßgebend beeinflussen konnte, hatte dies kaum Einfluss auf die weiter bestehende Praxis des Filesharings. Die Frage nach der Funktion des Internets als informelle Teilöffentlichkeit, die teilweise quer zu der von Massenmedien und staatlicher Gesetzgebung beeinflussten Öffentlichkeit liegt, bleibt im Buch unbeantwortet.
Hier triff t die Darstellung auf eine im Rahmen dieser Studie leider unerschlossene Goldmine. So beschreibt das sehr lesbar geschriebene Buch zwar in vielen Details, wie die Kämpfe zwischen der Filmindustrie, Filmschaff enden und KonsumentInnen ausgetragen werden und wie sich diese Verhältnisse staatlich konstituieren, es erklärt aber beispielsweise nicht die nur zaghafte politische Organisierung der massenhaft kriminalisierten KonsumentInnen, die sich der Alltagspraxis des Filesharing bedienen. Die technologischen Entwicklungen haben das Machtverhältnis zu Ungunsten der Filmindustrie verschoben und die Filesharing-Netzwerke bleiben trotz aller Bemühungen der Filmindustrie bestehen. Das Buch stellt am Beispiel der deutschen Filmpolitik fest, dass trotz dieser Verschiebung weder die Filmschaffenden noch die KonsumentInnen von dieser Entwicklung profitieren konnten. Die enorme weltweite Popularität von Filesharing und Webseiten wie „The Pirate Bay“ spiegelt sich demnach gerade nicht in politischen Erfolgen alternativer Vorstellungen zur staatlichen Konstitution von geistigem Eigentum wieder. Dieses Buch bietet dem/der LeserIn den nötigen Hintergrund und die Basis, um solche offen gebliebenen Fragen zu bearbeiten und Kämpfe um geistiges Eigentum besser einordnen zu können.