In Sachen „Tarifeinheit“ setzt die Industrie auf Beharrlichkeit und auf die große Koalition
Ob es reiner Zufall ist oder nicht, irgendwie scheinen Streiks in der Luftfahrtbranche eine belebende Wirkung zu haben auf die Verfechter der sog. „Tarifeinheit“, in deren Namen das Recht auf Streik jahrzehntelang eingeschränkt worden war. Kaum nämlich hatte ver.di in der Tarifauseinandersetzung im Sicherheitsgewerbe die Securities an den Flughäfen zu Warnstreiks aufgerufen, monierte der Personaldirektor der Lufthansa, Stefan Lauer, im Februar 2013, die DGB-Dienstleistungsgewerkschaft verhalte sich wie eine Spartengewerkschaft – in den Teppichetagen offenbar ein besonders deftiges Schimpfwort.
Angesichts der nahenden Bundestagswahl überrascht es kaum, dass der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) sein altes Steckenpferd nun im März wieder hervorkramte: „Tarifeinheit gesetzlich wiederherstellen“, hieß es auf einer Tagung des BDI, des Handwerksverbands ZDH, der Arbeitgeberverbände BDA und des Industrie- und Handelskammertages, an der auch Bundeskanzlerin Merkel teilnahm. Die Aufgabe von Tarifverträgen, so verlautete die Erklärung der Bosse, sei es, „die Arbeitsbeziehungen zu ordnen und zu befrieden“ – nein, es geht nicht um Verbesserungen für die Beschäftigten. Die Regierungschefin versicherte indes, sie werde beim „Thema Tarifeinheit ... nach wie vor für Mehrheiten werben.“
In der Tat hat sich Merkel da nicht sonderlich viel vorgenommen. Denn die SPD, die sich für Hartz IV und den Aufschwung der Leiharbeit wesentlich verantwortlich zeichnet, geht mit der süßen Mär von der Tarifeinheit auf Stimmenfang im DGB-Milieu. Besonders willfährig übernimmt die SPD die Argumentation der Bosse, Tarifpluralität würde zur Zersplitterung der Tariflandschaft – und zur Schwächung der Gewerkschaften – führen. Seltsam, dass noch niemand kam auf die Idee kam, Haustarifverträge zu verbieten, die doch Branchentarife viel breitenwirksamer durchlöchern als die überschaubare Anzahl von Spartentarifen.
Wie auch immer; im „SPD-Regierungsprogramm 2013“ heißt es kurz und knapp: „Wir bekennen uns zur Tarifeinheit.“ Im Klartext heißt das: Pro Betrieb maximal ein Tarifvertrag. Ein Tarif heißt aber auch: eine Friedenspflicht, ein Streikverbot. So behalten die Mehrheitsgewerkschaften (bzw. deren Vorstände) das Heft des Handelns in der Hand, die grundgesetzlich verbriefte Gewerkschaftsfreiheit wird zur Farce – deshalb ist auch weniger Merkels Überzeugungskraft als vielmehr die Spitzfindigkeit der Regierungsjuristen gefragt. Keine einfache Aufgabe, denn, so Steinmeier, die Tarifeinheit war „ein Prinzip, das uns von allen anderen in Europa unterschieden hat“. BDI-Chef Hundt ficht das nicht an. Vielmehr scheint die beharrliche Wiederholung einer Forderung seine bevorzugte Rhetorik zu sein: nahezu wortgleich sein Plädoyer im März und das im Oktober 2012 beim „Arbeitgebertag“.
Weitere Infos: www.fau.org/streikrecht
Dieser Artikel erschien zuerst in der Direkten Aktion #217 - Mai / Juni 2013